| Titel: | Ueber die Natur des beim Abdampfen von Runkelrübensaft im luftleeren Raum erzeugten Condensationswassers; vom Apotheker Boissenot zu Châlons-sur-Saône. | 
| Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. XXVII., S. 129 | 
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                        XXVII.
                        Ueber die Natur des beim Abdampfen von
                           Runkelrübensaft im luftleeren Raum erzeugten Condensationswassers; vom Apotheker
                           Boissenot zu
                           Châlons-sur-Saône.
                        Im Auszug aus dem Journal de Pharmacie, Aug. 1846, S.
                              93.
                        Boissenot, über die Natur des beim Abdampfen von Runkelrübensaft im
                           luftleeren Raum erzeugten Condensationswassers.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich hängt der gute Erfolg bei der Rübenzucker-Fabrication
                              hauptsächlich von der Schnelligkeit der Arbeit, dem raschen Abdampfen des Safts bei
                              niedriger Temperatur, vorzüglich aber von der Anwendung einer großen Menge guter
                              Knochenkohle ab.
                           Um diesen Zweck zu erreichen, wurden die zuerst von Howard
                              angegebenen, seitdem von Roth, Degrand, Desronnes und Cail verbesserten Concentrationsapparate mittelst des
                              luftleeren Raums in beinahe allen Fabriken eingeführt und solche, welche nicht in
                              der günstigen Lage sind, sich das zur Condensation der Dämpfe nöthige Wasser zu
                              verschaffen, suchten die bei dieser Operation entstehende große Masse verdichteten
                              Wassers zu benutzen. Zu diesem Behuf wird ein System in Krümmungen laufender, nicht
                              sehr tiefer, 2 Meter breiter und 12 bis 1500 Meter langer Gräben um die Fabrik herum
                              angelegt, in welche sich
                              das Condensationswasser durch Röhren aus Steinzeug begibt; es circulirt in denselben
                              und gelangt nach dem Erkalten am Ende der Grabenleitung in eine Art Sammelkasten
                              (Senkgrube), von wo es vermittelst des in den Condensatoren stattfindenden
                              luftleeren Raums aufgesogen wird, in deren Inneres es sich dann in Gestalt eines
                              Regens ergießt, um die Kondensation der Dämpfe zu bewerkstelligen. Nun hat es sich
                              aber gezeigt, daß dieses Wasser, nachdem es eine Zeit lang benutzt und der Luft
                              ausgesetzt wurde, seine Klarheit verliert und klebrig wird; es geht in Gährung über,
                              entwickelt Gasblasen und verbreitet einen üblen, demjenigen in den Gerbereien
                              ähnlichen Geruch; es färbt sich braun und seine Oberfläche überzieht sich mit einem
                              ebenfalls braunen Schaum, kurz, es wird zu seinem Zweck untauglich. Es ist dieß um
                              so nachtheiliger, weil es in diesem Zustand die Kolben, Luftpumpen etc. angreift; es
                              zerfrißt die Cylinder im Innern so stark, daß das Gußeisen, woraus sie bestehen, wie
                              Graphit geschnitten werden kann, daher nach Maaßgabe der Reibung der Kolben an den
                              inneren Wänden der Cylinder letztere so erweitert oder abgenutzt werden, daß die
                              Maschine bald dienstuntauglich ist.
                           In der Zuckersiederei zu Alouettes bei Châlons-sur-Saône
                              hatte ich Gelegenheit, den Ursachen dieser Zerstörung nachzuforschen. Die Resultate
                              meiner Untersuchung (deren Gang und Einzelnheiten wir füglich mitzutheilen
                              unterlassen können), sind folgende:
                           1) Während der Abdampfung des Runkelrübensafts im luftleeren Raum wird ein Theil
                              desselben in den Dampfstrom geschleudert oder hineingerissen; unter dem Einfluß des
                              Ammoniaks und der Temperatur des Dampfes wird ein Theil des Zuckerstoffs zersetzt
                              und erzeugt zuvörderst Ulminsäure (Humussäure); später
                              aber, wenn der Zuckerstoff in dem Condensationswasser mit der Luft in Berührung
                              kömmt, und so lange, als dieses Wasser alkalisch bleibt und noch eine ziemlich hohe
                              Temperatur hat, bildet sich zugleich mit der Ulminsäure auch Ameisensäure.
                           2) Bald nach ihrem allmählichen Erkalten geht die Flüssigkeit in Gährung über unter
                              Entwickelung von Kohlensäure, Kohlenwasserstoffgas und eines eigenthümlichen
                              stinkenden Geruchs; sie wird klebrig, sauer, reagirt auf das ulminsaure Ammoniak und
                              macht Ulminsäure in solchem Grad der Zertheilung frei, daß sie davon braun gefärbt
                              wird.
                           3) Während der Stadien dieser in großem Maaßstab eintretenden Gährung werden Alkohol,
                              Essigsäure, Milchsäure und Buttersäure erzeugt; diese freien Säuren, obgleich mit
                              vielem Wasser verdünnt, greifen das Beschläge der Kolben, der Luftpumpen, vorzüglich
                              aber das Gußeisen der
                              Cylinder stark an, deren Eisen sie größtentheils auflösen mit Hinterlassung einer
                              eisenhaltigen Kohle, welche alle Eigenschaften des Graphits besitzt.
                           4) Der von dem Wasserdampf täglich mitgerissene Zucker wird nicht vollkommen
                              zersetzt, aber in den Zustand des Traubenzuckers übergeführt.
                           5) Da Kalkmilch die Eigenschaft besitzt, die freien Säuren zu sättigen und die
                              Ulminsäure zu fällen, so ist es vortheilhaft, sie anzuwenden und sie am Anfang der
                              letzten Krümmung der Gräben einzugießen und durch irgend ein mechanisches Mittel mit
                              dem Condensationswasser zu vermischen, damit letzteres Zeit hat den sich reichlich
                              bildenden ulminsauren Kalk abzusetzen und sich vor seiner Ankunft im Sammelkasten zu
                              klären. Alsdann kann es eine gewisse Zeit lang zum Condensiren der Dämpfe dienen,
                              ohne den Vacuum-Apparaten schädlich zu werden.
                           Der abgesetzte ulminsaure Kalk kann dem zum Feldbau bestimmten Dünger beigemengt und
                              so nützlich verwendet werden.
                           Um die Erklärung dieser Erscheinungen außer allen Zweifel zu setzen, habe ich 50
                              Liter geläuterten und vollkommen klaren Runkelrübensafts einer langsamen
                              Destillation unterworfen. Das durch Condensation der Dämpfe erzeugte Wasser war
                              stark ammoniakalisch; es wurde drei Monate lang bei einer Temperatur von
                              16–24° R. aufbewahrt, und zeigte in Berührung mit der Luft keine der
                              bei dem Wasser der Zuckerfabrik beobachteten Erscheinungen, weil während der Destillation kein Zuckerstoff mitgerissen worden war. Der
                              in der Blase zurückgebliebene Syrup war stark gefärbt und alkalisch. Mit Wasser
                              verdünnt, welches mit Salzsäure angesäuert war, setzte er eine große Menge
                              Ulminsäure ab. Eine andere Destillation von wieder 50 Liter desselben geläuterten
                              Safts, welchen man durch gute Knochenkohle hatte laufen
                                 lassen, lieferte ein nur schwach ammoniakalisches Wasser und einen viel
                              weniger gefärbten und alkalischen Syrup, worin angesäuertes Wasser nur einen
                              geringen Niederschlag von Ulminsäure hervorbrachte. Diese beiden Versuche zeigen,
                              wie sehr es sich die Fabrikanten angelegen seyn lassen müssen, den geläuterten Saft
                              durch eine große Menge guter Knochenkohle laufen zu lassen, damit diese alles
                              während der Läuterung entwickelte Ammoniak aufnimmt; denn das Ammoniak ist eines der
                              kräftigsten Zerstörungsmittel des Zuckerstoffs.