| Titel: | Versuche von Lespinasse, Pin, Castel und d'Aubuisson über den Ausfluß des Wassers durch mehrere benachbarte Oeffnungen. | 
| Fundstelle: | Band 85, Jahrgang 1842, Nr. XLVI., S. 188 | 
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                        XLVI.
                        Versuche von Lespinasse, Pin, Castel und d'Aubuisson uͤber den Ausfluß des
                           								Wassers durch mehrere benachbarte Oeffnungen.
                        Aus den Annales des ponts et chaussées 1841, im
                              									polytechn. Centralblatt 1842, Nr. 37.
                        Lespinasse's, Pin's, Castel's und d'Aubuisson's Versuche
                           								uͤber den Ausfluß des Wassers durch benachbarte Oeffnungen.
                        
                     
                        
                           Wenn man einen Behälter hat, aus welchem eine gewisse
                                 										Quantität des stets in gleichem Höhenstande erhaltenen Wassers durch eine
                                 										Oeffnung in der Seitenwand ausfließt, und man bringt ganz nahe dieser Oeffnung
                                 										eine zweite von derselben Größe und Gestalt an, wird dadurch die Menge des aus
                                 										der ersten fließenden Wassers vermindert? – Dieß ist die Frage,
                              									deren Lösung sich die oben genannten Herren in den hier mitgetheilten Versuchen zur
                              									Aufgabe machten.
                           Im lezten Jahrhunderte machten einige Gelehrte, unter anderen Michelotti in Italien und Bossut in Frankreich,
                              									mehrfache Versuche, um Regeln oder Formeln zu finden für die Quantität des in einer
                              									gewissen Zeit durch eine Oeffnung von gegebener Größe und unter einem ebenfalls
                              									gegebenen Druk oder Wasserhöhe ausfließenden Wassers. Sie erhielten Folgendes als
                              									Resultat: der Abfluß einer gewöhnlichen und isolirten Oeffnung, oder die Quantität
                              									des in einer Secunde aus einer solchen Oeffnung geflossenen Wassers beträgt beinahe
                              									5/8 der durch Berechnung gefundenen, oder 0,625 des Products aus Flächenraum der
                              									Mündung multiplicirt durch die Geschwindigkeit, mit welcher das Wasser ausfließt,
                              									welche leztere Schnelligkeit von der Höhe des Wassers im Behälter abhängt.
                              									Bekanntlich ist die Formel dafür folgende:
                           0,62 s . v = 0,62 s √(2 gh) = 2 .
                              									746 s √h.
                           wobei s den Flächenraum der
                              									Oeffnung oder Querschnitt des Wasserstrahls und h die
                              									Höhe der Flüssigkeit über dem Mittelpunkte der Oeffnung bezeichnen.
                           In Bezug auf zwei benachbarte Oeffnungen ist uns keine Untersuchung bekannt.
                              									Jedenfalls schrieb man der Nachbarschaft solcher Mündungen keine störende Einwirkung
                              									auf die Geseze des gewöhnlichen Ausflusses zu. Dieß kann man wenigstens aus der
                              									Praxis alter Brunnenmeister entnehmen. Wenn diese ein laufendes Wasser visiren
                              									wollten, wurde sein Lauf durch einen dünnen Verschlag versperrt, in welchem in ein
                              									und derselben horizontalen Linie mehrere Oeffnungen angebracht waren. Man nahm die Menge des aus
                              									einer derselben geflossenen Wassers und vervielfältigte sie durch die Anzahl der
                              									vorhandenen Löcher. In der That beweist die Erfahrung, daß unter ein und demselben
                              									Druk die Quantität des abfließenden Wassers proportional ist dem Flächenraume der
                              									Oeffnung, und daß sie innerhalb gewisser Gränzen unabhängig ist von dem Stande und
                              									der Form derselben. Alsdann scheinen benachbarte Oeffnungen an Ausfluß so viel zu
                              									geben, als eine einzige, deren Flächenraum gleich ist der Summe der Flächenräume der
                              									anderen.
                           Dessen ungeachtet stellte 1782 ein französischer Ingenieur am Canal du Midi, Lespinasse, eine ganz entgegengesezte Behauptung auf. Er
                              									wurde durch einige Versuche darauf geführt, welche er vornahm, um sich zu
                              									vergewissern, ob die von Bossut und Anderen abgeleiteten
                              									Regeln über kleine Oeffnungen sich auch auf große, wie z.B. Schleußenthore, anwenden
                              									lassen. Die nähere Beschreibung seiner Versuche findet man im II. Bde. seiner im
                              									Jahre 1784 erschienenen Mémoires de l'Académie
                                 										des Sciences de Toulouse. Wir wollen dasjenige daraus, was sich auf unsere
                              									Frage bezieht, hier mittheilen.
                           Versuche von Lespinasse. – Sie wurden an der
                              									sogenannten Bischofsschleuße, 1/4 Meile von Carcasonne, gemacht. Unmittelbar
                              									unterhalb der Schleuße befindet sich ein Gerinne von 717,15 M. Länge. Indem er nun
                              									dasselbe unterwärts öffnete, ließ er das Niveau um 0,447 fallen. Hierauf wurde der
                              									Abfluß geschlossen und einer der Schleußenflügel an der Bischofsschleuße geöffnet.
                              									Der Ausfluß wurde von dem Gerinne aufgenommen und brachte den Wasserstand in 40
                              									Minuten zu seiner ersten Höhe. Auf diese Weise war das Volumen des während dieser
                              									Zeit ausgeflossenen Wassers ein Prisma von 717,00 Meter Länge, 0,447 M. Dike und
                              									19,29 M. mittler Breite, was mit dem in die Schleußenkammer eingetretenen und darin
                              									zurükgebliebenen Wasser sich auf 6294,00 Kubikmeter oder 2,623 Kubikm. per Secunde erhöhte; dieß war die wirkliche Quantität
                              									des ausgeflossenen Wassers. Nachdem man nun diese durch die aus der Formel gefundene
                              									Ausflußmenge, welche Lespinasse zu 4,182 Kubikm.
                              									geschäzt, theilte, erhielt man 0,627 als Reductionscoefficient dieses theoretischen
                              									Ausflusses zu dem wirklichen.
                           Hierauf ließ man das Niveau noch einmal um 0,447 M. fallen und öffnete beide
                              									Schleußenflügel zugleich. Der Wasserstand erlangte in 23 Minuten seine ursprüngliche
                              									Höhe. Hätte jede dieser beiden Oeffnungen so viel geliefert, als die erste allein,
                              									so würde es hiezu nur 20 Minuten bedurft haben. Somit fand eine Verminderung statt, bei welcher Lespinasse nur noch 0,554 als Reductionscoefficient
                              									erhielt.
                           Jeder dieser beiden Versuche wurde der Sicherheit wegen wiederholt, und es ergaben
                              									sich fast gleiche Resultate, wie man aus nachfolgender Tabelle ersieht. (Der Druk
                              									ist oberhalb des Schwerpunktes der nicht ganz rechtwinkeligen Oeffnungen
                              									angenommen.)
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 85, S. 190
                              Zahl der Oeffnungen; Flächenraum
                                 										derselben in Quadr. Meter; Druk in Meter; Dauer des Ausflusses nach Minuten;
                                 										Wassermenge; während des Ausflusses; nach der Formel; in Wirklichkeit; in der
                                 										Secunde; Coefficient; Kubikmet.; Eine; Zwei
                              
                           Wenn man also annimmt, daß jede der zwei Mündungen ein und dieselbe Wassermenge
                              									ausläßt, so würde ein Oeffnen der zweiten den Ausfluß der ersten in dem Verhältniß
                              									von 621 zu 554 vermindert haben. Lespinasse
                              									verallgemeinert diesen Saz mit folgenden Worten: „Zwei einander benachbarte Oeffnungen, welche in ein und derselben Zeit
                                    											Wasser auslassen, entziehen sich den Ausfluß gegenseitig, und es ist der
                                    											Wahrheit nicht getreu, zu behaupten, daß gleiche Oeffnungen in gleicher Zeit
                                    											das Doppelte der Wassermenge einer jeden von ihnen allein
                                    										liefern.“
                              								
                           Versuche hierüber von Pin. – Ungefähr 10 Jahre
                              									darauf machte Pin, Oberingenieur des Canals du Midi,
                              									ähnliche Versuche an drei Schleußen in der Nähe von Toulouse und erhielt das
                              									nämliche Resultat. Wir wollen durch nachfolgende Tabelle ein Resumé seiner in
                              										l'Histoire du Canal du Midi durch General Andréossy veröffentlichten Versuche hier
                              									mittheilen.
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 85, S. 191
                              Namen der Schleuße; Querschnitt des
                                 										Wasserstrahls bei; Druk auf; Wirkliche Ausflußmenge bei; Coefficient für; einer
                                 										zwei Oeffnungen; Qdrtm.; Meter; de Bayard; de Matabieau...; des Minimes....
                              
                           Auch hier hatte das Oeffnen der zweiten Mündung den Ausfluß der ersten in demselben
                              									Verhältnisse beeinträchtigt, wie bei Lespinasse. Die
                              									Uebereinstimmung der Resultate beider Versuche machte, daß sie allgemein für richtig
                              									angenommen wurden. So z.B. bezog sich Hr. Navier darauf,
                              									sowohl in seinen Notes sur l'Architecture hydraulique de
                                 										Bélidor (S. 289), als auch in seinen Vorlesungen. Ein Gleiches
                              									geschah von den HHrn. Poncelet und d'Aubuisson, bis lezterer sich 1829 bewogen fühlte, selbst noch einmal
                              									Versuche darüber anzustellen. Man findet sie ausführlich behandelt in seiner l'Histoire de l'etablissement des fontaines de Toulouse.
                              									Das Wesentlichste daraus möge hier mitgetheilt werden.
                           Versuche von d'Aubuisson de Voisins. – (Wir lassen
                              									ihn selbst reden.) „Ich hatte im Jahre 1829 an der Wasserkunst unserer
                                 										Stadt (Toulouse) einen Visirapparat aufzustellen. In dem ringförmigen Behälter,
                                 										welcher die durch die Maschinen gehobenen Wasser aufnimmt, befand sich in der
                                 										Entfernung einiger Centimeter unter dem oberen Rande eine dünne kupferne
                                 										Zwischenwand mit einer Reihe rechtwinkeliger Oeffnungen, welche 0,10 M. Breite
                                 										und 0,01 M. Höhe hatten und in gleichen Entfernungen von 0,01 M. von einander
                                 										standen. Die Zahl derjenigen dieser Oeffnungen, welche unter einem zur Messung
                                 										dienenden Druk ausflossen, sollte die Quantität des gehobenen Wassers anzeigen.
                                 										Aber es mußte vorher der diesen Oeffnungen eigene Reductionscoefficient bekannt
                                 										seyn. Ihre sehr verlängerte Form, die gegenseitige Nähe und ihr schwacher Druk
                                 										ließen mich glauben, daß er bedeutend vom gewöhnlichen Coefficienten differiren
                                 										müsse. Um demnach den Werth zu bestimmen, ließ ich einen prismatischen Kasten
                                 										von Weißblech fertigen, welcher an seiner vorderen Fläche drei Oeffnungen von
                                 										ebenfalls 0,10 M. Breite, 0,01 M. Höhe und 0,01 M. Zwischenraum erhielt. Mit diesem Apparate und
                                 										mit Beihülfe von Hrn. Castel wurden nun mehrere
                                 										Versuche angestellt. Wie groß aber war meine Ueberraschung, als ich sah, daß die
                                 										mittlere Mündung zuversichtlich in derselben Zeit eine und dieselbe Ausflußmenge
                                 										gab, sie mochte allein oder mit einer ihrer Nebenmündungen oder auch mit beiden
                                 										zugleich geöffnet werden, wie nachstehende Tabelle zeigt.
                              								
                           
                              
                                 
                                       Druk
                                       Ausflußmenge der mittlern Oeffnung
                                       												                            
                                       												und zwar
                                    Coefficient.
                                    
                                 
                                    
                                        der
                                       												mittlernOeffnung allein
                                       der mittlern in
                                       												Gemeinschaft     mit einer
                                       												Nebenoͤffnung
                                       der mittlern in
                                       												Gemeinschaft    mit
                                       												beidenNebenoͤffnungen
                                    
                                    
                                 
                                    0,0201 Meter
                                      0,456 Liter
                                       0,455 Liter
                                       0,457 Liter
                                       0,728
                                    
                                 
                                    0,0301   –
                                      0,561  
                                       												–
                                       0,551  
                                       												–
                                       0,550  
                                       												–
                                       0,720
                                    
                                 
                                    0,0401   –
                                      0,635  
                                       												–
                                       0,636  
                                       												–
                                       0,637  
                                       												–
                                       0,719
                                    
                                 
                                    0,0501   –
                                      0,707  
                                       												–
                                       0,707  
                                       												–
                                            –
                                       0,715
                                    
                                 
                                    0,0601   –
                                      0,771  
                                       												–
                                       0,769  
                                       												–
                                            –
                                       0,710
                                    
                                 
                              
                           Somit thun also weder eine noch zwei Nachbaröffnungen derjenigen in der Mitte
                                 										irgend einen Abbruch.“ – So weit d'Aubuisson.
                           Versuche von Castel. – Dieß Resultat und
                              									namentlich der Unterschied zwischen diesen und den am Canal du Midi stattgefundenen
                              									Versuchen befriedigten d'Aubuisson keineswegs. Die Form
                              									der Oeffnung und die Größe der gefundenen Coefficienten ließen ihn befürchten, in
                              									einem ganz eigenen Falle gewesen zu seyn. Deßhalb benuzte er eine sich 1836
                              									darbietende Gelegenheit, mit Hülfe des Hrn. Castel
                              									abermals Versuche hierüber anzustellen. Der leztere hatte so eben eine Reihe sehr
                              									interessanter Experimente an der Wasserkunst zu Toulouse mit einer bis dahin in der
                              									Hydraulik noch unbekannten Genauigkeit beschlossen und sein Apparat befand sich noch
                              									am Plaze. Dieser Apparat wurde bei den nun vorgenommenen Versuchen angewendet und
                              									dabei auf folgende Weise verfahren: Hr. Castel versperrte
                              									seinen Canal von 0,74 M. Breite und 0,50 M. Tiefe durch eine Kupferplatte mit drei
                              									in gleicher horizontaler Linie stehenden rechtwinkeligen Oeffnungen von 0,10 M.
                              									Breite, 0,06 M. Höhe und 0,08 M. Zwischenraum. Die Resultate dieser Versuche zeigt
                              									uns nachfolgende Tabelle. Dabei ist noch zu bemerken, daß A,
                                 										B, C die drei Oeffnungen, B die mittlere,
                              									bezeichnen, und daß die größte Genauigkeit während der Experimente beobachtet
                              									wurde.
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 85, S. 193
                              Bezeichnung der Oeffnungen, wie
                                 										zusammen in Anwendung kamen; Druk in Meter; Dauer des Ausflusses nach Secunden;
                                 										Quantität des ausgeflossenen Wassers in Liter; für die bezeichnete Oeffnung
                                 										allein; im Durchschnitt; Coefficienten; für jede Oeffnung allein; im Mittel
                              
                           Man sieht hieraus, daß, der Behauptung von Lespinasse
                              									entgegen, zwei und drei Oeffnungen ziemlich genau das Doppelte und Dreifache der
                              									Ausflußmenge einer einzigen allein liefern.
                           Die sehr geringe Vermehrung des Ausflusses beim Oeffnen zweier und besonders dreier
                              									Mündungen, welche man durch Vergleichung der Coefficienten der lezten Colonne
                              									– wo Alles auf gleichen Flächenraum und denselben Druk reducirt ist –
                              									wahrnimmt, beruht aus einer unserem Gegenstande fremden, übrigens wohlbekannten
                              									Ursache. Je mehr offene Ausflußmündungen vorhanden sind, desto mehr Wasser strömt in
                              									den Canal und gelangt mit desto größerer Schnelligkeit zu den Oeffnungen. Demnach
                              									fließt dasselbe nicht nur durch die Kraft des gewöhnlichen Drukes, sondern auch
                              									durch die Kraft des Drukes aus, welcher durch das schnell ankommende Wasser erzeugt
                              									wird. Abgesehen also von dieser Vermehrung, und wenn man bedenkt, daß in dem
                              									angewendeten Apparate, wo Alles unter den Augen des Beobachters war, durchaus kein
                              									unbeachteter Umstand auf die Resultate Einfluß gehabt habe, kann als gewisses
                              									Ergebniß angenommen werden: „Daß die durch eine und
                                    											dieselbe Oeffnung ausströmende Wassermenge genau dieselbe bleibt, diese
                                    											Oeffnung möge allein oder in Gemeinschaft mit benachbarten den Ausfluß
                                    											erzeugen.“
                              								
                           Man könnte allerdings einwenden, daß der hier in Anwendung gebrachte Druk nur 0,14
                              									M., der am Canal du Midi aber 2,00 M. und 4,00 M. betrug. Diesen Einwurf
                              									voraussehend, hatte Hr. Castel zu seiner ferneren
                              									Ueberzeugung an einer der Röhrungen des Experimentalbehälters eine mit zwei
                              									Oeffnungen E und F versehene
                              									Platte angebracht. Die Dimensionen von E betrugen 0,0503
                              									und 0,0300 M., die von F 0,0504 und 0,0304. Der Druk war
                              									ungefähr 1,00 und 2,00 M. Die durchschnittlichen Resultate waren folgende:
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 85, S. 194
                              Bezeichnung der Oeffnungen; Druk in Meter; Zeit des Ausflusses nach Secunden; Ausflußmenge in Liter; für die genannten Oeffnungen
                                 										allein; im Durchschnitt; Coefficienten; für die einzelne Oeffnung; im
                                 										Mittel
                              
                           Auch hier unter einem Druk von 1,00 und 2,00 M. war wie bei dem von 0,14 M. der
                              									Ausfluß beider Oeffnungen ziemlich das Doppelte, und man hat als Coefficient stets
                              									0,62 erhalten, mit sehr geringer Vermehrung, welche der oben erwähnten Ursache
                              									zuzuschreiben ist.
                           Man kann ferner durchaus nicht als Grund seiner Zweifel sich auf die Verschiedenheit
                              									der Größe der hier angewandten Oeffnungen und der der Schleußenthore berufen.
                              									Hundert Erfahrungen beweisen, daß der Abfluß denselben Gesezen folgt in der einen
                              									wie in der anderen.
                           Als lezte Einwendung endlich könnte die Bemerkung gemacht werden, daß die von Castel angewendeten Oeffnungen alle in einer und
                              									derselben Fläche lagen, was bei den unter einem Winkel von 120–140°
                              									zusammenstoßenden Schleußenflügeln der Fall nicht sey. Die aus diesen gehenden
                              									Strömungen coinciren, sie vereinigen sich und drängen sich zurük, und folglich
                              									fließt weniger Wasser aus. – Ein solcher Grund, nämlich das Zurükdrängen der
                              									flüssigen Strahlen gegen die Mündungen, ist aber nicht annehmbar. Die Strahlen
                              									treffen sich unter einem spizen Winkel von 40–60° und ihre
                              									Wechselwirkung könnte die Wassertheilchen nicht gegen die Mündung zurükkehren
                              									machen; sie würde vielmehr eine schnelle Entfernung herbeiführen. Uebrigens
                              									antwortet hier noch die Erfahrung auf eine directe und positive Weise.
                           Im Jahre 1838 machte Castel in seinem Canale abermals
                              									Versuche hierüber. Er versperrte ihn durch eine in der Mitte unter einem Winkel von
                              									140° gebrochene Platte. In derselben befanden sich vier gleiche Mündungen A, B, C, D von 0,10 M. Breite und 0,06 M. Höhe; sie waren in
                              									symmetrischer Lage, zwei auf jeder Seite und in einem Zwischenraume von 0,05 M. von
                              									einander angebracht. Die der Mitte oder dem Winkel zunächst liegenden beiderseitigen
                              									zwei Oeffnungen hatten von demselben einen Abstand, welcher 0,07 M. betrug, so daß
                              										A und D sich in ziemlich
                              									gleicher Lage mit den Schleußenöffnungen am Canal du Midi befanden. Bei jeder dieser
                              									Mündungen und bei jeder ihrer Combinationen machte Castel
                              									drei Versuche. Wir theilen das durchschnittliche Resultat derselben hier mit.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 85, S. 195
                              Namen der bei jedem Versuche
                                 										gebrauchten Oeffnungen; Druk in Meter; Dauer des Ausflusses nach Sekunden;
                                 										Ausflußmenge; im Einzelnen Liter; durchschnittlich Liter; Coefficient; für die
                                 										einzelne Oeffnung; im Mittel
                              
                           Da die Oeffnungen gleich waren und die Facta hier constatirt sind, so sieht man auf
                              									die deutlichste Weise den Abfluß im Verhältniß der Zahl der Oeffnungen sich
                              									vermehren (die aus oben angeführtem Grunde sich ergebende Zunahme abgerechnet), und
                              									es ergibt jede von ihnen dasselbe Product, so wie auch der Coefficient stets 0,62
                              									bleibt.
                           Die sämmtlichen von Hrn. Castel vorgenommenen Versuche
                              									heben alle Zweifel und lösen alle Fragen über den Ausfluß des Wassers durch
                              									benachbarte Oeffnungen.
                           Daß Lespinasse bei feinen zweimal wiederholten Versuchen
                              									ein diesem entgegengeseztes Resultat erhielt, hat wahrscheinlich seinen Grund in
                              									einem besonderen und unbemerkt gebliebenen Umstande, wie z.B. ein Hinderniß in der
                              									Oeffnung seines zweiten Schleußenflügels, wodurch eine Verminderung des Productes
                              									erzeugt wurde.
                           Was übrigens die Versuche von Pin betrifft, so ist ihre Genauigkeit zu bezweifeln, da wir weder die
                              									näheren Details noch irgend eine Bürgschaft haben. Man kann dieß um so mehr mit
                              									Gewißheit sagen, da d'Aubuisson die Schleußen, welche den
                              										Pin'schen Versuchen unterworfen waren, selbst noch
                              									einmal näher prüfte. Es reichte zu dem Zwek hin, die Zeit zu beobachten, welche die
                              									Schleußenkammer braucht, um sich zu füllen, und zwar erstens, wenn man nur einen
                              									Flügel öffnet, dann den anderen und endlich beide zugleich. Er wählte die am
                              									äußersten Ende der Stadtpromenade gelegene Bayard-Schleuße, deren Plan man in
                              										l'Histoire du canal du Midi pl. XI. findet. Einige
                              									vorläufige Versuche zeigten, daß 10 Secunden sowohl für das gänzliche Aufziehen als
                              									auch Niederlassen der Schleußenflügel nöthig waren, und daß das Wasser in der oberen
                              									Schleußenkammer (es gibt deren hier zwei) um 2,10 M. stieg, ehe sein Niveau die
                              									Schwelle der Flügel vom oberhalb liegenden Schleußenthor erreichte. Beim Beginn der
                              									eigentlichen Versuche wurde das stromabwärts liegende Schleußenthor gänzlich
                              									geöffnet, so daß das zweite Bassin einen Theil des unteren Gerinnes ausmachte. Die
                              									erste Schleußenkammer war leer und am einen Ende durch das obere, am anderen durch
                              									das mittlere Schleußenthor geschlossen. Ein in Centimeter eingetheilter Maaßstab war
                              									an einer der inneren Wände angebracht. Das Niveau des oberen Gerinnes stand auf 1,95
                              									M. über der Oeffnung des oberen Schleußenthors, und dieß war der Druk, unter welchem
                              									der Abfluß geschehen sollte. Hierauf hob man einen der Schleußenflügel, das Wasser
                              									trat ein und erhob sich bis zu einer gewünschten Höhe; alsbald wurde das Thor
                              									geschlossen und nachdem die Oberfläche des Wassers ruhig war, fand man, daß sie sich
                              									erhoben hatte auf 2,03 M.
                           
                              
                                    Die Dauer des
                                    											Ausflusses wurde mittelst einer Viertelsecundenuhr angezeigt und
                                    											betrug   Nachdem das Bassin oder die Kammer
                                    											geleert undder zweite Schleußenflügel gehoben worden, stiegdas
                                    											Wasser wieder zu seiner vorigen Höhe (2,03 M.) in
                                 176180
                                 
                                    
                                    
                                    
                                 178''
                                 
                              
                                    Alsdann machte man
                                    											den Versuch mit beiden Schleußenflügelnzugleich und das Niveau
                                    											erreichte seinen vorigen Höhenstand in   Eine
                                    											Wiederholung dieser lezten Beobachtung gab
                                   89,8  88,6
                                 
                                    
                                    
                                    
                                   89,2
                                 
                              
                           Demnach erhielt man in ungefähr halb so wenig Zeit durch Oeffnen beider Flügel
                              									dieselbe Ausflußmenge, als man erhielt bei einer Oeffnung.
                           Nach allem hier Mitgetheilten ist es gewiß, daß: wenn in der
                                 										Wand eines Wasserbehälters, sie mag in einer oder mehreren Ebenen liegen, sich
                                 										zwei oder mehrere Ausflußöffnungen befinden, so ist die Quantität des aus jeder von ihnen
                                 										fließenden Wassers stets dieselbe, sie mögen allein oder zusammen den Ausfluß
                                 										befördern.
                           Haben daher sämmtliche Mündungen über ihrem Centrum dieselbe Wasserhöhe H' und bezeichnet S die
                              									Summe ihrer Flächenräume, so erhält man den Gesammtausfluß durch die Formel
                           0,62 S √2gH' oder 2,75 S √H'.
                           Man hat früher allerdings angenommen, daß es so seyn müsse, aber die Meinung war in
                              									dieser Beziehung auf Abwege gerathen und der wirkliche Thatbestand wurde nur durch
                              									die hier vorgelegten Versuche erst bewiesen.