| Titel: | Ueber den Blutegelhandel, insbesondere in Frankreich, und die vollgesogenen Blutegel; von Chevallier. | 
| Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. XVIII., S. 68 | 
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                        XVIII.
                        Ueber den Blutegelhandel, insbesondere in
                           								Frankreich, und die vollgesogenen Blutegel; von Chevallier.
                        Im Auszug aus dem Journal de Chimie médicale, Oct.
                              									1845, S. 625.
                        Chevallier, über den Blutegelhandel.
                        
                     
                        
                           Die frühere Abhandlung des Verfassers über den Blutegelhandel in Frankreich
                              									(polytechn. Journal Bd. XCVII S. 453), in
                              									welcher er die Betrügereien aufdeckt, die mit Bastard- und vollgesogenen
                              									Blutegeln stattfinden, haben ihm die größten Verfolgungen und Verunglimpfungen
                              									nachgezogen. Dadurch keineswegs abgeschreckt, ist er um so mehr bestrebt, die
                              									Wahrheit seiner Behauptungen darzuthun, und die Mittel, welche er, um diesen
                              									Uebelständen entgegenzuarbeiten für die zweckmäßigsten hält, der Regierung auf das
                              									Dringendste anzuempfehlen.
                           Um dem Betrug auf die Spur zu kommen, sagt Hr. Chevallier,
                              									müßte die Administration durch die Polizeicommissäre (der Stadt Paris) in demselben
                              									Augenblick in den verschiedenen Blutegelhandlungen Blutegel kaufen lassen, welche
                              									dann eine hiezu niedergesetzte Commission zu untersuchen hätte, um im Fall
                              									betrüglicher Waare nach dem Artikel 423 des Code pénal, den Verkäufer mit wenigstens
                              									drei Monate dauernder gefänglicher Haft und mit einer Geldbuße zu bestrafen, nicht
                              									unter 50 Francs betragen darf. Es dürfe nicht zur Entschuldigung vorgebracht werden,
                              									daß man die Merkmale der betrüglichen Blutegel nicht kenne; die Ausübung eines
                              									Gewerbes, ohne es zu kennen, und der Betrug, weil man aus Unwissenheit betrogen
                              									wurde, sind gesetzlich unzulässig. Man wird auch behaupten, daß man die Blut
                              									enthaltenden Blutegel nicht in betrügerischer Absicht vollsaugen ließ, sondern daß
                              									dieses Blut aus den Sümpfen herrühre, wo man es ihnen wegen des Transports gab. Um
                              									auch solchen Ausflüchten ein Ziel zu setzen, sollte eine Instruction erlassen
                              									werden. Hr. Gallois, ein angesehener Blutegelhändler,
                              									sagt, daß der Blutegel nicht vollgesogen zu seyn brauche um die Reise zu vertragen,
                              									daß im Gegentheil der für die Reise bestimmte niemals angefüllt wird; daß man ehedem
                              									die Blutegel niemals vollsaugen ließ und dieß nur betrügerischer Weise und im
                              									Verhältniß des stattfindenden Verkaufs geschieht. In ähnlichem Sinne sprachen sich
                              									auch die HHrn. Perinne und Montaut u.a. aus.
                           Nach einer Bemerkung des Hrn. Derheims von St. Omer findet
                              									man Blutegel in Sümpfen und Gräben, wovon er erstere Wasserblutegel und die andern Landblutegel (s. d'eau, s. de terre) nennt. Die letztern, welche die
                              									am Rande der Gräben weidenden Thiere anfallen konnten, enthalten eine sehr kleine
                              									Menge Bluts, welches frisch eingesaugt hochroth, wenn
                              									schon lange im Körper schwarz ist.
                           Die Erkennung der sogenannten Bastard-Blutegel ist für den Ungeübten etwas schwierig; ein
                              									solcher muß sich dazu der Loupe bedienen, um zu sehen ob der Mund der anzuwendenden
                              									Blutegel mit den zur Erzeugung der Wunden erforderlichen Organen versehen ist (den
                              									Blutegel der nicht Bastard ist, erkennt man nämlich an seinem schief ovalen
                              									Saugmaul, seinen starken Kiefern, die mehrfach zusammengesetzt und gezähnelt sind).
                              									Wegen der Schwierigkeit dieser Untersuchung sollte von der Behörde eine diese
                              									Thiergattung genau kennende Person, welche auch mit dem Blutegelhandel vertraut ist,
                              									aufgestellt werden. Diese müßte die Vorräthe besichtigen; von der Ankunft neuer
                              									Zufuhren unterrichtet, jeden Betrug verhindern; endlich könnte sie als
                              									Sachverständiger bei amtlichen Untersuchungen zugezogen werden.
                           Eine solche Inspection hätte auch den Nutzen, daß kein Zweifel über verkaufte
                              									Blutegel mehr obwalten könnte und kein Kaufmann, der officinelle Blutegel verkaufte,
                              									die aus besondern Gründen ihren Zweck nicht erfüllten, bestraft oder auch nur in
                              									Verdacht gehalten werden.
                              									Diese besondern Gründe sind 1) eine Art Erstarrung, 2) ein krankhafter Zustand, 3)
                              									die Zeit, wo sich der Blutegel häutet, 4) endlich der Widerwille gewisser Blutegel
                              									gegen den Geruch, welchen die Haut des Kranken von sich gibt.
                           Wie der nicht vollgesogene von dem vollgesogenen Blutegel zu unterscheiden ist, wurde
                              									in der frühern (oben erwähnten) Abhandlung schon angegeben.
                           Es wurde schon viel über das Blut verhandelt, welches die Blutegel in Sümpfen in sich
                              									schöpfen. Der Verf. fand in dieser Hinsicht, als er es mit dem Blut der
                              									vollgesogenen Blutegel verglich, daß die Sumpfblutegel entweder gar kein Blut, oder
                              									stark gedrückt, eine Flüssigkeit ausgeben, welche man Blut nannte, die aber keines
                              									ist; diese Flüssigkeit war nur in kleiner Menge vorhanden, schwarz oder grün von
                              									Farbe, zähe und manchmal klebrig.
                           Hr. Joseph Martin, in seiner Broschüre: Histoire pratique des sangsues (Pankouke, 1845) sagt,
                              									daß das durch Ansaugenlassen in den Blutegeln befindliche Blut, in gewissen Fällen
                              									durch das Mikroskop von dem Blut welches sie aus den Sümpfen mitbringen,
                              									unterschieden werden könne; das Blut aus den Sümpfen nämlich kömmt selten von
                              									Säugethieren und hat daher elliptische Kügelchen, während das den Blutegeln, nachdem
                              									man sie gefischt, gegebene vom Kalb und Rinde oder andern Säugethieren herrührt,
                              									daher linsenförmige Kügelchen hat.
                           Moquin-Tandon sagt in seiner Monographie de la famille des hirudinées (1846
                              									Baillière) „daß das Blut des medicinischen Blutegels die
                                 										Eigenschaft besitzt, sich, wie dasjenige der Säugethiere, in zwei Theile
                                 										abzuscheiden, daß es aber keinen Blutkuchen (Cruor) bilde, sondern beide Theile
                                 										flüssig bleiben; der untere sey violettroth und habe keinen besondern Geruch,
                                 										faden Geschmack, und durch längere Ruhe scheide sich weder Fibrin, noch eine
                                 										gefärbte Substanz daraus ab; der oben schwimmende Theil sey fahlgelb, er scheine
                                 										weder sauer noch alkalisch, bei 32° R. gerinne er zu einer weißen
                                 										undurchsichtigen, geronnenem Eiweiß ähnlichen Masse.“
                              								
                           Derheims schloß aus der Analyse dieses Bluts: 1) daß es
                              									in geronnenem Zustand eine kaum bestimmbare Menge höchst fein zertheilten Fibrins
                              									enthalte; 2) daß der Farbstoff in größerer Menge darin enthalten sey als im Blut der
                              									Säugethiere; 3) daß auch das Serum in verhältnißmäßig größerer Menge darin enthalten
                              									sey als im Blute der Säugethiere.
                           Nach Valentin sollen die Blutkügelchen des hirudo medicinalis einen Durchmesser von 0,0004
                              									Millimeter haben.
                           
                           Im Jahr 1845 vom Verf. angestellte Versuche ergaben, daß wenn man große Blutegel,
                              									welche vollsaugen zu lassen man keinen Anlaß hat,Kürzlich wollte jemand behaupten, daß es vortheilhaft sey, sie um 1/8
                                    											ansaugen zu lassen, damit sie etwas stärker werden; der Verf. kann diesen
                                    											Grund nicht gelten lassen, denn die mager
                                    											genannten Blutegel beißen gut an. stark zwischen den Fingern preßt, man einige Tropfen einer schwärzlichen
                              									Substanz erhalte, welche das Linnen nicht in der Art beschmutzt, wie das Blut
                              									vollgesogener Blutegel. Diese Substanz zeigt unter einem stark vergrößernden
                              									Mikroskop wohl einige Kügelchen, die aber von abgeplatteten Kügelchen (avulves) begleitet sind; letztere sind groß und gehören
                              									weder ihrer Größe noch ihrer Gestalt nach dem Blute an.
                           Alle diese Untersuchungen können dazu benützt werden, um zu erkennen, ob man einen
                              									Blutegel hat ansaugen lassen und mit welchem Blute.
                           Die Wiederanwendung schon gebrauchter und wieder
                              									entleerter Blutegel wurde kürzlich in Zweifel gezogen; aber wirklich existirten (in
                              									Paris 17) früher Anstalten, wo gebrauchte Blutegel wieder gekauft wurden, die aber
                              									die Regierung später sperren ließ. Dieser Mißbrauch datirt sich von den Jahren 1824
                              									und 1825 her und wurde in den Militärspälern zu Pampeluna und Bayonne zuerst
                              									eingeführt. Ein wahres Ersparniß findet aber damit nicht statt, indem um 20 Bisse zu
                              									erhalten, 35 mittlere oder 40 große Blutegel erforderlich sind; sie ziehen sehr
                              									wenig Blut, und fallen, nachdem sie kaum angebissen haben, schon wieder ab. Außerdem
                              									ist die Anwendung solcher Blutegel ekelerregend und vielleicht nicht immer
                              									gefahrlos.
                           Daß das Vollsaugenlassen der Blutegel Vortheil gewähre, weil sie dann größer aussehen
                              									und zu höherm Preis verkäuflich sind, wurde in der mehrerwähnten frühern Abhandlung
                              									bereits erörtert. Es wäre zu wünschen, daß die Behörde auch das Gewicht der Blutegel
                              									gesetzlich bestimme und darauf sehe, daß die kleinmittleren (dritte Sorte),
                              									großmittleren (zweite Sorte) und großen (erste Sorte) nicht vermengt, sondern
                              									getrennt verkauft werden. Dieß wäre um so nützlicher, als nach Hrn. Moquin-Tandon die dritte Sorte ihr 4faches, die
                              									zweite ihr 5 1/2faches und die erste Sorte ihr 5 1/3faches Gewicht Blut
                              									ansaugen.
                           
                              
                                 Nun wiegen 20 kleine 15 Gramme und saugen
                                    											demnach
                                   61 Gramme Blut.
                                 
                              
                                         
                                    											„        20 mittlere
                                    											29
                                    											Gramme          „            
                                    											„
                                 150      „          „
                                 
                              
                                         
                                    											„        20 große 58
                                    											Gramme            
                                    											„            
                                    											„
                                 295      „          „
                                 
                              
                           
                           folglich wären, um das Resultat von 20 großen zu erhalten, 95 kleine und 50 mittlere
                              									erforderlich. Die Aerzte müßten dann die von ihnen gewünschte Größe verordnen. Daß
                              									übrigens diese nummerischen Angaben durch verschiedene Umstände einige Abänderung
                              									erfahren können, versteht sich von selbst.
                           Um den Nachtheil zu beweisen, welcher durch Anwendung vollgesogener Blutegel
                              									veranlaßt werden kann, führen wir nur ein einziges Beispiel an. Ein Arzt wird zu
                              									einer Frau gerufen, welche an einer Gebärmutterentzündung leidet; er verordnet 60
                              									Blutegel in die Unterleibsgegend. Wenn von diesen 60 nur 10 anbeißen, so wird der
                              									Blutandrang und der entzündliche Zustand, statt gemildert, nur erhöht, indem das
                              									herangezogene Blut keinen Ausweg findet. Wenn dann nicht schnelle Hülfe eintritt,
                              									kann dieß den Tod der Patientin verursachen.
                           Die Aufgabe der Regierung wäre es nach dem Verf. die gehörigen Maaßregeln zu
                              									ergreifen, 1) für die Fortpflanzung der Blutegel in den Sümpfen, 2) damit die Sümpfe
                              									nicht erschöpft werden, den Verkauf der Fadenblutegel und das Fischen zur Brutzeit
                              									zu verbieten, und zu untersuchen, wie die Blutegel, welche zur Fortpflanzung der
                              									Species dienten, noch zu verwenden wären, so wie die Mittel, sie nach ihrer
                              									Benutzung in die Sümpfe zu bringen; 3) daß mit dem zum medicinischen Gebrauch
                              									abgelieferten Blutegel kein Betrug vorgehe. (Kürzlich erhielt Hr. Chevallier ein Circular von dem Polizeipräfecten von
                              									Paris, welches die strenge Beaufsichtigung des Blutegelverkaufs vorzüglich wegen der
                              									vollgesogenen anordnet, und gleich einige Tage darauf wurde bei mehreren Händlern
                              									eine große Partie Blutegel mit Beschlag belegt, die jetzt der Untersuchung
                              									unterliegen.)