| Titel: | Auszug aus einem Schreiben des Hrn. Gaultier de Glaubry an Hrn. Gay-Lussac, über die Art, wie die alkalischen Chlorüre als Luft verbessernde, und Fäulniß zerstörende Körper wirken. | 
| Fundstelle: | Band 23, Jahrgang 1827, Nr. XCVI., S. 447 | 
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                        XCVI.
                        Auszug aus einem Schreiben des Hrn. Gaultier de Glaubry an Hrn.
                           Gay-Lussac,
                           uͤber die Art, wie die alkalischen Chloruͤre als Luft verbessernde, und
                           Faͤulniß zerstoͤrende Koͤrper wirken.
                        Aus den Annales de Physique et de Chimie Nov. 1826. S.
                              271.
                        de Glaubry, uͤber die Art, wie die alkalischen
                           Chloruͤre als Luft verbessernde, und Faͤulniß zerstoͤrende
                           Koͤrper wirken.
                        
                     
                        
                           Da die von dem Polizei-Praͤfekten zur Reinigung
                              der Kloaken Amelot, und des Canales Saint-Martin bestimmte Commission
                              Gelegenheit hatte, im Verlaufe ihrer Arbeiten eine große Menge
                              Kalk-Chloruͤr zu verbrauchen, um das Leben der Arbeiter zu sichern, so
                              wuͤnschte sie uͤber die Art, wie dieser Koͤrper wirkt, sich
                              Aufschluß zu geben. Die angestellten Beobachtungen hieruͤber wird sie in
                              ihrem Berichte ausfuͤhrlich mittheilen: sie beschraͤnkt sich hier bloß
                              auf die Resultate. Die Commission hat sich anfangs Julius, also vor dem Streite
                              zwischen den HHrn. Pouzin und Bories, hiermit beschaͤftigt.
                           Es schien mir, seit sie Ihre Abhandlung uͤber Chlorometrie herausgaben (Annal. de Chem. et de Phys. T. XXVI. S. 165.), daß die
                              Wirkung des Kalk-Chloruͤres hinlaͤnglich bekannt waͤre;
                              denn Sie sagen: „daß die Aufloͤsung desselben, der Luft ausgesezt,
                                 sich nach und nach zersezt; ein Theil des Kalkes verbindet sich mit der in der
                                 Luft enthaltenen Kohlensaͤure, und das damit verbundene Chlor entwikelte
                                 sich: man kann diese Zersezung dadurch aufhalten, daß man bestaͤndig
                                 einen Ueberschuß von Kalk in der Aufloͤsung erhaͤlt.“
                              
                           Es scheint indessen, daß man diese Bemerkung nicht beachtete, indem Hr. Labarraque sich bemuͤht zu behaupten, daß die
                              Miasmen selbst von dem Chloruͤr angezogen, und dadurch zersezt werden, daß
                              sie auf das in demselben enthaltene Chlor wirken, und indem ferner weder Hr. Pouzin, noch Hr. Bories in dem
                              Streite, der sich zwischen denselben uͤber die alkalischen Chloruͤre
                              erhob, dieses Umstandes erwaͤhnen, und Hr. Bories,
                              der uͤbrigens der Wahrheit so nahe als moͤglich kam, ohne dieselbe zu
                              sagen, nicht die Bemerkung aufstellt, daß Kohlensaͤure die Ursache der
                              Zersezung des Kalk-Chloruͤres ist.
                           Hr. Labarraque behauptet auch, daß sein Chloruͤr,
                              wenn es der Luft ausgesezt wird, sich sehr schnell in ein Hydrochlorat verwandelt. Ich gestehe, daß
                              ich, ohne daß ich zwar Versuche hieruͤber angestellt habe, diese Art von
                              Wirkung nicht begreifen konnte. Ich wollte jedoch sehen, was unter diesen
                              Umstaͤnden geschieht.
                           Sehr gesaͤttigtes Kalk-Chloruͤr, in Wasser aufgeloͤst,
                              wurde der Einwirkung eines Stromes von kohlensaurem Gase ausgesezt: nach wenigen
                              Augenbliken entwikelte sich Chlor, und nachdem man die Operation ziemlich lange
                              fortsezte, wurde alles Gas aus dieser Verbindung ausgetrieben. Die
                              Fluͤßigkeit wirkte nicht mehr im Geringsten entfaͤrbend, selbst nicht
                              auf Tournesol-Tinctur. Es fiel kohlensaurer Kalk zu Boden, wovon ein Theil
                              sich in der uͤberschuͤssigen Kohlensaͤure wieder
                              aufloͤste.
                           Dieser Versuche forderte aber viele Zeit. Die Zersezung Eines Grammes Chloruͤr
                              dauerte mehr, als drei Stunden; sie war aber, nach Verlauf dieser Zeit, vollkommen
                              vollendet, wenn man den Versuch an einer großen Menge concentrirter
                              Aufloͤsung macht, muß man wohl Acht geben, daß man nichts von diesem Gase
                              athmet, das aus dem Apparate entweicht, und sehr heftig auf die Brust wirkt.
                           Luft, die man langsam durch eine gesaͤttigte, mit
                              Kalk aͤzend gemachte, Pottasche-Aufloͤsung ziehen ließ, brachte
                              keine merkliche Wirkung auf eine
                              Kalk-Chloruͤr-Aufloͤsung, waͤhrend einer halben
                              Stunde hervor: anfangs bildete sich jedoch eine zarte Rinde von kohlensaurem Kalke
                              auf der Oberflaͤche der Fluͤßigkeit, die einen Theil des Apparates
                              erfuͤllte.
                           Der kohlensaure Kalk, welcher durch Zersezung des Kalk-Chloruͤres
                              entsteht, enthaͤlt keine Spur von Chlor.
                           Soda-Chloruͤr wird durch Kohlensaͤure zersezt, wie
                              Kalk-Chloruͤr, nur langsamer, weil kein unaufloͤsliches Salz
                              sich bildet.
                           Es ist schwer Kalk-Chloruͤr zu erhalten, das von allem Hydrochlorate
                              frei waͤre, um zu wissen, ob waͤhrend der Zersezung des
                              Chloruͤres Hydrochlorat sich bildet, bestimmte ich die Menge
                              Hydrochlorsaͤure vor und nach der Einwirkung der Kohlensaͤure; sie war
                              immer dieselbe.
                           Um die Menge der Hydrochlorsaͤure in dem Chloruͤr vor der Zersezung zu
                              bestimmen, behandelte ich das Chloruͤr mit der Essigsaure, und bildet dann
                              mit salpetersaurem Silber einen Niederschlag.
                           Hr. d'Arcet hat auch, von seiner Seite, Versuche
                              angestellt, die durchaus
                              denjenigen aͤhnlich waren, die ich erhielt, wann ich Aufloͤsungen des
                              Kalk-Chloruͤres der Luft ausstellte.
                           Am 13. August wurde eine Chloruͤr-Aufloͤsung, von 12° am
                              Salz-Messer, filtrirt der Luft ausgesezt Am 10. Oktober enthielt diese
                              Aufloͤsung kein Chlor mehr; sie entfaͤrbte nicht mehr das
                              Tournesol-Papier; der Niederschlag zeigte, nachdem er gehoͤrig
                              ausgewaschen war, lediglich kohlensauren Kalk.
                           Eine Aufloͤsung desselben Chloruͤres von 16° wurde den 16ten
                              August der Luft ausgesezt; am 10ten October befand sie sich in demselben Zustande,
                              wie die vorige.
                           Diese Erfahrungen wuͤrden hinreichen, um zu erklaͤren, was bei
                              Einwirkung des Chloruͤres auf die mit faulichten Miasmen
                              geschwaͤngerte Luft geschieht; es schien uns indessen, daß einige directe
                              Versuche nicht uͤberfluͤßig waͤren. Hier sind die
                              Resultate.
                           Es wurde Luft durch Blut geblasen, welches man acht Tage lang der Faͤulniß
                              uͤberließ, und das einen unausstehlichen Geruch verbreitete; man ließ diese
                              Luft hierauf durch eine Aufloͤsung von Kalk-Chloruͤr. Es
                              bildete sich kohlensaurer Kalk, und die Luft hatte durchaus keinen Geruch, und war
                              vollkommen vom Chlor gereinigt.
                           Man wiederholte dieselbe Operation, indem man die Luft durch eine mit Kalk
                              aͤzend gemachte, gesaͤttigte Pottasche-Aufloͤsung
                              durchließ, ehe man sie durch das Chloruͤr leitete: die Luft hatte einen sehr
                              stinkenden Geruch.
                           Luft wurde 24 Stunden lang in Beruͤhrung mit einem Theile Blutes gelassen, das
                              zu vorigem Versuche diente: nachdem ein Theil davon mit Chloruͤr in
                              Beruͤhrung kam, war in wenigen Augenbliken aller uͤble Geruch
                              beseitigt, und es bildete sich kohlensaurer Kalk. Der andere Theil wurde mit
                              kaustischer Pottasche, und dann mit Chloruͤr behandelt, behielt aber seinen
                              unausstehlichen Geruch.
                           Es scheint uns nun uͤber die Wirkung der alkalischen Chloruͤre, als
                              Luft reinigende und Faͤulniß zerstoͤrende Mittel, kein Zweifel mehr
                              uͤbrig zu bleiben. Die Kohlensaͤure der Luft zersezt das
                              Chloruͤr, und sezt das Chlor in Freiheit: dieses wirkt dann so ein, als ob es
                              unmittelbar angewendet worden waͤre.
                           Hieraus ergibt sich, wie wenig Hrn. Labarraque's Ansicht
                              uͤber die Wirkung des Chloruͤres gegruͤndet ist, es ist ein
                              Ungluͤk, daß er, der die Gelegenheit hatte, dasselbe in bedeutender Menge anzuwenden, nicht
                              durch einige Versuche zu erweisen trachtete, daß seine Theorie auf Thatsachen
                              beruht.
                           Was die Anwendung der Chloruͤre als Reinigungs-Mittel betrifft, so
                              laͤßt sich der Vorzug, den man denselben in vielen Faͤllen vor den
                              Chlor-Raͤucherungen gibt, leicht erklaͤren.
                           Die Kohlensaͤure, die sich in der Luft befindet, oder durch Zersezung
                              thierischer Substanzen entwikelt wird, verjagt das Chlor aus seilten Verbindungen,
                              und da diese Wirkung langsam geschieht, kann das Chlor weniger auf die thierische
                              Oekonomie wirken, aber leicht die thierischen Miasmen zerstoͤren. Es ist also
                              eine wahre Chlor-Raͤucherung, nur weniger stark und laͤnger
                              andauernd.