| Titel: | Tagebuch über die Seidenzucht in dem Gräflich von Montgelas'schen Garten zu Bogenhausen mit dem Sterler'schen Surrogate (Scorzonera hispanica ); und Beurtheilung der Brauchbarkeit und Anwendbarkeit desselben. Von Jakob Seimel, Gartenmeister bei Hrn. Grafen von Montgelas 1828. | 
| Fundstelle: | Band 33, Jahrgang 1829, Nr. CXIII., S. 464 | 
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                        CXIII.
                        Tagebuch uͤber die
                           Seidenzucht in dem Graͤflich von Montgelas'schen Garten zu
                           Bogenhausen mit dem Sterler'schen Surrogate (Scorzonera hispanica
                           Wir haben im Polyt. Journ. Bd. XXII. H. 3. S.
                                    230. einen Bericht des Hrn. Juillet im Journal de
                                       la Société d'Emulation d. Vosges v.
                                    J. 1826 angefuͤhrt, nach welchem eine Dlle Coge zu Spinal, und ein Hr. Tuͤrk zu Plombières
                                 sich dieses Surrogates gleichfalls bedienten. Ob nun die
                                 Dlle oder der Hr. Professor Entdeker dieses Surrogates ist,
                                 oder ob sie beide zugleich sind, was in der Geschichte der
                                 Erfindungen oͤfters der Fall ist, daruͤber
                                 werden wir wohl bald durch die gewoͤhnlichen
                                 Reclamationen von Seite der Erfinder in's Reine kommen. Hrn.
                                 Jak. Seimel, Gartenmeister bei
                                 Sr. Exc. Minister von Montgelas,
                                 verdankt die Seidenwirthschaft hier eine Reihe von
                                 Erfahrungen, wie sie sich nur von einem Manne erwarten
                                 lassen, dessen gruͤndlichen und ausgebreiteten
                                 Kenntnissen im Gebiete der Gartenkunde die
                                 Garten-Cultur und vorzuͤglich die
                                 Obstbaumzucht in Bayern so viel zu danken hat. Seine
                                 Bemuͤhungen wurden auch, so viel wir wissen, von d.
                                 k. Pruͤfungs-Commission mit der wohlverdienten
                                 goldenen Medaille belohnt.A. d. Red.); und Beurtheilung der Brauchbarkeit und Anwendbarkeit
                           desselben. Von Jakob Seimel, Gartenmeister bei Hrn. Grafen von
                           Montgelas 1828.
                        Seimel, Tagebuch uͤber die
                           Seidenzucht.
                        
                     
                        
                           Nachdem ich von Sr. Excellenz dem
                                 koͤnigl. bayerischen Staatsminister Herrn Grafen von
                                 Montgelas den hohen Befehl erhalten hatte, Versuch mit
                              dem Sterler'schen Surrogate anzustellen, richtete ich ein
                              passendes Locale zur Raupenzucht her.
                           Von der Deputation fuͤr die
                              Seidenzucht in Bayern erhielt ich zwei Loth
                              Briantiner-Eier, welche vorlaͤufig in einem
                              trokenen Keller aufbewahrt wurden.
                           Am 1. Mai
                              brachte ich die Eier, welche im Keller eine Temperatur von + 5
                              bis 6° R. hatten, in ein nur auf + 10° R.
                              erwaͤrmtes Zimmer, damit ein zu schneller Wechsel der
                              Waͤrmegrade nicht nachtheilig auf die
                              Entwikelungs-Faͤhigkeit der Eier einwirken
                              konnte.
                           Am 5. theilte ich die Eier in zwei
                              einzelne Lothe ab, wovon ich das eine in italiaͤnischen
                              Wein einweichte, das andere aber troken ließ, und beide sodann
                              in das eigentliche, auf + 15° R. erwaͤrmte
                              Brutzimmer brachte, und diesen Waͤrmegrad in den
                              folgenden Tagen bis + 20° R. erhoͤhte.
                           Am 9. Mai
                              zeigten sich bei den uneingeweichten Eiern die ersten Raupen,
                              die im Wein gebadeten Eier aber waren mit einer kleberigen
                              Substanz uͤberkleistert und klumpenweise so
                              zusammengeballt, daß sie nur mittelst eines Instrumentes von
                              einander getrennt werden konnten.
                           Am folgenden Tag den 10., kamen ein
                              paar hundert Raupen zum Vorscheine, und nun uͤbertrug ich
                              meiner Stiefschwester, Anna 
                              Zinker, die Pflege der von jezt an
                              auskriechenden Raupen, und die genaue Einhaltung der
                              gleichfoͤrmigen Temperatur unter meiner unmittelbaren
                              Leitung und Aufsicht; die Raupen des heutigen Tages aber wurden
                              nach Vorschrift erfahrner Seidenzuͤchter weggeworfenDieß scheint uns das weise Mosaische Gebot bei
                                    Saͤugthieren: „die Erstlinge seyen dem
                                       Herren heilig,“ zu weit ausgedehnt. Wenn
                                    die Eier, die am ersten Tage ausfallen, diejenigen Eier
                                    waͤren, die zuerst von dem Nachtfalter gelegt
                                    wurden, so moͤchte dieß hingehen; allein man weiß
                                    nicht, ob dieß der Fall ist. Es zeigt sich bis zur
                                    ersten Haͤutung deutlich, welche Raupen im
                                    Wachsthume zuruͤkbleiben, und dann ist es immer
                                    Zeit diejenigen wegzuwerfen, die zuruͤkgeblieben
                                    sind.A. d. Red..
                           Alle in diesem Locale gezogenen Raupen bekamen nichts als
                              Surrogat zur Nahrung.
                           Am 11. vermehrte sich die
                              Raupenanzahl in die Tausende, und die Temperatur wurde auf +
                              18° R. gestellt. Bis zum 15. dauerte das Auskriechen der
                              Raupen; von den eingeweichten Eiern aber erhielt ich nur sieben
                              Raupen, und auch nach dem Abwaschen fielen keine Raupen mehr aus
                              diesen Eiern ausHr. Seimel verdient hohen
                                    Dank, daß er durch Wiederholung dieses Versuches einen
                                    so oft nachgebeteten boͤsen Rath in seiner
                                    Falschheit darstellte, und handgreiflich erwies, daß die
                                    Italiaͤner von der Kunst zu leben wissen, andere
                                    Leute glauben zu machen, was sie wollen, daß da geglaubt
                                    werden soll. So koͤnnen wir urkundlich erweisen, daß die
                                    Italiaͤner, die Kaiser Karl'n (dem Vater der
                                    Kaiserin M. Theresia) einen Papagei verkauften, dem
                                    Oberst-Mundschenken (unter dessen Aufsicht der
                                    Papagei gestellt ward) weis machten, der Papagey
                                    muͤsse alle Monate wenigstens ein Mal in Tokayer
                                    gebadet werden. Der Hr. Oberst-Mundschenk schrieb
                                    daher alle Monate in der Rechnung auf: „ein Antal Tokayer, um den
                                          Papperl zu baden.“ Diese Rechnung
                                    wurde Jahre lang fortgesezt, und der Kaiserliche Hof
                                    bezahlte monatlich einen Eimer Tokayer
                                    „um den Papperl zu
                                          baden.“ Wir haben diese Rechnung
                                    in unserer Hand gehabt, und dieselbe wird sich
                                    vielleicht noch in dem Archive des oͤsterr. Hofes
                                    finden, wenn Kuͤchenrechnungen dann aufbewahrt
                                    werden.A. d. Red..
                           Am 15. bereiteten sich die Raupen des
                              ersten Tages (11. Mai) zur Haͤutung vor.
                           Herr Professor Sterler, dem ich meinen
                              Unfall mit den im Wein gebadeten Eiern vortrug, theilte mir 1/2
                              Loth andere mit, die ihm so eben Herr Galimberti von Nuͤrnberg zugeschikt hatte, und
                              die ich, da schon junge Raͤupchen sich zeigten, zu Hause
                              sogleich ins Bluͤtezimmer brachte.
                           Am 16. Mai
                              traten die Raupen des ersten Tages die erste Haͤutung
                              vollstaͤndig an, und auch nur von diesen will ich
                              uͤber das Haͤutungsgeschaͤft reden, um
                              Wiederholungen zu vermeiden.
                           Die Galimbertischen Eier zeigten große Brutfaͤhigkeit und
                              starken Zuwachs an Raupen.
                           Alle Raupen wurden heute aus dem Bruͤtezimmer in einen, an
                              das obere Glashaus stoßenden und suͤdlich gelegenen Saal
                              gebracht, und die Temperatur von + 18° R.
                              beibehalten.
                           
                           Der Saal wurde mit Rohrmatten versehen, auf welche die Raupen zu
                              liegen kamen. In diesem Saale ward durchgehends bis zur
                              Einspinnung nur Surrogat gefuͤttert.
                           Den 17. zeigte sich sehr starke
                              Vermehrung aus den Galimbertischen Eiern, die bis zum 19.
                              andauerte.
                           Tags darauf am 18. gab es einen so
                              starken Reif, daß das Thermometer vor Sonnenaufgang im Freien
                              auf dem Eispunkte stand, und die Spizen der jungen
                              Maulbeerbaͤume erfroren.
                           Am 19 und
                              20. stellte sich eine solche heftige Kaͤlte ein, und hier
                              schon bewaͤhrte sich das Sterler'sche Surrogat auf die
                              unzweideutigste Weise, als ein unschaͤzbares
                              Aushuͤlfsmittel, die Raupen vom Hungertode zu rettenWir gestehen aufrichtig, daß wir nicht einsehen, wozu ein
                                    Surrogat bei der Seidenraupenzucht in unserem Lande, in
                                    welchem der Maulbeerbaum so gut gedeiht, und noch besseres Futter fuͤr
                                    Seidenraupen gibt, als in Italien selbst, dienen soll.
                                    Man darf, bei uns in Bayern, nur die Eier der
                                    Seidenraupen so lang im Keller lassen, bis man sicher
                                    ist, daß kein Reif mehr kommt, und gegen Reife ist man
                                    bei uns vor Anfangs Junius nicht sicher. Der Herausgeber
                                    weiß Reife am 7. Junius. Je spaͤter man die
                                    Seidenraupen aus den Eiern bei uns ausfallen
                                    laͤßt, desto besser. Auch in Italien und
                                    Frankreich, wo der Maulbeerbaum so fruͤhe
                                    ausschlaͤgt, und die Hize spaͤter so groß
                                    wird, huͤtet man sich vor dem zu fruͤhen
                                    Ausfallen der Eier, indem man sich uͤberzeugte,
                                    daß dem Ausspruche des guten Plinius, welcher den
                                    schwarzen Maulbeerbaum „arbor sapiens“ nannte, weil er
                                    sich die Nase nicht am Reife verbrennt, und erst dann
                                    seine Blaͤtter entfaltet, wann keine Reife mehr
                                    zu besorgen sind, nicht immer zu trauen ist. Man darf
                                    bei uns das spaͤtere Ausfallen her Eier, bis
                                    sicher kein Reif mehr zu besorgen ist, um so weniger
                                    fuͤrchten, als bei uns in einem nach Norden
                                    (nicht nach Suͤden oder Westen) gelegenen Zimmer,
                                    wohin die Seidenraupen, die ohnedieß kein starkes Licht
                                    lieben, gehoͤren, die Temperatur nicht leicht
                                    uͤber + 22° R. steigen wird. Man lasse die
                                    Raupen erst dann aus den Eiern fallen, wann kein Reif
                                    mehr zu besorgen ist, und dann bedarf man keiner
                                    Surrogate. Man wird immer zarte Blaͤtter genug
                                    finden, um die Raupen zu fuͤttern. Daß unser
                                    Maulbeerbaum besser ist, als jener der
                                    italiaͤnischen Ebenen, wird daraus klar, daß die
                                    Seidenwirthe in Italien die Blaͤtter der
                                    Maulbeerbaͤume, die auf Huͤgeln und auf
                                    hohen Bergen wachsen, wo es kuͤhler ist, jenen in
                                    der Ebene weit vorziehen.A. d. Red..
                           Am 21. Mai
                              trat die 2. Haͤutung ein.
                           Bemerkung. Mehrere Raupen bekamen
                              eine gruͤnliche Farbe und schienen kraͤnklich zu
                              seyn, weßhalb sie von den uͤbrigen abgesondert, in eigene
                              Kapseln gelegt und darin gefuͤttert wurden, um beobachten
                              zu koͤnnen, ob sie wieder genesen, mit den
                              uͤbrigen gleich groß werden oder zuruͤkbleiben; ob
                              und welche Seide sie spinnen?
                           Bei den uͤbrigen Raupen wurden nach der 2.
                              Haͤutung, waͤhrend des Umlegens, alle jene, die
                              diese Periode noch nicht durchgemacht oder vollendet hatten,
                              abgesondert, um die gleichzeitigen bei einander zu haben, was
                              einen großen Vortheil gewaͤhrt. Waͤhrend jeder
                              Haͤutung wurde kein Futter aufgelegt, und erst dann, wann
                              hier und da sich einige Raupen schon gehaͤutet hatten,
                              sehr kleine Portionen gereicht.
                           
                           Regelmaͤßige Fuͤtterungsstunden behielt ich nicht
                              bei, nur ließ ich allzeit Futter geben, so oft das
                              fruͤhere aufgezehrt war. Auf diese Weise ward auch das
                              Reinigen erleichtert, und das Verwelken oder Anlaufen und
                              Erhizen der Blaͤtter verhindert.
                           Am 24. den 3. Tag nach der
                              Haͤutung zeigte sich unter einer Abtheilung eine Anzahl
                              Raupen, die ich wegen ihrer gelblich grauen Farbe fuͤr
                              krank hielt, daher von den andern absonderte, in das untere
                              Glashaus uͤbersezte, und meiner zweiten Stiefschwester
                              Theresia Zinker zur Pflege
                              uͤbergab, und bis zur 4. Haͤutung mit Surrogat
                              fort fuͤttern ließ. Sie fraßen jedoch mit gleichem
                              Appetite, wie die anderen Raupen; nach der 4. Haͤutung
                              erhielten sie Maulbeerblaͤtter, und spannen sich, mit
                              Ausnahme des 4. Theils, der fruͤher starb, vollkommen
                              ein.
                           Da ich im vorigen Jahre Herrn Professor Sterler mit Surrogat aus dem Garten des Hrn. Ministers
                              Aushuͤlfe leistete, und selbst Futtermangel bei meiner
                              Zucht zu fuͤrchten war, so nahm ich von heute an aus dem
                              Garten zu Josephsburg das Futter als
                              Ruͤkverguͤtung.
                           Am 25. regnete es, weßhalb zur
                              Verhinderung einer schaͤdlichen Einwirkung der feuchten
                              Luft auf die Raupen mit Wachholdergestraͤuch
                              geraͤuchert wurdeRaͤucherungen koͤnnen wir unter keiner
                                    Bedingung empfehlen: reine Luft! Verbesserung der
                                    unreinen durch etwas Chlor-Aufloͤsung!
                                    Dieß ist Alles, was geschehen darf.A. d. Red..
                           Den 26. wurde, bei wieder heiterem
                              warmen Wetter, wie bisher, durch Oeffnen der Oberfenster frische
                              Luft gegeben, jedoch so, daß die Luft nicht unmittelbar auf den
                              Raupen, sondern uͤber denselben hinstrich; dieses wurde
                              durch die ganze Zucht so viel als moͤglich
                              eingehalten.
                           Den 27. trat die 3. Haͤutung
                              ein, die bis zum 29. voͤllig beendet war.
                           Den 30. Mai wurden jene Raupen, welche gestern die
                              Haͤutung zuruͤklegten, aus den Kapseln auf
                              Rohrmatten gethan.
                           Bemerkenswerth ist es, daß die mit dem Sterler'schen Surrogate
                              gefuͤtterten Raupen immer eine mehr gruͤnlich
                              graue Farbe annehmen, als jene, welche mit
                              Maulbeerblaͤttern gefuͤttert werden, und erst nach
                              der dritten Haͤutung eine weißliche Farbe bekommen.
                           Den 1. Juni wurde wieder eine Abtheilung Raupen aus den
                              Kapseln auf die Rohrmatten gebracht.
                           Unter den Krankheiten, welche sich bei dieser Nahrung zeigten,
                              war mir die eine schon im vorigen Jahre auffallend. Die Raupen
                              wurden schwaͤrzlich, was ich bei fruͤheren
                              Versuchen mit Maulbeerblaͤttern niemals bemerkt hatte.
                              Man nennt diese Krankheit Schwarzsucht, da die
                              Doctoren eine Gelbsucht und Blausucht unter den Menschen
                              haben.
                           Die groͤßten Raupen fangen allmaͤhlich an, eine
                              mehr weißliche Farbe anzunehmen und blaͤulich weiß zu
                              werden. Viele davon verspaͤten sich in der
                              Haͤutung um 4 Tage.
                           Am 2. Morgens trat die 4. Haͤutung ein, und dauerte
                              bei einigen Raupen 48 Stunden.
                           Am 5. wurde unter den Raupen des
                              ersten Tages (11. Mai) Musterung gehalten, und die im Wachsthume
                              zuruͤkgebliebenen wurden weggeworfen. Da es den ganzen
                              Tag uͤber regnerisch und kuͤhl war, wurde durch
                              Einfeuern die Temperatur auf + 18° R. gehalten.
                           Am 6. hatten die meisten Raupen die
                              lezte Haͤutung vollendet.
                           Als die Anna Zinker Morgens
                              fruͤh 4 Uhr zu den Raupen kam, stand das Thermometer
                              unter + 15° R. und die Raupen lagen unbeweglich und
                              zusammengezogen da; sobald die Temperatur wieder auf +
                              18° R. erhoͤht war, trat bei den Raupen wieder
                              neues Leben und die alte Freßlust ein.
                           Es geht daraus hervor, daß schon ein paar Grade minder als +
                              18° R. bei Anwendung des Surrogates den Raupen
                              unbehaglich sind.
                           Den 7. Juni wurden 200 Raupen vom 13. Mai, und 400 vom 14.
                              Mai, also beide nach der 3. Haͤutung, in das Glashaus des
                              unteren Gartens gebracht, und ebenfalls der Theresia Zinker zur Pflege
                              uͤbergeben, um dort bis zum Einspinnen mit
                              Maulbeerblaͤttern gefuͤttert zu werden,
                              uͤber welche sie mit Hastigkeit herfielen und gierig
                              fraßenEs verdient bemerkt zu werden, daß die Raupen, die bei
                                    diesem Surrogate aufgezogen wurden, wieder
                                    Maulbeerblaͤtter fressen, waͤhrend Raupen,
                                    mit anderen Surrogaten erzogen, keine
                                    Maulbeerblaͤtter mehr anruͤhren.A. d. Red..
                           Alle im Wuchse zuruͤkgebliebenen Raupen wurden den
                              Huͤhnern vorgeworfen, die sich um diese Lekerbissen
                              rauften.
                           Seit 3 Tagen verursachte der anhaltende Regen eine
                              aͤußerst feuchte Luft, weßhalb taͤglich 4 bis 5
                              Mal Wachholderrauch gemacht wurde. Die Raupen blieben zwar
                              gesund fuͤr jezt; die Folgen der feuchten Luft jedoch
                              stellten sich nur zu bald ein.
                           Am 9. wurden von den Galimbertischen
                              Eiern nach der 2. Haͤutung 200 Stuͤk in das untere
                              Glashaus uͤbergetragen, und dort mit
                              Maulbeerbaum-Blaͤttern gefuͤttert.
                           Den 10. machte ich die Bemerkung, daß
                              die Raupen des 3. Tages (13. Mai) am meisten von der
                              Gelb- und Schwarzsucht befallen
                              waren; auch zeigte sich dieses Uebel beider 3. und absonderlich
                              bei der 4. Haͤutung so heftig und verwuͤstend, daß
                              ich wohl uͤber die Haͤlfte Raupen durch den Tod
                              einbuͤßte.
                           Die Schwarzsucht ist nach fortgesezter Beobachtung nur Folge des
                              Unvermoͤgens, die alte Haut abzustreifenVielleicht auch umgekehrt. Die Thierchen koͤnnen
                                    sich nicht haͤuten, weil sie krank sind; denn gesunde Raupen haͤuten
                                    sich immer.A. d. Red..
                           Das Einreißen der Gelbsucht trat nun auch bei den Galimbertischen
                              Raupen sichtbar hervor, und die Raupen vom 13. Mai, die nach der
                              3. Haͤutung im unteren Glashause mit
                              Maulbeerblaͤttern gefuͤttert wurden, machten die
                              4. Haͤutung eben so schwierig, als diejenigen, welche
                              durchaus mit dem Surrogate genaͤhrt wurden. Eben dieß
                              geschah auch mit jenen Raupen des Hrn. Galimberti, welche ich bis nach der 2. Haͤutung
                              mit Surrogat, und darnach mit Maulbeerblaͤttern
                              fuͤttern ließ.
                           Die Rettung meiner lieben Raupen lag mir zu sehr am Herzen, und
                              ich forschte nun unablaͤssig den Ursachen nach, die
                              feindlich meine Freude, meine Hoffnung zu zerstoͤren
                              drohten.
                           Anfaͤnglich schob ich alle Schuld auf die regnerische
                              Witterung, und auf den Umstand, daß etwa durch das Abtroknen und
                              Abwischen der Blaͤtter diese Schaden genommen haben
                              moͤchten; doch bald kam ich auf eine richtigere Spur,
                              indem mir beifiel, ob nicht das Futter, welches ich vom Hrn. Professor
                              Sterler in Josephsburg
                              holen ließ, die naͤchste Veranlassung zu den bezeichneten
                              Unfaͤllen gegeben haben koͤnnte! – Dieses
                              Futter war gelbgruͤn und mager, und konnte demnach auch
                              nur wenig nahrhafte Bestandtheile enthalten. Ich wandte mich
                              daher, auch weil mein selbstgebautes Futter durch weiße Pilze
                              untauglich geworden war, an einen Stadtgaͤrtner von
                              Muͤnchen, bei welchem ich nun sehr dunkelgruͤnes,
                              saftvolles und flekenloses Surrogat erhielt, das ich sogleich
                              meinen Pfleglingen vorlegte, die es mit groͤßter Gier
                              verzehrten. Mit diesem Futter begann die Heilung und Rettung
                              meiner Raupen, und die Sterblichkeit ließ nach. Von nun an ließ
                              ich bei jedesmaligem Reinigen und Umlegen der Raupen die
                              Rohrmatten und Kapseln mit frischem Wermuth abreibenDieß haͤtte leicht ehe schaden als nuͤzen
                                    koͤnnen.A. d. Red..
                           Von Josephsburg ferneres Futter zu
                              beziehen ließ ich mir nicht beifallen. –
                           Einige der schoͤnsten reifen Raupen des ersten Tages
                              wurden heute in die aus Birkenreisern und Hobelspaͤnen
                              hergestellte Spinnhuͤtte gebracht, und die Huͤtte
                              mit Leinen bedekt.
                           Den 15. Juni wurden 100 Raupen der 4. Haͤutung in das
                              obere Glashaus versezt, um nur mit Maulbeerblaͤttern
                              gefuͤttert zu werden.
                           Meine Schwester, Theresia Zinker hat
                              die Bemerkung gemacht, daß wenn Raupen vom Surrogat auf
                              Maulbeerlaub uͤbertragen werden sollen, dieses sogleich
                              nach vollendeter Haͤutung oder beim Erwachen aus dem
                              Schlafe geschehen muͤsse, welches den Raupen weit
                              zutraͤglicher seyn soll, als wenn man in der Zwischenzeit
                              Futter wechselt.
                           Mehrere Raupen bekamen nach der 4. Haͤutung ein Abweichen,
                              das sie dahin raffte.
                           Am 16. wurden nach der 3.
                              Haͤutung Raupen des 3. Tages (13. Mai), welche als kraͤnklich entfernt und in das
                              untere Glashaus gebracht, dann bis zur 4. Haͤutung mit
                              Surrogat und endlich mit Maulbeerblaͤttern
                              gefuͤttert wurden, nun in die Spinnhuͤtte dieses
                              Glashauses gesezt, wo drei derselben sogleich aufkrochen, um
                              sich einzuspinnen.
                           Die heitere, warme Luft, welche wir seit dem 14ten wieder
                              erhielten, aͤußerte wohlthaͤtigen Einfluß auf die
                              Raupen, welche bei geoͤffneten Fenstern nun ein weit
                              gesuͤnderes Ansehen und eine weißliche Farbe wie die mit
                              Maulbeerlaub gefuͤtterten bekamen.
                           Die Gelbsucht verlor sichDieß war allerdings Folge der besseren Witterung und
                                    reineren Luft. Wir wuͤrden nie und nimmer rathen,
                                    Seidenraupen in einem Glashause zu ziehen, wo die Luft
                                    nothwendig feucht und verdorben seyn muß.A. d. R..
                           Alle nach der zweiten, dritten und vierten Haͤutung mit
                              Maulbeerlaub gefuͤtterten Raupen wurden ganz weiß, und
                              die nach der zweiten Haͤutung scheinbar
                              groͤßer.
                           Nachmittag 1 Uhr ward die erste Raupe
                              bemerkt, die sich selbst in die Spinnhuͤtte verkroch, ihr
                              folgten am naͤchsten Tage mehrere, und um dieselbe Stunde
                              wurden 20 dem Einspinnen ganz nahe Raupen in das untere Glashaus
                              auf Maulbeerblaͤtter uͤbersezt.
                           Den 17. Juni krochen mehrere Raupen in die Spinnhuͤtte,
                              und die im unteren Glashause fingen zu spinnen an.
                           Den 18. fingen Nachmittags mehrere
                              Raupen außerhalb der Huͤtte zu spinnen an, wovon sich Hr.
                              Tabakfabrikant von Maffei selbst
                              uͤberzeugte.
                           Am 19. erschien der
                              Koͤnigliche Landrichter, Hr. Lict. Steyrer in Begleitung des Hrn. Seidenfabrikanten Wurz, um sich von dem Stande meiner
                              Zucht zu uͤberzeugen.
                           Sie besahen nicht nur die im Saale durchaus mit Surrogat
                              gefuͤtterten, sondern auch die im Glashause nach den
                              verschiedenen Haͤutungen auf Maulbeerblaͤtter
                              uͤbertragenen Raupen, wo von lezteren, denen nach
                              der vierten Haͤutung Maulbeerlaub gegeben war, bereits
                              viele im Spinnen begriffen waren.
                           Am 20. Juni wurde nach Art der Italiaͤner unter der
                              Spinnhuͤtte mit Wachholderbeeren geraͤuchert, und
                              dieses Verfahren unter Einsezen mehrerer Raupen in die neu
                              errichtete liegende Huͤtte erneuertDieß war ganz uͤberfluͤssig. Der
                                    Italiaͤner raͤuchert alles ein; sogar den
                                    heiligsten Vater raͤuchert er mit Hanf ein,
                                    nachdem er ihn erwaͤhlt hat, und ruft ihm zu:
                                    „sic transit
                                          gloria mundi!“ Nur keine
                                    Raͤucherungen, wo es sich um reine Luft, als Lebensbeduͤrfniß,
                                    handelt. Man kann durch Raͤucherungen wohl
                                    Gestank maskiren; man macht aber dadurch die Luft nur
                                    noch unreiner, als sie es ohnehin ist. Man muß
                                    dafuͤr sorgen, daß kein Gestank sich
                                    entwikelt.A. d. R..
                           Den 21. stieg die Hize im Freien auf
                              + 25° R., im Glashause auf + 26°, was den Raupen
                              alle Frische nahm und noch viele wegraffte; denn sogar Raupen,
                              die bereits spannen, unterlagen der Erschlaffung durch HizeMan sieht hier die Folgen der ungluͤklich
                                    gewaͤhlten Lage gegen Suͤden. Wenn es in
                                    Zimmern, die gegen Norden liegen, zu kuͤhl wird,
                                    unter + 16° R. kommt, kann man mit einigen
                                    Spaͤnen im Ofen die Temperatur leicht bis auf
                                    20° erhoͤhen; es wird aber
                                    unmoͤglich in einem gegen Suͤden gelegenen
                                    Zimmer, und noch vielmehr in einem Glashause,
                                    abzukuͤhlen, das uͤber + 26° R.
                                    erhiz ist. Man muß nicht vergessen, daß Seidenraupen
                                    recht gut im Freien auf Baͤumen gedeihen, wenn
                                    sie gegen Voͤgel und Ameisen geschuͤzt
                                    sind. Regen – selbst
                                       Wolkenbruͤche – schaden ihnen
                                    nicht. Experto crede
                                       Ruperto.A. d. R..
                           Am 25. waren die meisten Raupen in
                              die Spinnhuͤtten und Betten gebracht, und die in Folge
                              der großen Hize erkrankten wurden sogleich entfernt.
                           Bei den aus Galimbertischen Eiern erhaltenen Raupen hat sich die
                              Sterblichkeit am heftigsten geaͤußert.
                           Zeuge des ganzen Laufes meines dießjaͤhrigen Versuches
                              waren Sr. Excellenz Herr Graf Ludwig von
                                 Arco, Obersthofmeister Ihrer kaiserl. Hoheit der
                              verwitw. Frau Churfuͤrstinn, dann der pensionirte k.
                              Oberlieut. W. Sanson, als Mitglied
                              der Seidenbau-Deputation.
                              Ebenso hatten der koͤnigl. Ministerial-Rath, Herr
                              von Wirschinger, so wie der geheime
                              Staatsrath von Hazzi, der
                              koͤnigl. Ministerial-Forstrath Herr Wepser, den angestellten Versuch, so
                              wie mehrere hohe Herrschaften und Deputations-Mitglieder, mit
                              Ihrer Gegenwart beehrt, und sich von der Brauchbarkeit des
                              Sterlerschen Surrogats uͤberzeugt.
                           Den 3. Juli endlich wurde zur Abnahme der erzielten Cocons in
                              der Morgenstunde 9 Uhr geschritten
                           Außer der Koͤnigl. Pruͤfungs-Commission, bestehend aus den
                              Landrichter Hrn. Lict. Steyrer, dem
                              Tabakfabrikanten Hrn. von Maffei und
                              dem Seidenfabrikanten Hrn. Wurz,
                              waren gegenwaͤrtig: Sr. Excellenz
                                 Herr Ludwig Graf von Arco; dann der Hochgeborne Herr Maximilian Graf von
                              Montgelas, Sohn Sr. Excellenz des Staatsministers Herrn
                                 Grafen von Montgelas, der k.
                              Ministerial-Forstrath Hr. Wepser, die k. Oberlieutenants HHrn. Sanson und Hartmann,
                              der k. Hofgaͤrtner Hr. Hinkert, der Posamentier Hr. Kirschbaum, der Entdeker des Surrogates Hr. Professor
                              Sterler, der Unterzeichnete und Anna Zinker.
                           Die Ergebnisse der Abnahme der Cocons sowohl, als der am
                              folgenden Tage vorgenommenen Abhaspelung, sind in dem
                              hieruͤber abgefaßten Protocoll der k. Pruͤfungs-Commision
                              genau verzeichnet, und die Folgerungen, welche sich aus
                              dreijaͤhrigen Versuchen mit dem Surrogate ziehen lassen,
                              habe ich mit gewissenhafter Treue der k. Pruͤfungs-Commission, nebst einem
                              Zeugnisse Sr. Excellenz des Herrn Grafen
                                 Ludwig von Arco schriftlich zugestellt.
                           Bogenhausen, den 9. Juli 1828.
                           
                        
                           Beurtheilung der Brauchbarkeit und
                                 Anwendbarkeit des Sterler'schen Surrogates. Folgerungen aus meinen
                              dreijaͤhrigen Versuchen mit dem Sterler'schen
                              Surrogate.
                           (Scorzonera
                                 hispanica)
                           1) Alle Versuche wurden im Jahre 1826 unter meinen Augen und
                              unter meiner Beihuͤlfe gemacht; alle Beobachtungen wurden
                              genau durch den Entdeker Hrn. Professor Sterler aufgezeichnet und von mir
                              controllmaͤßig unterschrieben.
                           2) Wir fanden, daß nasses Futter den Raupen eben so
                              schaͤdlich sey, als staubiges und mit Erde
                              verunreinigtes.
                           3) Wir saͤuberten anfaͤnglich das Futter fleißig
                              von dem wolligen Anfluge, von dem das Blatt von Natur aus
                              uͤberzogen ist, und fanden, daß diese Methode im Großen
                              sehr umstaͤndlich und selbst kostspielig seyn
                              muͤßte; ja daß sogar die auf diese Art gereinigten
                              Blaͤtter an der Oberflaͤche Schaden leiden, und
                              dann schnell in Verderben uͤbergehen.
                           4) Wir puzten das Futter nicht mehr, und fuhren besser dabei.
                           5) Futter, das auf magerem Grunde gebaut wird, taugt nichts, und
                              bringt wegen seiner Kraftlosigkeit Krankheiten herbei, die ganze
                              Bruten zerstoͤren.
                           6) Auf frisch geduͤngtem Boden geraͤth die Saat
                              nicht, sondern auf solchem, der fruͤher gut
                              geduͤngt, und stark mit Gemuͤße oder Getreide
                              gebaut war. Ueberhaupt wird ein kraͤftiger guter Boden
                              dazu erfordert.
                           7) Muß das Futter zu verschiedenen Zeiten gebaut werden, damit
                              man den jungen Raupen zartes, den aͤlteren mit der
                              Zunahme ihres Wachsthumes auch staͤrkeres und
                              kraͤftigeres Futter vorlagen kann.
                           
                           8) Raupen, die einmal im Wachsthume zuruͤkgeblieben sind,
                              koͤnnen zwei Monate alt werden, und doch nicht mehr
                              zunehmen, man mag ihnen nun Surrogat oder
                              Maulbeerblaͤtter auflegen. Sie nehmen allmaͤhlich
                              ab, werden kraftloser, und sterben zulezt ohne zu spinnen.
                           9) Das Local zur Aufzucht soll suͤdlichWir haben gezeigt, daß es noͤrdlich liegen
                                    muͤsse.A. d. R. liegen, und die Temperatur darin gleichmaͤßig
                              gestellt werden koͤnnen. So nothwendig frischer
                              Luftzutritt ist, so schaͤdlich wird ein starker Zug.
                              Uebelriechende und luftverderbende Gegenstaͤnde
                              duͤrfen nicht in der Naͤhe seyn.
                           10) Der Waͤrmegrad soll nach der Ausbruͤtung nie
                              uͤber + 20° R. und nie unter + 16°
                              betragen, es muß aber immer frische Luft gegeben werden.
                           11) Bei regnerischem Wetter muß man oͤfters im Tage einen
                              Rauch mit Wachholderbeeren oder Wachholder-Reisig machen,
                              wobei die Raupen gegen die Einwirkung feuchter Luft gesichert
                              werdenSiehe unsere obige Bemerkung gegen das verderbliche
                                    Rauchen.A. d. R..
                           12) Unter diesen Umstaͤnden, und wenn das Futter nicht
                              dik, sondern spaͤrlich aufgelegt, aber oͤfters
                              erneuert wird, machen die Raupen ihre regelmaͤßigen
                              Haͤutungen, wachsen gesund heran und spinnen sich
                              ein.
                           13) Die Raupen gehen vom Surrogate auf das Manlbeerblatt, und
                              umgekehrt von diesem auf das Surrogat, und zwar zu jeder
                              Zeit.
                           14) Raupen, die von der ersten Zeit an mit Surrogat, und von der
                              zweiten Haͤutung mit Maulbeerblatt gefuͤttert
                              sind, werden groͤßer und fetter als solche, die durchaus
                              mit Maulbeerlaub gefuͤttert wurdenWie schwer sind sie? Steht die Menge der Seide, die sie
                                    spinnen, im Verhaͤltnisse mit dieser
                                    staͤrkeren Groͤße? Ist die
                                    Qualitaͤt dieser Seide dieselbe zu allen
                                    verschiedenen Stoffen, die man aus Seide verfertigt, wie
                                    bei gewoͤhnlichem Futter?A. d. R..
                           15) Ein Mittel, das solche wesentliche Dienste leistet, war in
                              der Seidenzucht noch nie bekannt, und seine Folgen sind nach dem
                              Ausspruche erfahrener Maͤnner von nicht zu berechnendem
                              Vortheile fuͤr ganz DeutschlandEr muß aber berechnet werden und die Rechnungskammer
                                    passiren, wenn er admittirt werden soll. Wir haben
                                    gezeigt, daß kein Grund zu einem Surrogate wegen der Reife oder
                                       Haarfroͤste da ist, indem man
                                    fuͤglich das Ausfallen bis Mitte Junius versparen
                                    kann. Man koͤnnte es bis Ende Julius versparen;
                                    und es fragt sich, ob bei uns, wo die lezte
                                    Haͤlfte des Julius, August und die ersten Tage
                                    des September gewoͤhnlich die schoͤnste
                                    Zeit im ganzen Jahre sind, es nicht sogar gut
                                    waͤre, wenn man es thaͤte. Versuche im
                                    Kleinen mit einer zweiten, Mitte Julius angefangenen,
                                    Brut sind in Bayern gut ausgefallen, und muͤßten
                                    auch im Großen besser gelingen, als in Italien und
                                    Frankreich, wo sie bloß deßwegen aufgegeben wurden, weil
                                    es zu heiß wird, und die Arbeit mit der Ernte und im
                                    Weingarten draͤngt. Da der Maulbeerbaum unser
                                    Klima so gut vertraͤgt, daß sein Blatt besser
                                    wird, als das italiaͤnische; da er unseren
                                    strengsten Wintern beinahe ein Jahrhundert widersteht
                                    (waͤhrend die Seidenbau-Commission die Anzucht der
                                    Maulbeerbaͤume foͤrdert, haut man in
                                    Bayern (so gut wurde das Landvolk durch seine Pfarrer
                                    unterrichtet) die Maulbeerbaͤume um, die unter
                                    Max Emanuel gepflanzt wurden und noch im Jahre 1829
                                    gruͤnten; so laͤßt sich kein Grund
                                    fuͤr ein Surrogat einsehen. Daß die Scorzonere
                                    keines geben kann, erhellt aus Folgendem.1) Ist es in §. 5–6 anerkannt, daß
                                    Scorzonere auf keinem schlechten Boden gedeiht, und
                                    gutes Akerland, man darf sagen Gartenboden, fordert.
                                    – Der Maulbeerbaum nimmt, aus der Baumschule auf
                                    schlechten Boden verpflanzt, mit dem schlechtesten Boden
                                    vorlieb. Er wird auf der Freysinger Heide gedeihen, auf
                                    diesem großen und schoͤnen Schauplaze der Cultur,
                                    die eines der aͤltesten Bisthuͤmer
                                    Deutschlandes durch ein volles
                                       Jahrtausend seinem Lande geschenkt hat. Wenn
                                    man nur durch ein halbes Jahrhundert, nach Max Emanuels
                                    weisem Wunsche, Schafe auf der Freysinger Heide geweidet
                                    haͤtte, so wuͤrde diese wuͤste
                                    Streke jezt recht gut fuͤr Scorzonere und
                                    Getreide taugen: man fand es aber fuͤr gut, aus
                                    Menschen Schafkoͤpfe ein Jahrtausend lang zu
                                    machen, und so blieb die Wuͤste, wie sie war.
                                    Wenn der Maulbeerbaum auf dieser Heide auch
                                    verkruͤppeln sollte, so weiß man ja, daß die
                                    Nordamerikaner auf Gruͤnden, die sie zu nichts
                                    brauchen koͤnnen, den Maulbeerbaum krautartig
                                    aufgehen lassen, und mit der Senfe maͤhen. Der
                                    groͤßte Seidenwirth in Europa, Hr. Bonafous, ladet seine
                                    Landsleute ein, auf schlechten Gruͤnden die
                                    Erfahrungen der excentrischen Nord-Amerikaner zu
                                    pruͤfen. Lassen wir indessen alles Ungewisse, so
                                    bleibt es gewiß, daß2) die Scorzonere alle Jahre ein Mal gebaut werden muß.
                                    Es ist uͤberfluͤssig, die Muͤhe und
                                    der Kosten zu erwaͤhnen, die ein Tagwerk
                                    Scorzonere fordert. – Wenn ich ein Mal einen
                                    Maulbeerbaum gepflanzt habe, so steht er mir 100 Jahre
                                    lang, ohne auch nur die Muͤhe des Nachsehens zu
                                    fordern. Ich habe von dreihundertjaͤhrigen
                                    Maulbeerbaͤumen sprechen gehoͤrt:
                                    hundertjaͤhrige sah ich:3) Es ist ferner offenbar, daß wie Figur 27. Tab. IX. zeigt, wenn auf einem
                                    Maulbeerbaume, dessen Stamm nur 3 Zoll im Durchmesser
                                    haͤlt, nur 9 Scorzonerepflanzen wuͤchsen,
                                    es vortheilhafter waͤre, diese 9
                                    Scorzonerepflanzen auf der Stammflaͤche von 3
                                    Zoll Durchmesser, als auf einer Ebene von 216 □
                                    Zoll wachsen zu lassen: denn so viel brauchen die 9
                                    Scorzonerepflanzen, wenn man sie, im Verbande (en quinconce) nur 4 Zoll
                                    weit von einander in die Erde sezt. Auf diesen 216
                                    □ Zollen kann ich aber, wenn der Boden gut ist,
                                    irgend etwas anderes unter dem Maulbeerbaume pflanzen,
                                    das mir mehr traͤgt, als
                                    Scorzoneren-Gemuͤse und den guten Boden
                                    weniger aussaugt, und wenn er so schlecht ist, daß keine
                                    Scorzonere darauf gediehe, koͤnnte ich wenigstens
                                    irgend ein Gras fuͤr's Vieh bauen. Wir haben bloß
                                    zur Versinnlichung unserer Rechnung obige Annahme
                                    gewaͤhlt; nun ist es aber offenbar, daß ein
                                    Maulbeerbaum von 3 Zoll Durchmesser im Stamme, Hunderte
                                    von Scorzonerepflanzen in seiner Krone traͤgt.
                                    Man versuche es ein Mal, waͤge die
                                    Blaͤtter nur einer 7 jaͤhrigen
                                    Maulbeer-Staude, messe die Oberflaͤche des
                                    Bodens, den das Staͤmmchen derselben braucht, und
                                    nehme gleiches Gewicht Scorzonerenblaͤtter, und
                                    messe den Boden, den dieses Gewicht Scorzonere
                                    noͤthig hat, und man wird erstaunen uͤber
                                    den Unterschied.4) Von einem Maulbeerbaume kann ich drei bis vier Mal im
                                    Jahre Blaͤtter schneiden) wie oft kann man dieß
                                    an der Scorzonere?5) Ist noch die große Frage: welchen Einfluß wird dieses
                                    neue Futter, wenn es Generationen lang fortgesezt wird,
                                    auf die Thiere selbst und auf die von ihnen gesponnene
                                    Seide haben? Hieruͤber kann nur die Zukunft in
                                    einer Reihe vieljaͤhriger Erfahrungen
                                    entscheiden, und bis dahin wird es kluͤger seyn,
                                    die Versuche im Kleinen mit aller Genauigkeit
                                    fortzusezen, als die
                                    Scorzoneren-Fuͤtterung, selbst wenn diese
                                    wohlfeiler waͤre (was sie nicht ist), allgemein
                                    einzufuͤhren.Wenn wir aber auch durchaus nicht fuͤr die
                                    Anwendung irgend eines Surrogates sind und seyn koͤnnen, wo man die Sache, deren
                                    Stelle das Surrogat vertreten soll, leichter und
                                    wohlfeiler haben kann, als das Surrogat selbst; so
                                    glauben wir uns doch zu hohem Danke fuͤr Hrn. Pf.
                                       Sterler und Hrn.
                                    Gartenmeister Seimel
                                    verpflichtet. Ihre Erfahrungen sind nicht bloß
                                    fuͤr die Naturgeschichte eines so kostbaren
                                    Thieres, wie die Seidenraupe, aͤußerst lehrreich
                                    und wichtig, sondern muͤssen es auch fuͤr
                                    die Seidenwirthe selbst werden, welchen sie ein neues
                                    Feld fuͤr Beobachtungen, Versuche und Erfahrungen
                                    eroͤffnen. A. d. R..
                           
                           16) Wird Surrogat und Maulbeerlaub in der Art mit einander
                              Verbunden, daß bis nach der zweiten Haͤutung das erstere,
                              und sodann das Maulbeerblatt angewendet wird, so steht die
                              Seidenzucht in Bayern unerschuͤtterlich fest; es mag nun
                              die Jahreszeit was immer fuͤr stoͤrende Nachtheile
                              auf das Blatt des Maulbeerbaumes geaͤußert haben.
                           
                           17) Nicht allein aber nur bis nach der zweiten Haͤutung
                              kann man mit Vortheil den Raupen Surrogat zum Futter vorlegen,
                              sondern auch bis nach der dritten und vierten Haͤutung;
                              jedoch verdient nach meiner Erfahrung das Fuͤttern mit
                              Surrogat bis nach der zweiten Haͤutung den Vorzug.
                           Sollen nun die Maulbeerbaumblaͤtter durch Frost und Reife
                              zu Grunde gehen, so steht das Surrogat als ein vortreffliches
                              Aushuͤlfsmittel zu Gebot, bis die Maulbeerbaͤume
                              wieder Blaͤtter haben, und die Zucht der Raupen kann
                              durch keine Witterungsfaͤlle unterbrochen werden.
                           Bogenhausen, den 3. Juli 1828.