| Titel: | Neueste Notizen über die Dampfwagen-Fahrten auf der Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester. | 
| Fundstelle: | Band 41, Jahrgang 1831, Nr. XX., S. 92 | 
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                        XX.
                        Neueste Notizen uͤber die
                           Dampfwagen-Fahrten auf der Eisenbahn zwischen Liverpool und
                           Manchester.
                        Notizen uͤber die Dampfwagen-Fahrten auf der
                           Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester.
                        
                     
                        
                           In den lezten Nummern des Mechanics' Magazine von den Monaten
                                 Maͤrz bis Juni dieses Jahres befinden sich mehrere,
                              groͤßten Theils polemische, Aufsaͤze uͤber diesen Gegenstand,
                              in welchen die Leistungen verschiedener neuer Dampfwagen auf der Liverpool-
                              und Manchester-Eisenbahn theils sehr hoch angeruͤhmt, theils scharf
                              getadelt werden, je nachdem diese Maschinen von einem oder dem anderen Ingenieur
                              erfunden und ausgefuͤhrt sind. Der Parteigeist gibt sich auch hier offenbar
                              zu erkennen, und wir finden es daher unnoͤthig, unseren Lesern die
                              vollstaͤndigen Uebersezungen aller dieser Aufsaͤze zu liefern, von
                              welchen wir nur das Wesentlichste und Interessanteste mittheilen wollen.
                           In No. 397. vom 19. Maͤrz d. J. wird, unter der
                              Aufschrift Steam-carriage performances on the
                                 Liverpool and Manchester Railway, ein Bericht aus dem Manchester Guardian vom 26. Februar im Auszuge
                              angefuͤhrt, und dem Verfasser desselben die groͤßte Befangenheit
                              fuͤr den Ingenieur der Eisenbahngesellschaft, Hrn. Stephenson, und Ungerechtigkeit gegen die Herren Braithwaite und Ericsson vorgeworfen. Aus dem Ganzen geht hervor, daß im:
                              Monate Februar ein neuer Dampfwagen von Hrn. Stephenson
                              auf die Bahn gebracht worden ist, dessen Wirkungen das groͤßte Aussehen
                              erregt haben, und Alles uͤbertrafen, was bis jezt in diesem Fache geleistet
                              worden ist. Diese Maschine fuͤhrt den passenden Namen Samson, hat 2 Cylinder von 14 Zoll Durchmesser, und wiegt, mit dem Wasser
                              im Kessel uͤber 8 Tonnen oder gegen 180 Centner. Mit einem Aufwande von 12
                              Centner abgeschwefelter Steinkohlen (Coke) zog dieser
                              Riese am 25. Februar dreißig an einander gehaͤngte Wagen, deren gesammte
                              Ladung 107 Tonnen und 5 Centner, oder 2145 Centner deren ganzes Gewicht aber mit den
                              Wagen uͤber 3000 Centner betrug, in 2 Stunden und 34 Minuten von Liverpool
                              nach Manchester, wobei die Maschine unter Wegs 13 Minuten lang stille stand, um
                              Wasser einzunehmen, so daß sie den ganzen Weg von 32 englischen Meilen eigentlich in
                              2 Stunden und 21 Minuten zuruͤklegte, was im Durchschnitt eine
                              Geschwindigkeit von 13 6/10 Meilen in einer Stunde gibt. Hiebei koͤmmt aber
                              zu bemerken, daß der Samson beim Ansteigen uͤber
                              die sanfte schiefe Flaͤche am Rainhill, deren Steigung nur 1/96
                              betraͤgt, die Huͤlfe von drei anderen guten Dampfwagen: dem Mars, dem Mercury und dem
                              Arrow, welche vorgespannt wurden, noͤthig
                              hatte.
                           Wir zweifeln keineswegs an der Richtigkeit dieser Angaben, finden aber, so
                              erstaunenswerth eine solche Wirkung in der That erscheint, uns doch weder zum
                              Verwundern noch zum Bewundern hingerissen. Wir glauben vielmehr, daß mit diesem
                              Versuche die Graͤnzen der Dampfbewegungskraft noch lange picht erreicht sind,
                              und daß man mit noch maͤchtigeren und schwereren Maschinen dieser Art (mit
                              einem neuen Goliath oder Hercules von 450 Centner Gewicht und 30 Zoll weiten
                              Cylindern) noch wert groͤßere Lasten, bis zu 20,000 Centnern in einem Zuge, auf
                              einer Eisenbahn fortschaffen koͤnnte. Wir sind indessen der Meinung, daß mit
                              solchen Tours de force in der Hauptsache Nichts
                              gewonnen, vielmehr der eigentliche Zwek einer nuͤzlichen Wirkung in einem geringeren Grade erreicht wird. Wenn es
                              naͤmlich darauf ankoͤmmt, die groͤßtmoͤgliche Last mit
                              dem geringsten Aufwande von bewegender Kraft, von Anlags- und
                              Unterhaltungs-Kosten, also auf die wohlfeilste
                                 Art, fortzuschaffen, so sind wir der Meinung, daß dieses Ziel durch eine
                              gehoͤrige Vertheilung der gegebenen Last weit besser und sicherer als durch
                              ein so monstroͤses Centralisationssystem zu erreichen sey. Ob 3000 Centner
                              Waaren durch eine einzige Maschine von 50 oder 60 Pferdekraͤften in Einem
                              Zuge, oder in fuͤnf Abteilungen, jede zu 600 Centnern Ladung durch
                              fuͤnf Maschinen von 10 oder 12 Pferdekraͤften mit derselben
                              Schnelligkeit fortgebracht werden, das mag wohl fuͤr den Kaufmann oder
                              Spediteur einerlei seyn; aber die Unternehmer oder Eigenthuͤmer der Eisenbahn
                              werden sich bei der lezteren Methode gewiß in jedem Betrachte am besten befinden.
                              Man bedenke nur, wie außerordentlich schwer es seyn muͤsse, solche ungeheuere
                              Massen zuerst in Bewegung zu sezen, und wie schwer und gefaͤhrlich,
                              dieselben, wenn sie ein Mal in vollem Schusse sind, noͤtigenfalls wieder
                              aufzuhalten. Man bedenke die fuͤrchterlichen Ungluͤksfaͤlle,
                              welche unvermeidlich entstehen muͤssen, wenn das Moment ihrer Bewegung durch
                              irgend ein zufaͤlliger Weise in ihren Weg gerathenes Hinderniß, einen quer
                              uͤber die Bahnschienen gefallenen Koͤrper, einen Stein, ein
                              Stuͤk Holz n. dergl, ploͤzlich gehemmt wird, oder, wenn ein solcher
                              Zug an einem anderen vorangegangenen, aber langsameren oder stehen gebliebenen
                              Wagenzug stoͤßt, in welchem Falle nichts Anderes zu erwarten waͤre,
                              als daß Alles in Truͤmmer zerschmettert, die Wagen aus ihren Geleisen
                              geschleudert und umgeworfen wuͤrde! – Man bedenke, daß, wenn an einem
                              so langen Train von 30 und mehreren Wagen irgend ein Bruch vorfaͤllt, oder
                              wenn die Dampfmaschine in Unordnung geraͤth und zu arbeiten aufhoͤrt,
                              der ganze Zug, so wie alle nachfolgenden Zuͤge, aufgehalten ist. Man bedenke
                              endlich, daß die eisernen Schienen und ihre Unterlagen, wenn sie unter so
                              ungeheueren Lasten nicht in kurzer Zeit zerstoͤrt werden sollen, um Vieles
                              staͤrker und schwerer gemacht, so wie auch die Bruͤken und
                              Daͤmme, woruͤber die Bahn gefuͤhrt wird, staͤrker gebaut
                              werden muͤssen, und daß folglich die Kosten der ganzen Anlage und ihre
                              Unterhaltung in gleichem Verhaͤltnisse hiedurch vermehrt werden.
                           Man hat bei der ersten Einfuͤhrung der Eisenbahnen in England vor 60–70
                              Jahren den großen Fehler begangen, die ganze Last, welche ein Pferd auf denselben
                              fortzuziehen vermochte, d.i. 80 bis 100 Centner, auf einen ungeheueren Wagen zu laden, und es
                              war eine der wichtigsten Verbesserungen der neueren Zeit, daß man auf den
                              gescheidten Einfall gerieth, diese Ladung auf mehreren kleineren Wagen zu
                              vertheilen. Warum will man jezt mit den Dampfwagen wieder einen Ruͤkschritt
                              zu jenem alten Fehler machen? –
                           Wann werden die Herren Mechaniker sich endlich uͤberzeugen, daß das wahre
                              Geheimniß, große Massen mit Vortheil zu eigenen Zweken zu beherrschen, in der
                              Bewegungs wie in der Regierungs-Kunst, in dem: divide
                                 et impera besteht? –
                           
                              J. v. B.