| Titel: | Versuche, welche auf der Liverpool-Manchester-Eisenbahn angestellt wurden, um die Richtigkeit des Systemes der wellenförmigen oder undulirenden Eisenbahn zu erweisen. Von Hrn. Richard Badnall. | 
| Fundstelle: | Band 50, Jahrgang 1833, Nr. LII., S. 249 | 
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                        LII.
                        Versuche, welche auf der
                           Liverpool-Manchester-Eisenbahn angestellt wurden, um die Richtigkeit des
                           Systemes der wellenfoͤrmigen oder undulirenden Eisenbahn zu erweisen. Von Hrn.
                           Richard Badnall.Unserer bereits fruͤher gemachten Erklaͤrung gemaͤß geben
                                 wir von den zahllosen Aufsaͤzen und Streitigkeiten, welche die Badnall'sche undulirende Eisenbahn unter den
                                 englischen Mechanikern veranlaßte, und welche unsere Leser beinahe
                                 saͤmmtlich im Mechanics' Magazine finden,
                                 wenn sie dieselben nachlesen wollen, nur jene, die wirklichen praktischen Werth
                                 haben, oder sich auf Versuche gruͤnden.A. d. R.
                           
                        Aus dem Mechanics' Magazine, No. 531, S.
                              20
                        Angestellte Versuche der
                           Liverpool-Manchester-Eisenbahn.
                        
                     
                        
                           Meinem Versprechen gemaͤß mache ich hiermit das Resultat der ersten
                              praktischen Versuche bekannt, welche in der Absicht angestellt wurden, um die
                              Richtigkeit oder den Irrthum in dem Principe der undulirenden Eisenbahn zu
                              beweisen.
                           Da mir die Directoren der Liverpool-Manchester-Eisenbahn die Benuzung
                              des beruͤchtigten Rocket (der einzigen Maschine,
                              welche sie damals entbehren konnten) gestattet hatten, so begab ich mich am 23.
                              September Abends in Begleitung des Hrn. Scott, den die
                              Directoren zum Aussteken der erforderlichen Entfernungen verwendet hatten, des Hrn.
                              A. Roe, Vormann des Hrn. R. Stephenson
                              sen., und zweier anderer, mit der Handhabung der
                              Maschine wohl vertrauter Personen an die schiefe Flaͤche zu Sutton, um den
                              Zustand der Maschine zu erproben, und die verschiedenen Laͤngen zu bestimmen,
                              die bei einer Neigung von 1 in 96 der Entwikelung des Principes am angemessensten
                              waͤren.
                           Der Rocket ist wegen des Unfalles, der ihm bei seiner
                              ersten oͤffentlichen Probe widerfuhr, allgemein bekannt; er ist die
                              aͤlteste Maschine auf dieser Eisenbahn und zugleich auch die
                              schwaͤchste. Seine Raͤder haben 4 Fuß 8 Zoll im Durchmesser; der
                              Cylinder hat 8 Zoll, und der Hub betraͤgt beilaͤufig 16 1/2 Zoll. Die
                              ganze Maschine wiegt beinahe 5 Tonnen.Ausfuͤhrliche Notizen uͤber den Rocket findet man im Polyt.
                                    Journale Bd. XXXIV. S. 356 und 405, Bd. XXXV. S. 1 und S. 391.
                              
                           Erster Versuch. Die Maschine mit dem angehaͤngten
                              Munitionswagen, welche zusammen beilaͤufig 6 1/2 Tonne wogen, wurde
                              beilaͤufig 280 Yards weit auf der horizontalen Flaͤche mit voller
                              Kraft bis an den Fuß der schiefen Flaͤche von Sutton getrieben. An diesem
                              Punkte, an welchem der Kolben 15 Hube in 10 Secunden machte, wurde der Dampf
                              abgeschlossen; der Wagen lief in Folge des erreichten Bewegungsmomentes noch 217 Yards weit die
                              schiefe Flaͤche hinan.
                           Zweiter Versuch. Die Maschine mit dem angehaͤngten
                              Munitionswagen wurde auf derselben schiefen Flaͤche 217 Yards weit
                              abwaͤrts getrieben. Die Geschwindigkeit am Fuße der schiefen Flaͤche
                              betrug wenigstens 16 Kolbenhube in 10 Minuten. Der Dampf wurde hier abgeschlossen
                              und der Wagen lief in Folge des erreichten Bewegungsmomentes auf der horizontalen
                              Bahn noch 454 Yards weit.
                           Dritter Versuch. Die Maschine wurde mit dem
                              Munitionswagen 314 Yards auf der horizontalen Bahn getrieben, und erreichte am Fuße
                              der aufsteigenden Bahn eine solche Geschwindigkeit, daß er in Folge des erlangten
                              Bewegungsmomentes noch 239 Yards weit an der aufsteigenden Bahn hinauflief.
                           Vierter Versuch. Die Maschine wurde mit dem
                              Munitionswagen 239 Yards weit auf der schiefen Flaͤche hinab getrieben; am
                              Fuße derselben wurde der Dampf abgeschlossen, wo dann der Wagen in Folge des
                              erlangten Bewegungsmomentes noch 500 Yards weit auf der horizontalen Bahn
                              fortlief.
                           Dieß waren alle Versuche, welche ich am 23. Septbr. Abends zu machen im Stande war.
                              Den Tag darauf kam ich mit derselben Maschine und demselben Munitionswagen, dem ich
                              jedoch noch eine Ladung von 35 Tonnen beigefuͤgt hatte, auf dieselbe schiefe
                              Flaͤche von Sutton. Das Wetter war regnerisch, die Bahn schluͤpfrig,
                              und es blies ein starker Wind aus Suͤdwest. Als wir Liverpool verließen, fand
                              sich's, daß der Rocket das Maximum seiner Ladung hinter sich her zog, so zwar, daß
                              er nicht im Stande gewesen waͤre, diese Ladung uͤber die schiefe
                              Flaͤche zu Rainhill hinaufzuschaffen, wenn ihm die Maschine „der
                                 Pluto“ nicht dabei geholfen haͤtte.
                           Hr. Booth und Hr. R. Gill aus
                              Manchester mit den oben erwaͤhnten Personen waren als Zeugen bei den
                              folgenden Versuchen gegenwaͤrtig. Ich bedauere sehr, daß die HH. Prof. Ritchie, Hr. Locke und Hr. Stephenson
                              sen., welche denselben gleichfalls beiwohnen wollten,
                              daran verhindert wurden.
                           Fuͤnfter Versuch. Der Rocket mit dem
                              angehaͤngten Munitionswagen und einer Ladung von 35 Tonnen wurde mit voller
                              Kraft 147 Yards weit auf der schiefen Flaͤche getrieben. Am Fuße des Abhanges
                              wurde der Dampf abgeschlossen zu einer Zeit, wo der Kolben eben 60 Hube in einer
                              Minute machte. Der ganze Zug lief in Folge des erlangten Bewegungsmomentes noch 546
                              Yards weit auf der horizontalen Bahn fort.
                           Sechster Versuch. Dieselbe Last wurde auf der
                              horizontalen Bahn getrieben und erreichte am Fuße der aufsteigenden Bahn eine Geschwindigkeit, die in so
                              fern es die Kraft der Maschine erlaubte, der bei dem vorhergehenden Versuche
                              erreichten Geschwindigkeit so nahe als moͤglich kam. Der Dampf wurde dann
                              abgeschlossen, und der ganze Zug fuhr hierauf durch sein Bewegungsmoment allein noch
                              134 Yards hinan.
                           Anmerkung. In diesem Falle trieb die Maschine die Last;
                              im vorigen hingegen zog sie dieselbe nur.
                           Siebenter Versuch. Der lezte Versuch wurde wiederholt,
                              und die Maschine lief mitsammt der Ladung in Folge des erreichten Bewegungsmomentes
                              127 Yards weit hinauf.
                           Achter Versuch. Die Wirkung der Kraft wurde umgekehrt und
                              die Maschine mit der Ladung 127 Yards weit uͤber die schiefe Flaͤche
                              hinab getrieben. Der Wagen erreichte hierbei am Fuße des Abhanges eine weit
                              groͤßere Geschwindigkeit, als er bei dem lezten Versuche in dem Augenblike
                              hatte, in welchem er in Folge des erhaltenen Bewegungsmomentes den Abhang
                              hinaufzulaufen begann.
                           Neunter Versuch. Der Rocket wurde mit der
                              erwaͤhnten Ladung auf der horizontalen Bahn fortgetrieben, und erreichte am
                              Fuße der aufsteigenden Flaͤche eine Geschwindigkeit von beilaͤufig 7
                              englischen Meilen in der Stunde. In diesem Falle betrug, da die Kraft fortwirkte,
                              die ganze Steigung 160 Yards.
                           Zehnter Versuch. Der Rocket lief mit derselben Ladung 160
                              Yards abwaͤrts, und erreichte hierdurch am Fuße des Abhanges eine
                              Geschwindigkeit von vollen 10 engl. Meilen in der Stunde. Das Bewegungsmoment auf
                              der horizontalen Bahn wurde bei diesem Versuche nicht gemessen.
                           Eilfter Versuch. Da sich, wie aus den Versuchen 6, 7, 8,
                              9, 10 hervorgeht, zeigte, daß der Rocket nicht in gehoͤriger Ordnung war, um
                              weitere Versuche mit demselben anstellen zu koͤnnen, so wurde die Maschine
                              „the Caledonian“ hinter der Ladung angebracht. Die vereinten Kraͤfte der beiden
                              Maschinen erzeugten am Fuße der aufsteigenden Flaͤche eine Geschwindigkeit
                              von beilaͤufig 12 Kolbenstoͤßen in 10 Secunden. Der Caledonian verließ
                              hier den Zug; der Dampf des Rocket wurde ausgelassen, und das Moment auf der
                              schiefen Flaͤche betrug 177 Yards.
                           Es war nun offenbar, daß der Rocket so in Unordnung gerathen war, daß alle weiteren
                              Versuche nur zu irrigen Resultaten gefuͤhrt haͤtten. Es war mir daher
                              bei dieser Gelegenheit nicht moͤglich den Betrag der Ladung zu bestimmen,
                              welche mit einer Maschine von einer gegebenen Kraft, oder mit einer Maschine, deren
                              wirkliche Kraft auf einer horizontalen Flaͤche bekannt ist, von dem einen
                              Gipfel einer krummen Bahn bis zum anderen getrieben werden kann. Doch laͤßt sich aus
                              den vorhergehenden Versuchen im Allgemeinen der Schluß ziehen, daß die praktischen
                              Versuche mit dem undulirenden Eisenbahnsysteme nicht nur einen eben so großen
                              Vortheil zu Gunsten dieses Systemes erwiesen, als ihn die Modelle bisher ergaben;
                              sondern daß dieser Vortheil sogar weit groͤßer und wichtiger ist, indem die
                              Modelle nicht beweisen, was sich, wie ich glaube, aus der Praxis ergab: daß
                              naͤmlich eine Last, die auf einer horizontalen Bahn das Maximum der Last
                              betrug, von dem einen Gipfel einer Wellenlinie bis zum naͤchsten Gipfel von
                              gleicher Hoͤhe geschafft werden kann, wenn die Dampftriebkraft auch nur die
                              Haͤlfte dieser Streke zwischen den beiden Gipfeln hindurch ihre Wirkung
                              ausuͤbt; und daß hierbei mit Bestimmtheit jede verlangte
                              Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht werden kann, ohne daß ihr ein
                              verhaͤltnißmaͤßiges Opfer an mechanischer Kraft gebracht werden
                              muͤßte.
                           Diese Thatsache ist dadurch erwiesen, daß die Geschwindigkeit des Wagens (wenn die
                              Maschine gerade so weit abwaͤrts getrieben wurde, als sie in Folge des
                              Bewegungsmomentes aufwaͤrts lief), am Fuße des Abhanges jedes Mal
                              groͤßer war, als am Fuße der aufsteigenden Flaͤche. Wenn daher L die Laͤnge der Bahn vorstellt, die die Maschine
                              in Folge des auf der horizontalen Bahn erhaltenen Bewegungsmomentes bergan fuhr; V die Geschwindigkeit, die sie am Fuße der aufsteigenden
                              Flaͤche erreichte, um dieses Bewegungsmoment hervorzubringen, und D den Unterschied in der Geschwindigkeit oder die
                              uͤberschuͤssige Geschwindigkeit, welche am Fuße der absteigenden
                              Flaͤche erreicht wird, so erhalten wir erstens V =
                                 L, und zweitens V + D = LD.
                           Ich uͤberlasse nun diese Resultate meiner Versuche dem Urtheile und der
                              Betrachtung der Leser, und besonders jenem meiner Gegner, und verspreche denselben
                              in Zukunft noch beizufuͤgen, was sich aus weiteren Versuchen ergeben wird:
                              dieselben moͤgen fuͤr oder gegen mein System sprechen. Die
                              naͤchsten Versuche, die, wie ich hoffe, entscheidend seyn werden, sollen am
                              15. October angestellt werden; ich erlaube mir vorlaͤufig nur noch folgende
                              Behauptung aufzustellen. Ich glaube naͤmlich, daß sich in der Praxis nicht
                              nur zeigen wird, daß, wie ich dieß fruͤher behauptete, eine Maschine von
                              irgend einer gegebenen Kraft eine solche Last von einem Gipfel der krummen Bahn zum
                              anderen Gipfel von gleicher Hoͤhe schaffen wird, welche dieselbe Maschine auf
                              einer horizontalen Bahn nicht fortzuschaffen im Stande ist, sondern daß eine Maschine von irgend einer gegebenen Kraft beinahe eine zwei
                                 Mal so große Last von dem einen Gipfel der krummen Bahn zum anderen zu schaffen
                                 vermag als sie sonst auf einer ebenen Bahn fortzubewegen im Stande ist: vorausgesezt, daß die
                                 Geschwindigkeit im Durchschnitte nicht unter 15 engl. Meilen in der Stunde
                                 betraͤgt. Sollte sich diese Behauptung in der Praxis
                              bewaͤhren, so wuͤrde sich hieraus ergeben, daß die undulirende
                              Eisenbahn auch noch andere Vortheile gewaͤhre, als eine Ersparniß in dem Baue
                              der Eisenbahnen, eine vermehrte Geschwindigkeit und eine Ersparniß an Zeit.