| Titel: | Ueber einen durch Luftdruk in Bewegung gesezten Wagen; von den HHrn. Andraud und Tessié du Motay. | 
| Fundstelle: | Band 81, Jahrgang 1841, Nr. LXII., S. 257 | 
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                        LXII.
                        Ueber einen durch Luftdruk in
                           Bewegung gesezten Wagen; von den HHrn.  Andraud und Tessié du
                              Motay.
                        Aus den Comptes
                                 rendus, 1841, 1r semestr. No. 20, S.
                              894.
                        Ueber einen durch Luftdruk in Bewegung gesezten
                           Wagen.
                        
                     
                        
                           Schon vor zwei Jahren übergab Hr. Andraud der Pariser Akademie eine gedrukte Abhandlung,
                              worin er einige allgemeine, rein theoretische Betrachtungen über
                              mehrere Vortheile anstellte, welche die Industrie aus dem Druke
                              der Luft als Triebkraft ziehen könnte. Zu derselben Zeit
                              beschäftigte sich Hr. Tessié du
                                 Motay mehr als hundert Meilen von Paris mit ähnlichen
                              Arbeiten; bald vereinigte sie eine vollkommene Uebereinstimmung
                              in ihren Ansichten über diesen Gegenstand und bestimmte sie,
                              eine Reihe Versuche gemeinschaftlich vorzunehmen, welche dem
                              neuen dynamischen System als Basis dienen sollten.
                           Nach mehr als einem Jahr unausgesezter Untersuchungen über den
                              Hochdruk der Luft, über die Gestalt und Substanz der zu ihrer
                              Einschließung geeignetsten Gefäße, über die Mittel, ihr
                              Auslassen in der Art zu reguliren, daß die Wirkungen des Dampfes
                              hervorgebracht werden, nach Anfertigung einer zu den Versuchen
                              dienenden Vorrichtung, welche uns die Ausdehnungskraft der
                              erwärmten Luft und ihre Compressionskraft zu gleicher Zeit
                              anzuwenden gestattete, schritten wir endlich zu verschiedenen
                              Anwendungen der neuen Kraft, wie zum Heben von Wasser, zum
                              Werfen von Projectilen, und endlich zur Fortschaffung eines
                              Wagens auf einer Eisenbahn. Ueber diesen leztern Versuch
                              erbitten wir uns die Aufmerksamkeit der Akademie.
                           Wir haben uns niemals die Schwierigkeiten verhehlt, welche die
                              praktische Lösung der von uns verfolgten Probleme mit sich
                              führt. Wenn auch unsere wissenschaftlichen Kenntnisse über die
                              Eigenschaften der Luft, von dem Mariotte'schen Geseze an bis zu Biot's und Arago's
                              Entdekungen, übereinstimmend den Erfolg unseres Unternehmens
                              theoretisch sichern, wie viel materielle Hindernisse stellen
                              sich der Ausführung noch in den Weg! Noch nie war eine Aufgabe
                              der Mechanik so complicirt: vor Allem mußte man sich durch
                              bekanntlich gefährliche Versuche überzeugen, ob die Luft durch
                              einen sehr starken Druk in mäßig schweren Gefäßen comprimirt
                              werden könne; denn wenn man, wie dieß natürlich scheint, einen
                              Vergleich zwischen den Recipienten für comprimirte Luft und den
                              Dampfkesseln ziehen will, so hätte man, wenn man unter denselben
                              Verhältnissen des Drukes dieselben Gefahren der Explosion zu
                              fürchten gehabt hätte, niemals daran denken dürfen, die Luft als
                              Triebkraft zu benüzen; die Dampfkessel zerspringen nämlich schon
                              unter anscheinend sehr niederm Druke, um aber von einer gewissen
                              Masse Luft einen Nuzeffect zu erlangen, muß sie auf 30 oder 40
                              Atmosphären comprimirt werden.
                           Nun hat uns die erste Reihe unserer Versuche über diesen Punkt
                              ganz außer Zweifel gesezt. Unsere Recipienten von ungefähr 100
                              Liter Rauminhalt haben, obschon nur von ziemlich dünnem (2
                              Millimeter dikem) Eisenblech, constant einem Druke von 30 bis 35
                              Atmosphären widerstanden. Einmal, als wir die Gränze ihres
                              Widerstandes kennen lernen wollten, wurde der Druk bis über die
                              Angaben des Manometers, welcher auf 75 Atmosphären graduirt war,
                              gesteigert. Hier gab das Gefäß nach, indem es riß, aber nicht
                              explodirte. Ein kaum sichtbarer Sprung ließ die Luft mit großem
                              Gezische entweichen. Diese Thatsache brachte uns auf den
                              Gedanken, daß wenn Dampfkessel bei niederm Druke bersten, dieses
                              Ereigniß nicht der normalen Ausdehnung des Dampfes, sondern dem
                              plözlichen Auftreten von Elektricität zuzuschreiben sey, welche
                              Vermuthung sich auf andere sehr gewichtige Betrachtungen stüzt,
                              über die Hr. Andraud vor Kurzem der
                              Akademie eine Abhandlung einreichte.
                           Hierauf mußten wir uns mit den Mitteln der Compression
                              beschäftigen. Die Drukpumpen bilden den Hauptgegenstand, welcher
                              als die Grundlage der neuern aërodynamischen Wissenschaft
                              betrachtet werden kann. Wir waren so glüklich, uns bei unsern
                              Versuchen zwei sehr starker, nach dem besten bekannten Systeme
                              construirter Pumpen bedienen zu können. Nichtsdestoweniger
                              wurden wir zu unserm großen Erstaunen sehr bald gewahr, daß
                              diese Pumpen bei hohem Druke sich sehr erhizten und höchstens 25
                              Proc. von der zu ihrer Bewegung aufgewandten Kraft wieder gaben.
                              Wir suchten die Ursache davon kennen zu lernen und fanden, als
                              wir eine derselben näher besichtigten, daß der Fehler an dem
                              innern konisch geformten Ventil liege, dessen gegen die Pumpe
                              gerichtete wirkende Oberfläche höchstens das Viertel der gegen
                              den Recipienten gerichteten gegenwirkenden Oberfläche ausmachte,
                              woraus folgt, daß, um in lezterm z.B. 30 Atmosphären zu
                              erhalten, die Pumpe selbst einer viermal so starken Kraft,
                              nämlich von 120 Atmosphären, unterworfen werden mußte. Daher die
                              schnelle Erhizung, unnüze Ausdehnung der Luft und der große
                              Verlust an comprimirender Kraft.
                           
                           Dieses war das erste Hinderniß, dem wir begegneten und welches
                              wir zu besiegen trachteten. Sollte die Akademie unsere
                              Bemühungen einiger Aufmerksamkeit würdig halten, so werden wir
                              derselben ein Ventil vorlegen, bei welchem die wirkende
                              Oberfläche der gegenwirkenden gleich ist.
                           Als wir uns nun in den Stand gesezt sahen, regelmäßig Luft unter
                              25 Atmosphären Druk zu besizen (zu unsern Versuchen bedurften
                              wir keines stärkern), schritten wir zu einigen Anwendungen der
                              neuen Kraft.
                           Die der gegenwärtigen Notiz vorgestekten Gränzen erlauben uns
                              nicht, über diese Anwendungen in ausführliche Details
                              einzugehen. Wir beschränken uns daher auf die bloße Anführung
                              der aërohydraulischen Pumpe,
                              in welcher die comprimirte Luft den Dienst des Kolbens
                              verrichtet und das Wasser auf unbestimmte Höhen heben kann;
                              ferner der Kanone mit vervielfältigter
                                 Kraft, in welcher die auf irgend einen Grad, z.B. auf
                              30 Atmosphären comprimirte Luft, indem sie auf sich wirkt, ihren
                              Druk verzehn-, ja verhundertfachen kann und zwar
                              augenbliklich und ohne Gefahr, so daß mit dieser Vorrichtung die
                              Kraft des Pulvers erreicht und überboten wird, und man in unsern
                              chemischen Laboratorien die Gase (wobei es möglich ist) mit
                              Sicherheit in flüssigen oder festen Zustand versezen kann. Auch
                              soll gegenwärtig des Aeols-Kreisels (turbine
                                 éolique) und des Flußrades (roue fluviale),
                              welche wir zur ausgedehntern Nuzbarmachung der Kraft des Windes
                              und des fließenden Wassers in Vorschlag bringen, nur Erwähnung
                              geschehen. Diese übrigens allenthalben anwendbaren Maschinen
                              dienen vorzüglich zum kostenlosen Comprimiren der Luft.
                           Gegenwärtig wollen wir nur unsern Luftwagen, welcher übrigens auch der Hauptgegenstand
                              unserer Versuche war, der Prüfung der Akademie unterstellen. Wir
                              müssen hier vorerst bemerken, daß unsere Absicht nicht war,
                              einen Wagen zu bauen, welcher durch die Harmonie und das
                              gehörige Verhältniß seiner Theile als Modell dienen könnte; wir
                              wollten keine vollendete Maschine herstellen, sondern nur die
                              Thatsache begründen, daß die Expansionskraft der Luft, auf das
                              Ziehen der Wägen angewandt, dieselbe Regelmäßigkeit und
                              Geschwindigkeit hervorbringt als der Dampf, mit dem unschäzbaren
                              Vorzug aber, daß man keine schweren Körper zur Erzeugung der
                              Kraft mit sich zu führen hat.
                           Diese Locomotive trägt außer dem Apparat acht Personen; sie ist 3
                              Meter lang, 2 Meter hoch und zwischen den Schienen 1,50 Meter
                              breit. Fünf unserer Recipienten sind unter dem Wagen angebracht;
                              die Luft streicht, ehe sie in die Pumpenköper tritt, welche die
                              Räder treiben, durch den Regulator
                              – einen Mechanismus, mittelst dessen die Luft sich selbst
                              einen Canal öffnet, welcher sich in dem Maaße vergrößert, als
                              der Druk abnimmt, so daß der Stoß immer dieselbe Kraft behält
                              und der Maschine eine gleiche Bewegung mittheilt. Man fährt auf
                              diese Weise nur mit comprimirter Luft. – Will man aber
                              zugleich die Eigenschaft der Luft benüzen, sich durch die Wärme
                              auszudehnen, so muß man sie beim Austritt aus dem Regulator
                              durch den Dilator, eine zwischen den
                              Pumpenkörpern angebrachte Schlangenröhre, treten lassen. Dieser
                              Apparat ist so eingerichtet, daß die Luft sich äußerst schnell
                              darin ausdehnen muß. Seit unserm ersten Versuche hat die Kraft
                              durch denselben im Verhältniß von 1 zu 2,29 zugenommen, und wir
                              glauben, daß man auf diese Weise die Kraft der comprimirten Luft
                              verdrei- und vervierfachen könnte. Wir werden in einer
                              besondern Abhandlung auf diese augenblikliche Ausdehnung der Luft mittelst unsers
                              Apparates zurükkommen, und es dürften, wie es uns scheint, große
                              Fortschritte in der Aërodynamik daraus hervorgehen.
                           Unser Wagen läuft also bald ohne Wärme bloß mit comprimirter
                              Luft, bald mit comprimirter und ausgedehnter Luft. Diese leztere
                              Combination muß man im Großen anwenden, wenn man sich der
                              Luftwägen sogleich mit Nuzen bedienen will, so lange wenigstens,
                              bis die Kunst des Comprimirens den von uns angedeuteten Grad von
                              Vollkommenheit erreicht haben wird. Wenn man einmal im Besize
                              einfacher Mittel ist, hohen Druk schnell zuwege zu bringen, dann
                              kann die Ausdehnung weggelassen werden; übrigens kann auch die
                              Ausdehnung auf den Grad steigen, um allein zu genügen, in
                              welchem Falle dann die Compression unterbleibt. Die Lösung
                              dieses Problems wäre die fruchtbarste.
                           Der von uns construirte Wagen ist eine Art Locomotiv-Waggon, weil er zu gleicher Zeit die
                              Passagiere und die Triebkraft mit sich führt. Im Vergleich mit
                              einer Dampf-Locomotive ist er äußerst leicht; er
                              gestattet daher einen ökonomischen Bau der Eisenbahnen, welche
                              unter gewissen Umständen einen Fall von 15 bis 20 Millimetern
                              auf den Meter haben dürfen. Deßhalb haben wir unter dem Wagen
                              einen besondern Recipienten angebracht, welcher eine Reserve
                              sehr stark comprimirter Luft enthält, deren man sich bedienen
                              kann, wenn dem Wagen ein Stoß gegeben werden soll, um eine
                              Anhöhe hinauf zu fahren. Wir haben dieses isolirte Gefäß das Bergpferd genannt.
                           Auch haben wir den Mechanismus des Wagens im Allgemeinen durch
                              Vereinfachung zu verbessern gesucht. So haben wir die Excentrica
                              weggelassen, welche bei den Dampf-Locomotiven die
                              Pumpenwechsel öffnen und schließen; bei uns
                              verrichtet der Kolben selbst diesen Dienst; man sieht bloß die
                              Schiebstangen arbeiten. Die zwei Räder, welche die Bewegung
                              mittheilen, sind nicht von einander abhängig, die beiden freien
                              Räder aber sind parallel und so angebracht, daß der Wagen auf
                              den kleinsten Krümmungen wenden kann, denn wir zweifeln nicht,
                              daß man mit Luftwägen einst Eisenbahnen auf macadamisirten
                              Straßen befahren wird. – Einen Hahn zur rechten Zeit
                              öffnen und schließen, das ist die ganze Arbeit, welche die
                              Führung der Luftwägen erfordert; man braucht nur das Spiel der
                              Wechsel zu ändern, und die Wägen laufen in entgegengesezter
                              Richtung; ein verständiges Kind kann sie führen. Ihre
                              Geschwindigkeit hat keine anderen als die von der Klugheit
                              vorgeschriebenen Gränzen, denn offenbar kann, wenn man einen
                              weit höhern Druk anwendet als der Dampf erträgt, die Bewegung
                              nach Belieben beschleunigt werden.
                           Es läßt sich für jezt schwer bestimmen, wie lange ein gut
                              gebauter Luftwagen seinen Dienst leisten kann. Nach unsern
                              ersten Versuchen zu schließen, können 3 bis 4 (franz.) Meilen
                              gemacht werden, ohne dazwischen zu füllen. Dieses Aufnehmen
                              frischer Triebkraft wird mittelst weiter, von Streke zu Streke,
                              am Rande der Bahn angebrachter Reservoirs bewerkstelligt. Diese
                              Reservoirs selbst werden durch die kostenlose Thätigkeit von
                              Wind- oder Wasserrädern, je nach Umständen auch durch
                              Dampfmaschinen gespeist. Einige Secunden reichen zur Beschikung
                              der Wägen auf einer Station hin.
                           Bei einem organisirten Dienst könnte jeder
                              Locomotiv-Waggon mit 20 bis 30 Passagieren allein
                              abfahren und so fort einer von 5 zu 5 Minuten; ein Vorzug,
                              welchen die gegenwärtigen Eisenbahnen nicht besizen, besonders
                              wenn sie nur einen kleinen Weg zu machen haben, weil bei ihnen
                              durch das Abwarten der Abfahrt die mittelst der Schnelligkeit
                              der Fahrt zu gewinnende Zeit verloren geht.
                           Nur noch einige Worte über den Kostenpunkt. Wird zum Comprimiren
                              der Luft, welches die einzige Kosten verursachende Arbeit ist,
                              wie wir voraussezen, die kostenlose Wind- oder
                              Wasserkraft benüzt, so ist über diesen Punkt sogleich aller
                              Zweifel gehoben. Müßte man aber zu diesem Zwek auch Dampf
                              anwenden, so würde selbst dann noch der neuen Fortschaffungsart
                              der Vorzug gebühren, weil die Luftwägen die schweren Apparate
                              und das ins Gewicht gehende Material, welche die Triebkraft
                              erzeugen, nicht mit sich zu führen haben. Zweitens kostet die
                              Kraft einer stehenden Dampfmaschine sechs- bis siebenmal
                              weniger als eine eben so große durch eine Locomotive erzeugte
                              Kraft; übrigens brauchte die Anwendung der Dampfmaschinen, um
                              Luft in den Reservoirs anzusammeln, nur eine Zeit lang statt zu
                              finden. Man wird wohl noch zu den natürlichen Kräften seine
                              Zuflucht nehmen müssen, die uns nie im Stich
                              lassen werden, während die Steinkohle, diese prekäre Basis der
                              Industrie, durch die allmähliche Erschöpfung der Gruben einst
                              mangeln wird; und diese Erschöpfung ist unausbleiblich.
                           Das Resultat unserer bisherigen Versuche hat im Allgemeinen
                              unsern Erwartungen ziemlich entsprochen; für den
                              schmeichelhaftesten und nüzlichsten Erfolg aber würden wir den
                              halten, daß die Akademie unsere Versuche ihrer Aufmerksamkeit
                              würdig hielte und eine Commission ernennte, deren Rath uns in
                              der Verfolgung derselben unterstüzen würde. (Diese bereits
                              ernannte Commission besteht aus den HHrn. Arago, Poncelet, Piobert und Séguier.)