| Titel: | Ueber ein Insect, welches in den südlichen Departements Frankreichs die Oliven heimsucht und die Oehl-Ernte bedeutend beeinträchtigt; von Guérin-Méneville. | 
| Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. XX., S. 66 | 
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                        XX.
                        Ueber ein Insect, welches in den
                           suͤdlichen Departements Frankreichs die Oliven heimsucht und die
                           Oehl-Ernte bedeutend beeintraͤchtigt; von Guérin-Méneville.
                        Aus den Comptes rendus, Nov. 1844, No.
                              22.
                        Guérin, über ein den Oliven schädliches Insect.
                        
                     
                        
                           Schon längst beklagen sich die Bewohner des mittäglichen Frankreichs und Italiens, wo
                              die Cultur des Oehlbaums eine Quelle des Reichthums ausmacht, über von Insecten
                              ihnen angerichteten Schaden und gehen die Regierung und Gelehrten um ihren Beistand
                              zur Abhülfe an. Dieser so nüzliche Baum wird von mehr als zwanzig verschiedenen
                              Species Insecten angegriffen: der unter dem Namen Oryctes
                                 grippus bekannte Scarabeïd (Mistkäfer) und die Larven der
                              Heuschreken- (oder Baum-) Grillen (Cicaden) benagen die Wurzeln
                              desselben und saugen sie aus, wodurch seine Kraft bedeutend geschwächt wird; mehrere
                              Rüsselkäferarten zernagen seine Blätter; mehrere Holzkäfer machen seine Zweige
                              absterben; eine Cochenille (Schildlaus) und drei Hemipteren aus den Gattungen Cercopis, Psylla und Thrips
                              (Schaumcycade, Afterblattlaus und Blasenfuß) saugen an den jungen Sprossen und
                              berauben sie ihrer Kräfte; drei Lepidopteren (Staubflügler) fallen über Holz und Blätter
                              her; ein anderer wieder lebt auf Kosten der Frucht und endlich wird dieselbe Frucht
                              auch noch von einem Dipteren (Zweiflügler) heimgesucht, welcher in manchen Jahren
                              die ganze Oehl-Ernte vernichtet.
                           Diese von Insecten angestellten Verheerungen haben jederzeit die Aufmerksamkeit der
                              Landwirthe sowohl als der Naturforscher in Anspruch genommen; von beiden wurden
                              viele Abhandlungen darüber herausgegeben; allein die Arbeiten der erstern, auf
                              keinem wissenschaftlichen Verfahren beruhend, gaben das Uebel nur an; ihre Verfasser
                              schlugen unanwendbare Mittel zur Vertilgung der Insecten vor und wollten sie gegen
                              Species gerichtet haben, welche an den Verheerungen, worüber man sich beklagte,
                              unschuldig sind. Die Arbeiten der Naturforscher blieben, wenigstens zum größten
                              Theil, ebenfalls ohne Nuzen, indem die darin enthaltenen Beschreibungen zu
                              unbestimmt waren, um die Insecten, welche sie oft nur in einem Zustand beobachtet
                              hatten, kennen zu lehren. Indessen sind in diesen leztern nüzliche Bemerkungen
                              enthalten, welche, wenn man den Gegenstand einer neuen gründlichen Behandlung
                              unterwirft, sehr zu statten kommen können.
                           Im Laufe des Jahres 1844 erhielt der Minister des Akerbaues und des Handels von Hrn.
                              Blaud, einem sehr unterrichteten Landwirth zu
                              Beaucaire, eine voluminöse Abhandlung über die Cultur des Oehlbaums und die diesem
                              Baum schädlichen Insecten und überschikte sie der königl. Gesellschaft für
                              Landwirthschaft, von welcher er einen Bericht darüber verlangte. Mit dieser Arbeit
                              beauftragt, mußte ich, bei aller Anerkennung der von Hrn. Blaud gemachten Studien, ihn dennoch ersuchen, die meisten der von ihm
                              beobachteten Insecten einzuschiken, indem seine Beschreibungen und Abbildungen nicht
                              auf hinlänglichen entomologischen Kenntnissen fußten, um daraus etwas Bestimmtes
                              schließen zu können. Dieser Landwirth überschikte nun, dem Wunsche der Kommission
                              nachkommend, deren Organ ich war, dem Minister unterm 4. September eine kleine
                              Schachtel, welche Oliven enthielt, die von der das Innere ihres Kerns zernagenden
                              Raupe verdorben waren, was mich in den Stand sezte, diese Species gehörig zu
                              studiren und abzubilden und sogar eines der auf ihr lebenden Schmarozerthiere zu
                              entdeken, welches bisher den Nachforschungen der Landwirthe und Naturforscher
                              entgangen war. Die Abhandlung, in welcher ich dieses Insect und seinen Parasyten
                              beschreibe, kann hier wegen ihrer Ausdehnung keinen Plaz finden; ich beschränke mich
                              daher auf einen gedrängten Auszug aus derselben.
                           1) Die Oliven werden von einer kleinen Raupe heimgesucht, welche sich in ihren Kern
                              zieht, den öhligen Kern zernagt, gegen Ende Augusts aus demselben kriecht, und zwar durch eine
                              Oeffnung in der Nähe des Stiels, sich mittelst eines Fadens auf die Erde herabläßt,
                              um sich da in einen sehr kleinen Schmetterling zu verwandeln.
                           2) Indem diese Raupe ihr Auskriechloch bohrt, macht sie den Fruchtstiel der Olive,
                              absterben, welche jederzeit vor ihrer Reife zu Boden fällt.
                           3) Einmal auf dem Boden, sucht die Raupe unter dem Baume irgend ein abgestorbenes
                              Blatt oder die Krümmung einer Erdscholle, baut sich hier ein leichtes seidenartiges
                              Gehäuse und verwandelt sich innerhalb dreier Tage zur Puppe, aus welcher in sechs
                              Tagen der Schmetterling ausschlüpft.
                           4) Dieser Staubflügler gehört der Gattung Oecophora an
                              und zwar ist es Oec. olivella des Hrn. Duponchel, welche er in seiner Naturgeschichte der
                              französischen Lepidopteren kennen lehrte und die der Tinea
                                 ocella des Fabricius entspricht.
                           5) Sobald die Raupe die Olive verläßt, um sich zu verpuppen, wird sie von mehreren
                              Feinden angefallen; die Vögel stellen ihr nach, während sie noch am Faden hängt,
                              mittelst dessen sie sich auf den Boden herabläßt; die Ameisen greifen sie bei ihrem
                              Aufenthalt auf dem Boden an; endlich benüzt ein kleiner Hymenopter chalcidite
                              (wespenartiger Hautflügler) diesen Augenblik, um auf ihren Körper eine große Anzahl
                              Eier zu legen, bei deren Auskriechen sehr kleine Larven erzeugt werden, die auf
                              Kosten ihrer fleischigen und fettartigen Theile leben und sich entwikeln, ohne
                              jedoch sich sogleich an die Quelle des Lebens zu machen. Zur vollkommenen
                              Entwikelung gelangt, tödten sie jedoch die Raupe oder die Puppe, wenn diese leztere
                              sich bilden konnte und bauen sich unter ihrer Haut eiförmige Gehäuse, 15 bis 20 an
                              der Zahl.
                           6) Von 28 aus dem Süden erhaltenen Puppen oder Raupen war mehr als die Hälfte auf
                              diese Weise verstochen und sie gaben einer Menge, beinahe mikroskopisch kleiner
                              Chalciditen von schön sammtschwarzer Farbe mit grünem Kopfe Entstehung. Diese
                              Hymenopteren gehören der Zunft Pteromaläer (Pteromaliens) an, bilden aber eine eigene Untergattung,
                              welche ich Trigonogaster benenne, wegen der dreiekigen
                              Gestalt ihres Unterleibs. Da diese Species bisher noch nicht beschrieben wurde,
                              schlage ich vor, sie durch einen Namen zu bezeichnen, welcher auf die Dienste
                              hindeutet, die sie der Menschheit leistet, indem sie der Vermehrung eines
                              Schmetterlings Schranken sezt, dessen Geschlecht sonst schon längst den Oehlbaum
                              hätte verschwinden machen. Er heiße demnach T. benignus.
                              
                           7) Man ersieht hieraus, daß die Natur in ihrer wundervollen Harmonie wollte, daß ein
                              Geschlecht, welches bestimmt ist, sich der zu großen Vermehrung des Oehlbaums zu widersezen,
                              innerhalb der rechten Gränzen erhalten werde; der Mensch aber muß diese Harmonie
                              aufzuheben trachten, um die Vermehrung und Erzeugung der ihm nüzlichen Gewächse zu
                              befördern. Er muß daher die Kenntnisse, welche er sich über die Lebensart der die
                              Gewächse benachtheiligenden Thiere erwirbt, zu nuze zu machen suchen; im
                              vorliegenden Falle findet er ein leichtes Mittel, eine große Menge dieser
                              Lepidopteren zu vertilgen, indem er der Raupe und Puppe in dem Moment sich
                              bemächtigt, wo sie ihm so zu sagen ganz preisgegeben sind. Nun haben wir oben
                              gesehen, daß die Raupen gegen Ende Augusts aus den Oliven kriechen, um sich auf die
                              Erde unter die Bäume herabzulassen, sich seidenartige Gehäuse zu bauen und in Puppen
                              zu verwandeln, entweder in den Krümmungen des Erdreichs oder sich an abgefallene
                              Blätter lehnend. Es ist daher einleuchtend, daß nur einige Centimeter der Erde unter
                              jedem Baum ausgehöhlt und in diesen Gruben abgestandene Blätter zusammengehäuft zu
                              werden brauchen, um den Raupen einen bequemen Zufluchtsort darzubieten; man braucht
                              dann in den ersten Tagen des Septembers nur diese Blätter in einem Haufen zu
                              vereinigen und zu verbrennen und die Erde in die Gruben zurükzubringen, um die
                              wenigen Puppen, welche allenfalls dadurch dem Feuer entgangen sind, daß sie sich in
                              den Krümmungen des Erdreichs verschlüpften, unter die Erde zu vergraben.
                           Die Ausführung dieses Verfahrens muß ich nachdrüklichst in einer ganzen Gegend
                              vorzunehmen empfehlen, weil sonst die Oehlbäume des nachlässigen Besizers ihr Uebel
                              auch jenen mittheilen würden, welchen die umsichtigste und zwekmäßigste Pflege
                              gewidmet wurde. Es ist ferner nothwendig, die Regierung auf diesen wichtigen
                              Gegenstand aufmerksam zu machen, um dadurch ähnliche Maaßregeln hervorzurufen, wie
                              sie zur Regulirung der Abraupung ergriffen wurden.