| Titel: | Auszug aus den Abhandlungen des Hrn. Payen über die knollenförmige Oxydation der gußeisernen Brunnenröhren. | 
| Fundstelle: | Band 65, Jahrgang 1837, Nr. XVIII., S. 60 | 
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                        XVIII.
                        Auszug aus den Abhandlungen des Hrn. Payen uͤber die
                           knollenfoͤrmige Oxydation der gußeisernen Brunnenroͤhren.
                        Aus den Annales de Chimie et de Physique. Decbr. 1836,
                              S. 405.
                        Payen, uͤber die knollenfoͤrmige
                           Oxydation.
                        
                     
                        
                           In den Wasserleitungsroͤhren der Stadt Grenoble haben sich bekanntlich vier
                              Jahre, nachdem sie gelegt worden waren, so viele Knollen gebildet, daß sie kaum mehr
                              die Haͤlfte der Wassermenge, welche sie anfangs lieferten, abgeben
                              konnten.Polyt. Journal Bd. LIII. S. 207. Der Magistrat erließ daher eine Bekanntmachung, worin er die Gelehrten
                              aufforderte, die Ursache dieser beunruhigenden Erscheinung auszumitteln und ein
                              Verfahren anzugeben, wodurch ihr begegnet werden kann.
                           Die Debatten der Chemiker uͤber diesen Gegenstand fuͤhrten zu zwei
                              Theorien; diejenige, welche den Sieg davon trug, entstand folgender Maßen.
                           Man erinnert sich, daß damals Hr. Payen der Akademie der
                              Wissenschaften eine Abhandlung uͤbergab, worin er bewies, daß alle
                              alkalischen Fluͤssigkeiten die Eigenschaft haben, sich der Oxydation des
                              Eisens zu widersezen.Polyt. Journal Bd. XLVI. S. 267 und
                                    Bd. LI. S. 116. Er hatte im Verlauf seiner Versuche gewisse merkwuͤrdige
                              Eigenthuͤmlichkeiten bei der Oxydation des Eisens unter dem Einfluß eines
                              lufthaltigen und sehr schwach alkalischen Wassers beobachtet, und erklaͤrte
                              sich sogleich dahin, daß die Knollenbildung in den Roͤhren in Grenoble den
                              Wirkungen, welche er nach Belieben in seinem Laboratorium hervorbringen konnte,
                              analog sey. Dieß wurde auch durch die Beobachtungen der Ingenieurs von Grenoble
                              vollkommen bestaͤtigt, und wir wollen daher die wichtigsten Thatsachen,
                              worauf sich seine Theorie gruͤndet, hier mittheilen.
                           Ueber den Graͤnzen, wo die alkalische Reaction des lufthaltigen Wassers zu
                              schwach ist, als daß sie das Stabeisen, den Stahl und das Roheisen ganz gegen
                              Oxydation schuͤzen koͤnnte, oxydirt sich das Metall, welches anfangs
                              durch den Sauerstoff der aufgeloͤsten Luft angegriffen wurde, nur noch an
                              gewissen Stellen, wo fremdartige Koͤrper Elemente einer galvanischen
                              Saͤule abgeben; und da die continuirliche Oxydbildung von denselben Stellen
                              ausgeht, so veranlaßt sie natuͤrlich die Auswuͤchse, welche man
                              eisenhaltige Knollen nennt.
                           
                           Das graue Roheisen wird staͤrker angegriffen als das Stabeisen und das weiße
                              Roheisen, so daß man, wenn Stuͤke von ersterem in eine Platte von Stabeisen
                              oder weißem Roheisen eingesezt sind, die Knollenbildung von diesen Stuͤken
                              ausgehen und in der Fluͤssigkeit an diesen Stellen immer weiter fortschreiten
                              sieht. Bekanntlich enthaͤlt das umgeschmolzene Roheisen aber immer Theilchen
                              von grauem Roheisen in Beruͤhrung mit Theilen, die sich im Zustande von
                              weißem Roheisen befinden.
                           Durch den Zusaz einer geringen Menge Kochsalz (Chlornatrium) werden die
                              angefuͤhrten Wirkungen so beschleunigt, daß sie sich in weniger als einer
                              Minute in einer Fluͤssigkeit zu zeigen anfangen, welche zugleich mit Kochsalz
                              und kohlensaurem Natron gesaͤttigt und dann mit ihrem
                              fuͤnfundsiebenzigfachen Volum lufthaltigen Wassers verduͤnnt
                              wurde.
                           Durch diese Reactionen entsteht zuerst ein weißliches Eisenoxydulhydrat, das sehr
                              lange als solches in den Theilen verbleibt, welche mit dem Metall oder dem sich
                              bildenden Oxyd in Beruͤhrung sind, und sie unaufhoͤrlich abstoßt. So
                              fand Hr. Payen das weiße Oxydulhydrat dauernd auf den
                              Seitenwaͤnden glaͤserner Gefaͤße in einer Entfernung von 0,1
                              Meter von dem Punkt, wo es auf dem Eisen entstanden und von dem es
                              allmaͤhlich abgestoßen worden war; die Oberflaͤche der knolligen
                              Wurst, welche das Oxydul in der Fluͤssigkeit uͤberzog, ging vom Weiß
                              in ein immer dunkleres Braungruͤn und zulezt in Orangegelb uͤber.
                           Solche knollige Oxydationen, die auf verschiedenen Stuͤken von Roheisen
                              gesammelt worden waren, lieferten bei der Analyse immer die drei Eisenoxyde (Fe
                              O), (Fe
                              O, F²O³), (F
                              e²O³) in
                              verschiedenen Verhaͤltnissen, welche von dem Metall getrennt sich schnell
                              sowohl an der Luft als im Wasser in die beiden lezteren umaͤndern: die Menge
                              des Sesquioxyds nimmt immer mehr zu; endlich kommt darin auch stets kohlensaures
                              Eisen und Kieselerde vor.
                           Wenn die Knollen in einer Aufloͤsung entstanden, welche Kochsalz
                              enthaͤlt, findet man darin auch noch salzsaures Eisenoxydul. Wasser, welches
                              2 Tausendtheile reines kohlensaures Natron und 6 Tausendtheile Kochsalz
                              enthaͤlt, liefert Knollen, welche an ihrem Anfangspunkte schmaͤler
                              sind und sich in spiralfoͤrmigen oder laͤnglichen Formen in allen
                              Richtungen auf der Oberflaͤche der Metallplatten oder Glaswaͤnde und
                              selbst isolirt in die Fluͤssigkeit hinein verbreiten.
                           Auf den Theilen, wo die Oxydation anfing, enthaͤlt das Gußeisen mehr Graphit,
                              ist schwaͤrzlich und sehr weich geworden.
                           Diese Resultate stimmen vollkommen mit Berthier's Analysen
                              der Knollen von Grenoble und des durch das Meerwasser veraͤnderten Gußeisens uͤbereinPolyt. Journal Bd. LXIII. S. 378.; in jenen haͤtte sich, wie er selbst bemerkt, ohne Zweifel viel mehr
                              Oxydul vorgefunden, wenn man sie in dem Augenblike, wo sie sich von den
                              Roͤhren losrissen, haͤtte analysiren koͤnnen.
                           Gluͤklicherweise muͤssen alle Substanzen, welche die gußeisernen
                              Roͤhren gegen die Knollenbildung schuͤzen, auch uͤberdieß noch
                              deren Dauerhaftigkeit erhoͤhen. Dahin gehoͤren der innere Ueberzug von
                              hydraulischem Kalk, welchen Vicat und Gaymard empfahlenPolyt. Journal Bd. LXIII. S. 377., oder mit Bleiglaͤtte gekochtes Leinoͤhl, welches Hr. Juncker mit gutem Erfolge bei den gußeisernen
                              Roͤhren der schoͤnen Maschinen in Huelgoat anwandte (es wurde
                              naͤmlich mittelst eines starken Drukes in ihre Poren getrieben).
                           Hr. Payen stellte auch einige Versuche an, um die
                              Eigenschaft alkalischer Fluͤssigkeiten, das Stabeisen und Roheisen gegen jede
                              Veraͤnderung zu schuͤzen, welche durch Zusaz einer sehr geringen Menge
                              Kochsalz sogleich aufgehoben wird, wissenschaftlich zu erklaͤren.
                           Es wurde eine Flasche zur Haͤlfte mit destillirtem Wasser gefuͤllt,
                              worin man 1/200 Kali aufgeloͤst hatte; man tauchte nun eine vollkommen
                              polirte Eisenplatte und eine Goldplatte hinein; an jeder dieser Platten war ein
                              Draht von demselben Metalle befestigt, welcher durch den Stoͤpsel ging. Nach
                              achtzehn Monaten hatte das Eisen seinen Glanz noch vollstaͤndig beibehalten,
                              und es war keine Spur von Oxyd entstanden.
                           Der Gold- und der Eisendraht wurden mit einem Multiplicator (mit kurzem
                              Drahte) verbunden, wodurch augenbliklich eine Abweichung der Magnetnadel um
                              35° erfolgte, und nachdem dieselbe einige Zeit oscillirt hatte, blieb sie
                              neuerdings auf 0° stehen; als man die Communication unterbrach und sie
                              sogleich wieder herstellte, wurde die Magnetnadel nicht mehr abgelenkt; als man
                              endlich die Kette eine Viertelstunde lang offen ließ und sie dann wieder schloß,
                              wurde die Nadel um 25° abgelenkt; nach einer Unterbrechung des Stroms von
                              einer halben Stunde stieg die Abweichung neuerdings auf 35°. Dieser Versuch
                              wurde sehr oft mit stets gleichem Erfolge wiederholt. Der erzeugte Strom ist
                              folglich das Resultat einer aͤhnlichen Entladung wie die der Leydener
                              Flasche.
                           Wenn man Eisen mit alkalisirtem Wasser in Beruͤhrung bringt, nimmt also das
                              Metall allmaͤhlich negative und das Wasser positive Elektricitaͤt an,
                              gerade so als wenn eine chemische Reaction zwischen ihnen Statt faͤnde. Diese
                              beiden Elektricitaͤten bleiben ungeachtet ihrer gegenseitigen Anziehung auf
                              der Beruͤhrungsflaͤche im Gleichgewichte und verbinden sich erst wieder,
                              wenn man zwischen dem Eisen und der Aufloͤsung mittelst eines Gold-
                              oder Platindrahts die Communication herstellt. Hieraus folgt, daß Eisen, welches
                              bestaͤndig negativ erhalten wird, im guͤnstigsten Zustande ist, um
                              sich nicht mit dem Sauerstoff der in der Loͤsung befindlichen Luft zu
                              verbinden; woher kommt es aber, daß wenn man das alkalisirte Wasser mit einer
                              geringen Menge Kochsalzloͤsung versezt, keine augenbliklichen Entladungen
                              mehr erfolgen, sondern ein continuirlicher Strom, zum Beweis, daß das Eisen ohne
                              Unterbrechung angegriffen wird? Dieß kommt zum Theil daher, daß die Bestandtheile
                              des Kochsalzes sich unter dem Einflusse der elektrischen Zustaͤnde des Eisens
                              und des alkalisirten Wassers trennen: die so begonnene Reaction dauert dann
                              fort.
                           Durch diese Erklaͤrung der merkwuͤrdigen Erscheinung, daß Stabeisen,
                              Gußeisen und Stahl in hinreichend alkalischen Aufloͤsungen sich
                              unveraͤndert aufbewahren lassen, begreift man auch leicht, warum bei einer zu
                              geringen Menge Alkali oder bei Dazwischenkunft eines veraͤnderlichen
                              fremdartigen Koͤrpers locale Oxydationen und folglich knollige
                              Auswuͤchse entstehen muͤssen, und da wir nun die Ursache dieser
                              beunruhigenden Erscheinung kennen, so sind uns auch die Mittel, um sie zu
                              verhindern, vorgezeichnet. Eine hinreichend lange fortgesezte Erfahrung im Großen
                              muß jedoch daruͤber entscheiden, welche Agentien zur Erreichung eines Zwekes,
                              der fuͤr die Vertheilung des Wassers in den Staͤdten etc. von hoher
                              Wichtigkeit ist, den Vorzug verdienen.