| Titel: | Ueber den Einfluß der Berührungselektricität auf die Krystallisation der Salze, die geistige und saure Gährung und das Gerinnen der Milch; von Hrn. Bouchardat. | 
| Fundstelle: | Band 50, Jahrgang 1833, Nr. LXII., S. 289 | 
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                        LXII.
                        Ueber den Einfluß der
                           Beruͤhrungselektricitaͤt auf die Krystallisation der Salze, die geistige
                           und saure Gaͤhrung und das Gerinnen der Milch; von Hrn. Bouchardat.
                        Im Auszuge aus dem Journal de Pharmacie. September
                              1833, S. 457.
                        Ueber den Einfluß der
                           Beruͤhrungselektricitaͤt.
                        
                     
                        
                           Versuche uͤber die Krystallisation.
                           Bekanntlich aͤußert die Elektricitaͤt, welche durch Beruͤhrung
                              zweier heterogenen Koͤrper erregt wird, einen auffallenden Einfluß auf
                              mehrere chemische Reactionen; dieser Einfluß erstrekt sich, obgleich nicht so
                              auffallend, auch auf mehrere physische Erscheinungen. Die fruchtbaren Versuche Becquerel's uͤber die
                              Molecular-Elektricitaͤt wiesen mehrere Beziehungen zwischen der
                              Elektricitaͤt und der Kraft, welche die Cohaͤsion und Krystallisation
                              bestimmt, nach. Wir haben einige Versuche uͤber lezteren Gegenstand
                              angestellt; concentrirte Aufloͤsungen von Kochsalz wurden in verschiedenen
                              Gefaͤßen abgedampft, wobei wir folgende Resultate erhielten. In goldenen
                              Gefaͤßen bildeten sich sehr kleine kubische Krystalle, in solchen aus
                              Antimon, Wismuth und Zinn, erhielten wir etwas groͤßere Wuͤrfel und in
                              Platin noch groͤßere Krystalle. Diese Krystalle wurden noch
                              betraͤchtlich groͤßer in Gefaͤßen aus Schwefel, Graphit, Glas;
                              in silbernen erhielten wir große kubische Trichter. In Kupfer und Messing sezt sich
                              das Salz in großen Blaͤttern ab, die mit kleinen Wuͤrfeln vermengt
                              sind. In Gefaͤßen aus Zink erhaͤlt man kleine Wuͤrfel, mit
                              Nadeln vermengt; in bleiernen bemerkt man gar nichts mehr von der kubischen
                              Krystallisation, sondern es bilden sich nur aus prismatischen Nadeln bestehende
                              Blaͤtter; diese Krystalle, auf Filtrirpapier getroknet, enthalten noch
                              Wasser, aber in viel geringerem Verhaͤltnisse, als in den hexagonen Tafeln,
                              welche Fuchs analysirte.Polytechn. Journal Bd. XXI. S.
                                       51.A. d. R.Meine Gefaͤße haben einen Zoll Durchmesser und befanden sich alle
                              unter aͤhnlichen Umstaͤnden.
                           Eine concentrirte Aufloͤsung von Alaun lieferte, als sie in verschiedenen
                              Gefaͤßen krystallisirte, stets Krystalle von octaëdrischer Form; die
                              Groͤße und Gruppirung derselben war aber nach der Beschaffenheit der
                              angewandten Gefaͤße sehr verschieden.
                           Wir konnten nun, ohne diese Versuche weiter zu treiben, mit Sicherheit folgern, daß
                              die Aufloͤsungen, welche krystallisiren muͤssen, in Beziehung auf die
                              Gefaͤße, worin sie enthalten sind, in verschiedene elektrische
                              Zustaͤnde versezt werden und daß nach der Verschiedenheit derselben betraͤchtliche
                              Abweichungen im Gang der Krystallisation Statt finden.
                           
                        
                           Versuche uͤber die Essigbildung.
                           Bei meinen Versuchen uͤber die Essigbildung, welche ich der Société de Pharmacie eingeschikt habe und
                              diese bekannt gemacht hatPolytechn. Journal Bd. XLV. S.
                                       433.A. d. R., bin ich auf die Folgerung gekommen, daß bei der Essigbildung der Alkohol
                              sich nie in Essigsaͤure verwandelt. Der geschikte Berichterstatter hat durch
                              wohl erwiesene Thatsachen gezeigt, daß sich der Alkohol unter mehreren
                              Umstaͤnden dennoch in Essigsaͤure verwandelt; ich habe jedoch die in
                              meiner Abhandlung angegebenen Grundversuche stets mit negativem Resultate
                              wiederholt; meine Versuche weichen von denen des Berichterstatters nur durch den
                              Umstand ab, daß ich in Beruͤhrung mit Queksilber operirte, Hr. Guibourt aber nicht unter dessen Einflusse; dieß reicht
                              hin, um ganz verschiedene Resultate zu geben. Bei der Beruͤhrung mit
                              Queksilber wird der Sauerstoff kein Bestandtheil des Productes und die
                              Essigsaͤure nicht auf Kosten des Alkohols gebildet, sondern auf Kosten der
                              anderen organischen Substanzen, welche der Wein enthalten kann; leztere
                              Umaͤnderung erfolgt bei Gegenwart von Queksilber viel vollstaͤndiger
                              und schneller; die Fluͤssigkeiten nehmen in Beziehung auf dieses Metall einen
                              solchen elektrischen Zustand an, daß der Alkohol unveraͤndert bleibt und die
                              Zersezung sich nur auf die mehr veraͤnderlichen Substanzen ausdehnt, die viel
                              schneller und vollstaͤndiger in Essigsaͤure umgeaͤndert werden.
                              Diese Beobachtung zeigt uns, auf welche großen Schwierigkeiten man bei chemischen
                              Versuchen stoßen kann; eine Kraft, welche bisher vernachlaͤssigt wurde,
                              liefert uns Resultate, die den gewoͤhnlichen ganz entgegengesezt sind.
                           
                        
                           Versuche uͤber die geistige
                                 Gaͤhrung.
                           Mehrere Chemiker haben, jedoch ohne directen Beweis, die Behauptung aufgestellt, daß
                              die Elektricitaͤt bei der Entwikelung der geistigen Gaͤhrung eine
                              thaͤtige Rolle spielt; wir haben einige Versuche angestellt, um entweder
                              diese Hypothese durch Thatsachen zu erweisen, oder die bisherige Ansicht zu
                              widerlegen.
                           Wasser, welches ein Zehntel Zuker enthielt, wurde mit einer hinreichenden
                              Quantitaͤt Hefe vermengt und in die verschiedenen Metallgefaͤße
                              gebracht, die zu den vorhergehenden Versuchen dienten. Die Temperatur betrug
                              17° C. (13° R.) In dem bleiernen Gefaͤße fing die
                              Gaͤhrung an, hoͤrte aber bald wieder auf; in dem eisernen ging sie
                              langsam und unregelmaͤßig vor sich; in den Gefaͤßen aus Kupfer und
                              Messing stellte sich selbst nach mehrtaͤgiger Beruͤhrung nicht das geringste Anzeichen
                              von geistiger Gaͤhrung ein. In den anderen Gefaͤßen zeigten sich keine
                              so großen Abweichungen, daß wir hier weiter darauf eingehen muͤßten; man muß
                              jedoch hierbei stets beruͤksichtigen, daß die angewandte Hefe eine Substanz
                              ist, welche sich bereits zu einem solchen elektrischen Zustande constituirt hat, wie
                              er zur Bildung von Alkohol noͤthig ist und daß die bereits begonnene Wirkung
                              sich nur fortsezt; ich warte auf eine guͤnstige Zeit, um diese Versuche
                              regelmaͤßig wieder aufnehmen zu koͤnnen. Ich sing den Versuch wieder
                              mit Gefaͤßen aus Kupfer oder Messing an, welche eine betraͤchtliche
                              Quantitaͤt Fluͤssigkeit, ein Liter faßten; die Gaͤhrung fing
                              an, ging aber bald langsamer vor sich und hoͤrte dann ganz auf; es hatte sich
                              jedoch kein Kupfersalz der Entwikelung der Gaͤhrung widersezt, denn die
                              Fluͤssigkeit zeigte keine Spur eines solchen an, als sie mit eisenblausaurem
                              Kali gepruͤft wuͤrde; man kann daher als stoͤrende Ursache nur
                              den verschiedenen elektrischen Zustand annehmen, welcher durch die Beruͤhrung
                              der Elektricitaͤts-Erreger hervorgerufen wurde. Mit dem Kupfer,
                              Messing und Blei versezt sich die gaͤhrbare Fluͤssigkeit in einen
                              solchen Zustand, daß die Gaͤhrung selbst durch Zusaz des zu ihrer Erregung
                              geeignetsten Koͤrpers nicht mehr eingeleitet werden kann.
                           
                        
                           Versuche uͤber die Milch.
                           Matteuci hat gezeigt, daß Muskeln, wenn man sie sich
                              selbst uͤberlaͤßt, oder auf Zink- oder Kupferplatten legt, auf
                              eine sehr abweichende Weise in Faͤulniß uͤbergehen. Seit langer Zeit
                              wenden die Milchhaͤndler, welche die Milch aus weiter Entfernung nach Paris
                              liefern, zur Aufbewahrung derselben Gefaͤße aus unverzinntem ganz blankem
                              Messing an, wodurch es ihnen gelingt, den Zeitpunkt der freiwilligen Gerinnung
                              ziemlich weit hinauszuschieben. Ich habe uͤber diese Thatsache einige
                              Versuche angestellt. Den 21. April um vier Uhr Abends nahm ich Milch, welche seit
                              zwoͤlf Stunden in Gefaͤßen aus verzinntem Eisenblech aufbewahrt worden
                              war, kochte sie und vertheilte sie dann in Gefaͤße aus verschiedenen
                              Substanzen.
                           Mittwochs den 24. war sie in den Gefaͤßen aus Porzellan und Glas und dann in
                              dem Blei geronnen.
                           Den 25. in den Gefaͤßen aus Platin, Gold und verzinntem Eisenblech.
                           Den 26. im Zinn, dann im Wismuth und Antimon.
                           Den 27. im Schwefel.
                           Den 28. im Zink.
                           Den 30. im Kupfer und Messing, nachdem sie sich mit Schimmel uͤberzogen
                              hatte.
                           
                           Samstags den 8. Junius um vier Uhr wurde Milch in glaͤsernen Gefaͤßen
                              aufgefangen und gleich darauf in verschiedene Gefaͤße vertheilt.
                           Den 9. und 10. war die Milch in keinem dieser Gefaͤße geronnen.
                           Den 11. war sie um fuͤnf Uhr in dem Porzellan und Mittags im Blei
                              geronnen.
                           Den 12. um fuͤnf Uhr im Platin, um sieben Uhr im Silber, um zehn Uhr im Gold,
                              um drei Uhr im Zinn, um eilf Uhr im Weißblech und um Mitternacht im verzinnten
                              Kupfer.
                           Den 13. um fuͤnf Uhr Morgens war sie im Glas geronnen.
                           Den 14. im Wismuth und Antimon.
                           Den 16. im Zink.
                           Den 17. im Messing.
                           Im Kupfer troknet sie ein, ohne zu gerinnen, und im Eisen ebenfalls.
                           Die Milch verbreitete einen sehr verschiedenen Geruch nach der Natur der
                              Gefaͤße, worin sie aufbewahrt wurde, besonders war er bei den eisernen sehr
                              stark und charakteristisch.
                           In den ersten Tagen enthielt die Milch, welche in kupfernen Gefaͤßen
                              aufbewahrt wurde, nur kaum merkliche Spuren von diesem Metall; die Menge desselben
                              nahm aber allmaͤhlich zu und wir glauben, daß man gegen
                                 diese Aufbewahrungsmethode die strengsten Maßregeln ergreifen muß, weil sie in
                                 den Haͤnden nachlaͤssiger Personen sehr gefaͤhrlich werden
                                 kann.
                           Ohne Zweifel hat also der elektrische Zustand, in welchen sich die Milch in Beziehung
                              auf die verschiedenen Koͤrper, womit sie in Beruͤhrung ist, versezt,
                              einen großen Einfluß auf die Dauer ihrer Conservirung. Fuͤr das praktische
                              Leben ist unsere Beobachtung von Wichtigkeit, daß die Milch, wenn sie sich
                              laͤngere Zeit conserviren soll, nicht in Gefaͤße aus verschiedenen
                              Materialien umgegossen werden darf. Milch, welche in Gefaͤßen aus Weißblech
                              aufgesammelt und dann in Gefaͤße aus Glas oder Zinn etc. umgegossen wurde,
                              hielt sich darin bei Weitem nicht so lang, als wenn sie gleich anfangs in dieselben
                              gebracht wurde. Der Schwefel conservirt die Milch sehr lange Zeit, sie wird aber
                              darin merklich sauer und gerinnt beim Kochen. Gefaͤße aus ZinkDieselbe Beobachtung wurde bekanntlich in Amerika gemacht.A. d. R., Antimon, Wismuth, Messing, Kupfer und Eisen conserviren sie sehr gut, aber
                              es ist eine sehr große
                              Frage, ob erstere unschaͤdlich sind; lezteres aber ertheilt der Milch sehr
                              schnell einen aͤußerst unangenehmen Geschmak. Fuͤr den
                              haͤuslichen Gebrauch sollte man sich meiner Meinung nach an Gefaͤße
                              aus Weißblech halten, und das Umgießen in andere moͤglichst zu vermeiden
                              suchen.
                           Der Kaͤse erhaͤlt einen sehr verschiedenen Geruch und Geschmak nach der
                              Natur der Gefaͤße, worin er bereitet wurde. Auch ist darnach der sich
                              bildende Schimmel ebenfalls sehr verschieden. Nach fuͤnfzehntaͤgiger
                              Aufbewahrung walten die ammoniakalischen Producte in allen metallenen
                              Gefaͤßen vor.
                           Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß die bei Beruͤhrung heterogener
                              Koͤrper sich entwikelnde Elektricitaͤt einen mehr oder weniger
                              bedeutenden Einfluß auf die Staͤrke oder Natur aller chemischen Reactionen
                              hat, daß man in viele Irrthuͤmer verfallen kann, wenn man ihren Einfluß
                              unberuͤksichtigt laͤßt, waͤhrend im Gegentheil viele
                              Naturerscheinungen eine vernuͤnftige Erklaͤrung finden, wenn man sie
                              dabei in Betrachtung zieht.