| Titel: | Ueber das Beschneiden der Obstbäume. Von Hrn. T. S. B. | 
| Fundstelle: | Band 42, Jahrgang 1831, Nr. CXV., S. 424 | 
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                        CXV.
                        Ueber das Beschneiden der Obstbaͤume. Von
                           Hrn. T. S. B.
                        Aus dem Repertory of Patent-Inventions. August
                              1831, S. 111.
                        Ueber das Beschneiden des Obstbaͤume
                        
                     
                        
                           Die Rinde der Baͤume besteht aus drei Theilen: aus dem aͤußeren rauhen
                              Theile (der eigentlichen Rinde), aus dem mittleren, weichen und schwammigen (dem
                              Baste), und aus dem inneren weißen Theile, (dem Splinte), welcher die Rinde mit dem
                              Holze verbindet, und welcher, wie man annimmt, den Saft fuͤhrt. Wenn der
                              Stamm des Baumes oder das Holz zu schnell gegen die aͤußere Rinde
                              waͤchst, so entstehen in dieser lezteren Risse; diesem Nachtheile kann man
                              abhelfen, wenn man die Rinde mit einem Messer einschneidet. Hiebei muß man aber
                              sorgfaͤltig Acht geben, daß nicht auch der innere weißliche Theil, der
                              Splint, mit durchschnitten werde, denn dieser Theil heilt sehr langsam und
                              verschwaͤrt meistens; auch gibt man durch das Durchschneiden desselben den
                              Insecten Gelegenheit zwischen die Rinde und das Holz einzudringen, wo sie dann große
                              Verheerungen anrichten.
                           Das Beschneiden ist in Ruͤksicht auf die Gesundheit der Baͤume von sehr
                              großer Wichtigkeit, und wenn dasselbe mit Verstand und Einsicht geschieht, so werden
                              die Baͤume nicht nur fruͤhzeitig zum Tragen kommen, sondern auch
                              beinahe zwei Mal so lang in voller Gesundheit und Kraft erhalten bleiben, als es
                              sonst gewoͤhnlich der Fall ist. Die meisten der Beschneidsysteme sind jedoch
                              so weitschweifig, daß sie von den meisten Landwirthen nicht verstanden werden, und
                              die Gaͤrtner geben sich so selten mit den Obstgaͤrten ab, daß das
                              Beschneiden in der Mehrzahl der Faͤlle der Natur und dem Winde
                              uͤberlassen bleibt.
                           Ich mache beim Beschneiden keinen Unterschied zwischen Trag- und Holzzweigen,
                              und lege als Regel zum Grunde, daß kein Zweig abgeschnitten werden soll, ausgenommen
                              die Gestalt des Baumes erfordert es. Soll nun ein Zweig abgeschnitten werden, so
                              nehme ich ihn jedes Mal dicht an seinem Ursprunge weg, indem hiebei die Wunde sehr
                              schnell heilt. Je mehr die Aeste kreisfoͤrmig mit einer geringen Neigung nach
                              Oben austreiben, um so gleichfoͤrmiger wird der Saft vertheilt werden, und um
                              so besser wird der Baum tragen, denn unter diesen Umstaͤnden wird der Saft am
                              gleichmaͤßigsten an jeden Theil getrieben werden.
                           Man soll die Kreise oder Reihen der Aeste nicht zu nahe an einander lassen, indem
                              alle Fruͤchte und Blaͤtter ihre gehoͤrige Menge Sonnenschein
                              erhalten muͤssen; und wo es thunlich ist, lasse man die Mitte des Baumes innen ganz frei
                              von Holz, so daß sich nie ein Ast mit einem anderen kreuzt, und alle mit ihren Enden
                              auswaͤrts streben.
                           Ein Obstgarten, der einem meiner Paͤchter gehoͤrt, und der sich auf
                              einem sehr fetten Boden befindet, wuchs sehr schnell; das Holz der Baͤume war
                              daher sehr weich, so daß durch die Leitern beim Abnehmen der Fruͤchte und
                              durch die Winde viele Aeste abgebrochen wurden, und nicht bloß hierdurch, sondern
                              auch durch die zahlreichen Insecten, die durch den ausschwizenden Saft angelokt
                              wurden, großer Schaden entstand. Ich besichtigte diesen Obstgarten 8 Jahre nachdem
                              er gepflanzt worden war, und fand die Aeste der Baͤume so in einander
                              verworren, daß sie einander an vielen Stellen zur Haͤlfte durchschnitten
                              hatten, wodurch Wunden und Blattern, und in deren Folge im Fruͤhjahre immer
                              eine Neigung der Blaͤtter sich zusammenzurollen entstanden, was ein Beweis
                              des verdorbenen Saftes ist. Den naͤchsten Herbst leitete ich das Beschneiden
                              dieser Obstbaͤume nach obigen Grundsaͤzen, wobei ich die Aeste immer
                              ganz kurz und ganz glatt wegschnitt; waren die Aeste zu groß, als daß dieß mit dem
                              Messer oder Beile geschehen konnte, so nahm ich die Saͤge, und
                              glaͤttete die dadurch entstandene Flaͤche dann mit dem Messer. Die auf
                              diese Weise entstandenen Wunden bestrich ich jedes Mal mittelst eines Mahlerpinsels
                              mit der Composition, welche ich weiter unten angeben werde. Ich schnitt immer
                              innerhalb des Holzes, damit die neu erzeugte Rinde die Wunde leichter bedeken
                              konnte. Jeder Ast, der nahe am Boden zum Vorscheine kam, und irgend eine wesentliche
                              Verlezung erlitten hatte; jeder Ast, dessen Blaͤtter stark zusammengerollt
                              waren, und der folglich flekige (specky) Fruͤchte
                              getragen haben wuͤrde, und jeder Ast, der die geringste Neigung hatte, den
                              Baum zu durchkreuzen oder nach Innen zu wachsen, wurde entfernt. Ferner wurde auch
                              der Schoͤnheit der Krone die gehoͤrige Aufmerksamkeit geschenkt, indem
                              ich saͤmmtliche Aeste so viel als moͤglich gleich weit von einander
                              entfernt ließ. Zunaͤchst wurden dann die Blattern aufgesucht,
                              geoͤffnet und mit dem Messer ausgeschnitten; wo die Rinde zerrissen war,
                              wurde sie behutsam weggeschnitten, bis das lebende Holz zum Vorscheine kam, und dann
                              die Wunde mit der Salbe bestrichen. Ich wollte auch das Moos von den Baͤumen
                              entfernen, und dieselben anstreichen, wurde aber durch Mangel an Zeit daran
                              verhindert. Beim Schneiden befolgte ich die chirurgische Regel, bis auf das Fleisch
                              einzudringen, ohne jedoch dabei irgend eine Wunde groͤßer als nothwendig zu
                              machen. Herrscht ein Zweifel daruͤber, ob ich einen bestimmten Ast entfernen
                              sollte oder nicht, so lasse ich mich von der Betrachtung leiten, ob dieser Ast, wenn
                              er belassen wird, in den naͤchsten drei Jahren im Wege stehen wuͤrde
                              oder nicht: ist naͤmlich dieß der Fall, so ist es um so besser, je fruͤher
                              man denselben wegnimmt. Werden die Baͤume zu stark ausgeschnitten, so treiben
                              sie im naͤchsten Fruͤhjahre gewoͤhnlich eine große Menge junger
                              Triebe aus, welche sorgfaͤltig abgerissen werden muͤssen: das Abreißen
                              ist hier besser als das Abschneiden, indem durch das Schneiden die Zahl der Triebe
                              nur noch vermehrt wird.
                           Das Fruͤhjahr nach dieser Operation besichtigte ich denselben Obstgarten
                              wieder, und fand nun die Paͤchter desselben uͤber die gute Wirkung
                              eben so erfreut, als sie anfangs mit der Operation unzufrieden waren. Ich fand unter
                              100 Wunden nicht eine einzige, welche nicht in der Heilung begriffen gewesen
                              waͤre: dieß ist von großer Wichtigkeit, da man eine große Menge derselben
                              machen muß, indem es ein reines Vorurtheil ist, wenn man glaubt, daß ein mit Holz
                              uͤberladener Baum gute Fruͤchte tragen kann: eben so gut kann man eine
                              gute Ruͤbenernte erwarten, wenn man dieselben nicht behakt.
                           Die Salbe, deren ich mich zum Bestreichen der gemachten Wunden bediene, besteht aus
                              1/4 Unze fein gepulverten aͤzenden Queksilbersublimates, den ich in einem
                              Glase Wachholderbranntwein oder in irgend einem anderen Geiste aufloͤse, und
                              dann in einen irdenen, drei Pinten fassenden, Topf gieße; in diesem seze ich nun
                              nach und nach und unter bestaͤndigem Umruͤhren, so lang fort
                              vegetabilischen Theer zu, bis das Gefaͤß voll, und die Mischung so innig als
                              moͤglich geschehen ist. Die hier angegebene Quantitaͤt wird
                              fuͤr 200 Baͤume hinreichen. Man muß wegen der giftigen Eigenschaften
                              des Sublimates sehr vorsichtig mit dieser Mischung umgehen.Wir stimmen bis auf die Composition der Salbe vollkommen mit den Vorschriften
                                    des Hrn. B. uͤberein, und wuͤnschen sehnlich, daß dieselben
                                    auch in unserem Vaterlande allgemein verbreitet werden, damit man nicht bei
                                    jedem Schritte auf dem Lande wegen der Verwahrlosung der Obstbaͤume
                                    mit Mitleid und Wehmuth uͤber die Unwissenheit, und mit Indignation
                                    uͤber die Sorglosigkeit ihrer Besizer erfuͤllt werde. Was nun
                                    aber die hier empfohlene Salbe betrifft, so zweifeln wir, daß Hr. B. ihre
                                    Zusammensezung aus der Erfahrung schoͤpfte, sondern vermuthen
                                    vielmehr, daß er sie von einem Marktschreier erhielt, wovon das gepriesene
                                    England so sehr wimmelt. Die Wirkung eines jeden Pflasters oder einer jeden
                                    Salbe zum Bestreichen der Wunden an Barmen besteht lediglich in Abhaltung
                                    der Luft und der Feuchtigkeit; die Vernarbung oder Heilung kann einzig und
                                    allein durch die Natur bewirkt werden, und bedarf, wenn der Baum gesund ist,
                                    keiner weiteren Beihuͤlfe; ist derselbe hingegen krank, so wird er
                                    gewiß hoͤchst selten des Sublimates beduͤrfen, der, wie
                                    zahlreiche Versuche der Botaniker beweisen, beinahe auf alle
                                    Gewaͤchse eine sehr feindliche und zerstoͤrende Wirkung
                                    ausuͤbt, und daher in den meisten Faͤllen mehr schaden als
                                    nuͤzen muß. Der einzige Grund fuͤr den Zusaz des
                                    Queksilbersublimates, den wir einsehen, moͤchte Abhaltung der
                                    Insecten seyn; allein eben dieß erreicht man durch die weit einfachere und
                                    weniger schaͤdliche Queksilbersalbe eben so sicher. Wir glauben daher
                                    gegen die allgemeine Einfuͤhrung der Salbe des Hrn. B. sowohl wegen
                                    der schaͤdlichen Einfluͤsse derselben auf die Vegetation, als
                                    auch deßwegen protestiren zu muͤssen, weil durch ihre Verbreitung auf
                                    dem Lande sehr leicht auch Ungluͤk durch Mißbrauch oder Verwechslung
                                    entstehen koͤnnte. Viele unserer Landleute wenden naͤmlich
                                    alle Arten von Baumpflastern und Salben auch bei Menschen an, weil sie den
                                    verzeihenswerthen Schluß machen, daß das, was Pflanzen gut thut, auch ihnen
                                    gut seyn koͤnne oder muͤsse; oder weil sie sich fuͤr
                                    baumstark halten. A. d. Ue.