| Titel: | Ueber die Abdekereien zu Paris, und über die technische Benüzung der thierischen Substanzen. | 
| Fundstelle: | Band 32, Jahrgang 1829, Nr. CI., S. 438 | 
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                        CI.
                        Ueber die Abdekereien zu Paris, und uͤber
                           die technische Benuͤzung der thierischen Substanzen.
                        Ueber die Abdekereien zu Paris etc.
                        
                     
                        
                           In N. 14 und 15 des Recueil
                                 industriel, T. V. findet sich der Beschluß der vortrefflichen Abhandlung der Special-Commission uͤber die
                                 Abdekereien zu Paris, worauf wir unsere Thieraͤrzte und
                              Polizei-Beamten bereits aufmerksam machtenPolytechnisches Journal Bd. XXVII. S.
                                       156. und die wir denselben nicht genug zu ihrem sorgfaͤltigen Studium
                              empfehlen koͤnnen. Wir wollen hier nur noch einige Notizen aus derselben
                              ausheben. – Roßhaar. Ein Pferd liefert von 30 bis
                              750 Gramme Roßhaar (das Gramm = 19 Gran). Das Kilogramm wird roh zu 30 bis 32 Sous
                              verkauft. – Um das Faulen der frisch abgezogenen Roßhaͤute, wenn sie nicht alsogleich zu den Gerbern geschafft
                              werden koͤnnen, zu verhindern, empfiehlt die Commission Anwendung der
                              brennzeligen Holzsaͤure. Versuche im Großen haben die Brauchbarkeit derselben
                              erwiesen. –
                           Da das Blut der gestochenen Pferde gegenwaͤrtig fuͤr
                              Berlinerblau-Fabriken, Zuker-Raffinerien etc. so hohen Werth hat, so
                              schlaͤgt die Commission folgende Behandlung desselben vor. Dasselbe soll,
                              entweder um den Faserstoff abzuscheiden, so wie es frisch aufgefangen wurde,
                              geruͤhrt oder geschlagen, und das Fluͤssige an die
                              Zuker-Raffineurs verkauft werden; oder man soll es bei einer maͤßigen
                              Waͤrme abdampfen und eintroknen, wie dieß gegenwaͤrtig in einer
                              eigenen Anstalt des Hrn. Derosne zu Paris mit dem
                              Ochsenblute geschieht. In diesem Falle muͤßte aber der Faserstoff und das
                              weniger reine Blut einzeln behandelt werden. Wenn man den Faserstoff nicht
                              abscheiden, sondern das Blut im Ganzen benuͤzen will, muß man es durch Hize
                              gerinnen machen und dann in einer Trokenstube oder auf einer Darre oder auf Nezen in
                              Rahmen vollkommen troknen. Das auf diese Weise getroknete Blut wird dann in diesem
                              Zustande oder verkohlt an die Berlinerblau-Fabrikanten verkauft. Das
                              uͤbrige Blut, welches man nicht mehr an die Fabrikanten absezen kann, kann
                              frisch zu Duͤnger oder zu sogenannten Compots verwendet werden. Man kann auch
                              das Blut kochen, ausdruͤken, und Schweine und Huͤhner damit
                              maͤsten, indem man dasselbe dem uͤbrigen Futter beimengt. Durch die
                              Benuͤzung des Pferde-Blutes in Berlinerblau-Fabriken
                              wuͤrde das Rinder-Blut ganz zum Gebrauche der Zuker-Raffinerien
                              gestellt, die gegenwaͤrtig schon auf 10 Jahre vorhinein alles Blut von den
                              Mezgern zu Paris gekauft haben. Das Liter frisches geruͤhrtes Ochsenblut wird zu Paris
                              fuͤr die Zuker-Raffinerien mit 5 Centimen bezahlt.
                           Pferde-Fleisch. Die Commission aͤußert
                              unumwunden ihre Ueberzeugung, daß gegenwaͤrtig zu Paris viel Pferdefleisch
                              fuͤr Rindfleisch verkauft und von der aͤrmeren Classe verzehrt wird.
                              Die Regierung sollte daher geradezu den Verkauf des Pferdefleisches legalisiren, und auf diese Weise, nach dem
                              fruͤheren Beispiele anderer Regierungen (der daͤnischen (und wir
                              koͤnnen hinzusezen, der neapolitanischen)) die Unterschleift, den Betrug,
                              beseitigen, der bisher damit Statt hat. Die aͤrmere Classe wuͤrde
                              dadurch sehr gewinnen, indem sie um geringere Preise gesundes und nahrhaftes Fleisch
                              erhielte, waͤhrend sie jezt um solche Preise entweder nur verdorbenes,
                              uͤbelriechendes ungesundes Rindfleisch, oder, wie die Commission bemerkt,
                              geradezu Pferdefleisch fuͤr Rindfleisch erhaͤlt, in diesem Falle aber
                              auch das Pferdefleisch zu theuer bezahlt. Die Commission schlaͤgt der
                              Regierung vor, geradezu Fleischbaͤnke, in welchen nur Pferdefleisch verkauft
                              werden darf, zu errichten. – Sie erinnert sie an die alte Sitte der
                              Deutschen, Pferdefleisch als taͤgliche Kost zu genießen, eine Sitte, die der
                              heil. Bonifacius erst verbannte (vergl. Keysler
                              antiquitates selectae septentionles) und die noch jezt
                              unter den Tataren allgemein ist; sie erinnert an die Erfahrungen, die die
                              franzoͤsischen Armeen in Deutschland und in Italien, in Rußland und in
                              Aegypten uͤber den Genuß des Pferdefleisches zu machen Gelegenheit hatten
                              (der vortreffliche Larrey hat seine Kranken und
                              Verwundeten in der Belagerung von Alexandria, von El-Arisch in Syrien, nach
                              der Schlacht von Eylau und auf der Insel Lobau nach der Schlacht von Eslingen mit
                              Bruͤhe von Pferdefleisch gestaͤrkt und genaͤhrt und erhalten,
                              und die Commission hat mehrere Seiten aus dem Berichte dieses trefflichen Arztes dem
                              ihrigen einverleibt); sie erinnert an die Erfahrungen Berthollet's, an die Zeiten der Revolution, wo halb Paris Pferdefleisch
                              fuͤr Rindfleisch aß, Hieraus erhellt die Brauchbarkeit des Pferdefleisches
                              nicht bloß als Nahrung fuͤr gesunde und fuͤr starke Magen, sondern
                              auch fuͤr kranke. – Die Commission geht sogar noch einen Schritt
                              weiter, und beruhigt das Publikum uͤber das Vorurtheil, daß Fleisch von
                              kranken Thieren ungesund ist. Sie fuͤhrt eine solche Menge
                              unlaͤugbarer, durch obrigkeitliche Urkunden erwiesener, Thatsachen an, daß
                              das Fleisch von Rindern, die an der Seuche fielen, und die an den Mezgern, welche
                              sie aushauten, toͤdtliche Karbunkeln erzeugten, ohne allen Nachtheil nicht
                              bloß von Gesunden, sondern auch von Kranken, genossen wurde. Diese wichtigen
                              Urkunden verdienten studirt zu werden, um ein Vorurtheil zu beseitigen, das mehr
                              durch Ekel und Einbildung, als durch wirklich vorhandene physische
                              Schaͤdlichkeiten, mehr durch gelehrte Grillen und Hypothesen, als durch
                              Erfahrungen begruͤndet ist. Die Geschichte der Kochkunst beweiset, daß wir
                              faules stinkendes Fleisch (Wildpret) ohne allen Nachtheil genießen; die Geschichte
                              so vieler tausend Faͤlle beweiset, daß das Schaͤdliche, was in dem
                              Fleische kranker Thiere seyn mag oder bloß angenommen wird, durch das Kochen, das
                              Sieden und Braten, vollkommen zersezt und zerstoͤrt und unschaͤdlich
                              gemacht wird; die Geschichte so vieler Voͤlker und Voͤlkerstamme, die
                              jezt noch von Aesern aller Art leben, wie die Zigeuner, bestaͤtigt diese
                              Erfahrungen; und beweiset sogar, daß Thiere, die an der Hundswuth starben, ohne
                              Nachtheil gegessen werden koͤnnen; die Naturgeschichte aller
                              fleischfressenden Thiere aller Welttheile beurkundet endlich, daß, bei guter
                              Dauungskraft, selbst das Fleisch von Pestkranken roh ohne allen Nachtheil von diesen
                              Thieren verzehrt wird. Die Commission hat eine solche Fuͤlle von Tausenden
                              von Fallen fuͤr die Unschaͤdlichkeit des Fleisches kranker Thiere als
                              Nahrung in ihrem Berichte zusammengedraͤngt, daß jeder, der nicht ein
                              Gelehrter von Profession und nach dem bekannten Trugschlusse: „post hoc, ergo propter hoc“ zu schließen
                              gewohnt ist, und dem seine theoretischen Grillen mehr gelten als die reinsten
                              Resultate tausendfaͤltiger Erfahrungen, sich vollkommen beruhigen kann, wenn
                              die sogenannte Fleischbeschau schlecht bestellt ist. Wir empfehlen Aerzten und
                              Polizei-Beamten das Studium und die Pruͤfung dieser Thatsachen, die, dem Publikum allgemein bekannt gemacht,
                              dasselbe uͤberzeugen werden, daß die Nachtheile, die es von dem Genusse eines
                              solchen kranken Fleisches besorgt, mehr in dem Ekel, in der Einbildung, in der Macht
                              der Gewohnheit, als in rein objektiver Wirklichkeit gelegen sind, und daher sehr
                              geeignet sind, dasselbe zu beruhigen. Diese Thatsachen
                              sind nicht aus den neueren Zeiten allein; sie sind kein Mistpilz einer neuen
                              aͤrztlichen Theorie; die Natur hat sie seit Jahrtausenden wiederholt, und der
                              Erste, der sie zu wuͤrdigen verstand, war Graf Carcani, dessen zu wenig beachtetes Werk: Considerazioni su le ragioni, sperienza ed autorita ch'approvano l'uso
                                 innocente delle carni, pelle e sevo avanzi dell' epidemia bovina presente del
                                 fisico collegiato Ignaz. Carcani, Conte e Caval. uno de dodeci dell'
                                 illustrissimo tribunale di provisione della citta e ducato di Milano nell
                                 ano 1714. Milano. 1714. die Commission auch
                              anfuͤhrtEin aͤhnliches Vorurtheil beunruhigt ganz Europa uͤber die orientalische Pest, und wird, so wie jedes
                                    Vorurtheil, jeder Glaube, auch als Mittel zum Zweke in financieller und in diplomatischer
                                    Hinsicht benuͤzt. Wer an der tuͤrkischen Graͤnze war,
                                    der wird eben so gut wissen, was an dieser gefuͤrchteten Pest ist,
                                    als jeder weiß, was an dem gelben Fieber ist, der in Amerika oder in Indien
                                    oder auch nur an den Kuͤsten des suͤdlichen Spaniens gelebt
                                    hat. Da heute zu Tage die Schrekenbilder gegen die Armen im Geiste
                                    abgenuͤzt sind, so drohen die schlechten
                                    Paͤdagogen der Voͤlker mit einem neuen: der Cholera Morbus aus Ostindien. Wer daran glaubt,
                                    kann selig werden, d.h., sterben. Es ist schaͤndlich, wie man die
                                    Menschheit en masse betruͤgt, und wie
                                    diese ungeheuere Masse einigen Verschmizten so ruhig folgt, wie eine ganze
                                    Heerde Rinder einem Buben mit einer Peitsche..
                           
                           Pferdefleisch, das nicht fuͤr Menschen taugt, kann an Schweine, Hunde,
                              Huͤhner verfuͤttert, zur Fettwachs-Bereitung, und, mit
                              Kalkwasser oder brennzeliger Holzsaͤure behandelt, dann ausgepreßt und gut
                              ausgetroknet, als Futter fuͤr Thiere im Winter und fuͤr
                              Ammonium- und Berlinerblau-Fabriken verwendet werden.
                           Die Sehnen fuͤr die Leimsieder sollten, wenn sie
                              nicht frisch verkauft werden koͤnnen, fleißig in Kalkwasser getaucht und
                              immer wieder frisch getroknet werden, wodurch sie dann immer zur Leimbereitung
                              taugen.
                           Gedaͤrme, insofern sie nicht zu Saiten verwendet
                              werden koͤnnen, koͤnnen, mit den uͤbrigen Eingeweiden, zur
                              Fettwachs-Bereitung, und, mit Erde gemengt, zu Compost und uͤberhaupt
                              als Duͤnger benuͤzt werden.
                           Die Fettgewinnung, das Aussieden des
                                 Fettes, das in den Abdekereien zu Paris bisher mittelst der Knochen als
                              Brenn-Material geschieht, laͤßt sich noch sehr, theils durch
                              Verbesserung der Oefen, theils durch Anwendung einer starken Presse, theils durch
                              Benuͤzung der Schwefelsaͤure vervollkommnen. Die Emailleurs ziehen das
                              Roßfett jedem anderen zu ihren Arbeiten vor. Die Saͤmisch-Gerber und
                              Leder-Zurichter bedienen sich desselben gleichfalls.
                           Huͤfe. Die Kammmacher bezahlen 104 Stuͤke
                              mit 12–15 Franken. Die schlechten Hufe gelten 10 Franken pr. 100 Kilogramm.
                           Knochen. Waͤhrend die Abdeker zu Paris ihre
                              Knochen verbrennen, fuͤhren die Fabrikanten aus Spanien, Italien, ja selbst
                              aus Amerika Knochen in Frankreich ein. Nicht bloß Dreher und Faͤchermacher
                              und Messerschmide brauchen Knochen; die Leimsieder, die Salmiak-Fabrikanten,
                              die Fabrikanten des Bein-Schwarzes und der thierischen Kohle, und noch mehr,
                              fleißige Landwirthe, verbrauchen mehr als Frankreich erzeugt. Ein Hauptfehler bei
                              den Abdekereien ist der, daß man sich nicht die Muͤhe gibt, die großen
                              Knochen (Schaͤdel, Beken etc.) zu zerkleinen. Man rechnet 12 bis 15 p. C.
                              Leim, den man mittelst Dampfes aus den Knochen ausziehen kann, und die dann noch
                              immer guter Duͤnger bleiben. – Die Commission erhielt aus
                              Menschenknochen, die bereits 5 bis 600 Jahre in den Katakomben von Paris lagen, 27
                              p. C. Leim. Im Weißbrennen verloren sie 39,7 p. C. Wie sehr die englischen
                              Landwirthe Knochen als Duͤnger zu schaͤzen wissen, erhellt aus der
                              Thatsache, daß man an den Humber allein im J. 1820 aus London und seinen Umgebungen
                              33 Millionen
                              Kilogramme Knochen als Duͤnger ausfuͤhrte. 1000 Kilogramme reichen
                              fuͤr 120 Acres auf vier Jahre als Duͤnger hin, und gelten, gemahlen,
                              120–140 Franken. Die Commission berechnet das Gewicht der Knochen der
                              jaͤhrlich zu Paris getoͤdteten Thiere zu 8,572,000 Kilogramm. Ferner
                              das Gewicht eines Pferd-Skeletes im Durchschnitte zu 25 Kilogr. (frisch wiegt
                              es 40). Nimmt man nun 10,000 Pferde, die jaͤhrlich zu Paris abgedekt werden,
                              so gibt dieß jaͤhrlich 250,000 Kilogr. Knochen.