| Titel: | Ueber die Fabrication des künstlichen Gummis, von Emil Thomas. | 
| Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. XLIII., S. 229 | 
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                        XLIII.
                        Ueber die Fabrication des künstlichen Gummis, von
                           Emil
                              Thomas.
                        Aus dem Bulletin de la Société
                                 d'Encouragement, Aug. 1846, S. 450.
                        Thomas, über die Fabrication des künstlichen Gummis.
                        
                     
                        
                           Während eines langen Aufenthalts in England hatte ich Gelegenheit, mich mit der
                              Fabrication des Dextrins oder künstlichen Gummis zu beschäftigen. Die Thatsachen
                              welche ich theils durch meine eigenen Beobachtungen, theils nach verläßlichen
                              Mittheilungen Anderer gesammelt habe, will ich im folgenden mittheilen.
                           Seit zwei Jahren hat die Fabrication des Dextrins in Frankreich, England und
                              Deutschland ungeheure Fortschritte gemacht; man hat das ausländische Gummi fast zu
                              allen Zwecken durch dasselbe ersetzt. Dasselbe kommt gegenwärtig in dreierlei Formen
                              im Handel vor:
                           1) als weißes, leichtes, glänzendes, perlmutterartiges Pulver;
                           2) als syrupartige Auflösung;
                           3) von dem Aussehen des ausländischen Gummis, nämlich in kleine Stücke gebrochen,
                              oder in Klümpchen von verschiedener Größe gerollt.
                           Noch vor kurzer Zeit wurde das Dextrin nur in pulverförmigem Zustand von den
                              Fabrikanten geliefert; seitdem hat man sich überzeugt, daß die gummiartige Form,
                              welche man dem Dextrin ertheilt, entschiedene Vortheile darbietet, an welche man
                              anfangs gar nicht dachte und worauf ich unten zurückkomme. Einige befürchteten zwar,
                              daß die äußere Aehnlichkeit desselben mit dem ausländischen Gummi zur Verfälschung
                              des letztem damit Veranlassung geben könnte: glücklicherweise ist dieß nicht
                              möglich; der Geruch und Geschmack des Kartoffelöls, welchen das künstliche Gummi
                              stets in hohem Grad besitzt, reichen hin, um es augenblicklich von natürlichem Gummi
                              zu unterscheiden.
                           Man fabricirt das Dextrin entweder mittelst der Säuren oder mittelst des in geleimter
                              Gerste enthaltenen Diastas. Ich will diese verschiedenen Verfahrungsarten
                              nacheinander durchgehen.
                           
                           Durch Schwefelsäure. Das so erhaltene Dextrin hat den
                              großen Uebelstand zerfließlich zu seyn, d.h. die Feuchtigkeit aus der Luft
                              anzuziehen; auch hat man diese Methode, wobei man nur zu oft ein gefärbtes Product
                              erhält, bereits ganz aufgegeben.
                           Durch Salpetersäure. Diese Methode ist jetzt fast
                              allgemein im Gebrauch, um das pulverförmige Dextrin zu erhalten.Es ist im polytechn. Journal Bd. LXXIV S.
                                       307 und Bd. LXXXIII S. 75
                                    beschrieben. Ich habe mich überzeugt, daß die anzuwendende Säure vollkommen rein seyn muß
                              und zwar aus folgendem Grund: bekanntlich gewinnt man die Salpetersäure durch
                              Zersetzung des an den Küsten von Bolivia vorkommenden Natronsalpeters mittelst
                              Schwefelsäure; nun enthält dieses Salz fast immer etwas Kochsalz, welches in
                              Berührung mit Schwefelsäure und Salpetersäure Chlor erzeugt. Obgleich dieses Chlor
                              immer nur in geringer Menge in der Säure und folglich in noch geringerer Menge in
                              dem damit bereiteten Dextrin enthalten ist, so reicht es doch schon hin, um den Ton
                              der mit solchem Dextrin bereiteten Farben für den Papier- oder Zeugdruck
                              merklich blässer zu machen.
                           Durch Salzsäure. Dieses Verfahren wird meines Wissens nur
                              von den HHrn. Saint-Etienne angewandt, welche das Stärkmehl, wie bei dem
                              vorhergehenden Verfahren, zuerst mittelst einer schwachen Dosis Säure und des
                              Röstens oder vielmehr Austrocknens bei hoher Temperatur auflöslich machen. Das so
                              erhaltene Pulver wird dann auf ein Drahttuch Nr. 7 geworfen und der Einwirkung eines
                              Dampfstrahls ausgesetzt, welcher das Dextrin befeuchtet und ihm kaum mehr Wasser
                              mittheilt, als erforderlich ist, um es durchsichtig zu machen; das gummiartige
                              Product verliert daher beim nachherigen Austrocknen fast gar nicht an Gewicht.
                              Dieses Verfahren hat den Uebelstand, daß es eine sehr große Geschicklichkeit von
                              Seite des Arbeiters erfordert, welcher das Dextrin hydratisch zu machen hat, so
                              zwar, daß Hr. Saint-Etienne Sohn, welcher in England eine Fabrik nach
                              seinem Verfahren dirigirt, diesen Theil der Arbeit bis jetzt selbst auszuführen
                              genöthigt war. Die HHrn. Saint-Etienne haben vorzugsweise die Salzsäure angenommen,
                              weil das damit erhaltene Gummi nicht so leicht zerfällt (sich spaltet) wie das nach
                              andern Methoden bereitete.
                           Durch das Diastas. Dieses Verfahren scheint mir in jeder
                              Hinsicht das beachtenswertheste zu seyn; mittelst einiger Modificationen gelang es
                              mir dasselbe in großem Maaßstab anzuwenden; es liefert die vollkommensten Resultate
                              und ich will es daher vollständig beschreiben.
                           
                           Den Proceß, wodurch das Stärkmehl auflöslich gemacht wird, muß man in großen durch
                              Dampf erhitzten Kufen vornehmen, worin man die Temperatur leicht erhöhen oder
                              erniedrigen kann. Man fängt damit an, das trockene Stärkmehl mit seinem vierfachen
                              Gewicht Wasser zu vermengen, welches vorher auf beiläufig 40° N. erhitzt
                              wurde; man rührt nämlich das Stärkmehl nach und nach in die Kufe oder den Kessel,
                              welcher das heiße Wasser schon enthält. Ich benutzte in London kupferne Kessel mit
                              doppeltem Boden von beiläufig 400 Gallons oder 18 Hektoliter Rauminhalt; man
                              zersetzte darin auf einmal 300 Kilogr. Stärkmehl, welche mit 1200 Kilogr. Wasser
                              angerührt waren. Man erhält die Temperatur auf beiläufig 48°R., bis sich die
                              ganze Masse in Kleister verwandelt hat; dann setzt man 2 Proc. (dem Gewichte nach)
                              ganz weißer geleimter Gerste zu und den Schleim von 1 Proc. Leinsamen oder
                              Leinsamenkuchen.D.h. den Schleim welchen man durch Einweichen des Leinsamens in kaltes Wasser
                                    erhält. A. d. R.
                              
                           Würde man mehr Malz anwenden, als ich vorschrieb, so würde die Zersetzung allerdings
                              schneller erfolgen, aber auch mehr Stärkezucker erzeugt werden und das Gummi wäre
                              gefärbter. Der Leinsamenschleim ist für das Gummi ein Bindungsmittel, er verleiht
                              ihm Zähigkeit und verhindert, daß es zerfällt (sich spaltet), was eine wesentliche
                              Bedingung eines guten Fabricates ist. Ich versuchte ihn durch Flechtenschleim zu
                              ersetzen; dieses Verfahren gelang aber nicht (obgleich ich ein viel weißeres Product
                              erhielt), weil dieser Schleim sich an den Kesselwänden ansetzt, und das Kochen der
                              Flüssigkeit verhindert; übrigens hat er auch nicht die Bindekraft des
                              Leinsamenschleims.
                           Man erhält die Mischung auf einer Temperatur von 40–48° R., bis sich
                              aller Kleister wieder aufgelöst hat; dann erhöht man die Temperatur rasch, ohne
                              jedoch 60° R. zu überschreiten, welchem Wärmegrad man sich so viel als
                              möglich nähern muß, weil dabei das Diastas am wirksamsten ist; man rührt die
                              Flüssigkeit bei dieser Temperatur stark um, bis die Zersetzung fast vollständig ist,
                              was man daran erkennt, daß sich eine Portion der Flüssigkeit, welche man
                              herausnimmt, durch Jod violett, in Roth stechend, ohne Beimischung von Blau,
                              färbt.
                           Es versteht sich, daß man die Flüssigkeit, während der ganzen Zersetzung,
                              unaufhörlich in Bewegung erhalten muß; die Operation dauert ungefähr fünf
                              Viertelstunden, wovon eine Viertelstunde zur Bildung des Kleisters und eine zu
                              seiner Auflösung erforderlich ist.
                           
                           Ich lege einen großen Werth darauf, daß man den Kleister erzeugt, ehe man die
                              gekeimte Gerste zuseht, weil sie sich dann viel gleichförmiger in der Masse
                              vertheilt und nicht auf den Boden des Gefäßes niederfällt.
                           Man muß dann die Flüssigkeit aus den Kufen nehmen und sie 16–18 Stunden lang,
                              je nach der äußern Temperatur stehen lassen, damit sie sich klärt. Während dieses
                              Stehenlassens tritt eine schwache Gährung ein, und damit dieselbe nicht zu merklich
                              werden kann, verseht man die Flüssigkeit mit 10 Grammen Alaun per Hektoliter. Dieses Stehenlassen ist unumgänglich nöthig; es verhindert
                              zwei große Uebelstände, nämlich die Färbung des Gummis beim Eindampfen, und die
                              sonderbare Erscheinung, welche sich so oft beim Abdampfen klebriger Flüssigkeiten
                              einstellt, daß dieselben nämlich unbeweglich (nicht weiter verdampfbar) werden, was
                              wie ich mich überzeugt habe, von der Bildung eines sehr dicken Satzes an den Wänden
                              der Abdampfgefäße herrührt.
                           Die abgezogene klare Flüssigkeit zeigt beiläufig 10° Baumé; man dampft
                              sie ab, indem man sie sehr langsam ins Kochen bringt, was für eine gute Klärung eine
                              wesentliche Bedingung ist, die man übrigens dadurch beschleunigen kann, daß man wie
                              beim Raffiniren des Zuckers das erste Ansteigen der Flüssigkeit durch Anhalten des
                              Feuers vorübergehen läßt: diese Klärung wird ohne den Zusatz einer fremden Substanz
                              durch die Gerinnung des vegetabilischen Eiweißstoffs bewerkstelligt, welchen die
                              Gerste und der Leinsamenschleim enthalten. Der schleimartige Syrup gibt übrigens
                              während des Verkochens fast fortwährend Schaum; letzteren muß man sorgfältig
                              beseitigen und besonders darf man das Kochen nicht zu sehr beschleunigen, weil sich
                              sonst das Gummi zuerst trüben und dann färben würde. Das Verkochen ist beendigt,
                              wenn sich auf der Oberfläche des Syrups ein Häutchen von festem Gummi bildet und der
                              Syrup zeigt dann beiläufig 35° Baumé.
                           Wollte man das Gummi in flüssiger Form verkaufen, so müßte man das Verkochen
                              einstellen, sobald der Syrup kochend 30° Baumé zeigt; man schüttet
                              diesen Syrup in Fässer, welche vorher mit Terpenthinöl eingerieben wurden und gießt
                              dann auf die Oberfläche des Gummis eine dünne Schicht von diesem Oel. Auf diese
                              Weise gelang es mir so ziemlich, die Gährung des flüssigen Gummis zu verhindern,
                              welche für seine Versendung ein so großes Hinderniß ist.
                           Will man das Gummi gänzlich in festen Zustand versetzen, so gießt man den kochenden
                              Syrup in flache Kästchen aus Eisenblech, und vertheilt diese auf dem Gestell in der
                              Trockenstube, deren Temperatur mittelst eines heißen Luftstroms auf 32–40°
                              R. erhalten wird. Nach 24 Stunden bekommt das Gummi die Consistenz des
                              Brustbeerenteigs; man zerschneidet es dann mittelst einer Blechschere in kleine
                              Parallelopipeda und rollt diese Gummistücke auf einem polirten Tisch mit einer
                              hölzernen Walze in trockenem fein pulverisirtem künstlichem Gummi; die Klümpchen,
                              welche man bei dieser Operation erhält, werden sodann auf Sieben, die mit Zeug
                              besetzt sind, in drei bis vier Tagen in der Trockenstube vollkommen
                              ausgetrocknet.
                           Man könnte das Gummi viel besser und vollkommener dadurch trocknen, daß man den Syrup
                              über ein auf 88–96° R. erhitztes Schlangenrohr laufen ließe; leider
                              ist dieses Verfahren aber nicht ökonomisch.
                           Das so bereitete künstliche Gummi löst sich sehr leicht im Wasser zu einer ganz
                              klaren Flüssigkeit auf; vor dem pulverförmigen Dextrin hat es den Vorzug, daß es
                              viel leichter zu versenden und aufzubewahren ist, und vor dem flüssigen Gummi
                              denjenigen, daß es nicht gährt.
                           Zum Schluß will ich noch einer Verbesserung bei der Fabrication des Stärkmehls nach
                              dem Verfahren des Auswaschens erwähnen.
                           In der Fabrik, welche Hr. Saint-Etienne zu Habertonford-Mills in der Grafschaft
                              Devon dirigirt, wird das Stärkmehl nach dem Verfahren des Hrn. Martin gewonnen, welches bekanntlich darin
                              besteht, daß man den mittelst Weizenmehl bereiteten Teig unter einem Wasserstrahl
                              mit Hülfe einer mechanischen Vorrichtung auswascht.Es ist im polytechn. Journal Bd. LX S.
                                       374 und Bd. LXIV S. 128
                                    beschrieben. A. d. R. Dieses Verfahren ist also nur anwendbar, wenn man selbst eine Mühle besitzt,
                              oder sich doch in der Nähe einer solchen befindet, um sich leicht Mehl verschaffen
                              zu können. In Ermangelung dieses Umstandes kam Hr. Saint-Etienne auf den Gedanken, das ganze
                              Getreide drei bis vier Tage lang in Wasser weichen zu lassen, es dann zwischen
                              Walzen zu zerquetschen und so seinen Teig zu bilden. Dabei zeigte sich aber ein
                              großer Uebelstand; die Waschwasser setzten, besonders im Sommer, ihr Stärkmehl nicht
                              mehr ab. Hr. Saint-Etienne schrieb dieses Hinderniß der Beschaffenheit
                              seines Wassers zu; ich bewies ihm aber, daß das ganze Uebel von der Gährung und
                              theilweisen Keimung des Getreides herrührte, welches so lange Zeit mit Wasser in
                              Berührung gebracht, nacheinander Diastas und Dextrin bildete, wodurch die
                              Waschwasser des Stärkmehls klebrig wurden. Ich rieth ihm, was ich allen Stärkmehlfabrikanten, welche aus
                              Oekonomie mit ganzem Getreide zu arbeiten wünschen, ebenfalls rathen möchte, einen
                              hölzernen mit Blei gefutterten Apparat herzustellen, denselben zu drei Viertel
                              seines Inhalts mit Getreide zu füllen, dann so viel Wasser zuzusetzen, daß es bloß
                              über dem Getreide steht, und dann diesen Apparat einer constanten Wärme von
                              höchstens 40°R. bei einem Druck von 15–20 Atmosphären auszusehen,
                              welchen man mittelst einer Druckpumpe leicht herstellen kann. In vier bis fünf
                              Stunden bläht sich das Getreide so auf, daß es den Apparat vollständig ausfüllt, und
                              verbindet sich so innig mit Wasser, daß wenn man es zwischen hölzernen Walzen
                              hindurchläßt, man damit sehr leicht einen Teig erhält. Dieser Teig läßt sich dann
                              zur Bereitung von Stärkmehl verwenden, vorausgesetzt, daß man ihn vor dem Auswaschen
                              zwei Stunden länger liegen läßt, als den mit Mehl gemachten Teig; man hat dann gar
                              keine Gährung mehr zu befürchten und erhält auf eine wohlfeile Weise aus demselben
                              Quantum Getreide fast 10 Proc. mehr Teig, als durch das Mahlen.