| Titel: | Ueber die Festigkeit und Elasticität der Darmsaiten; von Hrn. K. Karmarsch. | 
| Fundstelle: | Band 81, Jahrgang 1841, Nr. CIX., S. 427 | 
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                        CIX.
                        Ueber die Festigkeit und
                           Elasticität der Darmsaiten; von Hrn. K. Karmarsch.
                        Aus den Mittheilungen
                                 des hannover'schen Gewerbe-Vereins, 1841, Nr.
                              24.
                        Karmarsch, über die Festigkeit und Elasticität
                           der Darmsaiten.
                        
                     
                        
                           So viel mir bekannt ist, sind niemals Untersuchungen über den in
                              der Ueberschrift genannten Gegenstand veröffentlicht worden.
                              Dieser Umstand mag die Mittheilung einer kleinen Anzahl
                              gelegentlich von mir angestellter Versuche entschuldigen, welche
                              zwar nicht umfassend genug sind, um die Frage vollständig zu
                              lösen, aber dennoch – in Ermangelung von etwas
                              Vollständigerem – einige Anhaltspunkte darbieten.
                           Diese Versuche wurden mit guten (italienischen) Saiten
                              unternommen. Die Anspannung und Zerreißung derselben geschah
                              durch Gewichte, welche mit Beobachtung der bekannten
                              Vorsichtsmaßregeln auf eine Waagschale gelegt wurden. Leztere
                              wirkte bei den diken Saiten mittelst eines eisernen Hebels,
                              wurde aber an die dünnen Saiten unmittelbar angehängt. Das
                              Auflegen der Gewichte fand mit gehörigen Pausen statt, und in
                              den Fällen, wo die eingetretene Dehnung gemessen wurde, blieb
                              die Belastung vorher ungefähr fünf Minuten unverändert hängen.
                              Die Messung der Ausdehnung und die Beobachtungen über das
                              Zurükspringen wurden auf folgende Weise veranstaltet: Die Saite
                              wurde zuerst, um ihr die Krümmung zu benehmen und sie
                              auszustreken, mit einem verhältnißmäßig geringen Gewichte
                              belastet, dann wieder einige Minuten sich selbst überlassen.
                              Hierauf wurde an derselben eine Länge von einigen Zollen durch
                              zwei Striche bezeichnet, und die Anhängung von Gewichten
                              neuerdings begonnen. Die Entfernung zwischen den beiden
                              Strichen, unter einer bestimmten Belastung, wurde durch Anlegen
                              eines Maaßstabes gefunden; dann alle Last entfernt, und abermals
                              das Maaß genommen, wodurch sich ergab, in wiefern die Saite
                              wieder zurükgesprungen war.
                           Die geprüften Darmsaiten waren folgende:
                           
                           
                              
                                 Nro.
                                 BenennungderSaiten.
                                 Durchmesser,hannov.
                                    Zoll.
                                 Anzahl derDärme,
                                    worausdie Saitebestand.
                                 Drehungenauf1 hannov.
                                    ZollLänge.
                                 
                              
                                 1
                                 Contrebaß
                                 0.166
                                 48
                                         1
                                    3/5
                                 
                              
                                 2
                                   deßgl.
                                 0.146
                                 45
                                         1
                                    2/5
                                 
                              
                                 3
                                 Violoncell-D
                                 0.089
                                 24
                                         2
                                    1/3
                                 
                              
                                 4
                                   deßgl.
                                 0.070
                                 12
                                         4
                                    2/3
                                 
                              
                                 5
                                 Violin-D
                                 0.048
                                   9
                                         5
                                    2/3
                                 
                              
                                 6
                                 Violin-A
                                 0.040
                                   4
                                         6
                                 
                              
                                 7
                                 Guitarre-e
                                 0.027
                                   3
                                         7
                                    1/2
                                 
                              
                                 8
                                 Harfen-Quinte
                                 0.029
                                   4
                                         6
                                 
                              
                           Nr. 1. – Die Länge des abgemessenen Stükes betrug 6
                              Zoll.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 81, S. 428
                              Belastung,
                                 kölnische Pfd.; Länge unter der Belastung, Zoll; Länge nach
                                 Abnahme der Belastung, Zoll
                              
                           Bei 448 Pfd. zerriß die Saite.
                           Nr. 2. – Ein Stük von 4 Zoll Länge bezeichnet.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 81, S. 428
                              Belastung,
                                 kölnische Pfd.; Länge unter der Belastung, Zoll; Länge nach
                                 Abnahme der Belastung, Zoll
                              
                           Der Riß erfolgte bei 241 Pfd., und in einem zweiten Versuche (mit
                              einem noch nicht gebrauchten Stüke der nämlichen Saite) bei 235
                              Pfd. Das Mittel aus beiden Resultaten ist 238 Pfd.
                           Nr. 3. – Abgemessene Länge 5 Zoll.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 81, S. 428
                              Belastung
                                 kölnische Pfd.; Länge unter der Belastung, Zoll; Länge nach
                                 Abnahme der Belastung, Zoll
                              
                           Bei 156 Pfd. riß die Saite ab.
                           
                           Nro. 4. – Abgemessene Länge 5 Zoll. Bei 71 Pfd. fand eine
                              Ausdehnung auf 5 9/16 Zoll statt, und nach Abnahme dieses
                              Gewichtes zog sich die Saite nur auf 5 1/16 Zoll wieder
                              zusammen. Durch 90 Pfd., und in einem zweiten Versuche durch 98
                              Pfd., wurde sie zerrissen; das Mittel ist 94 Pfd.
                           Nro. 5. – Länge des abgemessenen Stükes 5 Zoll.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 81, S. 429
                              Belastung,
                                 kölnische Pfd.; Länge unter der Belastung, Zoll; Länge nach
                                 Abnahme der Belastung, Zoll
                              
                           Bei 55 3/4, und in einem zweiten Versuche bei 49 1/4 Pfd.,
                              erfolgte der Riß; das Mittel aus beiden Resultaten ist 52 1/2
                              Pfd.
                           Nro. 6. – Die Saite wurde bei einem Versuche durch 35 1/2
                              Pfd., bei einem zweiten durch 34 1/2 Pfd. abgerissen. Die
                              Mittelzahl aus beiden Resultaten beträgt 35 Pfund.
                           Nro. 7. – Der Riß erfolgte einmal durch 21, und einmal
                              durch 20, im Mittel also durch 20 1/2 Pfd.
                           Nro. 8. – Zwei Versuche gaben ein völlig übereinstimmendes
                              Resultat, nämlich, 14 3/4 Pfd. als das zum Zerreißen nöthige
                              Gewicht.
                           Hinsichtlich der Festigkeit der Saiten
                              haben demnach die Versuche folgende Ergebnisse geliefert:
                           
                              
                                 Nro.
                                 ZerreißendesGewicht,Pfund
                                    kölnisch.
                                 Absolute
                                       Festigkeit,berechnet für 1 hannov.
                                    QuadratzollQuerschnittsfläche,Pfund
                                    kölnisch.
                                 
                              
                                 1
                                         
                                    448
                                 20704
                                 
                              
                                 2
                                         
                                    238
                                 14219
                                 
                              
                                 3
                                         
                                    156
                                 25080
                                 
                              
                                 4
                                           
                                    94
                                 24428
                                 
                              
                                 5
                                           
                                    52 1/2
                                 29180
                                 
                              
                                 6
                                           
                                    35
                                 27857
                                 
                              
                                 7
                                           
                                    20 1/2
                                 35801
                                 
                              
                                 8
                                           
                                    14 3/4
                                 22331
                                 
                              
                           Wenn man das Resultat von Nro. 2 abrechnet, welches
                              wahrscheinlich wegen einer zufälligen mangelhaften
                              Beschaffenheit der Saite klein ausgefallen ist, so stimmen die
                              übrigen gut genug miteinander überein.
                           Daß im Allgemeinen die dünnen Saiten eine größere Festigkeit
                              gezeigt haben als die diken, ist sehr wohl erklärlich, da bei
                              jenen, der Natur der Sache nach, eine gleichmäßige Lage und
                              Anspannung der zusammengedrehten Därme weit leichter stattfinden
                              kann. Bei Hanfschnüren, Sinken und allen durch Zusammendrehung
                              mehrerer Fäden oder Stränge gebildeten schnur- oder
                              seilartigen Körpern lehrt die Erfahrung das Nämliche. Bei diken
                              (3 bis 8 Zoll im Durchmesser haltenden) Hanftauen ist, nach den
                              darüber vorhandenen Versuchen, die absolute Festigkeit für 1
                              hannov. Quadratzoll Querschnittsfläche auf 4800 köln. Pfd.
                              anzunehmen; bei dünnern, sorgfältig gearbeiteten Striken und
                              Schnüren dagegen auf 7700 köln. Pfd. Von der leztern Zahl ist
                              die Festigkeit der Darmsaiten durchschnittlich ungefähr das
                              Dreifache, selbst wenn man die mit den dünnsten Saiten
                              erhaltenen Resultate ausschließt, und nur etwa Nro. 1, 2 und 4
                              in Anschlag bringt. Anders stellt sich das Verhältniß wenn man
                              dünnen Bindfaden mit den Saiten vergleicht. Ich habe in dieser
                              Beziehung einige Versuche über die Zerreißung von gewöhnlichem
                              gutem, ungebleichtem hanfenem Bindfaden unternommen.
                              Dreidrähtiger Bindfaden mit 7 Drehungen auf 1 Zoll Länge, 0.028
                              hannov. Zoll dik, von ausgezeichnet schöner Bearbeitung, zerriß
                              in 5 Versuchen durch 25, 25 1/2, 29 1/2, 24 und 36 1/2 köln.
                              Pfd. So große Verschiedenheiten in den Resultaten können keine
                              Verwunderung erregen, wenn man die unvermeidliche Ungleichheit
                              selbst des besten Bindfadens berüksichtigt. Es soll hier das
                              lezte, besonders stark abweichende Resultat außer Acht gelassen
                              und nur jenes der übrigen vier Versuche beibehalten werden. Das
                              Mittel aus diesen ist 26 Pfd., was für 1 Quadratzoll
                              Querschnittsfläche 42235 Pfd. ausmacht. Eine weniger schöne
                              Sorte, die nur zweifädig, obschon 0.054 Zoll dik war, und 5
                              Drehungen auf 1 Zoll enthielt, wurde in 5 Versuchen durch 52,
                              80, 59, 55 und 62 Pfd. abgerissen. Läßt man wieder das größte
                              Resultat weg, und zieht aus den übrigen das Mittel, so erhält
                              man 57 Pfd., oder für 1 Quadratzoll 24894 Pfd. Man kann demnach
                              ohne großen Fehler die Darmsaiten und den hanfenen Bindfaden
                              hinsichtlich der Festigkeit durchschnittlich einander gleich
                              sezen, wenn beide von einerlei Dike sind. Die Saiten haben
                              jedoch den Vorzug einer gleichförmigeren Beschaffenheit, so wie
                              einer größern Glätte, Elasticität und Dauerhaftigkeit:
                              Eigenschaften, deren Mangel den Hanffaden zur Anwendung als Saite untauglich macht.
                           Um eine Vergleichung der Darmsaiten mit messingenen Saitendrähten
                              zu gestatten, seze ich die Resultate hieher, welche ich früher
                              bei Zerreißungs-Versuchen mit messingenen Klaviersaiten
                              aus Nürnberg erhalten habe:
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 81, S. 430
                              Nro.; Dike,
                                 hannov. Zoll; Zerreißendes Gewicht, köln. Pfd.; Festigkeit
                                 für 1 Quadratz.
                              
                           
                           Eine Darmsaite wird demnach von dem vierten Theile desjenigen
                              Gewichtes zerrissen, welches erforderlich ist, um einen eben so
                              diken messingenen Saitendraht abzureißen.
                           Bekanntlich werden bei einigen Instrumenten seidene, mit unächtem
                              Silberdrahte übersponnene Saiten angewendet. Auch mit diesen
                              habe ich die Darmsaiten hinsichtlich der Festigkeit verglichen.
                              Eine E-Saite für die Guitarre
                              maß 0.060 Zoll in der Dike; der Draht darauf war 1/75 Zoll dik,
                              der seidene Faden also (welcher bei der Untersuchung der
                              Festigkeit allein in Betracht kommt) 0.0333 Zoll. Diese Saite
                              wurde durch 60 3/4 köln. Pfd. zerrissen, was für 1 Quadratzoll
                              Querschnitt 69627 Pfd. ergibt. – Eine D-Saite für die Guitarre war
                              0.033 Zoll, der Draht darauf 1/200 Zoll, der seidene Faden
                              demnach 0.023 Zoll dik. Sie zerriß bei einer Belastung von 28
                              1/4 Pfd., woraus die Festigkeit für 1 Quadratzoll 68007 Pfd.
                              folgt. – Die seidenen Saiten sind, diesen Versuchen
                              zufolge, zwei- bis dreimal so fest, als Darmsaiten, und
                              kommen den messingenen in dieser Beziehung ziemlich nahe, wenn
                              man die feinsten Nummern der lezteren ausnimmt.
                           Ueber die Elasticität der Darmsaiten
                              lehren die oben beschriebenen Versuche, so wenig sie auch in
                              dieser Beziehung auf größte Schärfe Anspruch machen können,
                              Folgendes:
                           1) Die Gränze der vollkommenen Elasticität liegt dem Maaße der
                              absoluten Festigkeit sehr nahe; d.h. eine angespannte Darmsaite
                              zieht sich beim Aufhören der Spannung völlig wieder in ihre
                              ursprüngliche Länge zusammen, selbst wenn die angewendete
                              Spannkraft der zum Zerreißen erforderlichen schon sehr nahe
                              gewesen ist. Wenigstens fällt das Resultat so aus, wenn der
                              Zustand der Spannung keine lange Zeit fortgedauert hat.
                           Die Saite Nro. 1 fing bei einer Belastung zwischen 197 und 272
                              Pfd. (also etwa bei 250 Pfd.) an, eine bleibende Verlängerung zu
                              erfahren, welche leztere aber nur 1/16 Zoll auf 6 Zoll, also
                              wenig über 1 Proc. betrug, und bis zu 398 Pfd. Belastung nicht
                              weiter anwuchs; so daß man vermuthen darf, sie sey nur durch
                              inniges Aneinanderpressen der vorher nicht in vollkommener
                              Berührung liegenden Darmstränge herbeigeführt worden. Da die
                              Saite durch 448 Pfd. abriß, so hat sie bei etwa 56 Proc. dieser
                              Kraft noch gar keine, und selbst bei 89 Proc. nur erst eine sehr
                              geringe bleibende Verlängerung
                              erfahren.
                           Nro. 2 blieb noch vollkommen elastisch (zog sich beim Aufhören
                              der Kraft völlig wieder zusammen), als sie mit 209 Pfd., d.h.
                              mit 86 Proc. des zerreißenden Gewichtes (241 Pfd.) gespannt
                              war.
                           
                           Nro. 3 fing bei einer Belastung zwischen 128 und 143 Pfd., also
                              etwa bei 135 Pfd., an, sich bleibend
                              zu dehnen. Diese Spannung beträgt 86 Proc. von der zerreißenden
                              Kraft (156 Pfd.).
                           Nro. 5 erlitt bei 52 Pfd. noch keine bleibende Verlängerung, ungeachtet dieses Gewicht 93
                              Proc. desjenigen betrug, von welchem die Saite abgerissen wurde
                              (55 3/4 Pfd.).
                           Im Allgemeinen scheint es daher erlaubt, anzunehmen, daß gute
                              Darmsaiten mit fünf Sechstel der zu
                              ihrer Zerreißung erforderlichen Kraft angespannt werden können,
                              ohne daß sie aufhören, vollkommen elastisch zu seyn.
                           2) Die Darmsaiten können durch Anspannung um einen ziemlich
                              beträchtlichen Theil ihrer Länge ausgedehnt werden, bevor sie
                              die Gränze ihrer vollkommenen Elasticität erreichen. Folgende
                              Zusammenstellung zeigt dieß:
                           
                              
                                 Saite
                                 NatürlicheLänge.
                                 Größte vorübergehende
                                    Dehnung,bei welcher noch keine bleibendeVerlängerung
                                    statt fand.
                                 
                              
                                 Nro.
                                 Zoll.
                                 Zoll.
                                 Procente der
                                    natürlichenLänge.
                                 
                              
                                 1
                                 6
                                      7/16
                                 7 bis 7 1/2
                                 
                              
                                 2
                                 4
                                      3/8
                                 9  
                                    –  9 1/2
                                 
                              
                                 3
                                 5
                                      7/16
                                   8 3/4
                                 
                              
                                 5
                                 5
                                      5/8
                                 12 1/2
                                 
                              
                           Zu 9 bis 10 Proc. wird man also durchschnittlich diese Dehnung
                              innerhalb der Gränze der vollkommenen Elasticität annehmen
                              können.