| Titel: | Ueber die Wirkung des Aezkalis auf die organischen Substanzen, von Hrn. Gay-Lussac. | 
| Fundstelle: | Band 34, Jahrgang 1829, Nr. LXXX., S. 288 | 
| Download: | XML | 
                     
                        LXXX.
                        Ueber die Wirkung des Aezkalis auf die
                           organischen Substanzen, von Hrn. Gay-Lussac.
                        Aus den Ann. de Chimie et de Phys. August 1829, S.
                              398.
                        Gay-Lussac uͤber die Wirkung des
                           Aezkalis.
                        
                     
                        
                           Hr. Vauquelin verwandelte die Gallertsaͤure, indem
                              er sie in einem Tiegel mit Kali behandelte, in Kleesaͤure. Dieser Versuch
                              veranlaßte mich, den Holzstoff, welcher der Gallertsaͤure in mancher Hinsicht
                              analog ist, eben so zu behandeln, und das Resultat entsprach in der That meiner
                              Erwartung.
                           Ich brachte 5 Gr. Baumwolle mit 25 Gr. reinen Aezkalis in einen Platintiegel und
                              versezte das Gemenge mit etwas Wasser. Der Tiegel wurde maͤßig auf einer
                              Weingeistlampe erhizt, so daß er weit unter der Rothgluͤhhize blieb. Die
                              Baumwolle widersteht einige Zeit lang der Einwirkung des Alkalis, dann aber erweicht
                              sie sich: das Gemenge blaͤht sich auf, ohne sich zu verkohlen, und sobald das
                              Alkali auf den Holzstoff einzuwirken anfaͤngt, entwikelt sich Wasserstoffgas.
                              So lange sich das Gemenge aufblaͤht, muß man es bestaͤndig
                              umruͤhren. Nachdem es sich verdikt hat, loͤst man die Masse in Wasser
                              auf und uͤbersaͤttigt sie schwach mit Salpetersaͤure; sie gibt
                              sodann mit salpetersaurem Blei einen reichlichen Niederschlag, welcher mit
                              Schwefelwasserstoff behandelt, sehr schoͤne Krystalle von Kleesaͤure
                              gibt. Mit salpetersaurem Kalk erhaͤlt man auch einen sehr reichlichen
                              Niederschlag von kleesaurem Kalk.
                           Als ich Saͤgespaͤne eben so wie die Baumwolle behandelte, erhielt ich
                              ein aͤhnliches Resultat.
                           Zuker, mit seinem vier- bis fuͤnffachen Gewicht Kali vermengt,
                              braͤunte sich Anfangs; hierauf wurde er aber wieder weiß und gab viel
                              Kleesaͤure.
                           Die Staͤrke bildet mit dem Kali eine sehr klebrige Masse, welche sich lange
                              Zeit in diesem Zustande erhaͤlt. Auf Zusaz einer neuen Quantitaͤt
                              Alkali wird sie fluͤssig; das Gemenge blaͤht sich auf und verwandelt
                              sich in kleesaures Kali.
                           
                           Das Gummi und der Milchzuker verwandeln sich ebenfalls unter Entbindung von
                              Wasserstoffgas in Kleesaͤure.
                           Besonders merkwuͤrdig ist die Umaͤnderung der Weinsaͤure in
                              Kleesaͤure durch Einwirkung von Kali. Es findet kein Aufblaͤhen Statt;
                              das Gemenge wird nicht schwarz, und, was besonders beachtenswerth ist, es entwikelt
                              sich so wenig Wasserstoff, daß man annehmen muß, er ruͤhre von einer geringen
                              Menge einer fremdartigen vegetabilischen Substanz her. Wenn man das Wasserstoffgas
                              sammeln will, macht man den Versuch in einer Retorte, an welcher man eine etwas
                              lange Glasroͤhre anbringt, die man unter eine Schichte Wasser in ein wenig
                              Queksilber tauchen laͤßt, damit keine Absorption Statt finden kann. Die
                              Retorte kann in einem Oehl- oder Queksilberbade erhizt werden, woraus man
                              leicht ersieht, daß eine Temperatur von hoͤchstens 200° C. zur Bildung
                              der Kleesaͤure hinreicht.
                           Die Citronensaͤure und die Schleimsaͤure bringen auch viel Kleesaure
                              hervor. Auch mit Bernsteinsaͤure erhielt ich Kleesaͤure; aber die
                              Benzoesaͤure widerstand der Einwirkung des Kalis und erhielt sich
                              unveraͤndert.
                           Essigsaures Kali, mit uͤberschuͤssigem Kali erhizt, verwandelte sich in
                              kohlensaures Kali. Ich erhielt jedoch etwas kleesauren Kalk, als ich salpetersauren
                              Kalk in die zuvor mit Essigsaͤure uͤbersaͤttigte
                              Aufloͤsung des Ruͤkstandes goß; es ist jedoch wahrscheinlich, daß die
                              Kleesaͤure von etwas fremdartiger vegetabilischer Substanz
                              herruͤhrte.
                           Das Ruͤboͤhl konnte selbst durch einen großen Ueberschuß von Kali nicht
                              in Fluß gebracht werden. Ich erhielt damit nur eine sehr geringe Menge
                              Kleesaͤure. Unter den animalischen Substanzen gab die Seide, mit Kali
                              behandelt, Kleesaͤure unter Entbindung von Wasserstoff.
                           Die Harnsaͤure entwikelte waͤhrend der Operation Ammoniak. Das Gemenge
                              blieb sehr weiß. In Wasser aufgeloͤst, und mit Salpetersaͤure
                              gesaͤttigt, entwikelte es Blausaͤure und viel Kohlensaͤure;
                              salpetersaurer Kalk brachte sodann in der Aufloͤsung eilten reichlichen
                              Niederschlag von kleesaurem Kalk hervor. Die Gallerte gab ein aͤhnliches
                              Resultat, aber mit Indigo erhielt ich keine Kleesaͤure.
                           Als ich Weinstein mit kohlensaurem an Statt mit aͤzendem Kali behandelte,
                              bildete sich keine Kleesaure. Kalk und Staͤrke brachten ebenfalls keine
                              hervor; aber durch Natron kann man das Kali vortheilhaft ersezen.
                           Aus diesen Versuchen geht hervor, daß sehr viele vegetabilische und animalische
                              Substanzen sich durch Behandlung mir aͤzendem Kali oder Natron in
                              Kleesaͤure umaͤndern. Es ist zu bemerken, daß sich diese Saͤure
                              vor der Kohlensaͤure und unter aͤhnlichen Umstaͤnden bildet,
                              unter welchen z.B. Schwefel und Kali unterschwefliche Saͤure und
                              Schwefelsaͤure hervorbringen. Eine vegetabilische Substanz wird also, maͤßig mit Kali
                              erhizt, Kleesaure, und bei staͤrkerem Erhizen, Kohlensaͤure geben.
                           Da sehr verschiedenartige organische Substanzen Kleesaͤure hervor, bringen, so
                              muͤssen sich nochwendig noch andere Producte bilden. Viele vegetabilische
                              Substanzen geben Wasserstoffgas, welches von der Substanz selbst oder von dem Wasser
                              herruͤhren muß, und zulezt Kohlensaͤure. Die animalischen Substanzen
                              geben außer diesen beiden Substanzen auch Ammoniak und Blaustoff. Außerdem kann sich
                              bei den animalischen wie bei den vegetabilischen Substanzen Wasser bilden. Diese
                              verschiedenen Producte, oder auch nur einige von ihnen, sind Hinreichend, um im
                              Allgemeinen die Bildung von Kleesaure zu erklaͤren; dessenungeachtet scheint
                              es, daß man in einigen besonderen Faͤllen noch andere Producte erhalten muß.
                              So gibt die Weinsteinsaͤure keine bemerkenswerthe Menge Wasserstoff und nach
                              ihrer Zusammensezung,
                           
                              
                                 2 1/2
                                 Aequivalente
                                 Wasserstoff,
                                 
                              
                                   4
                                     –
                                 Kohlenstoff,
                                 
                              
                                   5
                                     –
                                 Sauerstoff,
                                 
                              
                           kann man ihre Umaͤnderung in Kleesaure, nach den angegebenen moͤglichen
                              Producten nicht erklaͤren. In der That bleibt die Masse waͤhrend der
                              Operation weiß und verkohlt sich nicht. Wenn aber Kohlenstoff zu Kleesaͤure
                              verwandelt wuͤrde, hatte er 6 Aequivalente Sauerstoff noͤthig und
                              folglich muͤßte das Wasser zersezt werden, um ihm Eines abzugeben. Wenn sich
                              nur so viel Kleesaͤure bilden wuͤrde, als dem in der Weinsaͤure
                              enthaltenen Sauerstoff entspricht, so wuͤrden 2/3 Aeq. Kohlenstoff
                              uͤbrig bleiben, welche mit dem Wasserstoff eine besondere Verbindung bilden
                              koͤnnten, und in diesem Falle erhielte man aus 1 Aeq. Weinsaͤure, 1
                              2/3 Kleesaͤure. Ich habe damit in der That wenigstens 1 1/3 erhalten, aber
                              bis jezt noch kein wasserstoffhaltiges Product entdekt. Endlich waͤre es
                              moͤglich, daß sich aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff eine besondere
                              Saͤure bildet. Dieser Gegenstand verdient, wie man sieht, neue
                              Untersuchungen, und ich haͤtte sie schon begonnen, wenn mich nicht die
                              dringendsten Geschaͤfte daran verhindert hatten; ich denke solche jedoch bald
                              wieder aufnehmen zu koͤnnen.
                           Ich will hier noch ein sehr elegantes Verfahren angeben, wodurch der Weinstein in
                              kleesaures Kali umgeaͤndert werden kann. Es besteht darin, rohen Weinstein
                              mit einer geeigneten Menge (aͤzenden) Kalis oder Natrons in Wasser
                              aufzuloͤsen und die Aufloͤsung vermittelst einer Pumpe in
                              ununterbrochenem Strome in eine dike auf 200 oder 225° erhizte Roͤhre
                              aus Schmiedeeisen, Gußeisen oder Erz laufen zu lassen. Der Druk wird
                              hoͤchstens 25 Atmosphaͤren betragen, weil sich kein Gas entwikelt. An dem
                              Ende, welches jenem wo die Aufloͤsung eintritt, entgegengesezt ist, wird ein
                              Ventil angebracht und mit einem zur Erzielung dieses Drukes hinreichenden Gewichte
                              belastet; es oͤffnet sich nur durch den entgegengesezten Druk der
                              Injectionspumpe. Ich habe dieses Verfahren, welches auch auf andere Substanzen
                              anwendbar ist, noch nicht gepruͤft, sehe aber keinen Grund ein, weßwegen es
                              mißlingen koͤnnte. Nach einigen von mir angestellten Versuchen ist auf Ein
                              Aequivalent neutrales weinsaures Kali weniger als Ein Aequivalent Kali
                              erforderlich.