| Titel: | Astronomische Pendelwage, nebst einer neuen Nivellirwage, erfunden und dargestellt von Lorenz Hengler, akademischen Bürger an der Hochschule zu München. | 
| Autor: | Lorenz Hengler | 
| Fundstelle: | Band 43, Jahrgang 1832, Nr. XVI., S. 82 | 
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                        XVI.
                        Astronomische Pendelwage, nebst einer neuen
                           Nivellirwage, erfunden und dargestellt von Lorenz Hengler, akademischen Buͤrger an
                           der Hochschule zu Muͤnchen.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              II.
                        Hengler's astronomische Pendelwage.
                        
                     
                        
                           Es ist allgemein bekannt, welche wichtige Rolle das Pendel sowohl im
                              wissenschaftlichen als civilen Leben spielt; seine ausgebreitete, mannichfaltige
                              Anwendung zu so vielen und verschiedenen Zweken macht es zu einem der wichtigsten
                              Instrumente. Doch scheint mir noch eine Seite uͤbrig zu seyn, von welcher es
                              noch nicht benuzt worden ist, wenigstens noch nicht so, wie es seiner Natur nach
                              haͤtte benuzt werden koͤnnen; – ich meine naͤmlich als
                              Instrument diejenigen bewegenden Kraͤfte zu messen, welche nicht in
                              paralleler Richtung mit der Schwere wirken.
                           Es ist naͤmlich bekannt, daß das Pendel, wenn es von der Schwere allein
                              afficirt wird, nur in vertikaler Lage ruht, und daß eine gewisse Kraft, die aber
                              nicht parallel mit der Schwere wirken darf, erfordert wird, dasselbe aus der
                              senkrechten Lage zu bringen, welche Kraft dem Sinus des
                              Elevationswinkels proportional ist; daher ließe sich durch das Pendel jede solche
                              einwirkende Kraft genau bestimmen. Allein da es viele Kraͤfte gibt, die im
                              Verhaͤltniß zur Schwere so gering sind, daß wir den Sinus des durch sie
                              erzeugten Elevationswinkels bei einem Pendel von der Laͤnge, die wir ihm zu
                              geben im Stande sind, unmoͤglich wahrnehmen koͤnnen; so sind wir auch
                              nicht im Stande, solche Kraͤfte durch ein gewoͤhnliches Pendel zu
                              messen. So wissen wir wohl, daß z.B. jeder Koͤrper auf der Oberflaͤche
                              der Erde gegen den Mond, gegen die Sonne etc. zu einer Zeit staͤrker
                              gravitiren muͤsse, als zu einer anderen, je nachdem er auf der, diesem
                              Koͤrper zu- oder abgewandten Seite sich befindet; und das Pendel
                              muͤßte diese Differenz seiner Natur nach genau anzeigen; allein hiezu
                              waͤre schon ein Pendel von mehreren tausend Fuß Laͤnge noͤthig,
                              um nur eine Spur von dieser Differenz wahrnehmen zu koͤnnen. Eben so
                              verhaͤlt es sich mit vielen anderen Kraͤften, welche alle ganz genau
                              durch das Pendel bestimmt werden koͤnnten, wenn wir im Stande waͤren,
                              ihm jede beliebige Laͤnge zu geben. –
                           Diese Schwierigkeit nun glaube ich durch eine Vorrichtung, die ich nachher
                              beschreiben werde, uͤberwunden zu haben, so daß man im Stande ist ein Pendel, oder
                              eigentlich eine PendelwageDenn es ist ein Mittelding zwischen Pendel und Wage, wie aus der Theorie
                                    erhellen wird. Ich gab ihm den Namen „astronomische Pendelwage,“ weil sie
                                    vorzuͤglich fuͤr astronomische Untersuchungen bestimmt
                                    ist. zu verfertigen, die an Empfindlichkeit einem gewoͤhnlichen Pendel von
                              jeder, selbst von unendlicher Laͤnge gleichkommt, und man daher ein
                              Instrument hat, jede auch noch so geringe Kraft, welche nicht in paralleler Richtung
                              mit der Schwere wirkt, zu messen. –
                           
                        
                           §. 1.
                              Princip dieser Pendelwage.
                           Diese Pendelwage beruht auf dem Princip, daß man ein Pendel in einer gegen den
                              Horizont geneigten Ebene schwingen laͤßt, anstatt in einer senkrechten, wie
                              es bei gewoͤhnlichen Pendeln der Fall ist, und hier gilt folgender
                              Lehrsaz:
                           
                              „Bei einem in schiefer Ebene schwingenden Pendel verhaͤlt sich die
                                 Elevationskraft zur Schwere, wie das Produkt aus dem Sinus des in dieser Ebene
                                 beschriebenen Elevationswinkels in den Sinus des Neigungswinkels der schiefen
                                 Ebene zu dem Produkte aus der Laͤnge des Pendels in die Laͤnge der
                                 schiefen Ebene; oder wenn
                              
                           
                              γ, die genannte Kraft,
                              
                           
                              G, die Schwere,
                              
                           
                              a, der Sinus des Elevationswinkels,
                              
                           
                              L, die Laͤnge der schiefen Ebene,
                              
                           
                              l, die Laͤnge des Pendels und
                              
                           
                              α, der Sinus des Neigungswinkels
                              
                           
                              ist; so verhaͤlt sich γ : G = aα : lL; also
                              
                           
                              γ = aα/lL . G.“
                              
                           Beweis.
                           1) Es sey ABCD
                              Fig. 20 eine
                              Ebene, die gegen den Horizont unter dem Winkel EAD
                              geneigt ist, und daher ED der Sinus des
                              Neigungswinkels.
                           In F sey ein Koͤrper, so bewegt sich dieser in der
                              Richtung FH (wenn FH
                              perpendikular auf AB ist) mit einer Kraft, die sich zur
                              Schwere verhaͤlt, wie DE : AD, oder wenn diese Kraft = g, die Schwere =
                              G ist; so verhaͤlt sich g : G = ED : AD, daher
                           g = ED/AD . G;
                           oder wenn diese Bewegung entweder durch eine Unterlage mn oder durch den Faden KF
                              gehindert wird, so wird der Faden mit der naͤmlichen Kraft g gespannt, oder die Unterlage gedruͤkt. (In
                              diesem Falle ist mn # AB und
                              KF senkrecht auf AB.)
                           
                           2) Denkt man sich die Unterlage aber so, daß sie die Lage uv, oder den Faden, daß er die Richtung MF
                              (senkrecht auf uv) hat, so wird auch jezt wieder die
                              Kraft g in zwei Kraͤfte zerlegt, wovon die eine
                              auf die Unterlage uv druͤkt, die andere den
                              Koͤrper in der Richtung Fu bewegt, und wenn diese
                              leztere = γ ist, so verhaͤlt sich (weil
                              ∆ Fp ∆ uFm  mFM) γ : g = mF : MF und nach N. 1
                           
                              
                                 g : G
                                 = ED
                                 :
                                 
                                    AD
                                    
                                 
                              
                                 ––––––––––––––––
                                 
                              
                                 γ : G
                                 = mF
                                 ×
                                 ED : MF × AD das heißt:
                                 
                              
                           da mF der Sinus des Elevationswinkels = a
                              
                           ED der Sinus des Neigungswinkels = α
                              
                           MF die Laͤnge des Pendels = I
                              
                           AD die Laͤnge der schiefen Ebene = L,
                           γ : G = aα : lL also γ = aα/lL G.
                           Da sowohl der Winkel EAD als auch der Winkel mFu = mMF beliebig genommen
                              ist, so gilt der Beweis natuͤrlich fuͤr jeden anderen, also allgemein.
                              –
                           
                        
                           §. 2.
                              Beschreibung des Instrumentes.
                           Siehe Fig. 1.
                           Um einen Koͤrper in einer gegen den Horizont geneigten Ebene schwingen zu
                              lassen, wobei die Reibung fast gaͤnzlich aufgehoben ist, mache man folgende
                              Einrichtung:
                           Es seyen A und B senkrecht
                              uͤbereinanderstehende feste Punkte; DH und AF zwei Faͤden, welche in A und H befestigt sind, und den Hebelarm DP, dessen Schwerpunkt nach P faͤllt, in horizontaler Lage halten; so wird dieser Hebelarm nur
                              in einer mit der Linie MN (welche durch H und B gezogen ist)
                              parallelen Lage ruhen, und jedes Mal wieder dahin zuruͤkkehren, wenn er durch
                              irgend eine Kraft aus dieser Lage gebracht worden ist, oder eigentlich nach Art
                              eines Pendels hin- und herschwingen, und zwar in einer schiefen Ebene, deren
                              Neigungswinkel = < HAB ist. Man mag daher ein
                              Gewicht oder eigentlich den Schwerpunkt des Hebelarmes auf jeden beliebigen Punkt
                              desselben uͤbertragen, so beschreibt er Schwingungen in einer unter dem
                              Neigungswinkel HAB gelegten Ebene, wobei die
                              Laͤnge des Pendels dem Abstand von dem Punkte Z
                              (wenn dieses der Punkt ist, wo die Linie HA den Hebelarm
                              schneidet) proportional ist.
                           Denn man waͤhle sich den Punkt F, ziehe Fu senkrecht auf AH und
                              drehe den Hebelarm um die Linie AH als Axe (denn diese
                              ganze Linie ist unbeweglich, weil die Punkte A und H unbeweglich sind), so beschreibt die Linie F eine Kreisflaͤche und F einen Kreis
                              in einer Ebene, welche gegen den Horizont unter dem Winkel uFz = HAB geneigt ist, was sogleich
                              einleuchtet, wenn man sich das ∆ AFu als festen
                              Koͤrper denkt, welcher alsdann einen Kegel beschreibt, dessen Axe Au ist und dessen Grundflaͤche uF zum Radius hat. Aus dem naͤmlichen Grunde
                              beschreiben die Punkte x, P, Kreise in einer schiefen
                              Ebene, deren Neigungswinkel vxz = wPz = uFz = HAB
                              sind und deren Radien dem Abstande von z proportional
                              sind, d.h. fuͤr den Punkt P ist Pw, fuͤr x ist xv der Radius.
                           Will man nun die Kraft γ, die erfordert wird, fuͤr den
                              Elevationswinkel, dessen Sinus = a ist, obige Gleichung
                              hier anwenden, so ist HB der Sinus des Neigungswinkels
                              der schiefen Ebene = a,
                           AH die Laͤnge derselben = L
                              
                           wP die Laͤnge des Pendels = l; daher
                           γ = (a.HB)/(AH.wP) G,
                           oder da man, wenn der Winkel HAB =
                              wPz sehr klein ist (wie hier gewoͤhnlich),
                              ohne merklichen Fehler AB statt AH, und Pz statt Pw sezen kann; so ist auch
                           γ = (a.HB)/(AB.Pz) G.
                           
                        
                           §. 3.
                              Hauptpunkte zur Beruͤksichtigung bei Verfertigung
                                 dieser Wage.
                           1) Die Punkte A und D
                              muͤssen unbeweglich fest seyn; es wird daher zur Aufstellung dieses
                              Instrumentes ein eben so festes Lokal erfordert, als zu irgend einem anderen
                              astronomischen Instrumente.
                           2) Die Faͤden AF und DH duͤrfen keine drehende Kraft haben, auch keine bekommen durch
                              jede barometrische, hygrometrische und thermometrische Veraͤnderung; sie
                              duͤrfen daher nicht aus geflochtenen oder gesponnenen Stoffen seyn, sondern
                              aus gewobenen oder reinen Naturprodukten, z.B. ungesponnener Seide, Roßhaar etc.
                           3) Alle fremden Kraͤfte muͤssen abgehalten werden, besonders Luftzug,
                              oder auch Magnetismus, Elektricitaͤt etc. Der Hebelarm darf daher nicht aus
                              Eisen oder uͤberhaupt aus keinem Material, auf welches Magnetismus oder
                              Elektricitaͤt besonderen Einfluß haben, verfertigt werden. Um den Luftzug
                              moͤglichst abzuhalten, wird das ganze Instrument hermetisch verschlossen, so
                              daß nur bei P mittelst eines Mikroskopes der Hebelarm
                              betrachtet werden kann, der sich dort in eine feine Spize endigt, unter welcher eine
                              Skale angebracht ist.
                           
                           4) Auch ist noch eine Vorrichtung zu treffen, den Hebelarm in Ruhe zu bringen; denn
                              sonst waͤre man genoͤthigt den Stand desselben durch die
                              Graͤnzen der Oscillation selbst zu bestimmen, weil der Hebelarm, wenigstens
                              nach meinen bisherigen Beobachtungen niemals ganz ruhig ist.
                           
                        
                           §. 4.
                              Leichtere Bestimmung der Kraft (γ).
                           Aus der Gleichung γ = (a.H)/(AB.Pz) G (§. 2.)
                              laͤßt sich die Kraft γ zwar theoretisch
                              ganz genau bestimmen; allein wenn das Instrument bei maͤßiger Groͤße
                              sehr empfindlich seyn soll, so muß HB so klein werden,
                              daß man es unmoͤglich genau messen kann; und es ist daher in diesem Falle
                              wuͤnschenswerth, ein anderes Mittel zu haben, wodurch diese Kraft γ bestimmt werden kann. Ein solches Mittel ist
                              die Schwingungszeit des Hebelarmes. Es ist naͤmlich aus der Pendellehre
                              bekannt, daß sich bei gleichen Pendellaͤngen die Schwingungszeiten verkehrt
                              verhalten, wie die Quadratwurzeln der bewegenden Kraͤfte; oder wenn ein
                              Pendel, bei welchem eine Kraft = G wirkt, eine
                              Schwingungszeit = t hat, ein anderes aber von gleicher
                              Laͤnge, bei welchem eine Kraft = g wirkt, eine
                              Schwingungszeit = nt hat; so verhaͤlt sich G : g = n²t² : t². – Wenn nun t eine Sekunde, also nt, n Sekunden bedeutet,
                              so verhaͤlt sich G : g = n² : t.
                              Nun aber verhaͤlt sich bei einem Sekundenpendel, dessen Laͤnge = λ, die Elevationskraft = λ fuͤr den Elevationswinkel, dessen Sinus a ist, zu der bewegenden Kraft g oder γ : g = a : λ
                              und nach oben
                           
                              
                                 g : G
                                 = r : n², also
                                 
                              
                                 –––––––––––––
                                 
                              
                                 γ : g
                                 = a : λn² daher
                                 
                              
                           γ = a/λn² G.
                           Auf diese Art laͤßt sich nun γ sehr leicht
                              bestimmen. Es sey z.B. die Schwingungszeit oder
                           n = 100 Sekunden und
                           a =     1 Linie
                           λ = 306 Linien; so ist
                           γ = 1/3060000 G.
                           
                        
                           §. 5.
                              Resultate aus meinen bisherigen Versuchen.
                           Aus der Theorie dieser Pendelwage ergibt sich von selbst, daß sie ein Instrument ist,
                              durch welches jede, selbst die geringste bewegende Kraft gemessen werden kann; denn
                              um nur Ein Beispiel der Empfindlichkeit anzufuͤhren,
                           
                              
                                 so sey
                                 n = 1000 (in obiger
                                    Bedeutung)
                                 
                              
                                 
                                 a = 0,001 Linie (denn durch
                                    ein Mikroskop von
                                    100maliger      Linearvergroͤßerung
                                    koͤnnen wir 0,001 Linie noch
                                    genau      unterscheiden), so
                                    ist
                                 
                              
                           γ = 0,001/306.1000000 G =
                              1/306000000000 G.
                           Dieses habe ich auch durch meine Versuche bestaͤtigt gefunden.
                           1) Meine ersten Versuche richteten sich auf die Attraction der Sonne und des Mondes.
                              Zu diesem Zweke ließ ich in einem Zimmer von 16' Hoͤhe meine Wage, dessen
                              Hebelarm 10' Laͤnge hatte, anbringen, suchte hiezu zwei Punkte aus, den einen
                              oben an der Deke des Zimmers, den anderen unten auf dem Boden desselben, die mir die
                              festesten schienen und zugleich eine solche Lage hatten, daß der Hebelarm eine
                              Schwingungszeit von 5 Minuten erhielt. Die Empfindlichkeit der Wage war daher sehr
                              groß; denn γ = a/(306.90000) G, und da ich mittelst des oben
                              genannten Mikroskopes 0,001 Linie noch genau unterscheiden konnte, so war ich im
                              Stande eine Kraft zu messen, welche = 1/(90000.306.1000) G = 1/27540000000 G war.
                           Dieses Instrument verschloß ich hermetisch, so daß nur der Hebelarm bei P mittelst des Mikroskopes betrachtet werden konnte. Ich
                              stellte nun im Neumonde des Monats Maͤrz die Wage so, daß der Hebelarm
                              Mittags 12 Uhr in der Mittagslinie ruhte, und nun machte er folgende Oscillationen:
                              Von 12 Uhr an zog er sich immer mehr und mehr gegen Westen, bis etwas nach 3 Uhr;
                              kehrte dann wieder allmaͤhlich zuruͤk, so daß er etwas nach 6 Uhr
                              wieder in der Mittagslinie stand; zog sich dann nach und nach hinuͤber gegen
                              Osten, bis nach 9 Uhr; kehrte dann allmaͤhlich wieder zuruͤk, so daß
                              er gegen 12 1/2 Uhr wieder in der Mittagslinie stand. Diese Oscillationen
                              wiederholte er immer in der naͤmlichen Zeit, wovon ich mich zwei Monate lang
                              taͤglich uͤberzeugte. Wenn ich die Graͤnzen der Oscillationen
                              an verschiedenen Tagen verglich, so zeigte es sich, daß sie am groͤßten waren
                              zur Zeit des Neu- und Vollmondes; am kleinsten aber in den Quadraturen. Das
                              taͤgliche Ab- und Zunehmen aber auch nur einiger Maßen zu bestimmen,
                              bin ich wegen der Untauglichkeit des Lokales nicht im Stande und kann also nur das
                              als unbezweifeltes Endresultat annehmen, daß diese Oscillationen der Wage wirklich
                              von der Attraction der
                              Sonne und des Mondes herruͤhrten; bin aber auch uͤberzeugt, daß man
                              die Attractionskraft des Mondes selbst und daher auch seine Maße durch dieses
                              Instrument genau bestimmen kann, sobald man ein dazu taugliches Lokal hat.
                           2) Versuche anderer Art stellte ich an in Beziehung auf die Kraft, mit welcher ein
                              Koͤrper sich gegen den Aequator zu bewegen strebt, wegen der Axendrehung der
                              Erde. Zu diesem Zweke machte ich folgende Vorrichtung:
                           (Siehe Fig. 2.)
                           In einem Gebaͤude von 100 Fuß Hoͤhe suchte ich zwei moͤglichst
                              feste Punkte A und B (wenn
                              mn das Dach und uv den
                              Boden des Gebaͤudes vorstellen), brachte meine Wage so an, daß der Faden AF 1/2 Fuß, also BD 99 1/2
                              Fuß lang und der Hebelarm folglich ganz oben war; anstatt das Gewicht unmittelbar in
                              P anzubringen, befestigte ich dasselbe mittelst
                              eines Fadens PQ so, daß es beinahe auf dem Boden war;
                              regulirte nun die Wage so, daß der Hebelarm senkrecht auf der Ebene des
                              Mittagskreises stand, zog endlich das Gewicht von Q nach
                              P hinauf, und so zog sich auch der Hebelarm nach
                              Suͤden und zwar so bedeutend, daß ich schon bei einer Erhoͤhung von
                              einigen Fuß eine Differenz wahrnehmen konnte. Die Wage war natuͤrlich
                              hermetisch verschlossen, hatte die naͤmliche Empfindlichkeit wie oben und das
                              naͤmliche Mikroskop zur Beobachtung. Obgleich diese Versuche in kurzer Zeit
                              sehr oft wiederholt und abgeaͤndert werden koͤnnen, und man also in
                              kurzer Zeit genaue Resultate erhalten kann, zumal da alle jene
                              Unregelmaͤßigkeiten, welche aus Temperaturwechsel etc. entstehen, hier wegen
                              Kuͤrze der Zeit, welche zu einem Versuche noͤthig ist,
                              gaͤnzlich wegfallen; so habe ich doch bis jezt noch nicht genau bestimmen
                              koͤnnen, wie viel fuͤr jeden Fuß Erhoͤhung des Gewichtes der
                              Hebelarm gegen Suͤden sich wendet, und kann einstweilen nur das als bestimmt
                              behaupten, daß diese Wage wirklich eine solche Empfindlichkeit hat, daß sie durch
                              genannte Kraft afficirt, diesen Ausschlag gibt und zugleich ein directer Beweis
                              fuͤr die Axendrehung der Erde ist.
                           3) Ich stellte noch Versuche anderer Art an, wovon ich aber keine bestimmten
                              Resultate wegen Untauglichkeit meines Lokales geben kann. Diese Versuche betreffen
                              naͤmlich die Frage: „ob alle Materie gleich gravitire gegen den
                                 Mond und gegen die Sonne.“
                              
                           Es ist naͤmlich klar, daß wenn man zwei oder mehrere in jeder Beziehung ganz
                              gleiche Wagen dieser Art haͤtte und auf jede derselben ein Gewicht der
                              naͤmlichen Materie legen wuͤrde, alle zu gleicher Zeit den
                              naͤmlichen Ausschlag gegen den Mond und gegen die Sonne geben muͤßten.
                              Waͤren aber die Gewichte von verschiedener Materie, so konnten sie nur dann
                              gleichen Ausschlag geben, wenn alle Materie gleich gravitirte; allein
                              hieruͤber etwas Bestimmtes sagen zu koͤnnen, reichen meine bisherigen
                              Versuche nicht hin.
                           
                        
                           §. 6.
                              Anwendung dieser Wage als Nivellirwage.
                           Vielleicht konnte diese Wage noch in manchen anderen Faͤllen ihre Anwendung
                              finden, wenigstens glaube ich auf diese Art eine Nivellirwage verfertigen zu
                              koͤnnen, die manche Vorzuͤge vor den anderen haben moͤchte. Daß
                              man durch bisherige Instrumente nicht im Stande ist vollkommen zu nivelliren, ja daß
                              man hoͤchstens nur bis zu einer Sekunde mit Sicherheit nivelliren kann,
                              bedarf keines Beweises; denn abgesehen von zufaͤlligen
                              Unregelmaͤßigkeiten, liegt schon in der Theorie die Unmoͤglichkeit
                              vollkommenen nivelliren (ich meine naͤmlich die sogenannten Blasenivellen,
                              welche doch fuͤr die besten gehalten werden); denn auch zugegeben, daß man
                              die obere Flache des Nivells vollkommen eben geschliffen habe, so ist man nie im
                              Stande die Blase in die Mitte zu bringen, weil sie, einmal in Bewegung gesezt, sich
                              mit beschleunigter Schnelligkeit bis zum anderen Ende des Nivells fortbewegen muß,
                              und man hat also eine auf die Spize gestellte Nadel. Ganz anders aber
                              verhaͤlt es sich mit einem Nivell nach Art der astronomischen Pendelwage;
                              denn hier liegt es in der Willkuͤhr, dem Nivell jede denkbare Empfindlichkeit
                              zu geben, so daß man im Stande ist, nicht nur einzelne Sekunden, sondern selbst
                              hundertste Theile einer Sekunde mit groͤßter Sicherheit zu messen. Um nur ein
                              Beispiel von der großen Empfindlichkeit zu geben, so nehme man ein Nivell von etwas
                              großem Maßstabe. Es sey z.B. der Hebelarm zwei Fuß lang; man gebe ihm eine
                              Schwingungskraft = 100 Sekunden, so beschreibt der Hebelarm einen Winkel, dessen
                              Sinus = A ist. Nun aber laͤßt sich bei einem
                              Bogen, dessen Radius = zwei Fuß ist, noch ein Winkel von zwei Sekunden mittelst
                              eines maͤßigen Mikroskopes ganz deutlich wahrnehmen; daher ein Winkel des
                              Diopters = 2/16300 = 1/8150 Sekunden genau angeben. Obgleich nun ein solcher Winkel
                              auch fuͤr das staͤrkste Fernrohr gaͤnzlich verschwindet aber
                              vielleicht in kurzer Zeit durch Vervollkommnung der Heliotropen bestimmt werden
                              wird, so soll durch dieses Beispiel einstweilen nur gezeigt seyn, daß man dem Nivell
                              jede, fuͤr jeden Versuch noͤthige Empfindlichkeit geben kann. –
                              Um mich einer weitlaͤuftigen Beschreibung uͤberheben zu
                              koͤnnen, habe ich eine solche Nivellirwage durch Hrn. Mechanikus Weissenbach dahier verfertigen lassen, und dieselbe der
                              koͤnigl. Akademie der Wissenschaften vorgelegt. Sie ist auf Tab. II. in Fig. 5
                              abgebildet.
                           
                           Die Theorie ist die naͤmliche wie bei der astronomischen Wage.
                           f ist der Hebelarm.
                           g und h sind die Anfhaͤngepunkte; durch die Schraube
                           a kann dem Hebelarm jede beliebige Empfindlichkeit gegeben werden; durch die
                              Schraube
                           b kann er in jede beliebige Lage gestellt werden.
                           d und e sind Dioptern, wovon eines beweglich seyn muß, um die Wage reguliren zu
                              koͤnnen.
                           Die drei Punkte a, c und b
                              bilden ein Dreiek, in welchem bei c ein rechter Winkel
                              ist.
                           Um das Diopter zu reguliren, waͤhle man sich einen Standpunkt A (siehe Fig. 3), messe in
                              entgegengesezter Richtung zwei gleiche Abstaͤnde AC und AB; errichte in jedem einen Stab
                              und visire aus A mit dem unregulirten Nivell nach dem
                              Stab B und C, so daß der
                              Hebelarm den naͤmlichen Standpunkt beibehaͤlt. Man bemerke die Punkte,
                              wo die Visirlinien die Staͤbe schneiden, genau; diese seyen D und F; mm visirt man von
                              F nach D und bemerkt den
                              Punkt, wo die Visirlinie den Stab A schneidet; es sey
                              dieß der Punkt G; endlich sezt man das Nivell in G, richtet das Diopter nach D oder F, waͤhrend der Hebelarm auf O gestellt wird. Dieses Nivelliren kann der Sicherheit
                              wegen oͤfters wiederholt werden. –
                           
                        
                           §. 7.
                              Hauptsaͤchliche Anwendungen dieser beiden
                                 Instrumente.
                           
                              I. Das
                                    Nivellirinstrument.
                              Was dieses Instrument betrifft, so ist es uͤberhaupt uͤberall da
                                 anzuwenden, wo sonst die gewoͤhnlichen Nivellen angewendet werden und
                                 erreicht den Zwek des Nivellirens viel genauer, als alle anderen Nivelle, und
                                 selbst in solchen Gegenden, wo andere Nivelle z.B. wegen zu niedriger Temperatur
                                 ganz unbrauchbar werden. Dahin gehoͤren:
                              1) geometrische Messungen aller Art;
                              2) besonders aber feinere, astronomische Messungen, wo die gewoͤhnlichen
                                 Nivelle viel zu unvollkommen sind;
                              3) die genaue Bestimmung der irdischen Strahlenbrechung in der
                                 Atmosphaͤre, wobei ich folgende Bemerkungen zu machen fuͤr
                                 noͤthig erachte.
                              Diese genannte Strahlenbrechung ist zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen
                                 Orten so sehr variirend, daß ihre Differenz bei geometrischen Messungen mehrere
                                 Minuten ausmacht, und ist bis auf diesen Tag noch keinem bestimmten Geseze
                                 unterworfen. Diese glaube ich nun auf folgende Art genau bestimmen zu
                                 koͤnnen.
                              In einer Gegend, wo man eine bedeutende Flaͤche uͤbersehen kann,
                                 messe man sich
                                 eine Linie ab (s. Fig. 4), suche den
                                 Mittelpunkt derselben c und endlich einen Punkt d, der so liegt, daß cdb ein gleichseitiges Dreiek ist. Man nivellire aus c nach a, b und d
                                 Es ist klar, daß es hier gleichguͤltig ist, ob das Nivell regulirt
                                       sey oder nicht, wenn man nur den naͤmlichen Standpunkt des
                                       Hebelarmes beobachtet., so werden diese drei Punkte genau in einer Ebene liegen, auf welcher
                                 der Radius der Erde, der durch c geht, senkrecht
                                 steht, es mag die Refraktion was immer fuͤr eine seyn; denn da die
                                 Abstaͤnde ac, bc und d c' gleich
                                 sind, so muß auch die Refraktion bei allen gleiche Wirkung hervorbringen. Nun
                                 bringe man das Nivell nach d, visire nach b und c, so sind auch
                                 b und c, also auch
                                 a, c, b ganz genau in einer horizontalen
                                 Lage.Um versichert zu seyn, daß die Refraktion waͤhrend der Zeit des
                                       Operirens selbst sich nicht geaͤndert habe, waͤre es
                                       besser, wenn man zwei oder mehrere Nivelle haͤtte, um zu gleicher
                                       Zeit sowohl in c als in d zu nivelliren.
                                 
                              Stellt man nun in den Punkt a ein Fernrohr, so wird
                                 b bald zu hoch, bald zu tief liegen und daher
                                 die Wirkung der Refraktion genau bestimmt werden koͤnnen. Allein da die
                                 Refraktion in jeder anderen Hoͤhe und fuͤr jede andere Richtung
                                 eine andere ist, so muß sie auch fuͤr diese Faͤlle bestimmt
                                 werden. Zu diesem Zweke mache man in a in beliebigen
                                 Hoͤhen Signalpunkte, eben so in c in einer
                                 Hoͤhe, welche nur die Haͤlfte der Hoͤhe in a ist; so muͤssen die correspondirenden
                                 Punkte, von b aus gesehen, genau in einer geraden
                                 Linie liegen, wenn die Refraktion neutral ist; und so kann ihr Einfluß
                                 fuͤr jede gegen den Horizont geneigte, also auch fuͤr die zu
                                 messende Linie genau bestimmt werden. Wenn man an vielen Orten eine solche
                                 Vorrichtung treffen wuͤrde, die Refraktion der Atmosphaͤre zu
                                 bestimmen, so koͤnnte man, glaube ich, manche Aufschluͤsse
                                 uͤber den Zustand der Atmosphaͤre selbst erhalten, und eine solche
                                 Vorrichtung wuͤrde an der Seite eines Barometers, Thermometers,
                                 Hygrometers etc. vielleicht nicht ganz am unrechten Plaze seyn.
                              
                           
                              II. Astronomische Wage.
                              Dieses Instrument scheint mir vorzuͤglich zu folgenden Zweken anwendbar zu
                                 seyn.
                              1) Laͤßt sich die Attraction des Mondes genauer messen als bisher
                                 geschehen ist; denn da sich die Differenz derselben fuͤr zwei um den
                                 Durchmesser der Erde verschiedene Abstaͤnde messen laͤßt (siehe
                                 §. 5. N. 1.), so laͤßt sich auch die
                                 Kraft selbst bestimmen, wenn die Entfernung des Mondes von der Erde bekannt ist.
                                 – Aus dieser Attractionskraft laͤßt sich dann auch die Masse des
                                 Mondes und seine Dichtigkeit berechnen.
                              2) Laͤßt sich die Frage beantworten, „ob alle Materie gleich
                                    gravitire oder nicht;“ d.h. nicht nur die einzelnen Materien der
                                 Erde unter sich,
                                 sondern auch gegen den Mond, gegen die Sonne etc., wie ich schon §. 5.
                                 N. 3 angedeutet habe.
                              3) Laͤßt sich die Groͤße der Erde auf viel leichterem Wege als
                                 gewoͤhnlich und, wie ich glaube, viel genauer bestimmen, und zwar auf
                                 folgende Art:
                              Aus §. 5. N. 2 sieht man, daß die Kraft, mit
                                 welcher ein Koͤrper sich wegen der Axendrehung der Erde gegen
                                 Suͤden bewegt, oder eigentlich die Differenz derselben in verschiedenen
                                 Hoͤhen, gemessen werden koͤnnen. Wenn nun aber der Abstand PQ (siehe §. 5. N. 2), die geographische Breite des Ortes und die Kraft (oder
                                 eigentlich die Differenz derselben) bekannt sind, so laͤßt sich der
                                 Radius der Erde selbst finden.
                              Es sey die Schwungkraft am Aequator
                                       = G/289
                              der Sinus der geographischen Breite
                                          = a
                              der Cosinus der geographischen Breite      =
                                 α
                              die Schwungkraft fuͤr diesen Ort
                                               =
                                 g
                              Diese wird nun in zwei Theile zerlegt, wovon der eine Theil in der Richtung der
                                 Tangente, also gegen den Aequator wirkt; sie sey = g'. Nun werde der Standpunkt um PQ = d erhoͤht; so wird auch die Kraft g' groͤßer und sey = g''; also die Differenz derselben oder g''
                                    – g' = D; so verhaͤlt
                                 sich
                              
                                 
                                 Textabbildung Bd. 43, S. 91
                                 
                              Wenn nun die geographische Breite bekannt ist, so ist natuͤrlich (a . α)/r² gegeben, obwohl weder a, noch α, noch
                                 r bekannt sind und es sey (a + α)/r² = b, so ist
                                 D = bd/r + G/289 und r = bdG/(D . 289), oder wenn G =
                                 1 ist, so ist r = bd/(289D).
                              Es sey z.B. die geographische Breite = 45°, also b = 1/2; es sey d = 500 Fuß; D = 1/20000000 G; so ist
                                 r = ½ 500/289; 1/20000000 =
                                 10000000000/578 = 17300000 Fuß ungefaͤhr.
                              
                              Bei dieser Art zu messen laͤßt sich bd so
                                 genau bestimmen, daß die Fehler verschwinden, und es haͤngt daher Alles
                                 von der genauen Bestimmung der Groͤße D ab.
                                 Ließe sich D so genau bestimmen, daß man noch den
                                 20000,000sten Theil derselben angeben koͤnnte, so waͤre der
                                 Halbmesser der Erde bei einem Fuß genau gemessen; ließe sich aber D nur so genau bestimmen, daß man nur den 1000sten
                                 Theil derselben angeben koͤnnte, so waͤre auch v nur bei 20,000 Fuß genau bestimmt. –
                              Um nun zu untersuchen, wie genau D bestimmt werden
                                 kann, so sey PQ (siehe §. 5 N. 2) = 500 Fuß; der Hebelarm 200 Fuß lang, und habe
                                 eine Schwingungskraft von 100 Sekunden; so ist, wenn b = 1/2, r = 17300000 ist,
                              D = 500/2,17300000,289 = 1/20000000
                              und aus der Gleichung (siehe §. 4) γ = α/λn² G ist
                                 (γ = D) a = γλn²/g =
                                 1,306,100000/20000000 = 15, etc. etc. Fuß.
                              Nun aber laͤßt sich mit einem Mikroskop von 100maliger
                                 Linearvergroͤßerung noch 0,001 Linie, also 0,00001 Schuh, daher D/1500000
                                 noch genau angeben, und daher der Halbmesser der Erde 1500000 bei einer
                                 Genauigkeit = 20000000/1500000 = 13 Fuß bestimmen.
                              Da hier die Muͤhe, die man hat, gar nicht in Verhaͤltniß zu sezen
                                 ist mit derjenigen, die Groͤße auf irgend eine andere Art zu bestimmen;
                                 da ferner diese Operation zu jeder Tages- und Jahreszeit gemacht werden
                                 kann, und in kurzer Zeit sich wiederholen und abaͤndern laͤßt,
                                 wobei man gar nichts als die in §. 3. genannten Punkte zu beobachten hat;
                                 so scheint es mir wirklich der Muͤhe werth zu seyn, einmal im Großen eine
                                 solche Messung vorzunehmen, und ich kann mich der Aeußerung des Wunsches nicht
                                 enthalten, daß ein Instrument dieser Art an irgend einem Orte recht bald
                                 realisirt werden moͤchte.
                              
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
