| Titel: | Ueber die Explosionskraft des Schießpulvers. | 
| Fundstelle: | Band 88, Jahrgang 1843, Nr. LIII., S. 213 | 
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                        LIII.
                        Ueber die Explosionskraft des
                           Schießpulvers.
                        Aus dem Civil Engineer and Architects' Journal. April
                              1843, S. 120.
                        Ueber die Explosionskraft des Schießpulvers.
                        
                     
                        
                           Die vor Kurzem mit so gutem Erfolg bewerkstelligte Zerstörung des
                              Round-Down-Felsens bei Dover mittelst Schießpulvers (welche im polyt.
                              Journal Bd. LXXXVII S. 462 beschrieben
                              wurde) veranlaßt uns zu Bemerkungen über die Explosionskraft dieses Körpers und das
                              beste Verfahren seiner Anwendung.
                           Was bei der Sprengung zu Dover am meisten verwunderte, war, daß gar keine Explosion
                              wahrnehmbar war. Daß der Felsen durch die Kraft der außerordentlich großen Menge
                              angewandten Pulvers auseinander gerissen werde, war zu erwarten; daß die Wirkung
                              aber so allmählich ohne Knall und Flamme oder die sonstigen Begleiter der Explosion
                              dieses Agens stattfand, war eine dem gewöhnlichen Hergang beim Felsensprengen so
                              widersprechende Erscheinung, daß die Ingenieurs anfangs glaubten, die Ladung habe
                              versagt. Das Resultat aber zeigte, daß Hr. Cubitt die
                              Pulvermenge dem zu besiegenden Widerstand genau angepaßt hatte; und es war praktisch
                              daraus zu ersehen, daß man die Explosionskraft des Schießpulvers in jeder Quantität
                              und wie jede andere bewegende Kraft stätig wirken lassen kann. Wäre die Quantität
                              des Schießpulvers viel größer gewesen, als sie wirklich war, oder wäre dieselbe
                              Quantität näher an die Vorderseite des Felsens gebracht worden, so wäre die
                              Sprengung ohne Zweifel von den gewöhnlichen Erscheinungen einer Explosion begleitet
                              gewesen. Wäre sie geringer gewesen, wenn auch nur um weniges, so würde die Kraft
                              desselben wahrscheinlich im Felsen eingesperrt geblieben seyn, ohne eine Wirkung
                              hervorzubringen, oder es hätte sich durch Herausstoßen des Minenpfropfes Luft
                              gemacht.
                           Die Kraft des entzündeten Schießpulvers rührt, wie allgemein angenommen wird, von der
                              plözlichen Entwikelung permanenter Gase und der Expansion derselben durch die
                              während der Entzündung des Pulvers entwikelte Wärme her. Man hat gefunden, daß das
                              Volumen des bei der Explosion von Schießpulver erzeugten elastischen Gases nach
                              seiner Abkühlung auf die Temperatur der Atmosphäre 244mal größer ist als jenes des
                              explodirten Pulvers. Es wurde ferner berechnet, daß die durch die Entzündung des
                              Pulvers erzeugte Wärme das entwikelte Gas im Augenblik der Explosion auf 1000 Volume
                              ausdehnt, daß also abgefeuertes Schießpulver einen Druk = 1000 Atmosphären oder von 6
                              1/2 Tonnen auf den Quadratzoll ausübt.
                           Die 18,000 Pfd. Schießpulver, welche zur Sprengung des
                              Round-Down-Felsens angewandt wurden, mochten wohl 300 Kubikfuß
                              einnehmen und der Raum der drei Kammern, worin es enthalten war, betrug 750
                              Kubikfuß. Wie viel Raum gelassen worden war zwischen dem Minenpfropfe und den
                              Pulverkammern, wissen wir nicht, doch scheint aus den veröffentlichten Berichten
                              über die Operation hervorzugehen, daß der Pfropf nicht weit vom Pulver hinweg
                              eingerammt wurde. Wir nehmen deßhalb den ganzen Raum, worin das Schießpulver
                              eingeschlossen war, zu 900 Kubikfuß an. Er wäre dann dreimal so groß gewesen wie das
                              Volumen des Pulvers mit Ausnahme der Fässer und Säke, worin es sich befand; der
                              erzeugte Druk beim Abfeuern desselben hätte sonach 1000 ÷ 3 = 333 1/3
                              Atmosphären, oder 5000 Pfd. auf den Quadratzoll betragen, und dieser Druk der
                              erzeugten permanenten Gase nach der Abkühlung wäre 244 ÷ 3 = 81 1/3
                              Atmosphären oder ungefähr 1200 Pfd. auf den Quadratzoll gewesen. Nehmen wir nun den
                              Raum, in welchem das Schießpulver eingeschlossen war, als kubisch an, so hätte jede
                              der sechs Seiten eine innere Fläche von 100 Quadratfuß, oder 14,400 Quadratzoll der
                              Wirkung des Schießpulvers dargeboten und da der Druk im ersten Moment 5000 Pfd. auf
                              den Quadratzoll betrug, so entsprach die Stoßkraft auf jeder Seite der kubischen
                              Kammer 72,000,000 Pfd. oder 32143 Tonnen. Da der Punkt des geringsten Widerstandes
                              nothwendig gegen die Vorderseite des Felsens hin liegen mußte, so kann man die
                              wirkende Kraft lediglich als dahin gerichtet betrachten; der Felsen mußte also gegen
                              Außen mit einem 32000 Tonnen übersteigenden Impuls gedrükt werden. Als der Felsen
                              dieser ungeheuren Kraft wich, mußte die eingeschlossene Luft sich ausdehnen und
                              folglich an Kraft verlieren; die Abkühlung des erzeugten Gases mußte ebenfalls seine
                              Spannung bedeutend vermindern und das allmähliche Entweichen desselben durch die
                              Spalten des fallenden Felsens jede plözliche Explosion verhindern.
                           Der Laut, welcher gehört wurde, war das Reißen des festen Felsgesteins und nicht das
                              Knallen des Pulvers; denn es ist bekannt, daß der Knall irgend eines detonirenden
                              Körpers durch die Erschütterung der Luft entsteht. Einen Beweis hiefür liefert die
                              Entzündung detonirender Gemische von Wasserstoff- und Sauerstoffgas in einem
                              starken Glasapparat in der Absicht, das Product der Verbrennung der beiden Gase zu
                              erhalten. Der gewöhnlich hiezu dienende Apparat faßt 1/2 Pinte und die Explosion
                              dieser Quantität der gemischten Gase, wenn sie in Berührung mit der Atmosphäre erfolgt, ist stark
                              genug, um einen Knall wie beim Abfeuern einer Pistole hervorzubringen; sind die Gase
                              aber auf ein verschlossenes Gefäß beschränkt, so hört man gar keinen Knall. Dieser
                              Versuch beweist auch in kleinem Maaßstabe die Möglichkeit, explosive Kräfte genau zu
                              handhaben (zu controliren). Die Expansion eines explosiven Gemisches von
                              Wasserstoff- und Sauerstoffgas im Augenblik der Verbrennung beträgt das
                              15fache ihres ursprünglichen Volumens, was einen Druk von 15 Atmosphären oder von
                              225 Pfd. auf den Quadratzoll gibt; die Glasflasche, in welcher die Gase entzündet
                              werden, ist schon hinreichend, die explosive Wirkung zu hemmen und zu verhindern,
                              daß irgend ein Laut gehört werde.
                           Die Quantität des bei gewöhnlichen Sprengungen erforderlichen Schießpulvers hängt
                              sowohl von der Härte des Gesteins, als von der in Bewegung zu sezenden Masse ab. Es
                              ist sehr wichtig, die Pulvermenge dem zu besiegenden Widerstande genau anzupassen,
                              indem ein Uebermaaß von Pulver nicht nur unnöthige Kosten verursacht, sondern die
                              Operation durch das Umherschleudern von Stüken in allen Richtungen auch gefährlicher
                              macht und nicht selten die Wirkung der Explosion schwächt. Vorzüglich ist lezteres
                              der Fall bei Kriegsoperationen, wobei der Zwek des Minensprengens der ist, die
                              zerstörenden Wirkungen so weit als möglich zu verbreiten. Die durch die Explosion
                              hervorgebrachte Oeffnung, wenn eine Mine eine geeignete Ladung hat, hat die Form
                              eines Kegels, dessen Basis einen noch einmal so großen Durchmesser hat als die vom
                              Mittelpunkt der Mine aus gemessene Höhe. Bei dieser Berechnung ist angenommen, daß
                              die hinwegzuschaffende Substanz Erde oder zarter Thonboden sey. Für solche Minen
                              nimmt man 10 Pfd. Pulver per (engl.) Kubikklafter, wenn
                              das Material lokere Erde ist, 16 Pfd. aber bei festem Thonboden. Man hat gefunden,
                              daß, wenn die Pulverladung diese Quantitäten sehr übersteigt, nur die unmittelbar
                              über dem Pulver befindliche Masse allein hinausgesprengt und die Oeffnung statt
                              kegelförmig, beinahe nur cylindrisch, das Bereich der Wirkung des Pulvers daher
                              verkleinert wird.
                           Die explosiven Wirkungen des Pulvers beim Sprengen hängen wesentlich auch von der
                              Art, wie der Minenhals zugepfropft wird, ab. Dieser Umstand wurde bis in die jüngste
                              Zeit gänzlich übersehen und auch jezt wird ihm noch nicht die gebührende
                              Aufmerksamkeit geschenkt. Man war früher der Meinung, daß die Stoßkraft des Pulvers
                              durch festes Einrammen sehr erhöht werde. In der Artilleriekunst ist dieß auch ganz
                              richtig; denn, wird die Kugel fest an das Pulver gedrükt, so wird sie mit größerer
                              Kraft fortgetrieben, als wenn dieß nicht geschieht. Die erforderlichen Wirkungen bei
                              den Operationen des Sprengens aber sind diesen gerade entgegengesezt. Die Kugel und der Vorschlag der
                              Kanone können als der Pfropf der Mine betrachtet werden. Diesen Pfropf
                              hinauszuschlagen, ohne daß die Kanone berstet, ist die Aufgabe beim Schießen; den
                              Pfropf zurükzuhalten aber und den das Schießpulver enthaltenden Raum bersten zu
                              machen, ist die Absicht beim Sprengen. Um diese verschiedenen Zweke zu erreichen,
                              müssen die Verfahrungsarten in beiden Fällen natürlich ebenfalls verschieden seyn.
                              Die bekannte Thatsache, daß wenn man eine Kugel nicht tief in den Lauf einer Kanone
                              stoßt, leztere auseinander gesprengt wird, ehe die Kugel noch herausgetrieben ist,
                              gibt eine sehr nüzliche Lehre für die Kunst des Sprengens und zeigt klar, daß, um
                              die größte Wirkung im Auseinanderreißen des Felsens hervorzubringen und am wenigsten
                              Gefahr zu laufen, den Pfropf hinauszustoßen, großer Raum gelassen werden muß
                              zwischen dem Pfropf und dem Pulver. Allerdings vermindert sich, wenn man der
                              erzeugten elastischen Flüssigkeit einen solchen Raum zur Ausdehnung läßt, die
                              Intensität ihrer Wirkung; allein dieselbe Pulvermenge ist auch über eine größere
                              Fläche verbreitet; ihre Wirkung nähert sich folglich mehr jener einer gewöhnlichen
                              mechanischen Kraft und es ist dabei nicht mehr so leicht möglich, daß der Felsen
                              sich in kleine Stüke zersplittert.
                           Ein großer Vortheil, welcher beim Felsensprengen aus dem Raumlassen zwischen dem
                              Pfropf und dem Pulver erwächst, ist der, daß man sich dadurch in den Stand gesezt
                              sieht, lokeren, trokenen Sand zum Pfropfen zu nehmen statt die Oeffnung mit harten
                              Substanzen ausfüllen und fest rammen zu müssen. Dadurch wird die Gefahr, das Pulver
                              durch Funkenschlagen zu entzünden, gänzlich beseitigt, und wir vermuthen, daß in
                              jenen Fällen, wo es versagte und der Pfropf herausgeschlagen wurde, die Ursache des
                              Fehlschlagens dem Umstande zuzuschreiben sey, daß zwischen dem Pfropf und dem Pulver
                              kein hinlänglicher Raum freigelassen wurde.
                           Daß der zwischen dem Pulver und dem Pfropf befindliche Raum das Hinausstoßen des
                              lezteren verhindert, läßt sich auf folgende Weise erklären. Die Kraft des
                              abgefeuerten Schießpulvers kann als von einem Punkt ausgehend betrachtet werden, von
                              welchem aus sie ringsherum in allen Richtungen ausstrahlt; diese Kraft muß daher im
                              Quadrat mit der Entfernung an Intensität abnehmen. Wird eine Kugel fest auf das
                              Pulver gerammt, so kommt sie dem Punkt, von welchem die Kraft ausgeht, sehr nahe und
                              erhält dadurch ihre volle Wirkung; ist sie aber entfernter von dem Punkte der
                              Ausstrahlung, so kann die auf sie wirkende Kraft innerhalb des Raums von 1/2 Zoll um
                              vieles vermindert werden. Nimmt man z.B. an, daß eine Flintenkugel, welche, wenn
                              sie an dem Pulver anliegt, 1/4 Zoll vom Mittelpunkte der strahlenden Kraft entfernt
                              ist, 1/4 Zoll vom Pulverende entfernt angebracht wird, so würde ihr Impuls viermal
                              kleiner werden. Entfernt man sie 1 Zoll von der Ladung, so wird die auf sie wirkende
                              Kraft sechzehnmal kleiner. Betrachten wir daher den ersten Stoß des abgefeuerten
                              Schießpulvers als eine strahlende Kraft, so ergibt sich sogleich die Ursache seiner
                              verringerten Wirkung auf einen Minenpfropf, wenn zwischen demselben und der Ladung
                              Raum gelassen wurde und seyen nun die zupfropfenden Substanzen Sand oder hartes
                              Felsgestein, so muß der freie Raum immer von gleichem Nuzen seyn. Wäre der
                              Widerstand zu groß, um der ersten explosiven Gewalt des Schießpulvers zu weichen, so
                              würde die Richtung der Wirkung der eingeschlossenen elastischen Flüssigkeit aufhören
                              eine strahlende zu seyn; sie würde dann dem Druk comprimirter Flüssigkeiten gleichen
                              und nach allen Richtungen gleichförmig wirken. Es würde bann eine der Compression
                              der erzeugten Gase äquivalente Kraft auf den Pfropf wirken und zwar in einer
                              Richtung, welche ihn mit Erfolg hinauszutreiben streben würde. Unter solchen
                              Umständen, glauben wir, ist es, daß der Pfropf, sey er von Sand oder Felsgestein,
                              häufig hinausgestoßen wird.
                           Das Zupfropfen mit trokenem Sand wurde vorzüglich seit den lezten zwei Jahren
                              zugleich mit Hrn. Martin Roberts' galvanischer
                              Felsensprengung bekannt; doch kannte man dasselbe schon vor dreißig Jahren. Es ist
                              zu bedauern, daß eine so nüzliche Erfindung, welche bei dem so gefährlichen
                              Geschäfte der Felsensprengung Unglüksfälle verhüten kann, so wenig Eingang fand, daß
                              mehr als 30 Jahre verstrichen, ehe sie allgemein eingeführt wurde.