| Titel: | Resultate der neuesten Versuche über die Seidenzucht im mittleren Frankreich. Aus einem Schreiben des Hrn. Guérin vom 28. Julius 1833. | 
| Fundstelle: | Band 50, Jahrgang 1833, Nr. LXVIII., S. 304 | 
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                        LXVIII.
                        Resultate der neuesten Versuche uͤber die
                           Seidenzucht im mittleren Frankreich. Aus einem Schreiben des Hrn. Guérin vom 28. Julius
                           1833.
                        Aus dem Recueil industriel. August 1833, S.
                              127.
                        Resultate der neuesten Versuche uͤber die
                           Seidenzucht.
                        
                     
                        
                           Auf dem Oekonomiegute des Bergeries, 5 Meilen von Paris, ist ein Flaͤchenraum
                              von 9 Tagwerken mit Maulbeerbaͤumen bepflanzt, welche als Heken gezogen
                              werden. Die aͤltesten dieser Baumchen sind erst 7 Jahre alt, und man
                              entblaͤtterte deßhalb in diesem Jahre auch nur 2/3 derselben, um damit eine
                              Quantitaͤt Seidenraupen zu fuͤttern, welche man aus 6 Unzen. Eiern
                              oder Samen ausfallen ließ. Die ganze Zucht dieser Raupen wurde von drei
                              Commissaͤren der Akerbaugesellschaft in Versailles beaufsichtigt.
                           Die von den Raupen verzehrten Blaͤtter wogen ungereinigt 7130 Pfd. Die
                              erhaltenen Cocons von der Ina oder chinesischen Race waren sehr schoͤn weiß,
                              und wogen, ohne jene zu rechnen, die zur Nachzucht bestimmt wurden, 556 Pfd. 27 Pfd.
                              syrische Cocons wurden eigens gewogen.
                           Man erhielt also aus 6 Unzen Eiern 600 Pfd. Cocons: ein Resultat, welches man in
                              unseren suͤdlichen Provinzen selten oder ausnahmsweise und bei gleicher
                              Sorgfalt nur dann erreicht, wenn die Hize im Mai nicht zu groß ist. Denn wenn die
                              Hize, welche nicht selten um die Mitte Mai's eintritt, bis in die Gemaͤcher
                              der Raupen eindringt, so werden die Raupen krank, man verliert einen guten Theil
                              derselben und die uͤbrigen werden so schwach, daß sie bedeutend weniger Seide
                              geben. Diese Krankheit kommt in dem Klima von Paris, wo das Thermometer eher unter,
                              als uͤber dem gehoͤrigen Grade steht, nie vor. Kuͤnstliche
                              Mittel zur Erhoͤhung der Temperatur haben wir genug; zur Verminderung der
                              Hize muͤßte man aber Eisgruben in der Nahe haben, aus denen man die kalte
                              Luft je nach Bedarf in die Gemaͤcher treten lassen koͤnnte, und diese
                              Eisgruben duͤrften nur an sehr großen Anstalten mit Vortheil unterhalten
                              werden koͤnnen. Das Heiz- und Luͤftungssystem, welches man auf
                              den Bergeries befolgt, macht es moͤglich, daß man die Raupen immer in einer
                              Atmosphaͤre halten kann, welche dem natuͤrlichen Zustande so nahe als
                              moͤglich kommt.
                           
                           Auffallend ist gewiß die geringe Menge Maulbeerblaͤtter, welche die
                              Seidenraupen in diesem Jahre auf den Bergeries verbrauchten. Alle Schriftsteller
                              sind daruͤber einig, daß man zur Fuͤtterung der Raupen, die sich aus
                              einer Unze Eier entwikeln, 15 bis 1800 Pfd. Blaͤtter brauche. Hr. Camille Beauvais hatte hiernach bei seinen an den Bergeries
                              angestellten Versuchen fuͤr seine 6 Unzen 9 bis 10,000 Pfd. brauchen
                              muͤssen, waͤhrend er doch nur 7130 Pfd. verfuͤtterte, so daß
                              also hoͤchstens 1200 Pfd. Blaͤtter auf 1 Unze Eier kamen. Dieser
                              Unterschied in dem Verbrauche an Blaͤttern beruht auf mehreren Ursachen, und
                              namentlich auf folgenden beiden:
                           1) In den suͤdlichen Gegenden sind die Maulbeerbaͤume meistens sehr
                              hoch, und daher stopfen die Leute, welche auf die Baͤume steigen
                              muͤssen, um die Blaͤtter zu sammeln, zur Vermeidung des oͤftern
                              Herab- und Hinaufsteigens so viel Blaͤtter in die dazu bestimmten
                              Saͤke, als sie nur hineinbringen. In diesem Zustande bleiben die
                              Blaͤtter dann, bis die ganze Tagesernte nach Hause geschafft wird; und
                              hieraus folgt nothwendig, daß ein Theil der Blaͤtter sich erhizt und so
                              zerquetscht wird, daß die Raupen dieselben nicht mehr fressen. Hr. Beauvais hingegen
                              zieht die Maulbeerbaͤume in Helen; man braucht also nicht hinaufzusteigen, um
                              die Blaͤtter pfluͤken zu Kimen, und die Raupen erhalten die
                              Blaͤtter so frisch, als wenn sie am Baume selbst fressen wuͤrden.
                           2) In Folge der starken Hize und des starken Thaues in den suͤdlichen Gegenden
                              entstehen auf den Maulbeerblattern oft gelbe zielen, welche man Rostfleken nennt.
                              Diese Fleken bringen zwar den Seidenraupen keinen Schaden; die stetigen Stellen
                              werden aber auch von den Raupen nicht angegangen, so daß also auch hierdurch ein
                              Theil der Blaͤtter verloren geht. Auf den Maulbeerbaͤumen zu Bergeries
                              und zu Honfleur wurden nie dergleichen Fleken beobachtet.
                           Die Seide, welche Hr. Beauvais von seinen chinesischen Seidenraupen erhielt, war so
                              schoͤn weiß, daß er dieselbe, nachdem sie auf der Seidenmuͤhle
                              zugerichtet worden, im Jahre 1832 das Pfund von 15 Unzen um 51 Franken 25 Cent. an
                              einen Seidenhaͤndler zu Paris verkaufte, ein Preis, der hoͤher ist,
                              als man ihn fuͤr die suͤdfranzoͤsische und selbst fuͤr
                              die italienische Seide bezahlt. Die Auslagen fuͤr Arbeitslohn, fuͤr
                              das Pfluͤken der Blaͤtter, fuͤr die Weiber, die in der Anstalt
                              beschaͤftigt waren, fuͤr das Heizen und andere Dinge, so wie die
                              Kosten des Spinnens und des Zurichtens auf der Seidenmuͤhle beliefen sich
                              zusammengenommen nicht hoͤher, als auf 600 Franken, so daß also 6 Tagwerke
                              Landes (das Tagwerk zu 100 Ruthen und die Ruthe zu 20 Fuß) einen reinen Ertrag von
                              mehr als 2400 Franken
                              abwarfen, indem die 600 Pfd. Cocons wenigstens 60 Pfd. Seide gaben.
                           Diese Daten geben also neuerdings einen Beweis, daß es nicht leicht einen
                              eintraͤglicheren Kulturzweig gebe, als die Seidenzucht. Ich selbst, sagt Hr.
                              Guérin, zog in diesem Jahre eine weit
                              geringere Menge Cocons, als Hr. Beauvais, weil ich keine
                              so große Anzahl von Maulbeerbaͤumen besize, und weil meine Baͤumchen
                              uͤberdieß auch noch juͤnger sind. Ich brachte ihm im Julius 2000
                              Stuͤk Cocons, um dieselben mit den seinigen vergleichen zu koͤnnen.
                              Wir nahmen eine gleiche Anzahl von seinen und von meinen Cocons und wogen dieselben
                              ab; das Gewicht der meinigen war um so wenig groͤßer, daß man beide Sorten
                              Cocons fuͤglich als gleich schwer betrachten konnte. Die Seide seiner Cocons
                              war etwas weißer als jene der meinigen, weil seine Raupen von der chinesischen, die
                              meinigen hingegen von der Race von Novi in Piemont abstammten, die bekanntlich eine
                              weniger weiße Seide liefert.
                           Ich ließ 100 meiner Cocons vor meinen Augen abhaspeln, und ließ die abgehaspelte
                              Seide dann von einem sehr gewandten Seiden, Haͤndler beurtheilen und
                              schaͤzen. Er verglich sie mit der zu Alais im Departement du Gard gezogenen
                              chinesischen Seide, wobei sich zeigte, daß die chinesische Seide vom Gard zwar etwas
                              weißer, die meinige hingegen weit feiner und dabei doch eben so stark war. Es ist
                              schon laͤngst bekannt, daß die in noͤrdlicher gelegenen Gegenden
                              gezogene Seide nerviger und feiner ist, als jene, die in suͤdlichen
                              Laͤndern erzielt wird. Der Unterschied, welcher sich in diesem Falle ergab,
                              war jedoch so bedeutend, daß er wahrscheinlich nur dem Umstande beizumessen seyn
                              duͤrfte, daß meine Raupen großen Theils mit Blaͤttern des sogenannten
                              vielstaͤngeligen Maulbeerbaumes (Morus
                                 multicaulis)Der vielstaͤngelige oder philippinische Maulbeerbaum (Morus multicaulis oder Morus Perrotteti), welcher eigentlich aus China abstammt, und
                                    daselbst hauptsaͤchlich zur Seidenraupenzucht verwendet wird, wurde
                                    bekanntlich vor laͤngerer Zeit von dem beruͤhmten Perrottet von den philippinischen Inseln nach
                                    Isle de France, Cayenne und nach Europa gebracht. Wir haben unseren Lesern
                                    schon einige Male Notizen uͤber denselben mitgetheilt, und
                                    fuͤgen hier gegenwaͤrtig nur noch folgende Notiz uͤber
                                    die verschiedenen Arten von Maulbeerbaͤumen bei, welche Hr. Noisette, dieser um die Kultur von ganz Europa so
                                    hoch verdiente Mann, in seinen ausgedehnten Garten und Baumschulen zu Paris
                                    zieht. Diese Arten und Abarten sind naͤmlich:1) Morus alba, der gewoͤhnliche weiße
                                    Maulbeerbaum.2) Morus alba latifolia, der
                                    breitblaͤtterige weiße Maulbeerbaum.3) Morus alba hispanica, der spanische weiße
                                    Maulbeerbaum.4) Morus alba macrophylla, der
                                    großblaͤtterige weiße Maulbeerbaum. Ich zog diese schoͤne
                                    Abart (sagt Hr. Noisette im Journal des connaissances usuelles, Oktober
                                    1833, S. 175) aus Samen und halte sie fuͤr die vortheilhafteste von
                                    allen, da sie nicht bloß sehr viel Futter gibt, sondern auch in dem Klima
                                    von Paris eine der staͤrksten von allen wird. Ihre Blaͤtter
                                    stehen naͤmlich nur 1 1/2 bis 2 Zoll weit von einander entfernt
                                    und sind 8 bis 9 Zoll lang und eben so breit, sie sind fest und werden von
                                    den Seidenraupen sehr gierig gefressen.5) Morus alba laevigata, der glatte weiße
                                    Maulbeerbaum. Auch diese Abart, die ich gleichfalls aus Samen zog,
                                    gewaͤhrt sehr viele Vortheile. Die auf ihr und der vorhergehenden
                                    Abart gezogenen Seidenraupen lieferten eine sehr schoͤne gelbe Seide
                                    von ausgezeichneter Guͤte.6) Morus alba heterophylla, der
                                    verschiedenblaͤtterige weiße Maulbeerbaum, und7) Morus alba laciniata, der weiße Maulbeerbaum
                                    mit zerschlizten Blaͤttern, treiben beide sehr kraͤftig, sind
                                    aber wenig gesucht.8) Morus constantinopolitana, der
                                    constantinopolitanische Maulbeerbaum. Er bleibt immer nur ein Strauch, ist
                                    gegen unser Klima empfindlich, und eignet sich daher, obschon die Raupen
                                    seine Blaͤtter gern fressen, nicht zum Seidenbaue.9) Morus canadensis, der canadische
                                    Maulbeerbaum.10) Morus japonica, der japanische Maulbeerbaum.
                                    Ich brachte denselben vor 10 bis 12 Jahren aus England, und erhielt seither
                                    sehr schoͤne, 1–1 1/2 Zoll lange, schwarze Fruͤchte von
                                    demselben. Seine Blaͤtter sind groß und dunkelgruͤn; er ist
                                    aber gegen das Klima von Paris wenigstens eben so empfindlich, als der
                                    vielstaͤngelige Maulbeerbaum; besser gedeiht noch folgende Abart
                                    desselben:11) Morus japonica ficifolia, der japanische
                                    Maulbeerbaum mit Feigenblaͤttern.12) Morus indica, der indische Maulbeerbaum. Ein
                                    kraͤftiger Baum, der das Klima von Paris sehr gut vertraͤgt,
                                    mit großen, dunkelgruͤnen, glaͤnzenden, etwas festen
                                    Blaͤttern, ziemlich dicht stehenden Knospen und geraden Aesten. Ich
                                    habe bisher nur wenige Versuche uͤber die Fuͤtterung der
                                    Raupen mit Blattern dieser Abart gemacht; glaube aber, daß dieselbe noch zu
                                    sehr interessanten Versuchen fuͤhren duͤrfte.13) Morus lucida, der glaͤnzende
                                    Maulbeerbaum. Er stammt gleichfalls aus China, und man sagt, daß sich die
                                    Seidenraupen auf ihm festsezen, und ihre ganze Arbeit auf ihm vollenden. Der
                                    Baum sieht sehr schoͤn aus; seine Aeste sind zarter, als an dem
                                    japanischen Maulbeerbaume. Seine glatten, glaͤnzenden und rauschenden
                                    Blaͤtter sind beinahe noch ein Mal so groß, als jene des
                                    gewoͤhnlichen weißen Maulbeerbaumes. Ich habe gefunden, daß die
                                    Seidenraupen die Blaͤtter dieser Art allen uͤbrigen vorziehen,
                                    und dabei eine sehr feine, feste, goldgelbe Seide geben.14) Morus multicaulis, der vielstaͤngelige
                                    Maulbeerbaum.15) Morus nigra, der schwarze Maulbeerbaum. Er
                                    findet sich haͤufig in unseren Gaͤrten, gibt aber eine
                                    mittelmaͤßige Seide.16) Morus populifolia, der
                                    pappelblaͤtterige oder tatarische Maulbeerbaum. Ein großer Baum mit
                                    zarten graulichen Aesten, rundlichen, flachen, glaͤnzenden, nicht
                                    sehr fleischigen, blaßgruͤnen Blaͤttern von der Groͤße
                                    der Blaͤtter der gewoͤhnlichen Schwarzpappel. Er treibt bei
                                    Zeiten und zieht im Herbste fruͤhzeitig ein, so daß er sich
                                    hauptsaͤchlich fuͤr kalte Klimate eignen duͤrfte. Ich
                                    hatte noch keine Gelegenheit, Versuche uͤber die Fuͤtterung
                                    der Raupen mit diesen Blattern, die leider klein sind, anzustellen.17) Morus sinensis, der chinesische Maulbeerbaum.
                                    Dieser Baum, den ich aus England zuruͤkbrachte, scheint dem
                                    canadischen Maulbeerbaume sehr aͤhnlich; er ist sehr kraͤftig;
                                    seine Blaͤtter sind groß, fuͤhlen sich aber etwas rauh an. Die
                                    Seidenraupen fressen die Blaͤtter gern; die damit gezogene Seide
                                    schien mir aber etwas grob, und sehr gelb.18) Morus tinctoria, der faͤrbende
                                    Maulbeerbaum. Man verwendet dessen Rinde und dessen Wurzel in China und auch
                                    in Europa zum Gelbfaͤrben. Er haͤlt unser Klima sehr gut aus;
                                    seine Blaͤtter stehen weit von einander entfernt, sind beinahe rund,
                                    blaßgruͤn, und uͤber 5 Zoll breit. Nie sah ich, daß die jungen
                                    Triebe vom Froste gelitten hatten. Die mit diesen Blaͤttern gezogene
                                    Seide hat eine schoͤne gelbe Farbe, ist aber nicht von erster
                                    Feinheit.19) Broussonetia papyrifera der
                                    Papier-Maulbeerbaum.20) Broussonetia papyrifera cucullata, eine Abart
                                    der vorhergehenden.Die Seidenraupen fressen wohl beide; die bei dieser Fuͤtterung
                                    gewonnene Seide ist aber nur von mittelmaͤßiger Guͤte.21) Macloura aurantica. Dieser nordamerikanische
                                    Baum vertraͤgt unser Klima sehr gut, und gibt nicht nur ein sehr
                                    gutes Faͤrbemittel, sondern auch vortreffliche und wahrhaft
                                    undurchdringliche Heken. Die Seidenraupen fressen seine glaͤnzenden,
                                    rauschenden Blaͤtter sehr gern, und ziehen sie manchmal sogar den
                                    Maulbeerblattern vor. Sie spinnen bei dieser Nahrung eine schoͤne
                                    hellgelbe Seide, deren Faden mir ziemlich fein und gut zu seyn schien. Die
                                    Macloura laͤßt sich sowohl durch Wurzelbrut, als durch Stellinge
                                    leicht vermehren. gefuͤttert worden. Diese Art von Maulbeerbaum ist naͤmlich der
                              geeignetste zur Seidenraupenzucht, und die damit gefuͤtterten Raupen geben
                              eine Seide von solcher Guͤte, wie sie bisher im Handel noch nicht vorkam. Der
                              vielstaͤngelige Maulbeerbaum ist um so schaͤtzenswerter, als er sich
                              mit groͤßter Leichtigkeit durch Steklinge bis ins Unendliche vermehren
                              laͤßt.
                           
                        
                           Anhang.
                           Wir erlauben uns diesem interessanten Dokumente uͤber die Verbreitung und die
                              Erfolge des Seidenbaues in den noͤrdlicheren Gegenden Frankreichs folgende
                              Bemerkungen eines Correspondenten des Journal des
                                 connaissances usuelles beizufuͤgen, und glauben uns um so mehr
                              hierzu berechtigt, als man in unserem lieben Deutschland noch immer gewohnt ist, auf
                              die Worte und Versuche des Auslandes ein groͤßeres Gewicht zu legen, als auf
                              die wiederholten Ermahnungen und die jahrelangen Beobachtungen unserer
                              Landsleute.
                           Ich sah den vielstaͤngeligen Maulbeerbaum, sagt Hr. C. D. J. N., zum ersten
                              Male vor 10 Jahren bei einem Baumschuleninhaber zu Montpellier. Die
                              Staͤmmchen waren zwei Jahre alt und einen Daumen dik; die Blaͤtter
                              derselben zeichneten sich durch ihre Groͤße aus, denn die meisten waren an 20
                              Zoll lang und 16 bis 18 Zoll breit; sie waren uͤberdieß so weich und biegsam,
                              daß man sie wie ein Schnupftuch nach allen Richtungen zusammenlegen, in den Sak
                              steken und wieder ausbiegen konnte, ohne daß sie dadurch merklich zerknittert
                              wurden. Ich kaufte mir 6 solche Staͤmmchen, die ich wegen ihrer damaligen
                              Seltenheit theuer zahlen mußte, und pflanzte sie in ein Erdreich, welches zwar nicht
                              so gut war, wie jenes der Baumschule, in welchem aber doch Reben, Feigen u. dergl.
                              sehr gut gedeihen. Meine Baumchen sind nun 10 Jahre alt, blieben aber troz aller
                              Sorgfalt, die ich auf sie verwendete, hinter den sogenannten
                              Rosen-Maulbeerbaͤumen zuruͤk, die ich zugleich mit ihnen
                              pflanzte; sie geben dem Gewichte nach nicht so viel Blaͤtter, als die weißen
                              Maulbeerbaͤume; ihre Blaͤtter sind nur mehr 6 bis 7 Zoll lang, werden
                              wegen ihrer Zartheit von dem Winde leicht zerrissen, und sind dem Stiche einer
                              Fliege ausgesezt, welche ich mehrmalen auch auf den Pfirsichblattern beobachtete,
                              und welche ein Zusammenrunzeln der Blaͤtter bewirken.
                           
                           Außerdem hat der vielstaͤngelige Maulbeerbaum auch noch den Fehler, daß er 10
                              bis 14 Tage fruͤher in Saft tritt, als der gewoͤhnliche Maulbeerbaum,
                              und daß er folglich den Fruͤhlingsfroͤsten sehr ausgesezt ist. In den
                              8 Jahren, waͤhrend welcher ich ihn ziehe, sind mir die ersten Triebe drei Mal
                              erfroren, so daß die Baͤume wie abgestorben aussahen, und erst nach 20 Tagen
                              wieder kraͤftig austrieben.
                           Ich zog beilaͤufig 2000 Seidenraupen, welche ich bis zur dritten
                              Haͤutung mit Blaͤttern des Rosen-Maulbeerbaumes, und dann mit
                              Blaͤttern des vielstaͤngeligen Maulbeerbaumes fuͤtterte. Die
                              Aenderung der Nahrung schadete den Raupen nicht, sowohl die vierte Haͤutung
                              als das Einspinnen verlief ohne alle Nachtheile, und ich erhielt eine große Menge
                              schoͤner Cocons, die zwar im Vergleiche mit den Cocons der Raupen, die mit
                              gewoͤhnlichen Maulbeerblaͤttern gefuͤttert worden waren, etwas
                              weniger hart schienen, dafuͤr aber ein schoͤneres und
                              glaͤnzenderes Weiß hatten. Was das Gewicht betrifft, so gingen von den
                              gewoͤhnlichen Cocons 500, von den mit den Blaͤttern des
                              vielstaͤngeligen Maulbeerbaumes erzielten Cocons aber 551 auf den
                              Kilogramm.
                           Es laͤßt sich nicht laͤugnen, daß die Seidenraupen die Blaͤtter
                              des vielstaͤngeligen Maulbeerbaumes lieber fressen, und doch ergeben sich bei
                              diesen mehr Abfaͤlle. Wahrscheinlich beruht dieß auf demselben Grund, nach
                              welchem die aͤußersten Blaͤtter aller Maulbeerbaumsorten den
                              Beobachtungen Dandolo's zu Folge mehr Abfalle liefern,
                              und dieser Grund ist: daß die zarten und biegsamen Blaͤtter den
                              Freßwerkzeugen der Raupen mehr nachgeben und denselben entwischen.
                           Ich glaube daher, daß die besseren bekannten Abarten des weißen Maulbeerbaumes dem
                              vielstaͤngeligen vorzuziehen seyn duͤrften, und zwar, weil die
                              Baͤume staͤrker werden und mit schlechterem Boden vorlieb nehmen; weil
                              die Blaͤtter spaͤter ausschlagen, dem Winde besser widerstehen, und
                              dichter stehen, so daß diese Baͤume im Ganzen mehr Blaͤtter geben;
                              weil die Blaͤtter des vielstaͤngeligen Maulbeerbaumes auf schlechterem
                              Boden kaum großer sind, und mehr von Insecten angegriffen werden. Ich bin
                              uͤbrigens weit entfernt, dem vielstaͤngeligen Maulbeerbaume seine
                              guten Eigenschaften streitig zu machen; er laͤßt sich naͤmlich
                              außerordentlich leicht vermehren, und wenn es richtig ist, daß die mit seinen
                              Blaͤttern gefuͤtterten Raupen eine schoͤnere und feinere Seide
                              spinnen, so duͤrften die oben erwaͤhnten Nachtheile wohl durch diese
                              Vortheile aufgewogen werden. Da derselbe uͤbrigens nicht sehr groß zu werden
                              scheint, so duͤrfte es vielleicht am besten seyn, ihn in Heken zu ziehen.
                           
                           Ich erlaube mir schließlich noch einige Bemerkungen uͤber die heurige
                              Seidenernte im Département de l'Hérault
                              beizufuͤgen. Der vortreffliche Fruͤhling, die ausgezeichnete
                              Guͤte der Maulbeerblaͤtter, die bei der geringen Menge des gefallenen
                              Regens alle zur Fuͤtterung wuͤnschenswerthen Eigenschaften besaßen,
                              ließen die beste und reichste Ernte erwarten. Die Raupen durchlebten auch wirklich
                              die vier ersten Perioden ihres Lebens beinahe ohne alle Krankheiten, als gerade um
                              jene Zeit, um welche sie sich einspinnen sollten, gegen Ende Mai's, die Hize bis auf
                              23 und 24° R. stieg. Hierdurch wurden die Thiere so schwach und so ermattet,
                              daß sie nicht Kraft genug besaßen, um an den Heidenbuͤscheln emporzukriechen,
                              und daß selbst viele von denen, die ihre Cocons zu spinnen begonnen hatten, zu
                              Grunde gingen, ehe sie dieselben vollendet hatten. Leider ereignet sich dieser Fall
                              in unseren suͤdlichen Gegenden nicht selten; denn gewoͤhnlich kommt um
                              diese Zeit entweder eine staͤrkere Hize oder jener warme, feuchte
                              Suͤdwind, der Menschen und Thiere so sehr ermattet, und bei welchem die
                              Seidenraupen in Masse zu Grunde gehen, da alle Ventilatoren in einem solchen Falle
                              keine troknere und kuͤhlere Luft schaffen. Aus diesem Grunde gedeiht die
                              Seidenzucht in den Cevennen und im Vivarais besser, als im suͤdlichen
                              Frankreich, als an den Kuͤsten Piemont's und als in den tiefliegenden
                              Gegenden Italiens, und es ist gewiß, daß die Seidenzucht in
                                 allen kaͤlteren und hoͤher gelegenen Gegenden, wenn nur der
                                 Maulbeerbaum daselbst noch gedeiht, mit mehr Vortheil betrieben werden kann, als
                                 in den suͤdlicheren und heißeren Laͤndern. Man kann sich
                              leicht aus dem Winter einen kuͤnstlichen Fruͤhling schaffen,
                              unmoͤglich aber ist es aus Hundstagen Fruͤhlingstage zu machen.
                           Nach Dandolo, Bonafous und Pitaro soll man bei einer zwekmaͤßigen Behandlung der Seidenzucht
                              aus einer Unze Eier 120 Pfd. Cocons erziehen; im Département de l'Hérault erhaͤlt man nie uͤber
                              90 Pfd. Ich selbst erhielt kein besseres Resultat, obschon ich ganz nach Dandolo's Vorschriften verfuhr. Uebrigens muß ich
                              gestehen, daß unsere Seidenzuͤchter meistens sehr unwissend sind, und daß man
                              bei uns beinahe gar keine gehoͤrig eingerichteten und zur Seidenzucht
                              tauglichen Gebaͤude trifft. Gewoͤhnlich verwendet man die Boden
                              hierzu, die sich unmittelbar unter dem Ziegeldache befinden, und auf denen im Sommer
                              eine unertraͤgliche Hize herrscht! Weit besser macht man es in den Cevennen,
                              wo man die Schafstaͤlle, die um diese Zeit leer sind, zur Seidenraupenzucht
                              verwendet.