| Titel: | Ueber die Präexistenz eines flüchtigen Oels in der Kartoffelstärke, welches ihr den eigenthümlichen Geruch ertheilt; von Payen. | 
| Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. LXII., S. 323 | 
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                        LXII.
                        Ueber die Präexistenz eines flüchtigen Oels in
                           der Kartoffelstärke, welches ihr den eigenthümlichen Geruch ertheilt; von Payen.
                        Im Auszug aus den Comptes rendus, Sept. 1846, Nr.
                              10.
                        Payen, über die Präexistenz eines flüchtigen Oels in der
                           Kartoffelstärke.
                        
                     
                        
                           Schon vor einigen Jahren glaubte ich hinlänglich dargethan zu haben, daß ein stark
                              riechendes eigenthümliches wesentliches Oel in der Kartoffelstärke enthalten sey,
                              indem ich zeigte, daß reiner Alkohol dasselbe auszieht und das Oel mit dem
                              charakteristischen Geruch in sich aufnimmt. Es ist aber so schwer, sich von jeder
                              Spur flüchtiger Oele freien Alkohol zu verschaffen, und es waren hier so große
                              Quantitäten desselben erforderlich, um obige Extraction zu bewerkstelligen, daß
                              gegen die Schlüsse aus meinen Versuchen erhebliche Einwendungen gemacht werden
                              konnten. Wirklich schrieben die meisten Chemiker die Bildung dieses und mehrerer
                              andern Oele lieber der geistigen Gährung zu. Unter diesen nahm Liebig überdieß an, daß das Vorhandenseyn einer faserstoffartigen,
                              fäulnißfähigen Substanz im Mark nöthig sey, um die eigenthümliche Gährung
                              hervorzurufen, welche das ätherische Oel erzeugt; denn, sagt derselbe, wenn man
                              statt die vor der Gährung gekochten Kartoffeln zu behandeln, das Stärkmehl durch
                              Schwefelsäure in Zucker umwandelt, so findet keine Bildung von ätherischem Oel mehr
                              statt.
                           Diese der meinigen völlig entgegengesetzte Theorie wurde in einem Punkte schon von
                              Hrn. Dubrunfaut bekämpft,
                              welcher das ätherische Oel durch Destillation der mittelst Schwefelsäure in Zucker
                              umgewandelten Stärke erhielt. Ich wollte aber den Streit nicht fortsetzen, ohne neue
                              Thatsachen Liebig's Behauptung
                              entgegensetzen zu können, wozu mir nun vor kurzem Gelegenheit ward.
                           Wenn meinen Angaben gemäß das ätherische Oel in den festen concentrischen Schichten
                              der Kartoffelstärkmehlkörner vorhanden ist, so muß die zur Zuckerbildung
                              erforderliche Säure es in Freiheit setzen, so daß Wasserdampf beim Kochen es mit
                              fortreißt. In diesem Fall muß ein Apparat zur ganzen und gebrochenen Condensation
                              der Dämpfe, mit dem Gefäße in welchem die Zuckerbildung vor sich geht, in Verbindung
                              gesetzt, das ölige Product aufnehmen, und zwar, je nach dessen Siedepunkt, vor oder
                              nach der Condensation des Wassers.
                           
                           Es wurden demnach 3 Liter Wasser, die mit 5 Tausendstel Schwefelsäure angesäuert
                              waren, in einem 6 Liter fassenden Ballon zum Sieden gebracht und portionenweise 1/2
                              Kilogr. angerührtes Stärkmehl hineingebracht. Die in mehreren Kühlvorrichtungen
                              gebrochen aufgefangene Flüssigkeit hatte den Geruch der Stärke, und in zwei Gefäßen
                              schwammen auf ihr weißliche Häutchen, die in Aether aufgelöst, beim Abdampfen eine
                              fettartige, beim Erkalten concret und weich erscheinende Substanz zurückließen. Im
                              dritten Gefäß schwamm ein flüssiges gelbliches Oel von demselben, aber noch viel
                              stärkern Geruch, auf dem opalisirenden Wasser.
                           Durch bloßes Decantiren wurden 8 Centigr. eines flüssigen, gelblichen, sehr stark
                              nach Stärke riechenden Oels erhalten, welches eine größere Spannung und ohne Zweifel
                              einen niedrigem Siedegrad hat als destillirtes Wasser. Das abgegossene Wasser gab
                              noch weitere 18 Milligr. desselben Oels ab, wonach also die Kartoffelstärke, außer
                              den Oelsubstanzen, die minder flüchtig sind als Wasser, nicht bloß 1/40000 oder
                              0,000025, sondern 0,0001 ihres Gewichts riechenden Oels enthält.
                           Es ist hiemit über diesen Gegenstand durch entscheidende Versuche Gewißheit erlangt,
                              und weitere Untersuchungen werden uns lehren, ob andere Stärkmehlarten, der
                              Batatten, der Sagopalme, der Getreidearten etc. ihren angenehmen oder unangenehmen
                              Geschmack darin präexistirenden Oelen verdanken; ferner kann auch der Antheil
                              ermittelt werden, welchen solche Oele unter dem Einfluß der Luft und der
                              Gährungsstoffe an der Entwickelung des Bouquets der Weine, des Aroma der Branntweine
                              etc. nehmen.
                           Abgesehen von diesen die landwirthschaftliche Industrie angehenden Fragen wäre dann
                              im Interesse der Wissenschaft noch zu untersuchen, ob – wie ich dieß glaube
                              – der Amylalkohol (Fuselöl), der Oenanthäther und mehrere solche, aus
                              alkoholischen Producten gezogene Verbindungen darin präexistiren oder ihre fertig
                              gebildeten Radicale in den ätherischen Oelen und ölartigen Substanzen haben, welche
                              von den satzmehl- oder zuckerartigen Pflanzenproducten direct geliefert
                              werden.