| Titel: | Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die Orseille liefern. Von Hrn. Robiquet. | 
| Fundstelle: | Band 36, Jahrgang 1830, Nr. XXXIII., S. 153 | 
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                        XXXIII.
                        Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die
                           Orseille liefern. Von Hrn. Robiquet.
                        Aus den Annales de Chimie et de Physique. November
                              1829. S. 236.
                        Robiquet, Versuch einer Analyse der Lichenen, welche die Orseille
                           liefern.
                        
                     
                        
                           Als ich die verschiedenen Schriftsteller uͤber die Orseille nachschlug, um zu
                              sehen, was wir denn eigentlich uͤber dieselbe wissen, erstaunte ich
                              uͤber das Wenige, was uns bisher mit Zuverlaͤssigkeit uͤber
                              diesen wichtigen Gegenstand bekannt geworden ist. Kaum daß man die eigentlichen
                              Arten der Flechten kennt, die uns diesen Faͤrbestoff liefern: die Fabrikation
                              desselben liegt in der dunklen Nacht der Empirie begraben, und uͤber die
                              eigentliche Beschaffenheit dieses Faͤrbestoffes sind wir noch in
                              gaͤnzlicher Unwissenheit. In dem Augenblike, wo ich bedauerte, daß dieser
                              wichtige Gegenstand bisher noch nicht die Aufmerksamkeit irgend eines Chemikers auf
                              sich gezogen hat,Wenn die franzoͤsischen Chemiker unseres unsterblichen Beckmann Beitraͤge zur Geschichte der
                                       Erfindungen kennten, oder wenn die franzoͤsische Litteratur
                                    nur ein so fleißig gearbeitetes Werk, wie Boͤhmer's techn. Gesch. d. Pflanzen besaͤße; so
                                    wuͤrde die Orseille ihrer Aufmerksamkeit nicht so lang entgangen
                                    seyn.A. d. Ue. erhielt ich von einem meiner Collegen, von Hrn. Codère, Apotheker zu Prades, eine Kiste mit mehreren Pfunden jener
                              Flechte, welche die Orseille-Fabrikanten zu Lyon jaͤhrlich auf den
                              Felsen der Pyrenaͤen von Tagloͤhnern sammeln lassen, die sie aus dem
                              Departement du Cantal eigens zu dieser Arbeit dahin abschiken. Hr. Codère betrachtet diese Flechte als diejenige,
                              welche die schoͤnste Orseille, die sogenannte 
                              Land-Orseille (orseille de
                                 terre) liefert, und drang so freundlich in mich, dieselbe einer chemischen
                              Analyse zu unterziehen, daß ich mich in der That an diese Arbeit wagen wollte;
                              allein, meine schwache Gesundheit und meine Berufsgeschaͤfte wuͤrden
                              mir dieß unmoͤglich gemacht haben, wenn nicht Hr. Chedehoux, ein junger Laureatus unserer pharmaceutischen Schule, mir alle
                              moͤgliche Beihuͤlfe bei dieser Arbeit angeboten haͤtte. Ich muß
                              ihn um Erlaubniß bitten, ihm hier oͤffentlich meine Dankbarkeit bezeugen zu
                              koͤnnen.
                           Ehe ich zur Analyse selbst schreite, muß ich bemerken, daß mehrere und verschiedene
                              Arten von Orseille im Handel vorkommen, und namentlich die sogenannte Insel-Orseille (Orseille
                                 des îles) und die sogenannte Land-Orseille (Orseille de terre).Man nennt diese Land-Orseille im Deutschen
                                    sehr ungeschikt Erd-Orseille, indem kein
                                    Staͤubchen Erde mehr bei derselben ist, als bei der Insel-Orseille. Orseille
                                    de terre wird in der franzoͤsischen
                                    Sprache nur im Gegensaze von Orseille des
                                       îles gebraucht; terre heißt hier
                                    festes Land im Gegensaze der Insel. Man uͤbersezt Orseille de terre eben so schlecht mit Erd-Orseille, als man Terra firma schlecht mit fester Erde uͤbersezen wuͤrde.A. d. Ue. Erstere, die man jeder anderen vorzieht, und die auch die theuerste ist,
                              kommt von den Canarischen Inseln, vom gruͤnen Vorgebirge, auch von den
                              Azoren, aus Madeira, aus Corsica, aus Sardinien.Man fuͤhrte aus Teneriffa allein 25 Tonnen Orseille jaͤhrlich
                                    aus, und die Tonne galt im. J. 1726 zu London 80 Pfd. Sterl. Auch in den
                                    Inseln des Archipels wurde, wenigstens noch zu Tournefort's Zeiten, viel Orseille gesammelt, und um denselben
                                    Preis, wie die canarische, verkauft. Nach Imperati wuͤrde man dieselbe wohl auch in Dalmatien sammeln
                                    koͤnnen. Wenn sie dort vorkommt, so wird der Aufschwung, den der
                                    beruͤhmte Botaniker, Generalmajor v. Welden, als Befehlshaber der k. k. oͤsterr. Truppen in
                                    Dalmatien, der Botanik in dieser europaͤischen Terra incognita gegeben hat, gewiß dazu beitragen, die Dalmatiner
                                    auf einen Schaz aufmerksam zu machen.A. d. Ue.
                              Berthollet erklaͤrt diese Art fuͤr Lichen
                              Roccella L., von welchem die neueren Botaniker mehrere
                              Abarten „(und Arten)“ unterscheiden. Die zweite wird auf
                              unseren Bergen in den Pyrenaͤen, in dem Deptt. d. Alpen, in der Auvergne, in
                              der Lozere gesammelt. Man schreibt sie allgemein dem Lichen
                              parellus L. zu, und unter dem Namen Parelle kennen sie alle Sammler und alle Fabrikanten.
                              Indessen versichert Hr. Cocq, dem wir (in den Annales de Chimie T. LXXXI.) mehrere nuͤzliche
                              Notizen uͤber diesen Gegenstand verdanken- (und er stuͤzt sich
                              hier auf keine geringere Auctoritaͤt, als auf die des beruͤhmten Ramond, dessen Tod die Wissenschaften als einen neuen
                              Verlust zu beklagen haben,Der Uebersezer befand sich gerade zu der Zeit zu Clermont, Dptt de Puy de Dôme, als Baron Ramond, der damals Praͤfect dieses
                                    Departements war, sich mit der Untersuchung dieser Flechten
                                    beschaͤftigte. Der sel. Freiherr theilte ihm dieselben Bemerkungen
                                    mit, die Hr. Robiquet oben anfuͤhrt, und Prof.
                                    Decandolle hat dieselben auch in seiner Flore française benuͤzt. Wohl
                                    werden die Wissenschaften und wird Frankreich den Verlust Ramond's noch lang zu beklagen haben: es wird
                                    sobald nicht wieder einen Praͤfecten bekommen, wie Ramond war, der, bloß mit 2
                                    Municipalraͤthen, einem Unterpraͤfecte und einem
                                    Secretaͤre nebst 2 Schreibern, die Verwaltung eines Departements von
                                    mehr denn 200,000 Menschen so gewissenhaft besorgte, daß er nie von seinem
                                    Arbeitstische aufstand, ohne alle seine taͤglichen
                                    Amtsgeschaͤfte besorgt, und aus seinem gruͤnen Arbeitstische,
                                    wie er sagte, table nette gemacht zu haben.
                                    200,000 Auvergnacs, unter welchen vor seiner Ankunft Morde kein seltenes
                                    Verbrechen waren, liebten Ramond, ihren
                                    Praͤfecten, wie ihren Vater. Er ist unser Vater! hoͤrte ich
                                    viele Bauern in der Auvergne ausrufen, wenn ich sie fragte, wie sie mit
                                    ihrem Praͤfecten zufrieden sind. Und waͤhrend er der Vater
                                    seiner Bauern und Buͤrger war, sagte der große Kaiser von ihm: Ramond ist mein bester Praͤfect: er machte
                                    ihn auch zum Baron und zum Commandeur der Ehrenlegion. Es verdient bemerkt
                                    zu werden, daß Ramond von allem juristischen
                                    Schnikschnak und Kanzelleischnoͤrkeln so wenig mußte, als sein
                                    Stiefel. Die Revolution warf ihn aus dem Elsaß, wo er geboren war, an den
                                    Fuß der Pyrenaͤen, und machte ihn hier zum Schulmeister in einer
                                    Centralschule. Hier lebte er ganz fuͤr den Unterricht der Jugend,
                                    fuͤr Naturgeschichte, vorzuͤglich fuͤr Botanik und
                                    Mineralogie, und fuͤr die hoͤhere Mathematik, bis ihn sein
                                    Schiksal mit den Maͤnnern der damaligen Verwaltung Frankreichs, wo
                                    Verdienste geschaͤzt und belohnt wurden, in Beruͤhrung
                                    brachte. Sein Werk uͤber Hoͤhenmessungen mit dem Barometer,
                                    zufaͤllig an demselben Orte (Clermont) und an demselben Berge (Puy de Dôme) vollendet, wo ein
                                    Jahrhundert fruͤher Pascal die ersten
                                    Versuche anstellte, Berghoͤhen mittelst des Barometers zu messen,
                                    wird immer eines der besten uͤber diesen Gegenstand bleiben, so wie
                                    sein Voyage au mont-perdu. eine der
                                    besten Reisebeschreibungen. Wenn der gruͤne Tisch von Amtspapieren
                                    leer war, ging er in sein Studierzimmer, und arbeitete dort als
                                    Naturhistoriker, als Mathematiker, als schoͤner Schriftsteller eben
                                    so rastlos, wie kurz vorher noch als Staatsbeamter. Seine Frau und sein Kind
                                    waren ihm gewoͤhnlich zur Seite: er war ein sehr guter Hausvater, der
                                    fuͤr die physische Erziehung seiner Kinder trefflich sorgte. Der
                                    Uebersezer sah den ersten Sohn des guten Ramond seinem Vater in die Arme
                                    laufen, als er noch nicht 3/4 Jahr alt war.A. d. Ue. daß nicht nur die Art, die eigentlich den ganzen Haufen, der von Orseille in der
                              Auvergne gesammelt wird, bildet, kein Lichen
                              parellus und himmelweit davon verschieden ist. Es ist
                              naͤmlich eine Variolaria, die die
                              (franzoͤsischen) Botaniker Variolaria
                              orcina nennen, und von dieser unterscheiden sie wieder
                              mehrere Abarten, die in der Auvergne unter dem Namen Varenne,
                                 pucelle, parelle maîtresse bekannt sind, je nachdem sie
                              naͤmlich mehr glatt ist, und die Pusteln weniger hervorragen, wie es an
                              derjenigen der Fall ist, die auf Granit waͤchst; je nachdem sie vor ihrer
                              gaͤnzlichen Entwikelung auf den Laven und zum ersten Male gesammelt wird;
                              oder endlich erst dann gesammelt wird, wann sie ihren ganzen Wachsthum erreicht hat,
                              also erst im fuͤnften oder sechsten Jahre ihres Wachsthumes. An diese
                              verschiedenen Abarten einer und derselben Art reihen sich, nach Hrn. Cocq, noch einige andere Arten, wie die Variolaria
                              aspergilla, der Lichen
                              corallinus u.a., so daß also die eingesammelte Orseille
                              aus einer Menge aͤhnlicher Flechten besteht, deren Faͤrbekraft man, im
                              Einzelnen, nicht kennt, und von welchen man folglich nicht wissen kann, ob sie mehr
                              nuͤzlich oder schaͤdlich sind. Man sagt sogar, daß die
                              Tagloͤhner, die diese Flechten sammeln, absichtlich dieses Gemenge veranstalten, um desto
                              mehr daran zu gewinnen; sie koͤnnen sich diese Verfaͤlschung mit desto
                              groͤßerer Sicherheit erlauben, als diejenigen, die sie zu dieser Arbeit
                              dingten, selbst nicht wissen, welche Art von Flechten, die sie ihnen darbieten,
                              wirklich die bessere ist. In der Hoffnung, uͤber diesen wichtigen Zweig
                              unserer IndustrieFrankreich theilt aber diese Industrie mit England, mit Holland, mit Italien,
                                    und wird sie auch bald mit Oesterreich und Rußland theilen
                                    muͤssen.A. d. Ue. einiges Licht zu verbreiten, entschloß ich mich die Arbeit zu unternehmen,
                              uͤber welche ich nun die Ehre haben will Bericht zu erstatten.
                           Wir haben gesehen, daß die Orseille, welche in der Auvergne gesammelt wird,
                              groͤßten Theils aus einer Variolaria
                              besteht, und ich muß hier bemerken, daß die Flechte, welche Hr. Codère mir schikte, und die er fuͤr die
                              beste bei der Fabrikation der Orseille haͤlt, gleichfalls eine Variolaria ist: die Variolaria
                              dealbata Dec., in dessen Flore
                                 française; der Lichen
                              dealbatus des Acharius, wie
                              mein College, Hr. Prof. Clarion, es erwiesen hat. Ich muß
                              hier bemerken, daß derselbe auch nicht ein Fragment einer Patellaria darunter gefunden hat. Es ist also
                              wahr, daß Hr. Codère diese Sammlung mit der
                              groͤßten Sorgfalt veranstalten ließ, und daß er alle noͤthige Vorsicht
                              traf, damit diese Flechte rein und unvermengt blieb, und nicht verfaͤlscht
                              wurde, wie sie es bei den Orseille-Fabrikanten gewoͤhnlich wird. Die
                              Resultate, die ich hier aufstellen werde, beziehen sich also bloß auf Variolaria
                              dealbata.Die franzoͤsischen Flechten erscheinen jezt in einem eigenen, von Hrn.
                                    Delise zu Vire
                                    besorgten Herbar. viv. unter dem Titel:
                                    „Lichens de France. 1828.
                                          Vire.“ Eine Lieferung von 25 Exempl. kostet 8
                                    Franken.A. d. Ue.
                              
                           Nach einigen Versuchen, die es uͤberfluͤssig waͤre hier
                              anzufuͤhren, da sie eigentlich bloß ein Tappen im Finsteren waren, gelang ich
                              auf folgende Weise zur Abscheidung der verschiedenen Bestandtheile dieser Flechte,
                              deren Daseyn ich in derselben gefunden habe. Die Flechte wurde zuerst mehrere Male
                              nach einander in concentrirtem Alkohol gekocht, und die Abkochung wurde siedend heiß
                              filtrirt. Dadurch erhielt man eine weiße, krystallinische und etwas flokige Masse,
                              die sich bei dem Erkalten zu Boden sezte, und die in den ersteren Abkochungen
                              natuͤrlich haͤufiger war, als in den uͤbrigen. Nachdem die
                              Flechte mit diesem Alkohol ausgekocht war, ließ man alle Abkochungen durch dasselbe
                              Filtrum laufen, und erhielt auf diese Weise, als erstes Produkt, die oben
                              erwaͤhnten weißen Floken. Man mußte sie nothwendig mit etwas kaltem Alkohol
                              begießen und auswaschen. Hierauf ließ man in einem Destillirapparate
                              ungefaͤhr die Haͤlfte aller dieser Abkochungen verdampfen, und sammelte auf
                              diese Weise nach dem Erkalten eine neue Quantitaͤt obiger weißer Floken, die
                              man jedoch nicht mit den vorigen zusammenmengte, weil sie gereinigt werden mußten.
                              Man destillirte auf eine aͤhnliche Weise zum zweiten Male, und, nachdem
                              dadurch aller Alkohol und aller weiße Stoff abgeschieden ward, erhielt man, als
                              Produkt der vollkommenen Verdampfung, ein geistiges Extrakt, das sehr deutlich nach
                              frischem Alkohol roch.
                           Man behandelte nun dieses Extrakt mit kaltem Wasser, und wusch es so lang, bis es
                              vollkommen ausgezogen war. Die beste Verfahrungsweise hierbei ist, das Extrakt in
                              einem gewoͤhnlichen Moͤrser zu zerreiben, und das Wasser so lang zu
                              erneuern, bis es geschmaklos ablaͤuft. Die ersten Waschwasser sind gelbbraun
                              und schmeken suͤßlich. Bei gelinder Waͤrme abgedampft gaben sie, als
                              Produkt, eine braune Fluͤssigkeit von der Consistenz eines Syrupes von sehr
                              suͤßem Geschmake, jedoch mit einem sehr deutlichen bitteren Nachgeschmake.
                              Diese Fluͤssigkeit krystallisirt, mit der Zeit, in langen
                              strahlenfoͤrmigen Nadeln ohne Festigkeit, so daß es sehr schwer ist sie aus
                              den Mutterlaugen abzuscheiden. Es gelang mir nur dadurch, daß ich sie einem sehr
                              starken Druke aussezte, und dadurch erhielt ich eine Art Moscovade, die, mit
                              thierischer Kohle gereinigt, eine krystallinische Masse darbot, welche aus langen,
                              gelblich weißen, undurchsichtigen Prismen bestand, die noch immer suͤß und
                              staͤrker schmekt.
                           Das auf diese Weise von allen im Wasser aufloͤsbaren Stoffen befreite geistige
                              Extrakt wurde in der Folge im Wasserbade getroknet, und dann mit Aether behandelt,
                              der davon stark gruͤngelb wurde. Man wusch es hierauf noch mehrmals mit
                              kaltem Aether aus, und alle aͤtherischen Tincturen, die man auf diese Weise
                              erhielt, wurden in eine glaͤserne Retorte zusammengeschuͤttet, und bei
                              gelinder Waͤrme destillirt: die Destillation wurde erst unterbrochen, nachdem
                              man 5/6 Aether uͤbergezogen hatte. Der Ruͤkstand bot, nach dem
                              Erkalten, eine krystallinische Masse dar, die in eine klebrige Fluͤssigkeit
                              gehuͤllt, stark gruͤnlichbraun gefaͤrbt war, und einen scharfen
                              Geschmak nebst einem besonderen sehr deutlichen Geruch besaß. Man befreite die
                              Krystalle von dieser Masse, indem man sie mit einer geringen Menge kalten Alkohols
                              wusch, dann, mittelst der Waͤrme, wieder vollkommen in dieser
                              Fluͤssigkeit aufloͤste, und erhielt so, nach mehreren wiederholten
                              Krystallisationen und Reinigungen, aus diesem Ruͤkstande der
                              aͤtherischen Tincturen zwei verschiedene Produkte. Das eine derselben bestand
                              aus langen weißen und steifen Nadeln, die in Alkohol und Aether sehr leicht
                              aufloͤsbar sind; das andere aus einer Art gruͤnen Harzes, das diese
                              Nadeln urspruͤnglich umhuͤllte, und einen sehr scharfen Geschmak
                              besaß.
                           
                           Nachdem das geistige Extrakt nach und nach mit Wasser und Aether ausgezogen wurde,
                              blieb nur eine teigartige, braune, gleichsam gekoͤrnte Masse zuruͤk,
                              deren Eigenschaften wir spaͤter angeben werden.
                           Man kam nun wieder auf die Flechte zuruͤk, die, mit Alkohol allein behandelt,
                              bereits wenigstens fuͤnf verschiedene, deutlich von einander unterschiedene,
                              Produkte gegeben hat. Man kochte sie mehrere Male in destillirtem Wasser, nachdem
                              man sich jedes Mal uͤberzeugte, daß keine Spur von Sazmehl darin enthalten
                              war. Alle diese Abkochungen wurden bis auf den gehoͤrigen Punkt eingekocht,
                              ohne daß eine Spur von Gallerte sich zeigte. Man pruͤfte sie nun auf
                              Salzgehalt, und es fand sich, daß sauerkleesaures Ammonium allein eine deutliche
                              Wirkung hervorbrachte. Diese Fluͤssigkeit enthaͤlt demnach ein
                              Kalksalz, aber nur in geringer Menge. Durch Abdampfung gab sie ein gummiges Extrakt
                              von fadem Geschmake, das so zu sagen nur negative Eigenschaften besaß, und folglich
                              von keinem besonderen Interesse war. Wir glauben daher nicht laͤnger bei
                              demselben verweilen zu duͤrfen, und glauben daß es hinreicht, das bloße
                              Daseyn desselben angedeutet zu haben.
                           Um die Bestandtheile der Flechte alle zu erhalten, theilte man das Produkt aus
                              derselben durch die Behandlung mit Alkohol und mit Wasser in zwei Theile. Den ersten
                              Theil macerirte man in Wasser, das mit Salpetersaͤure gesaͤuert wurde,
                              den zweiten verbrannte man in einem Platinnatiegel, den man im Feuer bis zur
                              Rothgluͤhehize erhizte. Die Menge Asche, die man durch diese
                              Einaͤscherung erhielt, war wirklich ungeheuer. Da diese Asche kein in Wasser
                              aufloͤsbares Salz enthalten konnte, so behandelte man dieselbe unmittelbar
                              mit schwacher Salpetersaͤure, die einen Theil derselben ausloͤste.
                           Nach einer hinlaͤnglich langen Zeit filtrirte man die saure Maceration,
                              saͤttigte sie mit Ammonium, um die Kalksalze aus derselben abzuscheiden, und
                              erhielt dadurch einen reichlichen Niederschlag, welcher calcinirt, sich in
                              kaustischen Kalk verwandelte. Allem Anscheine nach war dieses Kalksalz also bloß
                              sauerkleesaurer Kalk.
                           Aus dem bisher hier in Kuͤrze Angefuͤhrten ergibt sich, daß die durch
                              den Alkohol ausgezogenen Produkte die einzigen sind, die von uns von Interesse seyn
                              koͤnnen, indem nur in denselben der Faͤrbestoff, der Hauptgegenstand
                              unserer Untersuchungen, sich finden kann. Wir muͤssen also wieder zu jedem
                              einzelnen dieser Produkte zuruͤk, die uns Anfangs keinen besonders
                              auffallenden Charakter in dieser Hinsicht darboten, und so zu sagen nach der
                              Eliminations-Methode verfahren, um zu dem erwuͤnschten Zweke zu
                              gelangen.
                           Ich will diese Revision mit den lezten Produkten beginnen, und zuerst dasjenige
                              betrachten, welches, nachdem es urspruͤnglich dem geistigen Extrakte
                              angehoͤrte, in der Folge der Einwirkung des Wassers und des Aethers
                              widerstand. Dieses Produkt ist braunroth, sehr schwach saͤuerlich, und
                              gaͤnzlich in Alkohol aufloͤsbar. Der Waͤrme ausgesezt
                              blaͤht er sich bedeutend auf und gibt einen sehr haͤufigen kohligen
                              Ruͤkstand. Die dabei sich entwikelnden Daͤmpfe riechen beinahe wie
                              Tobakrauch. Es kommt eine gelbliche Fluͤssigkeit zum Vorscheine, die sich
                              endlich in dem Halse des Destillirgefaͤßes anlegt. Mit Kupferoxyd verbrannt
                              liefert dieser Stoff etwas Stikstoff. Saͤuren und Alkalien wirken, selbst
                              concentrirt, nicht auf denselben, wenigstens nicht merklich.
                           Was das naͤchste Produkt betrifft, so konnte ich in der einen der beiden
                              aͤtherischen Aufloͤsung nur jenen gruͤnen harzartigen Stoff
                              wahrnehmen, der sich beinahe in allen Pflanzen findet, und den man Chlorophyll zu nennen beliebt. Er hat, wie dieser, die
                              Eigenschaft, sich in Aether und Alkohol aufzuloͤsen; hat, wie dieser, einen
                              scharfen Geschmak, weicht aber doch, in anderer Hinsicht, davon ab. So wird er z.B.
                              sehr leicht fluͤssig, wenn man ihn der Einwirkung der Waͤrme aussezt.
                              Indessen darf man nicht vergessen, daß dieser angebliche unmittelbare Pflanzenstoff
                              bei jeder Pflanze beinahe eben so sehr verschieden ist, als die Pflanzen selbst, und
                              daß man ihn vielleicht nie zwei Mal nach einander vollkommen identisch erhielt.
                              Uebrigens ergeht es diesem Pflanzenstoffe nicht allein so; es ist bei den Harzen,
                              Gummiarten etc. um nichts besser.
                           Wir kommen nun auf den Grundstoff, der dieses lezte aͤtherische Produkt
                              begleitet; dieser scheint mir in seiner Art einzig zu seyn. Er krystallisirt sich,
                              wie wir sagten, in schoͤnen weißen Nadeln. Er ist in Aether und in Alkohol
                              sehr leicht aufloͤsbar; er schmilzt bei einer sehr gelinden Waͤrme,
                              und wird dann so durchscheinend, wie geschmolzenes Harz; durch Erkalten wird er aber
                              wieder undurchsichtig, und bildet nur mehr eine blaͤttrige kristallinische
                              Masse. Wenn man ihn etwas starker erhizt, so faͤngt er schnell an zu sieden,
                              und gibt, ohne scheinbare Zersezung, eine Art wesentlichen, farbelosen und sehr
                              stark riechenden Oehles; hierauf verdichtet er sich im Halse der Retorte zu einer
                              weißen krystallinischen Masse, die von derselben Art zu seyn scheint, wie er
                              urspruͤnglich gewesen ist, und auf dem Boden des Gefaͤßes bleiben kaum
                              einige Spuren eines kohligen Stoffes, wenn die Form des Gefaͤßes
                              gehoͤrig gewaͤhlt wurde; denn wenn die Retorte einen zu tiefen Bauch
                              hat, so fallen die lezten Daͤmpfe, die sich leicht in dem oberen Theile
                              verdichten, ohne Unterlaß zuruͤk, und dieser Koͤrper zersezt sich
                              endlich durch wiederholte Einwirkung der Waͤrme. Diesem Nachtheile
                              laͤßt sich leicht dadurch abhelfen, daß man eine sehr kleine Retorte nimmt,
                              und dieselbe zugleich oben und unten erhizt.
                           Dieses Produkt, welches, seiner sonderbaren Eigenschaften wegen besondere Aufmerksamkeit zu
                              verdienen scheint, hat indessen, bei Einwirkung verschiedener Reagentien, nichts
                              geaͤußert, was die Gegenwart irgend eines Faͤrbestoffes zu
                              verkuͤnden scheint. Da es an und fuͤr sich weder sauer noch alkalisch
                              ist, so bleibt es ungefaͤrbt in Saͤuren, wie in Alkalien; der Luft
                              ausgesezt bleibt es unveraͤndert; es ist also weder ein Faͤrbestoff
                              noch ein Koͤrper, der ein Faͤrbestoff werden koͤnnte.
                           Wir haben nun nur mehr zwei Produkte zu untersuchen uͤbrig; das eine ist jene
                              Art Zukers, welche wir durch Auswaschen mit Wasser aus dem geistigen Extrakte
                              erhielten; das andere ist jener krystallinische weiße Stoff, der sich
                              waͤhrend des Erkaltens des Alkohols, mit welchem die Flechte gekocht wurde,
                              niederschlug. Allein dieses leztere Produkt besizt wieder durchaus keine derjenigen
                              Eigenschaften, wodurch Faͤrbestoffe sich gewoͤhnlich auszeichnen. Es
                              ist, z.B., nachdem man es von allen fremdartigen Stoffen gaͤnzlich befreit
                              hat, vollkommen weiß, unschmakhaft, an der Luft unveraͤnderlich, in Wasser
                              unaufloͤsbar, und vollkommen neutral. Es verbindet sich ziemlich gut mit
                              Alkalien, zumal durch Beihuͤlfe der Waͤrme, wird aber durch dieselben
                              nur sehr schwach gruͤnlich gefaͤrbt; in concentrirter
                              Schwefelsaͤure nimmt es eine Bisterfarbe an, und wird nie vollkommen
                              schwarz.
                           In der Hize verkohlt es sich ohne zu fließen, und wenn man behutsam dabei
                              verfaͤhrt, so sieht man Anfangs einige weiße, glimmerartige Blaͤttchen
                              sich erheben, welche sich nach dem oberen Theile des Gefaͤßes sublimiren;
                              bald darauf werden diese Blaͤttchen von einem braunen empyreumatischen Oehle
                              weggeschlaͤmmt, das nicht lang darnach anfaͤngt sich zu entwikeln.
                              Waͤhrend der ganzen Dauer dieser Operation entwikelt sich ein Geruch, als ob
                              ein fettartiger Koͤrper sich zersezte; indessen unterscheidet dieser
                              Koͤrper sich durch seinen Mangel an Schmelzbarkeit durch die geringe
                              Faͤhigkeit, die er besizt, sich mit Alkalien zu verbinden, durch die
                              Schwierigkeit, mit welcher er sich in Aether aufloͤst, hinlaͤnglich
                              von den uͤbrig bekannten Fetten, und scheint sich desto mehr denjenigen
                              Koͤrpern zu naͤhern, die Hr. Bonastre
                                 Unterharz (Sous-resine) nennt. Es liegt
                              uͤbrigens wenig daran, ob dieser Koͤrper ein fetter Koͤrper
                              oder ein Unterharz ist; das Einzige, was hier in diesem Falle von demselben erwiesen
                              werden muß, ist, daß er kein Farbestoff ist, und es scheint uns, daß wir Beweise
                              genug anfuͤhrten, um jeden zu uͤberzeugen, daß er kein solcher Stoff
                              ist.
                           Der zukerartige Stoff bleibt also allein noch unsere Zuflucht, und er allein ist es,
                              der fortan unsere ganze Aufmerksamkeit verdient.
                           Die Art der Krystallisation, und vorzuͤglich der deutliche, wenn auch etwas
                              ekelhafte, Zukergeschmak dieses Stoffes ließ mich denselben gleich Anfangs als eine Art
                              Traubenzuker, als ein Mannit betrachten; als ich denselben aber naͤher
                              untersuchte, sah ich gar bald meinen Irrthum ein: in der That bedurfte es nur der
                              Einwirkung der Hize allein, um diesen Irrthum zu beseitigen. Die
                              gewoͤhnlichen zukerhaltigen Stoffe werden fluͤssig, blaͤhen
                              sich auf, braͤunen sich und verkohlen sich; bei diesem Stoffe hingegen hat
                              nichts von Allem dem Statt; er wird bei einer sehr gelinden Waͤrme
                              fluͤssig; die Fluͤssigkeit bleibt vollkommen durchscheinend; wenn man
                              aber die Hize fort einwirken laͤßt, so faͤngt er an zu kochen und sich
                              von aller Fluͤssigkeit zu befreien, wenn er eine solche bei sich
                              fuͤhrt; hierauf sieht man schwere Daͤmpfe aufsteigen, die sich in dem
                              Halse des Destillirgefaͤßes anhalten, und sich daselbst zu einem festen,
                              beinahe farbelosen und durchscheinenden, Koͤrper verdichten, welcher, nach
                              einigen Stunden, gegen die Muͤndung des Halses hin anfaͤngt sich zu
                              krystallisiren, und endlich mit der Zeit nur eine krystallinische, undurchsichtige
                              oder durchscheinende, Masse bildet, welche an ihrem Umfange wie mit einem Firnisse
                              uͤberzogen ist. Dieser Theil, der auf diese Weise verfluͤchtigt wurde,
                              scheint keine Veraͤnderung erlitten zu haben; denn er besizt noch alle seine
                              urspruͤnglichen Eigenheiten.
                           Wenn man diese Parallele noch weiter verfolgt, so bemerkt man noch andere eben so
                              schneidende Unterschiede; so wird z.B. dieser Stoff aus seiner waͤsserigen
                              Aufloͤsung durch basisch essigsaures Blei vollkommen niedergeschlagen,
                              waͤhrend bei den gewoͤhnlichen zukerstoffhaltenden Koͤrpern das
                              Entgegengesezte Statt hat. Concentrirte Salpetersaͤure faͤrbt diesen
                              Stoff Anfangs blutroth, wie es bei vielen anderen organischen Koͤrpern der
                              Fall ist; allein diese Farbe verschwindet nach und nach in Folge der Einwirkung und
                              Gegenwirkung, und, obschon sich viel salpetrigsaures Gas entwikelt, erhaͤlt
                              man doch nie durch Abdampfung Krystalle von Sauerkleesaͤure.
                           Es waͤre allerdings gut gewesen, wenn man, um die Vergleichung ganz
                              durchzufuͤhren, versucht haͤtte, diesen zukerartigen Stoff
                              gaͤhren zu lassen; allein, die zu geringe Menge, die ich von demselben besaß,
                              erlaubte mir nicht diesen Versuch zu unternehmen. Uebrigens wird man wahrscheinlich
                              auch eingestehen, daß dieser Versuch eben nicht unumgaͤnglich nothwendig war,
                              und daß die bereits angegebenen Unterschiede mehr als hinreichend sind, um eine
                              feststehende Ansicht uͤber diesen Gegenstand zu gewaͤhren.
                           Wir wollen also annehmen, daß dieser zukerartige Stoff ein Koͤrper eigener Art
                              ist, und er wird dadurch unsere Aufmerksamkeit nur desto mehr verdienen; wir werden
                              ihn desto sorgfaͤltiger untersuchen, je mehr wir Wahrscheinlichkeiten zu
                              seinen Gunsten finden werden.
                           Wir haben bereits bemerkt, daß dieser Stoff, der Einwirkung der Waͤrme ausgesezt,
                              sich verfluͤchtigt, ohne sich zu zersezen, und man weiß, daß in der geringen
                              Anzahl organischer Faͤrbestoffe, die man bisher in reinem Zustande erhielt,
                              beinahe alle diese Eigenschaft besizen. Man weiß, daß keiner derselben weder sauer
                              noch alkalisch ist, und auch der gegenwaͤrtige ist vollkommen neutral. Hier
                              waͤren also bereits einige feststehende Aehnlichkeitspunkte: allein der
                              wesentlichste hat sich noch nicht gezeigt; naͤmlich der, daß durch irgend
                              eine Modification Farbe entwikelt wird; eine Farbe, die sich den Geweben mittheilen
                              laͤßt. Hiervon weit entfernt, scheint dieser Koͤrper unwandelbar durch
                              Zutritt der atmosphaͤrischen Luft, selbst durch Zutritt des reinen
                              Sauerstoffes: es entsteht keine Faͤrbung, keine Einsaugung. Unter den
                              verschiedenen Reagentien, deren Einfluß man ihn aussezte, waren die Alkalien die
                              einzigen, die zu dem erwuͤnschten Zweke zu fuͤhren schienen. Diese
                              Beobachtung bot große Hoffnungen dar, indem, wie die ganze Welt weiß, fauler Harn
                              oder Ammonium in den Orseillefabriken mit der Zeit den Farbestoff aus den Flechten
                              entwikelt. Indessen, wenn man einige Tropfen Alkali, besonders Ammonium, in die
                              waͤsserige Aufloͤsung dieses zukerartigen Stoffes gießt, so sieht man
                              nach und nach eine fahle Farbe sich in der Fluͤssigkeit entwikeln, und mit
                              der Zeit wird diese Farbe immer starker und staͤrker. Wenn man sie zwei oder
                              drei Tage lang der Luft ausgesezt stehen laͤßt, wird sie dunkelbraun, aber
                              durchaus nicht jener lebhaften und reichen dunkel violetten (Pensee) Farbe aͤhnlich, die die Orseille liefert. Dieses Resultat
                              bleibt immerdar dasselbe, man mag das Verhaͤltniß des Alkali wie immer
                              abwechseln, und die Aufloͤsung auch noch so lang an der Luft stehen lassen.
                              Ich mußte also annehmen, daß entweder dieser Faͤrbestoff von demjenigen,
                              welchen ich suchte, verschieden war, oder daß die beobachteten Resultate nur von dem
                              Reste eines Faͤrbestoffes entstanden, der bereits veraͤndert worden
                              ist. Diese lezte Idee noͤthigte mich zu allen jenen Reinigungsmitteln
                              Zuflucht zu nehmen, durch welche ich glaubte eine vollkommene Elimination des
                              Faͤrbestoffes erhalten zu koͤnnen. Ich schuͤttelte also eine
                              concentrirte Aufloͤsung des zukerartigen Stoffes sehr lang mit fein
                              gepuͤlverter, auf dem Reibsteine abgeriebener Bleiglaͤtte. Ich
                              filtrirte und verdampfte diese Aufloͤsung, nachdem ich geschwefelten
                              Wasserstoff durch dieselbe durchziehen ließ, und erhielt als Resultat dieser
                              Reinigung vierseitige flache Prismen, deren zwei gegenuͤberstehende Seiten
                              groͤßer waren, als die anderen, und schief abgestuzt. Diese Krystalle, die
                              ich fuͤr reiner halten mußte, als den urspruͤnglich angewendeten
                              Stoff, wurden auf die vorige Weise behandelt, und gaben vollkommen dieselben
                              Resultate, wie die oben angefuͤhrten gewesen sind. Ich blieb also
                              uͤberzeugt, daß der zukerartige Stoff wirklich an und fuͤr sich ein
                              Faͤrbestoff war; da ich aber aus demselben nicht die schoͤne
                              Karmesinfarbe erhalten konnte, die ich suchte, so besorgte ich, daß dieselbe
                              vielleicht von der thierischen Kohle verschlungen worden seyn koͤnnte, deren
                              ich mich gleich Anfangs zur Reinigung des zukerartigen Stoffes und zur Erleichterung
                              der Krystallisation bediente. Ich nahm also diese Kohle wieder vor, und, nachdem ich
                              sie in reinem kalten Nasser gut gewaschen hatte, behandelte ich sie dann warm mit
                              einem etwas alkalisirten Wasser. Allein ich erhielt auch auf diese Weise nur eine
                              matte rothbraune Farbe, derjenigen aͤhnlich, welche ich unmittelbar durch
                              Behandlung des zukerartigen Stoffes mit Ammonium erhielt. Da ich nun auf diesen
                              lezteren Stoff wieder zuruͤkkommen mußte, und uͤberzeugt war, daß der
                              Zutritt der atmosphaͤrischen Luft und die Einwirkung des Ammoniums
                              unerlaͤßlich sind, wenn die gesuchte Farbe sich entwikeln soll, so stellte
                              ich nun Versuche hieruͤber an, und gelangte endlich, nach einer langen Reihe
                              vergeblicher Bemuͤhungen, zu dem gluͤklichsten Resultate, indem ich
                              den zukerartigen trokenen Stoff alsogleich den Daͤmpfen des
                              fluͤchtigen Ammoniums aussezte, und dann das uͤberschuͤssige
                              Ammonium nach und nach durch bloßes Aussezen an die atmosphaͤrische Luft
                              entweichen ließ. Statt also einer waͤsserigen Aufloͤsung des
                              zukerartigen Stoffes fluͤchtiges Alkali zuzusezen, goß ich etwas
                              fluͤssiges Ammonium in ein Staͤngelglas, und stellte auf dieses Glas
                              eine kleine Kapsel mit solchem zukerartigen Stoffe, und stuͤrzte uͤber
                              Glas und Kapsel eine glaͤserne Gloke. Der zukerartige Stoff ward Anfangs
                              braun, und immer dunkler und dunkler. Des anderen Tages war er sehr
                              gesaͤttigt rothbraun. Man nahm ihn unter der Gloke hervor. Wenn man ihn dann
                              unmittelbar im Wasser aufloͤste, erhielt man noch immer die rothbraune Farbe.
                              Wenn man ihn aber einige Zeit uͤber troken der atmosphaͤrischen Luft
                              aussezte, erhielt er eine dunkel violette Farbe, und wenn man ihn dann in Wasser
                              aufloͤste, so entwikelte er in demselben die schoͤnste roth violette
                              Farbe, die man sehen kann, zumal wenn man einige Tropfen Alkali zusezte.
                           Ich habe diesen Faͤrbestoff noch nicht genug studirt, um alle verschiedenen
                              Veraͤnderungen, die er durch dieses oder jenes Reagens erleidet, zu kennen;
                              es hat mir jedoch geschienen, daß, wenn das Ammonium zu schnell und zu heftig wirkt,
                              die Farbe in das Rothbraune uͤbergeht; daß das Johannisbeerenroth (rouge-groseille) von einem geringeren Grade, das
                              Violettroth (rouge-violet) von einem noch
                              schwaͤcheren Grade abhaͤngt. Ich glaubte noch uͤberdieß zu
                              bemerken, daß, im ersteren Falle, der Zukergeschmak gaͤnzlich
                              zerstoͤrt ist, im lezteren aber noch etwas davon uͤbrig bleibt, d.h.,
                              ein Theil des zukerartigen Stoffes unversehrt blieb. Es ist uͤbrigens
                              ausgemacht, daß die Luft
                              bei allen diesen Veraͤnderungen eine große Rolle spielt. So habe ich mich
                              z.B. wiederholter Malen uͤberzeugt, daß, ohne Beihuͤlfe der Luft, der
                              zukerartige Stoff, so wie die Flechte selbst, keine Faͤrbung durch Ammonium
                              erleidet. Es ist ferner eine alte, schon von Abbe Nollet
                              gemachte und von Berthollet wiederholte, Bemerkung, daß
                              Orseille-Tinctur in luftleerem Raume sich entfaͤrbt.
                           Ich habe auch gesehen, daß geschwefeltes Wasserstoffgas dieselbe Wirkung
                              hervorbringt; ich habe aber zugleich auch wahrgenommen, daß dieses sonderbare
                              Phaͤnomen nicht die Folge einer entsaͤurenden (desoxygenirenden)
                              Wirkung des geschwefelten Wasserstoffgases ist, sondern eine bloße, einfache
                              Verbindung dieser Saͤure mit dem Faͤrbestoffe, indem man bloß Alkali
                              bis zur Saͤttigung derselben zusezen darf, um die urspruͤngliche Farbe
                              wieder herzustellen. Hr. Chevreul hat schon
                              fruͤher dieselbe Beobachtung an dem Faͤrbestoffe des Fernambukholzes,
                              des Campescheholzes, des Tournesols gemacht (vergl. Annales
                                 de Chimie, T. LXVI. p. 240.); lezterer ist wahrscheinlich derselbe
                              Faͤrbestoff, mit jenem der Orseille, indem er gleichfalls aus einer Flechte
                              bereitet wird.Dieß ist nicht ganz richtig. Der hollaͤndische Tournesol wird, nach
                                    Ferber, allerdings aus der Orseille des îles bereitet. Allein
                                    Tournefort, der die Orseille in Griechenland
                                    so genau studirte, fuͤhrt in seinen Instit.
                                       rei herbar, so wie Nissole zu
                                    Montpellier in Act. paris 1712 p. 337 t. 171 den
                                    Lackmuß-Kroton (Croton
                                    tinctoria L.) als die Pflanze auf, aus welcher
                                    der franzoͤsische Tournesol bereitet wird; er nennt diese um
                                    Montpellier wildwachsende Pflanze deutlich und bestimmt: Ricinoides, ex qua
                                       paratur
                                    Tournesol
                                    Gallorum.A. d. Ue.
                              
                           Waͤhrend der Zeit, als ich mich mit diesen Untersuchungen
                              beschaͤftigte, und ehe ich noch wußte, was dieser Faͤrbestoff war,
                              versuchte ich denselben unmittelbar aus einer Ammonium-Tinctur abzuscheiden,
                              welche mit dieser Variolaria bereitet wurde, damit ich
                              dieses Produkt mit den uͤbrigen erhaltenen Produkten vergleichen
                              koͤnnte. Das erste Mittel, welches sich hierzu auf eine natuͤrliche
                              Weise darbot, war die Saͤttigung dieser Tinctur mit einer schwachen
                              Saͤure. Wirklich bildete sich ein ziemlich bedeutender Niederschlag, und die
                              Fluͤssigkeit wurde sehr merklich, jedoch unvollkommen entfaͤrbt.
                              Dieser Niederschlag, auf einem Filtrum gesammelt und gut ausgewaschen, loͤst
                              sich neuerdings in Alkali auf, und entwikelt in der Aufloͤsung eine reiche
                              Farbe. Wenn er aber der Einwirkung der Hize ausgesezt wird, so verkohlt sich der
                              Faͤrbestoff schnell, und verbreitet einen widerlichen Geruch. Da keines der
                              anderen Produkte diese Eigenschaften besaß, so blieb ich uͤberzeugt, daß ich
                              den wahren Farbestoff noch nicht gefunden habe; als ich spaͤter einsah, daß
                              der zukerartige Stoff die Basis desselben bildet, wiederholte ich denselben Versuch
                              mit demselben Stoffe, nachdem derselbe in Faͤrbestoff verwandelt war, und sah
                              wirklich, daß er durch einige zugesezte Tropfen Essigsaͤure großen Theils
                              aus seiner waͤsserigen Aufloͤsung niedergeschlagen wurde, und daß
                              dieser Niederschlag keinen Zukergeschmak mehr besaß.
                           Man wird leicht einsehen, daß gegenwaͤrtige Arbeit nur als ein erster, noch
                              sehr unvollkommener Versuch zu betrachten ist; man wird aber auch ohne Zweifel
                              finden, daß, ungeachtet noch sehr viel hier zu thun ist, ich bereits eine ziemlich
                              große Menge von Thatsachen gesammelt habe, die, zusammengenommen, einiges Interesse
                              darbieten. Wenn ich mich nicht taͤusche, so verdiente dieser sonderbare
                              Faͤrbestoff schon fuͤr sich allein unsere Aufmerksamkeit zu
                              beschaͤftigen. Ich kenne kein Analogon desselben; es laͤßt sich
                              vermuthen, daß der Zukergeschmak desselben mehr denn einen Mißgriff veranlaßt haben
                              kann. Man hat bereits mehr denn ein Mal die Gegenwart eines zukerartigen Stoffes in
                              den Flechten dargethan, und es ist sehr wahrscheinlich, daß einige derselben einen
                              aͤhnlichen Farbestoff, wie diese Flechte, enthalten. Es sind neue Versuche
                              nothwendig, wenn wir uns uͤber diesen Gegenstand die gehoͤrige
                              Aufklaͤrung verschaffen wollen;Malo academiam ruminantem, sagte Bacon, quam quae nova
                                       detegat. Es wissen vielleicht wenige unserer Leser mehr, daß die
                                    Akademie zu Lyon vor bald fuͤnfzig Jahren eine Preisaufgabe
                                    uͤber den Nuzen der Flechten stellte, und daß ein Bayer, Georg Franz
                                    Hoffmann (ehemals Professor zu Erlangen,
                                    spaͤter zu Goͤttingen, endlich zu Moskau, wo er in dem großen
                                    Brande Alles verlor) den Preis errang. Die. Preisschrift ist: G. F. Hoffmann
                                    de vario lichenum usu. 4. Erlang. 1786. Sie
                                    wurde auch zu Lyon zugleich mit den Abhandlungen der HHrn. Amoureux
                                    fils und Willemet
                                    (Mémoires sur l'utilite des Lichens.
                                    8. Lyon 1787) gedrukt. Der treffliche alte Schwede Westring hat schon vor 50 Jahren auf die Flechten als
                                    Faͤrbematerialien aufmerksam gemacht. Die Chemie hat zeither solche
                                    Fortschritte gethan, daß es hoch an der Zeit waͤre, Westring's und anderer schwedischer
                                    Naturhistoriker aͤltere Versuche einer muen Pruͤfung zu
                                    unterziehen: man wuͤrde auf schoͤne Resultate gelangen.A. d. Ue. indessen muͤssen wir, um die Gegenwart desselben in den Flechten,
                              welche die Orseille liefern, zu beurkunden, ihn mit einem Namen bezeichnen, welcher
                              seinen Ursprung andeutet. Ich wuͤrde den Namen Orcine vorschlagen; es waͤre vielleicht natuͤrlicher
                              gewesen, denselben Variolarine zu nennen, weil ich
                              ihn in einer Variolaria fand; allein, abgesehen,
                              daß dieser Name zu lang ist, gewaͤhrt er auch nicht den Vortheil so bestimmt,
                              wie der Name Orcine, an den wichtigsten und
                              bekanntesten Faͤrbestoff der Flechten, an die Orseille, zu erinnern.
                              Ueberdieß ist Variolaria
                              dealbata
                              Dec. nichts anderes, als Lichen
                              Orcina, und wir koͤnnen diese Synonyme
                              benuͤzen.Diese Synonyme ist aber außer Frankreich nirgendwo bekannt. Da fast alle
                                    Flechten denselben zukerartigen Farbestoff besizen, der, mit verschiedenen
                                    Reagentien behandelt, verschiedene Farben gibt (wie es beinahe bei jedem
                                    Faͤrbestoffe der Fall ist); so koͤnnte man ihn vielleicht
                                    fuͤglicher Lichenine nennen.A. d. Ue.
                              
                           Ein anderes Produkt, welches gleichfalls mit einem besonderen Namen bezeichnet zu
                              werden verdient, ist jener weiße krystallinische Stoff, den. man aus dem
                              geistigen Extrakte mittelst des Aethers erhaͤlt. Dieser Stoff besizt mehrere
                              Eigenschaften, welche ihn von jedem anderen bekannten Stoffe unterscheiden. So
                              bietet er, z.B., außer seiner großen Aufloͤsbarkeit im Alkohol und Aether,
                              eine merkwuͤrdige Eigenschaft an einem trokenen und krystallinischen Stoffe
                              dar, naͤmlich diese, durch Destillation eine Art wesentlichen Oehles zu
                              liefern, und sich gaͤnzlich zu verfluͤchtigen. Da dieser Stoff noch
                              uͤberdieß vollkommen neutral ist, so schlage ich den Namen Variolarin fuͤr dieselbe vor. Hier hat die
                              Lange des Namens nichts zu bedeuten, weil es sich um einen Stoff handelt, der
                              weniger nuͤzlich und weniger gesucht ist, als die Orcine.
                           Wir wollen nun noch sehen, ob diese ersten Resultate, so unvollkommen sie auch sind,
                              irgend eine nuͤzliche Anwendung in der Fabrikation der Orseille erlauben:
                              dieß wollen wir nun noch in Folgendem untersuchen.
                           Wir haben oben bereits gesagt, daß die Fabrikation der Orseille, wenigstens nach
                              demjenigen zu urtheilen, was uͤber dieselbe bisher bekannt gemacht wurde, dem
                              Schlendrian, der Empirie uͤberlassen ist. Das Verfahren, welches beinahe
                              allgemein bei derselben befolgt wird, ist noch immer dasjenige, welches Hr. Cocq beschrieben hat. Man muß indessen gestehen, daß,
                              seit einigen Jahren, mehrere Fabrikanten den guten Rath benuͤzt zu haben
                              scheinen, welchen dieser treffliche Beobachter in seiner lehrreichen Abhandlung
                              ihnen ertheilt hat, und namentlich den Rath, Ammonium Statt des Harnes zu brauchen.
                              Es ist sehr wahrscheinlich, daß die HHrn. J. M. Bourger zu Lyon und Huilard zu Paris
                              die Verbesserung ihrer Fabrikate dieser Anwendung des Ammoniums verdanken.
                           Es ist nach demjenigen, was wir uͤber die Natur und uͤber die
                              Eigenschaften der Orcine gesagt haben, offenbar, daß es
                              sich nicht bloß um Beseitigung der fettigen und harzigen Stoffe handelt, die die
                              Oberflaͤche der Flechte, wie ein Firniß uͤberziehen und dieselbe
                              beinahe undurchdringlich machen, wenn man den Farbestoff der Flechten entwikeln
                              will, sondern auch um die Einwirkung des Alkalis und sodann der Luft. Wie
                              verfaͤhrt man nun aber bei der alten herkoͤmmlichen Methode? Man mengt
                              vorlaͤufig, sagt Hr. Cocq, die Flechten mit dem
                              Harne; man ruͤhrt die Mischung von drei Stunden zu drei Stunden unter
                              einander, und schließt in der Zwischenzeit die Kufen sorgfaͤltig zu. Nachdem
                              man drei Tage lang Harn und Flechte auf einander ein- und gegenwirken ließ,
                              sezt man, mit der Vorsicht, die diese Koͤrper fordern, Kalk, Arsenikoxyd und
                              Alaun zu, und faͤngt dann wieder an umzuruͤhren, jedoch in
                              kuͤrzeren Zwischenraͤumen, und, wenn die Temperatur der Jahreszeit
                              eine lebhafte Ein- und Gegenwirkung veranlaͤßt, muß man beinahe alle Viertelstunden
                              umruͤhren, um eine Art von Rinde zu durchbrechen, die sich an der
                              Oberflaͤche bildet, die ganze Masse einhuͤllt, und die, wenn sie sich
                              verdichtete, das Fortschreiten der Arbeit erschweren wuͤrde.
                           Nach demjenigen zu urtheilen, was wir jezt uͤber diesen Gegenstand wissen, ist
                              es wahrscheinlich, daß einige unter den bei diesem alten Verfahren angewendeten
                              Mitteln geradezu schaͤdlich sind, und daß der Nuzen der uͤbrigen nur
                              hoͤchst mittelbar ist. Es ist z.B. offenbar, daß der Kalk nur zur Entwikelung
                              des Ammoniums dient, und da man nothwendig eine große Menge
                              uͤberschuͤssigen Kalkes nehmen muß, so kann dieser Ueberschuß leicht
                              schaͤdlich werden. Auf der anderen Seite wird der Alaun durch das Alkali des
                              Harnes zersezt, und laͤßt die Thonerde fahren: die Kalkerde und die Thonerde
                              vermehrt dann nicht bloß das Gewicht der Orseille zum Nachtheile des
                              Kaͤufers, sondern verschlingt auch einen großen Theil des kostbaren
                              Faͤrbestoffes, der darin gaͤnzlich verloren geht. Alle diese
                              Nachtheile verschwinden, wenn man Ammonium Statt des Harnes anwendet, wodurch
                              vielleicht der Kalk ganz entbehrlich wird, und wahrscheinlich auch der Alaun und der
                              Arsenik. Diese beiden lezten scheinen uns bloß dazu bestimmt, die Nachtheile zu
                              beseitigen, die der Harn hervorbringt. Diese Auswurfsfluͤssigkeit
                              enthaͤlt, wie man weiß, stikstoffhaltige, der Faͤulniß faͤhige
                              Stoffe, die die ganze organische vegetabilische Masse schnell in ihrer Zersezung mit
                              sich fortreißen wuͤrden, wenn man nicht ein Mittel dagegen aufstellte; die
                              Rolle dieses Mittels spielt, nach unserem Dafuͤrhalten, der Arsenik und ein
                              Theil des Alaunes. Und selbst diese Koͤrper schuͤzen nicht immer genug
                              gegen Faͤulniß; denn man ist oͤfters gezwungen, wo man derselben
                              vorbeugen oder wo man sie aufhalten will, der bereiteten Orseille etwas rothes
                              Queksilberoxyd zuzusezen, welches, wie man weiß, noch in einem weit hoͤheren
                              Grade faͤulnißwidrige Eigenschaften besizt.
                           Kann aber das Ammonium allein alle diese Beimischungen zur Orseille ersezen? Ich bin
                              nicht im Stande dieß behaupten zu koͤnnen; ich bin aber beinahe davon
                              uͤberzeugt, und meine Gruͤnde dafuͤr sind folgende. Ich ließ
                              eine gewisse Menge dieser Flechte in verduͤnntem Ammonium weichen, und
                              erhielt, nachdem sie mehrere Tage lang eingeweicht war, eine Tinctur, die sehr
                              schoͤn karmesinroth war. Ich muß indessen gestehen, daß die Flechte nicht so
                              schoͤn karmesinroth ward, als ich dieselbe befeuchtet den Daͤmpfen des
                              fluͤchtigen Alkali aussezte; ich erhielt auf diese leztere Weise, so wie es
                              bei dem zukerartigen Stoffe der Fall war, nur ein Rothbraun, und ich konnte auch
                              durch sorgfaͤltiges Troknen diese Farbe nicht veraͤndern. Indessen bin
                              ich uͤberzeugt, daß der schlechte Erfolg, den ich hatte, einzig und allein
                              von einem Fehler in
                              der Behandlung abhaͤngt, und ich bin um so mehr geneigt, dieß zu glauben, als
                              ich mit Sicherheit weiß, daß diejenigen, welche ihre Orseille mit Ammonium bereiten,
                              gleichfalls in ihrer Arbeit nicht immer gleichen Erfolg erhalten. Ich weiß auch, daß
                              sie diesen Wechsel der ungleichen Beschaffenheit des Ammoniums zuschreiben; es ist
                              aber noch weit wahrscheinlicher, daß diese Unfaͤlle von Umstaͤnden
                              abhaͤngen, die sie nicht gehoͤrig zu wuͤrdigen wissen. Um nur
                              ein einziges Beispiel hiervon anzugeben, will ich hier bemerken, daß,
                              waͤhrend ich ein Mal aus einer Flechte, die ich in alkalisirtem Wasser
                              macerirte, eine Tinctur von sehr reicher karmesinrother Farbe erhielt, ich, bei
                              demselben Versuche, mit denselben Materialien und zu derselben Zeit, nur eine
                              dunkelbraunrothe Fluͤssigkeit bekam, ohne daß ich, im Stande war, die Ursache
                              dieses Unterschiedes aufzufinden. Ich bemerkte bloß, daß das Gefaͤß, welches
                              die lezte Fluͤssigkeit enthielt, besser gestoͤpselt war, und daß mehr
                              Fluͤssigkeit die Flechte bedekte. Es ist uͤbrigens gewiß, wie ich
                              bereits bemerkte, daß die Luft eine große Rolle bei der Orseillebereitung spielt,
                              und daß, ohne dieselbe, die Orcine gar keine Farbe
                              erhaͤlt. Man ist also, auf der einen Seite, gezwungen, dieselbe in
                              geschlossenen Gefaͤßen zu behandeln, indem sonst das Ammonium sich
                              verstuͤchtigen und nicht auf die Flechte wirken wuͤrde; auf der
                              anderen Seite ist es unerlaͤßlich, von Zeit zu Zeit der Luft Zutritt zu
                              verschaffen, damit sie auf den durch das Alkali bereits modificirten Farbestoff
                              wirken kann; wahrscheinlich muß hier zwischen diesen auf einander folgenden
                              Einfluͤssen ein gehoͤriges Verhaͤltniß beobachtet werden, in
                              welchem der ganze sogenannte schwierige Punkt, der sogenannte Handgriff des
                              Fabrikanten gelegen ist.
                           Was uns berechtigt anzunehmen, daß das, was man heute zu Tage gereinigte Land-Orseille, oder violette
                                 Orseille nennt, (Orseille de terre
                                 épurée, orseille violette), welche troken und in Pulverform
                              verkauft wird (und die in der Faͤrberei eben dasjenige leistet, was die
                              Orseille aus den canarischen Inseln), nur mit Beihuͤlfe des Ammoniums allein
                              bereitet wird, ist dieses, daß sie durchaus kein zerfließendes Salz enthaͤlt,
                              wie dieß nothwendig jedes Mal der Fall seyn muß, wo man Harn und Kalk anwendet, und
                              daß sie keinen der Faͤulniß faͤhigen Stoff zu enthalten scheint, indem
                              sie sich unveraͤndert und ohne uͤblen Geruch aufbewahren
                              laͤßt.
                           Es scheint mir also, daß, wenn man den Faͤrbestoff aus den Orseilleflechten
                              auf eine schikliche Weise ausziehen, d.h. aus den fettigen und harzigen Stoffen, in
                              welchen er begraben liegt, so zu sagen zu Tage foͤrdern will, die
                              gleichzeitige Beihuͤlfe des Wassers, der Luft und des Ammoniums nothwendig
                              ist. Lezteres dient nicht bloß zur Faͤrbung der Orcine, sondern bildet auch mit dem Ueberzuge, der die Flechte umkleidet
                              und sie undurchdringlich macht, noch eine Art Seife. Es hat, bei dieser Arbeit, nach
                              meiner Ansicht, keine Gaͤhrung Statt, wie man behauptet hat: alles
                              beschraͤnkt sich bloß auf Ein- und Gegenwirkung der oben angezeigten
                              Reagentien, welche Ein- und Gegenwirkung natuͤrlich dort schneller und
                              staͤrker sich zeigt, wo die Temperatur der Atmosphaͤre mehr
                              erhoͤht ist.