| Titel: | Chameroy's neues atmosphärisches Eisenbahnsystem. | 
| Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. I., S. 1 | 
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                        I.
                        Chameroy's neues
                           atmosphaͤrisches Eisenbahnsystem.
                        Aus den Comptes rendus, 1844, 2tes Semester, Nr.
                              14.
                        Chameroy's neues atmosphärisches Eisenbahnsystem.
                        
                     
                        
                           Chameroy's Treibapparat ist für eine Bahn mit doppelter
                              Spur bestimmt. Er legt zwischen beiden Bahnen eine Leitung aus Röhren von Eisenblech
                              und Asphalt, die zur Probe einem starken Druke ausgesezt worden waren. Diese
                              Röhrenleitung, deren Durchmesser nach der gewünschten Triebkraft sich richtet, ist
                              ihrer ganzen Länge nach in den Boden eingegraben und in bestimmten Abständen sind
                              Seitenröhren angeordnet, die sich nach der Mitte jeder Bahn erstreken. An jedes
                              Seitenrohr ist ein Hahn gelöthet, dessen Schlüssel ein Getriebe enthält. Ueber dem
                              Hahn ist in verticaler Lage ein hohler abgestumpfter Kegel befestigt, welcher
                              inwendig durch eine Scheidewand abgetheilt ist. Ueber diesem Kegel ist in
                              horizontaler Lage und parallel zur Bahn eine cylindrische Saugröhre angeordnet,
                              deren Durchmesser halb so groß ist, als derjenige der Hauptröhrenleitung; sie ist
                              ungefähr 1 Meter lang und durch eine hermetisch schließende Scheidewand in zwei
                              gleiche Theile getheilt. An jedem ihrer Enden ist ein äußeres Beschläge und ein
                              hohler, mit einer gewissen Anzahl Löcher durchbohrter Kegel angeordnet. An der einen
                              Seite der Seitenröhre befindet sich eine Nuth, worin eine verticale Stange gleitet,
                              deren oberes Ende eine Rolle trägt und deren unteres gezahntes Ende in das an den
                              Hahn befestigte Getriebe greift. Ueber diese Seitenröhren läßt der Erfinder eine
                              gegliederte Röhre (tube articulé) hinweggehen,
                              die er mit Hülfe von Federn und Ketten unter die Waggons befestigt. Diese Röhre ist
                              so lang wie der Convoi und ihr Durchmesser ist dem der Röhrenleitung gleich; sie
                              bietet eine longitudinale Oeffnung dar, die durch ein Ventil mit zwei parallelen
                              Flügeln geschlossen wird; an beiden Enden ist diese Röhre erweitert und mit einem
                              Ventil nebst Hebel versehen. Unter dem ersten und lezten Waggon sind parallel zu
                              denselben zwei geneigte Ebenen befestigt.
                           In Abständen von 10000 Meter von einander sind längs der ganzen Bahnlinie stationäre
                              Dampfmaschinen oder hydraulische Motoren angeordnet. Diese Motoren sezen
                              pneumatische Apparate in Thätigkeit, welche mit der zwischen beiden Bahnen
                              fortlaufenden Röhrenleitung in Communication stehen.
                           
                           Will man nun einen Bahnzug abgehen lassen, so befestigt man unter den Waggons eine
                              Triebröhre (tube remorqueur); eines der Ventile an den
                              Enden dieser Röhre ist offen, das andere geschlossen; derjenige Theil der
                              Triebröhre, welcher das offene Ventil enthält, muß vorläufig mit einer Saugröhre in
                              Verbindung gebracht werden. Nachdem das Vacuum in der Hauptröhre hergestellt ist,
                              öffnet man mit der Hand den Hahn der Seitenröhre, womit die Triebröhre in Verbindung
                              gesezt ist und bewerkstelligt dadurch die Verbindung zwischen der Triebröhre und der
                              Röhrenleitung, worauf der atmosphärische Druk augenbliklich auf die Scheidewand der
                              Saugröhre, zugleich aber auf die ganze äußere Fläche des geschlossenen Ventils der
                              Triebröhre wirkt. Dieser Druk veranlaßt die Bewegung der Triebröhre, welche sofort
                              über die Saugröhre hinweggleitet; zugleich öffnet sich das longitudinale Ventil der
                              Triebröhre bei seinem Weggleiten über die Seitenröhre, um sich hinterher sogleich
                              wieder zu schließen. Sobald das hintere Ende des Convoi's an dieser Seitenröhre
                              angekommen ist, schließt eine geneigte Hervorragung den Hahn und zugleich öffnet
                              eine andere an der Spize des ersten Wagens befestigte Hervorragung den Hahn der
                              zweiten Seitenröhre, indem er die Zahnstange niederdrükt. Von diesem Augenblike an
                              hört die Communication des luftleeren Raums mit der Triebröhre vermittelst der
                              ersten Seitenröhre auf, während sie mit der zweiten hergestellt wird; das Ventil der
                              Triebröhre öffnet sich alsdann, um über die erste Saugröhre Hinwegzugleiten, worauf
                              es sich vermöge seines eigenen Gewichtes augenbliklich wieder schließt. Indem nun
                              der atmosphärische Druk von neuem in Wirksamkeit kommt, zieht die Triebröhre den
                              Wagenzug weiter mit sich fort.
                           Um den Apparat außer Wirksamkeit zu sezen, hebt man die geneigten Hervorragungen in
                              die Höhe, so daß die Hähne nicht geöffnet werden. Die Geschwindigkeit mäßigt man mit
                              Hülfe der Bremsapparate. Um die Bewegung rükgängig zu machen, öffnet man das Ventil
                              der Triebröhre, welches vorher geschlossen war und schließt das andere Ventil,
                              welches offen war.
                           Hauptvortheile dieses Systems. 1) Eine einzige
                              Röhrenleitung aus Eisenblech und Asphalt wird um die Hälfte weniger als eine aus
                              Gußeisen kosten;
                           2) sie wird für eine Eisenbahn mit doppeltem Geleise dienen;
                           3) da sie in den Erdboden eingesezt ist, so ist sie außer dem Bereiche böswilliger
                              Beschädigungen;
                           4) die Kosten ihrer inneren und äußeren Unterhaltung sind Null;
                           5) die Röhrenleitung bildet ein großes Reservoir für das Element der Triebkraft, über welches man
                              nach Belieben verfügen kann, nicht nur um den belasteten Wagenzügen die größte
                              Triebkraft oder die größte Geschwindigkeit mitzutheilen, sondern auch um Rampen zu
                              ersteigen;
                           6) man kann diese Kraftäußerung rükgängig machen, vermindern oder neutralisiren, um
                              Abhänge hinab zu fahren oder den Zug anzuhalten; sie wird stets nuzbar
                              verwendet;
                           7) sowohl während des Stillstandes, als auch während der Bewegung der Züge arbeiten
                              die Luftpumpen;
                           8) da die Röhrenleitung geschlossen und bei ihrer Verfertigung unter einem starken
                              Druke probirt ist, so ist ein Eindringen der Luft nicht zu befürchten;
                           9) ihre Eingrabung in den Boden gestattet einen freien Uebergang über die Bahn;
                           10) man kann auf derselben Linie mehrere Wagenzüge hintereinander abgehen lassen;
                           11) die Gliederung der Triebröhre gestattet Curven von 300 Meter Halbmesser
                              zurükzulegen, auch wird die hin- und herschwankende Bewegung der Waggons
                              durch die Triebröhre neutralisirt.