| Titel: | Ueber die Verwandlung der Cyanwasserstoffsäure (Blausäure) und der Cyanüre (blausauren Salze) in Ammoniak und in Ameisensäure; von Hrn. Pelouze. | 
| Fundstelle: | Band 44, Jahrgang 1832, Nr. LXXIII., S. 308 | 
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                        LXXIII.
                        Ueber die Verwandlung der
                           Cyanwasserstoffsaͤure (Blausaͤure) und der Cyanuͤre (blausauren
                           Salze) in Ammoniak und in Ameisensaͤure; von Hrn. Pelouze.
                        Aus den Annales de Chimie et de Physique. December
                              1831, S. 395.
                        Pelouze, uͤber die Verwandlung der
                           Cyanwasserstoffsaͤure etc.
                        
                     
                        
                           Die ganz identische Zusammensezung, welche die Berechnung fuͤr das
                              ameisensaure Ammoniak und die in drei Atomen Wasser aufgeloͤste
                              Blausaͤure ergibt, ferner die Beobachtung des Hrn. Kuhlmann, daß Schwefelsaͤure und Salzsaͤure in
                              Beruͤhrung mit Blausaͤure, salzsaures und schwefelsaures Ammoniak
                              bilden, veranlaßten mich Versuche anzustellen, um zu erfahren, wie weit diese
                              merkwuͤrdige Analogie geht.
                           Wasserfreie Blausaͤure, welche nach dem Verfahren des Hrn. Gay-Lussac bereitet war, wurde mit
                              ungefaͤhr ihrem gleichen Volumen rauchender Salzsaͤure in
                              Beruͤhrung gebracht. Nach vier bis fuͤnf Minuten verwandelte sich die
                              Fluͤssigkeit in eine krystallinische Masse, wobei Waͤrme frei wurde.
                              Diese Masse verfluͤchtigte sich bei der Destillation ohne Ruͤkstand
                              und lieferte nach einander Blausaͤure, Salzsaͤure,
                              Ameisensaͤure und endlich salzsaures Ammoniak. Die Ameisensaͤure
                              erkannte ich dadurch, daß das fluͤssige Product der Destillation mit rothem
                              Queksilberoxyd erhizt Kohlensaͤure, die ich aufsammelte, unter lebhaftem
                              Aufbrausen entwikelte. Dabei erhielt man aber kein metallisches Queksilber, wie
                              dieses mit reiner Ameisensaͤure geschieht, sondern das Protochloruͤr
                              dieses Metalles, weil das Metall in dem Augenblike, wo es sich
                              niederschlaͤgt, das Queksilberchlorid in Chloruͤr verwandelt. Davon
                              habe ich mich durch einen directen Versuch uͤberzeugt.
                           Die Gegenwart des salzsauren Ammoniaks war bei den allgemein bekannten
                              charakteristischen Eigenschaften dieses Salzes leicht darzuthun.
                           Die Schwefelsaͤure wirkt auf eine aͤhnliche Weise wie die
                              Salzsaͤure, nur schwieriger und langsamer. Durch die Destillation
                              erhaͤlt man Ameisensaͤure, die sich leicht von dem Antheil
                              Blausaͤure, welcher der Einwirkung entging, absondern laͤßt. Diese
                              Operation erheischt einige Vorsichtsmaßregeln, wenn sie gelingen soll, indem die
                              Schwefelsaͤure die Ameisensaͤure leicht in Wasser und Kohlenoxydgas
                              verwandelt; man muß daher die Schwefelsaͤure mit Wasser verduͤnnen und
                              keinen zu großen Ueberschuß davon anwenden.
                           Nach diesen Beobachtungen koͤnnte ich mir nun leicht erklaͤren, warum
                              man bisweilen aus dem Cyanqueksilber so wandelbare Quantitaͤten von
                              Blausaͤure erhaͤlt und warum der Ruͤkstand von der Bereitung
                              dieser Saͤure außer anderen auffallenden Eigenschaften auch die hat, daß er
                              sehr leicht aufloͤslich ist.
                           Ein Mischungsgewicht Cyanqueksilber gab bei der Behandlung mit einem Mischungsgewicht
                              concentrirter Salzsaͤure, deren Gehalt durch Saͤttigung mit einem
                              Alkali bestimmt worden war, sehr nahe ein M. G. Blausaͤure und ein M. G.
                              Queksilberchlorid und folglich weder Ameisensaͤure noch Ammoniaksalz; als ich
                              aber einen Ueberschuß von Salzsaͤure anwandte, wirkte diese
                              uͤberschuͤssige Saͤure auf die Blausaͤure und das Wasser
                              bildete Ameisensaͤure und salzsaures Ammoniak, welches leztere mit dem
                              Queksilberbichloruͤr das ehemals unter dem Namen Alembrothsalz bekannte
                              Doppelsalz bildete; in diesem Falle erhielt ich auch nur eine sehr geringe Menge
                              Blausaͤure.
                           Das Doppelchloruͤr von Queksilber und Ammoniak erkannte ich an allen seinen
                              Eigenschaften; man braucht uͤbrigens nur den Ruͤkstand von der
                              Operation mit Kalk zu behandeln, worauf sich augenbliklich Ammoniakgas, welches man
                              an seinem eigenthuͤmlichen Geruch erkennt, entbindet. Nimmt man gleiche Mischungsgewichte
                              Salzsaͤure und Queksilbercyanuͤr, so enthaͤlt der
                              Ruͤkstand kein Ammoniaksalz und besteht einzig und allein aus
                              Queksilberchlorid.
                           Bei dem Cyankalium findet dieselbe Reaktion Statt; es entsteht Chlorkalium und
                              salzsaures Ammoniak, wenn uͤberschuͤssige Salzsaͤure angewandt
                              wurde; im entgegengesezten Falle wird kein Ammoniaksalz gebildet.
                           Aus diesen Versuchen geht hervor, daß man sich wohl huͤten muß bei Bereitung
                              der Blausaͤure nach dem Verfahren des Hrn. Gay-Lussac uͤberschuͤssige
                              Salzsaͤure anzuwenden, wozu man bei dem niedrigen Preise dieser Saͤure
                              und dem hohen Preise des Cyanqueksilbers leicht verleitet werden koͤnnte.
                           In der Folge werde ich auszumitteln suchen ob die Ameisensaͤure, wenn sie, wie
                              dieses bisweilen der Fall seyn koͤnnte, der Blausaͤure beigemischt
                              ist, auf die freiwillige, bald sehr langsame, bald sehr schnelle Zersezung derselben
                              einen Einfluß hat; die Umaͤnderung der Blausaͤure in Ammoniak und
                              Ameisensaͤure unter dem Einfluͤsse des Wassers und der Saͤuren,
                              veranlaßte mich noch einige andere analoge Faͤlle aufzusuchen und ich fand
                              einen sehr merkwuͤrdigen in der Wirkung der Hize und des Wassers auf das
                              Cyankalium.
                           Unterhalt man eine concentrirte Aufloͤsung von Cyankalium ohne der Luft
                              Zutritt zu gestatten, einige Zeit im Sieden, so wirkt ein Mischungsgewicht dieses
                              Cyanuͤrs auf vier M. G. Wasser, wodurch ein M. G. Ammoniak, das sich
                              entbindet und ein M. G. ameisensaures Kali entsteht. Diese Verwandlung, welche durch
                              das bloße Kochen der Fluͤssigkeit hervorgebracht wird, geht Anfangs sehr
                              schnell vor sich, dann allmaͤhlich langsamer und ist erst dann
                              vollstaͤndig, wenn man sehr oft das verdampfte Wasser wieder ersezt hat.
                           Waͤhrend feuchtes Cyankalium beim Erhizen die angegebene Veraͤnderung
                              erleidet, kann das trokne Salz bekanntlich bei abgesperrter Luft calcinirt werden,
                              ohne daß es selbst in der groͤßten Hize zersezt wuͤrde; wenn es aber
                              uͤberschuͤssiges Aezkali enthaͤlt, so bildet sich wie in dem
                              vorhergehenden Versuche Ammoniak und ameisensaures Kali, welches leztere bei
                              eintretender Dunkelrothgluͤhhize zersezt wird, indem es dem in dem Kali
                              enthaltenen Wasser ein M. G. Sauerstoff entzieht, wodurch zwei M. G. kohlensaures
                              Kali gebildet werden, waͤhrend sich zwei M. G. Wasserstoff entbinden.
                           Erhizt man feuchtes Cyanqueksilber, so entsteht ebenfalls Ameisensaͤure, wie
                              in dem vorhergehenden Falle, der groͤßte Theil dieser Saͤure wird aber
                              durch das Queksilberoxyd zersezt, wodurch Ammoniak und Blausaͤure gebildet,
                              Kohlensaͤure entbunden und das Oxyd reducirt wird.
                           
                           Das ameisensaure Ammoniak ist ein in Wasser sehr leicht aufloͤsliches, weißes
                              Salz von kuͤhlem und stechendem Geschmak; es wirkt selbst in großer Dosis
                              nicht giftig. Erhizt man es, so kommt es bei 120° C. vollkommen in Fluß; bei
                              140° verliert es ein wenig Ammoniak und bei 180° zersezt es sich in
                              Blausaͤure und Wasser. Macht man den Versuch in einer engen Roͤhre,
                              die man in eine lange Queksilbersaͤule taucht, deren Temperatur auf 180 bis
                              120° C. gebracht wird, so entgehen nur Spuren des ameisensauren Salzes der
                              Zersezung. Diese Zersezung ist derjenigen des salpetersauren Ammoniaks in Nasser und
                              Stikstoffoxydulgas aͤhnlich und geht auch eben so leicht von Statten.
                           Einige in dieser Abhandlung angefuͤhrte Thatsachen sind
                                 fuͤr die Fabrikanten von Berlinerblau und eisenblausaurem Kali sehr
                                 beachtenswerth; denn es geht daraus hervor, daß sie sich wohl huͤten
                              muͤssen den Ruͤkstand von der Behandlung der thierischen Substanzen
                              mit Potasche mit Wasser zu kochen, oder ihn in Wasser zu werfen, so lange er noch
                              heiß ist, oder diese thierischen Substanzen mit uͤberschuͤssigem
                              Alkali zu calciniren. In diesen drei Faͤllen wuͤrde er sich zersezen
                              und entweder Ameisensaͤure oder Ammoniak oder dieses Alkali, Wasserstoff und
                              kohlensaures Kali hervorbringen. Man muß kalt auslaugen und die
                              Fluͤssigkeiten mit schwefelsaurem Eisen behandeln, ehe man sie abdampft oder
                              erhizt. Ist aber das Cyankalium einmal mit Cyaneisen verbunden, so ist es
                              bestaͤndig genug, daß man das Kalisalz concentriren kann, ohne eine Zersezung
                              befuͤrchten zu duͤrfen.
                           Ueberhaupt geht aus meinen Versuchen hervor:
                           1) Daß die Blausaͤure durch die Einwirkung der Salzsaͤure und
                              Schwefelsaͤure (ohne Zweifel auch durch viele andere Saͤuren) in
                              Ammoniak und Ameisensaͤure umgeaͤndert wird.
                           2) Daß das Cyankalium, wenn man eine concentrirte Aufloͤsung desselben erhizt,
                              sich in Ammoniak und ameisensaures Kali verwandelt.
                           3) Daß dieselbe Verbindung bei einer hohen Temperatur in Beruͤhrung mit
                              uͤberschuͤssigem Kali Wasserstoff, Ammoniak und als Ruͤkstand
                              kohlensaures Kali gibt.
                           4) Daß ein M. G. Cyanqueksilber, wenn es auf ein M. G. Salzsaͤure wirkt, ein
                              M. G. Blausaͤure und ein M. G. Queksilberchlorid erzeugt.
                           5) Daß uͤberschuͤssige Salzsaͤure mit demselben Cyanuͤr,
                              das Doppelchloruͤr von Ammoniak und Queksilber, nebst Ameisensaͤure
                              und etwas Blausaͤure hervorbringt.
                           
                           6) Endlich daß das ameisensaure Ammoniak auf 180° erhizt sich in Wasser und
                              Blausaͤure verwandelt.