| Titel: | Ueber ein Extract der Mimosa-Rinde für Gärber, welches jezt in England aus New-South-Wales eingeführt wird. Von Hrn. T. Kent. | 
| Fundstelle: | Band 14, Jahrgang 1824, Nr. LXVI., S. 257 | 
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                        LXVI.
                        Ueber ein Extract der Mimosa-Rinde für
                           								Gärber, welches jezt in England aus New-South-Wales eingeführt wird. Von
                           								Hrn. T.
                              								Kent.
                        Aus dem XLI. B. der Transactions of the Society for the
                                 										Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce for 1823 in
                           									Gill's technical
                                 										Repository. Mai. 1824. (Im Auszuge.)
                        Kent's Extract der Mimosa-Rinde für Gärber.
                        
                     
                        
                           Dieser kurze Aufsaz, fuͤr welchen, so wie fuͤr
                              									die Einfuhr dieses Gaͤrbe-Materiales, Hr. Kent die goldene Isis-Medaille erhielt, ist ein zu sprechender
                              									Beweis, wie sehr England, ungeachtet des bei ihm bestehenden
                              										Prohibitiv-SistemesDer Berichterstatter der Leipziger Oster- und Michaelis-Messe
                                    											beliebte neulich in der Allgemeinen Zeitung
                                       												Beilage
                                    											N. 116 unseren Wunsch, daß jeder Staat
                                    											dasjenige, was er selbst erzeugen kann, selbst erzeugen moͤchte, oder
                                    											daß er wenigstens nicht durch seinen Finanz-Minister gehindert seyn
                                    											moͤchte, dieß thun zu koͤnnen, fuͤr einen
                                    												„kurzsichtigen Patriotismus“ zu erklaren. Wir erklaͤren
                                    											hingegen seinen saͤchsischen Patriotismus
                                    											fuͤr eben so scharf- und fernsichtig, als er unseren baierischen Patriotismus fuͤr kurzsichtig
                                    											haͤlt, wenn wir wuͤnschen, daß wir unser Geld bei Hause
                                    											behalten, waͤhrend er verlangt, daß wir unseren lezteren baierischen
                                    											Thaler auf seine Messe schiken sollen. Unser Vaterland ist ein akerbauendes
                                    											Land, ohne Ausfuhr, bei gelaͤhmter Industrie; wir leben von der
                                    											Scholle, die wir umkehren; sein Vaterland hingegen ist ein Handel treibendes
                                    											Land, uͤberladen mit verschiedenen Zweigen der Industrie, und von so
                                    											aͤrmlicher Scholle, daß die Haͤlfte seiner Einwohner
                                    											verkuͤmmern muͤßte, wenn es nicht die Spindel und die
                                    											Schuͤze eben so fleißig, umkehrte, als seine undankbare Scholle, und
                                    											die kauf- und verkauflustigen Fremden durch alle Kuͤnste der
                                    											Loke zu sich luͤde. Daher, weil seine Landsleute ohne Freiheit des
                                    											Handels und der Einfuhr verhungern muͤßten, seine Klage uͤber
                                    											Einfuhr-Verboth; und daher, weil wir in unserem Fette erstiken
                                    											muͤssen, waͤhrend unser Beutel an Auszehrung vor uns in den
                                    											Schooß Abrahams wandert, unsere Klage uͤber freie Einfuhr von Waaren
                                    											in unser Land, die wir selbst eben so gut bei uns erzeugen koͤnnten,
                                    											und zum Theile auch wirklich erzeugen. Der unparteiische Leser wird
                                    											entnehmen, daß bei unserem Streite wir beide Streitende, der
                                    											Leipziger-Meß-Berichterstatter in der Allgem. Zeit und das
                                    											polytechnische Journal, Recht haben. Baiern muß zu Grunde gehen, wenn es
                                    											nicht seine Graͤnzen sperrt, um sich inlaͤndische Industrie zu
                                    											geben; und Sachsen muß zu Grunde gehen, sobald seine Nachbar-Staaten
                                    											seinen Handel und seinen Spinnereien die Thore verschließen, und seine
                                    											Industrie laͤhmen. Es fragt sich nur, was von beiden fuͤr
                                    											Baiern besser, wenn seine augsburgischen Fabrikanten oder die
                                    											saͤchsischen Messe-Makler fuͤr
                                    											auslaͤndische Fabriken zu Grunde gehen. Wenn unser
                                    											saͤchsischer Herr auf Hrn. Canning und
                                    											Hrn. Cancrin hinweiset, die, im Parlamente und in
                                    											Buͤchern, die Freiheit des Handels im Munde fuͤhren, so
                                    											scheint er entweder vergessen zu haben, daß diese beiden Herren Minister
                                    											sind, oder nicht zu wissen, wie wenig man immer Worten trauen darf.
                                    											Ueberdieß ist Herr Canning, der vielleicht richtiger Herr Cunning geschrieben wuͤrde, Minister des
                                    											ersten Handels-Staates der Erde; er muß fuͤr Freiheit des
                                    											Handels sprechen, wenn gleich auslaͤndisches Stroh, das in sein Land
                                    											eingefuͤhrt wird, 60 p. C. zahlen muß; er muß seine faulen
                                    											Seiden-Fabrikanten weken, da England jezt in seinen Colonien so viele
                                    											rohe Seide erzeugt, und diese Gelegenheit benuͤzen, um sich den
                                    											Radicalen seines Landes liberal zu erweisen. Und Herr Cancrin! Um den
                                    											Krebsgang, den der Handel nach Rußland genommen hat, in einen Schnekengang
                                    											zu verwandeln, der in krummen Linien um den Kaukasus
                                    											herumfuͤhrt........... wie kann er anders, als waͤhrend er
                                    											einen Ukas des Waaren-Verbothes um den anderen unterzeichnet,
                                    											fuͤr Freiheit der Einfuhr druͤken lassen unter seinem Namen?
                                    											Man muß wenigstens seine Haͤnde in Tinte waschen, wenn sie auf keine
                                    											andere Weise weiß werden koͤnnen, und man doch ausrufen will oder
                                    											muß: „ich wasche meine Haͤnde!“ Wuͤrde
                                    											der Herr Messausrufer die Muͤhe sich geben, die technischen Journale
                                    											Englands und Frankreichs mit der Aufmerksamkeit zu lesen, wie wir (wir
                                    											empfehlen ihm z.B. nur den technischen Artikel in Férrusac's Buletin universel des
                                    												Sciences etc., den er doch halten wird, und
                                    											den er auch in Gill's
                                    											Repository, Mai, 1824, S. 343 in englischer
                                    											Sprache lesen kann) so wird er sich uͤberzeugen, wie, bei der
                                    											Aufmunterung, welche die Industrie in Frankreich und England durch
                                    											Einfuhr-Verboth und Ausfuhr-Beguͤnstigung, in Oestreich
                                    											und Rußland durch Einfuhr-Verboth allein, genießt, jeder Staat, und
                                    											am Ende auch sein liberales Sachsen, das lieber alles haben als verlieren
                                    											moͤchte, alles wird gegen das Ausland verlieren muͤssen, und
                                    											seine Enkel, wenn nicht seine Soͤhne noch, der Leipziger Messe ihr
                                    											IIIte Missa est singen werden.A. d. Ueb., auf alle ersinnliche Weise bemuͤht ist, allen Handel und alle
                              									Industrie des benachbarten Auslandes zu untergraben, oder wenigstens zu
                              									beschraͤnken, und sich in den Alleinbesiz alles Geldertrages zu versezen, der
                              									dadurch irgendwo, war es auch in noch so geringer Kleinigkeit, hervorgehen mag.
                           
                           Herr Kent klagt in diesem Aufsaze bitter, daß seine
                              									Landsleute so einfaͤltig seyn koͤnnen, dem Auslande von den Tausenden
                              									und Tausenden von rohen Haͤuten, die jezt bei dem zunehmenden Verkehre
                              									Englands mit Suͤd-America jaͤhrlich in den englischen
                              									Haͤfen eingefuͤhrt werden, auch nur einige Duzende zukommen zu lassen, und sie
                              									nicht vielmehr selbst zu gaͤrben, und als gegaͤrbtes Leder zu
                              									verfuͤhren, nachdem vorlaͤufig auch noch der Gaͤrberlohn daran
                              									gewonnen wurde. Er findet zwei Ursachen dieser Ungereimtheit (un satisfactory state of things); 1tens den, von unseren neueren
                              									Staatswirthschaftern so sehr gepriesenen Zunft- und Gewerbszwang, den er von
                              									der Erde verbannt wissen will; er will Aufhebung des in England bestehenden Gesezes,
                              									daß kein Gaͤrber zugleich Lederbereiter oder Zurichter seyn soll; wir wollen
                              									hingegen das alte, alle Industrie laͤhmende und erstikende, Zunftwesen in
                              									allen seinen duͤrren faulen Zweigen. 2tens, Mangel an Gaͤrbemateriale.
                              									Er weint und wimmert daruͤber, daß jaͤhrlich in England uͤber
                              									10,000 Tonnen (20, Millionen ℔) Eichenrinde von dem festen Lande der
                              									eingefuͤhrt wird, wofuͤr, die Tonne zu 14 Pfund Sterl., dem englischen
                              									Beutel entzogen werden. Diese Eichenrinde verbrauchen die Gaͤrber in London
                              									und in der Nachbarschaft dieser Hauptstadt allein! Damit nun der immer mehr
                              									zugeschnittene Continent auch nicht einmahl seine Eichenrinde mehr in England, das
                              									ihm buchstaͤblich die Haͤute abzieht, absezen kann, hat man, da der
                              									Transport der Eichenrinde, als eines sehr voluminoͤsen Koͤrpers, mit
                              									vielen Schwierigkeiten verbunden ist, von England aus Factoreien in Dalmatien und
                              									anderen Gegenden Europens errichtet, in welchen die Eichenrinde ausgesotten, und zu
                              									einem Extract bereitet wird, das man leicht zu Schiffe bringen und nach England
                              									fahren kann, um daselbst damit zu gaͤrben.
                           Doch auch damit ist man nicht zufrieden; es geht dafuͤr noch immer Geld in's
                              									Ausland. Man findet es daher jezt in England besser, lieber die weite und
                              									gefahrvolle Reise nach dem Suͤdpole zu thun, und von dem Suͤdpole
                              									herauf, der der englischen Krone angehoͤrt, Garbe-Materials zu holen,
                              									als dasselbe auf der, England gegen uͤber gelegenen Kuͤste, zu kaufen,
                              									obschon, nach den Versuchen der englischen Gaͤrber, dieses neue
                              									Garbe-Mittel, das Mimosen-Extract, dem Eichen-Extracte an
                              									Staͤrke nachsteht, indem es nur so viel Leder gaͤrbt, als vier bis
                              									fuͤnf Mahl so viel Eichenrinde von der besten Qualitaͤt gaͤrben
                              									wuͤrde.
                           Uebrigens hat dieses neue Gaͤrbe-Materiale gleichen Nachtheil mit dem
                              									Eichenrinden-Extracte: es faͤrbt das Leder rothbraun, und bringt es um die beliebte
                              									lichte Farbe. Hr. Kent hofft indessen, daß man sich an
                              									diese Farbe bald gewoͤhnen wird, wenn man sich einmal von der Guͤte
                              									dieses dunkleren Leders uͤberzeugt hat.
                           Es ist ein altes deutsches Sprichwort: daß man von den reichen Leuten Wirtschaften
                              									lernen muß. Und so sollten auch wir arme deutsche Voͤlklein von unseren
                              									reicheren Nachbarn, die uns in die Armuth stuͤrzten, und in derselben
                              									erhalten, und vorzuͤglich von dem reichsten aller Voͤlker, von den
                              									Englaͤndern, Staatshaushalt und Staatswirthschaft lernen. Allein unsere
                              									Lehrer unterweisen uns tuͤchtig und nach allen Regeln der
                              									Jesuiten-Paͤdagogik in der schweren Kunst, nichts fuͤr das
                              									Leben zu lernen, und alles, was uns die Erfahrung aller Zeiten lehrte, fuͤr
                              									ewige Zeiten zu vergessen. Omnia ad majorem Dei
                                 									gloriam!