| Titel: | Neues System der Canalschifffahrt; von F. A. Taurinus. | 
| Autor: | F. A. Taurinus | 
| Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. XIX., S. 82 | 
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                        XIX.
                        Neues System der Canalschifffahrt; von F. A. Taurinus.
                        Taurinus' System der Canalschifffahrt.
                        
                     
                        
                           Bei unsern schiffbaren Flüssen und Canälen dienen bekanntlich die gewöhnlichen
                              									Kammerschleußen dazu, den Uebergang eines Fahrzeugs aus einem Wasserstand in den
                              									andern zu vermitteln. Diese Einrichtung erforderte bisher einen außerordentlichen
                              									Wasseraufwand. Sollen mehrere Fahrzeuge unmittelbar hintereinander aufwärts oder
                              									unmittelbar hintereinander abwärts durch die Schleuße gehen, so muß diese jedesmal
                              									von neuem gefüllt werden: beträgt daher z.B. ihre Länge 100', ihre Breite 20, und
                              									die Höhe des Falls oder der Unterschied des obern und untern Wasserspiegels 10', so
                              									erfordert jede vollständige Füllung der Schleuße einen Wasserzufluß von oben von
                              									20,000 Kubikfuß.
                           Bei einer so großen Consumtion ist es leicht erklärbar, daß die bedeutendsten Canäle
                              									oft im hohen Sommer Wassermangel leiden und die Schifffahrt gerade in der zum
                              									Transport günstigsten Jahreszeit Aufenthalt und Unterbrechungen erfährt. Die erste
                              									Frage bei der Anlage eines Canals mußte bisher die seyn, ob man jeder Zeit und für
                              									jeden Punkt des Canals, hauptsächlich aber auf den Wasserscheiden, die er
                              									durchschneidet, die nöthige Wassermenge werde auftreiben können. Die beständige
                              									Rücksicht auf die Speisung des Canals nöthigte oft zu einer veränderten Richtung
                              									desselben, zu kostbaren Durchgrabungen oder Ueberbrückungen, zur Anlage von
                              									künstlichen Reservoirs, wo sich keine natürlichen darboten, wo diese Hülfsmittel
                              									nicht ausreichten, mußte die Anlage unterbleiben. Man kann behaupten, daß durch
                              									diese Rücksichten die Canalanlagen bisher nur auf besonders günstige
                              									Localverhältnisse beschränkt waren.
                           Indessen lehrt eine leichte Betrachtung, daß ein so großer Wasseraufwand keineswegs
                              									nothwendig ist. Betrachtet man das absolute Gewicht eines Fahrzeugs, nämlich sein
                              									eignes Gewicht und die Fracht zusammen, als eine schwere Masse, die von einer
                              									gewissen Höhe herabsinkt, so ist sie nach statischen Gesetzen im Stande ein Wasservolum von gleichem Gewicht
                              									auf dieselbe Höhe zu erheben, und dieses gehobene Wasservolum wird wieder im Stande
                              									seyn ein ähnliches Fahrzeug bis zu derselben Höhe aufzuwiegen, so daß in den meisten
                              									Fällen eine mehr oder minder vollständige Compensation der Gewichte eintreten
                              									könnte. Es ist alsdann Aufgabe der Mechanik, dieses Princip auf die zweckmäßigste
                              									und einfachste Art zur Ausführung zu bringen. Hienach läßt sich auch beurtheilen,
                              									welcher Theil des Wasseraufwandes bei den gewöhnlichen Schleußen als Wasser-
                              									oder Kraftverlust betrachtet werden muß. Nehmen wir bei den obigen Dimensionen der
                              									Schleuße ein Fahrzeug von 1800 Cntr. (preußisch) absoluten Gewichts an, das daher
                              									3000 Kubikfuß (preußisch) Wasser aus der Stelle treibt, so finden folgende Fälle
                              									statt:
                           1) Die Schleuße ist leer und ein Fahrzeug soll aufwärts durchgeschleußt werden; hier
                              									beträgt der Wasseraufwand 23,000 Kubikfuß, denn nicht nur die Schleuße ist
                              									vollständig zu füllen, sondern das Fahrzeug verdrängt auch noch bei seinem Austritt
                              									in den obern Canal 3000 Kubikfuß in die Schleuße. Hier sind 20,000 Kubikfuß als
                              									Verlust zu betrachten, denn 3000 Kubikfuß waren nöthig um das
                                 										Fahrzeug zu heben.
                           2) Die Schleuße ist leer, und ein Fahrzeug soll abwärts durchgeschleußt werden: hier
                              									beträgt der Wasseraufwand zwar nur 17,000 Kubikfuß, indem das Fahrzeug bei seinem
                              									Eintritt in die gefüllte Schleuße sogleich wieder 3000 Kubikfuß in die obere
                              									Canalhaltung zurückdrängt: der Kraftverlust muß aber hier gleichfalls auf 20,000
                              									Kubikfuß angeschlagen werden, denn das Fahrzeug hätte durch sein Gewicht 3000
                              									Kubikfuß in den obern Canal heben können, die nützlich zu verwenden gewesen
                              									wären.
                           3) Ein Schiff wird gehoben und unmittelbar darauf ein anderes niedergelassen. In
                              									diesem Fall tritt an die Stelle des einen sogleich ein anderes; das Wasserconsum und
                              									der Verlust beträgt 20,000 Kubikfuß, also für jedes Fahrzeug nur halb so viel wie
                              									vorhin; dieser Fall ist also in Rücksicht der Oekonomie der Kraft der günstigste,
                              									nur kann weder der regelmäßige Wechsel, noch die gleiche Belastung der Schiffe
                              									willkürlich angeordnet werden.
                           Der Verlust an bewegender Kraft bei dieser Einrichtung ist bedeutend genug. 20,000
                              									Kubikfuß Wasser, die von einer Höhe von 10 Kubikfuß herabsinken, bilden ein Moment
                              									von 120,000 Cntr. einen Fuß hoch gehoben: eine Kraft gleich der wirklichen Leistung
                              									eines Pferdes während einer ganzen Tagesarbeit, durch welche das nämliche Fahrzeug
                              										5 Meilen weit auf dem
                              									Canal fortgezogen, oder die sonst zu industriellen und agronomischen Zwecken
                              									nützlich verwendet werden könnte.
                           Ist dagegen ein Schleußensystem ausführbar, das allen Kraftverlust vermeidet, so
                              									bieten sich in einem längeren Zeitraum, während dessen sich alle Unregelmäßigkeiten
                              									im Betrieb des Canals ausgleichen, folgende verschiedene Fälle dar:
                           1) Die abwärts und aufwärts gehenden Bruttolasten sind gleich; hier findet
                              									vollkommene Compensation statt, es ist eigentlich gar keine bewegende Kraft nöthig;
                              									nur soviel Wasserzufluß wird erfordert um den unvermeidlichen Verlust wegen
                              									unvollkommener Wasserhaltigkeit der Apparate oder den Verlust zu ersetzen, den der
                              									Canal durch Verdunstung erleidet, welcher letztere aber sehr unbedeutend ist. Diesem
                              									Fall steht auch der gleich, wenn der Canal ein Plateau bloß überschreitet, ohne daß
                              									die Fahrzeuge ausladen; hier ist auf dem höchsten Punkt gar kein Wasserzufluß zum
                              									Betrieb nöthig, also gerade in dem Fall, wo man bisher am meisten für die Speisung
                              									des Canals besorgt war. Aus diesem Gesichtspunkt erscheinen also die kostbaren
                              									künstlichen Reservoirs auf der Wasserscheide des Languedoc-Canals als ein
                              									überflüssiger mechanischer Luxus. Derselbe Fall tritt ein, wenn ein Thal ohne
                              									Wasserverlust überschritten werden soll, wo die Canalführung auf kostbaren Dämmen
                              									oder Bogenstellungen, wie man sie oftmals angewendet findet, völlig überflüssig
                              									wird.
                           2) Die abwärts gehenden Bruttolasten übersteigen die aufwärtsgehenden. Dieses ist der
                              									günstigste Fall. Wenn also z.B. aus einem höher gelegenen Bergwerke Massen nach
                              									tiefer gelegenen Gegenden gefördert werden sollen und die Schiffe meistens leer
                              									zurückkehren, so dürfte der Canal durch absolut wasserarme Gegenden führen, denn
                              									durch die Function der Schleußen würde immer so viel Wasser in die Höhe geschafft
                              									werden, um den Canal im gehörigen Wasserstande zu erhalten.
                           3) Die aufwärts gehenden Lasten haben das Uebergewicht. Dieser Fall ist der
                              									ungünstigste, denn er erfordert einen Wasserzufluß von oben, jedoch auch nur im
                              									Verhältniß des Unterschieds der auf- und abwärtsgehenden Bruttolasten, oder,
                              									wenn die nämliche Zahl von Fahrzeugen zurückkehrt, im Verhältniß des Unterschieds
                              									der auf- und abwärtsgehenden Nettolasten.
                           Ein Beispiel wird den Unterschied vom gewöhnlichen Systeme deutlich machen. Es sey
                              									ein Canal von einer Stelle a aus über einen höheren
                              									Punkt b nach einem wieder tiefer gelegenen Ort c geführt: die senkrechte Höhe ba sey = H, bc = h. Nimmt man an,
                              									es gehe die nämliche Zahl
                              									von Fahrzeugen n, deren Gewicht = O, hin und her, der Raum einer Schleuße sey v,
                              									die Fracht von a nach c sey
                              										M, von c nach a = N, so hat man den
                              									Wasseraufwand nach dem gewöhnlichen System: 1) von a
                              									nach b: = nvH + OH + MH; 2) von b nach c: = nvh – Oh – Mh; 3) von c nach b: = nvh + Oh + Nh; 4) von b nach a: = nvH – OH – NH: zusammen also
                           = 2nv (H
                              									+ h) + (M – N) (H – h).
                           Das zweite Glied verschwindet in zwei Fällen, 1) wenn M =
                              										N, 2) wenn H = h. Nehmen wir einen dieser Fälle, so ist der
                              									Wasseraufwand = 2nv (H + h), und dieser reducirt sich im günstigsten Fall, wenn
                              									nämlich jedesmal ein abwärtsgehendes Schiff mit einem gleich belasteten
                              									aufwärtsgehenden abwechselt, auf die Hälfte oder nv (H + h). Dieß ist also das
                              									Minimum des Wasseraufwandes nach dem gewöhnlichen System, welcher aber nach einem
                              									vollkommneren Schleußensystem ganz erspart wird. Ganz derselbe Fall tritt ein, wenn
                              									man den Punkt b anstatt über a und c, vielmehr tiefer gelegen annimmt.
                           Diese an sich ganz einfachen, aber für die Canalführung sehr wichtigen Verhältnisse
                              									sind meines Wissens nie in dieser Allgemeinheit aufgefaßt worden, dagegen hat es
                              									nicht an Versuchen gefehlt, den übermäßigen Wasserverbrauch der Schleußen zu
                              									vermindern. Man hat sogar den Vorschlag gemacht, die Schiffe ohne irgend einen
                              									Wasseraufwand aus einem Niveau ins andere zu heben, wobei also andere Kräfte zu
                              									Hülfe genommen werden müßten: indessen wäre es vor allem wichtig, nur diejenige
                              									Oekonomie der Kraft auch bei den Schleußen, bei welchen bisher die größte
                              									Kraftverschwendung statt fand, einzuführen, die man sonst überall der Mechanik zum
                              									Gesetz macht. Der glücklichste Versuch dieser Art ist das Schleußensystem von Girard,Polytechn. Journal Bd. XCIX. S.
                                       											163. welches in Frankreich neuerdings große Anerkennung gefunden hat, und von Poncelet mit Recht als eine der glücklichsten
                              									Combinationen der neuern Mechanik bezeichnet und dem Ministerium der öffentlichen
                              									Arbeiten zur Ausführung empfohlen worden ist. – Schon vor mehreren Jahren
                              									hatte ich den nämlichen Gedanken aufgefaßt; ich hatte gleichfalls gefunden, daß
                              									durch schwimmende Gefäße die Wasserconsumtion außerordentlich vermindert werden
                              									kann, ohne jedoch gerade diese Idee soweit zu verfolgen als Girard, hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich mich bald überzeugte, daß
                              									das hier vorliegende Problem auf einem ganz verschiedenen Weg weit einfacher und
                              									vollständiger gelöst werden kann. Nachdem mir daher die erste unvollständige Notiz von der Girard'schen Erfindung, im November v. J., zugekommen
                              									war, reichte ich eine Beschreibung meines Systems dem k. preuß. Finanzministerium
                              									ein, welches dasselbe auch im Februar d. J. als neu und eigenthümlich anerkannt, und
                              									mir darauf im April d. J. ein Patent mit einem sehr erweiterten Termin zur
                              									Ausführung ertheilt hat.
                           Mein System unterscheidet sich vom Girard'schen durch
                              									folgende wesentliche Punkte:
                           1) Die Nebenschleuße, welche bei der Girard'schen
                              									Erfindung nur zur Auf- und Niederbewegung des schwimmenden Gefäßes dient,
                              									fällt als solche weg.
                           2) Der Wasserverlust wird gänzlich vermieden. Schon bei dem Girard'schen System ist der eigentliche Kraftverlust (nach dem oben
                              									festgestellten Begriff) außerordentlich vermindert, auf 1/10 und weniger, dennoch
                              									bleibt es wünschenswerth, auch diesen zu beseitigen.
                           3) Die Function der Schleußen geht mit der größten Leichtigkeit und Schnelligkeit von
                              									statten, und da die zur Einführung und Ausführung der Schiffe erforderliche Zeit
                              									durch eine sehr einfache Einrichtung auf ein Minimum beschränkt werden kann, so daß
                              									bei der Vergleichung beider Systeme hauptsächlich nur die Zeit der Function der
                              									Schleuße selbst in Betracht kommt, so ist unter gleichen Umständen, da hier die
                              									Schleuße als Doppelschleuße wirkt, die Beförderung wenigstens achtmal schneller
                              									– ein für die Bequemlichkeit der Schifffahrt sehr beachtenswerther
                              									Vortheil.
                           Die Erfindung erfüllt also jede mechanische Anforderung vollständiger, als von irgend
                              									einem Gegenstand der Mechanik gesagt werden kann; sie kann auch durch keine andere
                              									überboten werden. Bei näherer Betrachtung ergeben sich auch noch einige andere
                              									Vortheile. Der Wasserstand im Canal wird niemals verändert, während nach dem Girard'schen System der Canal meistentheils zugleich ein
                              									Reservoir bildet, dem große Wassermassen ab- und zuströmen. Die
                              									Wasserconsumtion der Girard'schen Schleußen ist nämlich
                              									doppelt so groß, als gewöhnlich, und der Vortheil besteht nur darin, daß das Wasser
                              									größtentheils an seine frühere Stelle wieder zurückströmt. Dieses Ab- und
                              									Zuströmen fällt hier gänzlich weg, und dadurch ist eine
                              									leichtere Bauart und größere Schonung der Schleußen bedingt. Bei diesen sind die
                              									unteren Schleußenthore, welche den größten Druck erfahren und das Entweichen des
                              									Wassers am meisten begünstigen, entbehrlich; es ist damit auch der Vortheil
                              									verbunden, daß die Schleußen nicht verlängert zu werden brauchen, um Bauholz oder
                              									andere Gegenstände von großem Raume durchgehen zu lassen, wenn sie so geladen sind, daß
                              									sie nur auf der Vorder- oder Rückseite des Schiffs über dasselbe
                              									hervorragen.
                           Eine sehr beachtenswerthe Anwendung des Systems scheint noch in dem Fall möglich, wo
                              									hochbeladene Fahrzeuge unter einer niedrigen Brücke durchzuführen sind. Es wird
                              									nicht selten der Fall vorkommen, daß der natürliche Wasserspiegel nur wenig unter
                              									der gewöhnlichen Bodenfläche einer bedeutenden Stadt liegt, so daß nur die
                              									Alternative bleibt, entweder die Brücken, welche die einzelnen Stadtheile verbinden,
                              									in erhöhten Bogen mit steilen Auffahrten anzulegen, oder sie zur zeitweisen Oeffnung
                              									für den Durchgang der Schiffe einzurichten, wodurch bald der Verkehr zu Lande, bald
                              									zu Wasser unterbrochen wird. Dagegen lassen sich durch die neuen Schleußen Schiffe
                              									auf das leichteste und schnellste herablassen, unter der Brücke durchführen und
                              									jenseits wieder in die Höhe heben: man kann die Brücke in völlig horizontaler Linie
                              									führen und weder die eine noch die andere Communication findet sich gehindert.
                           Ueber die Fälle der Anwendung dieses Schleußensystems läßt sich im allgemeinen noch
                              									folgendes bemerken: wo sich Wasser zur Speisung der Schleußen zu jeder Zeit in
                              									Ueberfluß findet, wo es nicht vortheilhafter zu andern Zwecken verwendet werden
                              									kann, auch der Verkehr nicht so bedeutend ist, um eine schnellere Function der
                              									Schleußen wünschenswerth zu machen, kann man sich mit der gewöhnlichen, einfacheren
                              									und wohlfeileren Einrichtung begnügen: in allen andern Fällen, wo auch die Girard'sche Erfindung nicht ausreicht, scheint das neue
                              									System eine unfehlbare und treffliche Aushülfe, theils bei schon bestehenden
                              									Canälen, theils um neue unter solchen Verhältnissen anzulegen, wo man bisher an
                              									Canalanlagen nicht denken konnte.
                           Mit diesem Schleußensystem verbinde ich noch einen andern Vorschlag. Bei den
                              									Schleußen kam es darauf an, die Verschwendung der bewegenden Kraft zu beschränken;
                              									hier aber fragt es sich um die Benutzung der bewegenden Kraft des Wassers, wo sie
                              									gegeben ist, für die Zwecke der Canalschifffahrt. Schon vor mehreren Jahren hatte
                              									ich ein hydraulisches Bewegungssystem angegeben und eine Anwendung davon auf
                              									Eisenbahnen vorgeschlagen, die auch in manchen geeigneten Fällen statthaft seyn
                              									möchte; dagegen schien ein solches Bewegungssystem für Canäle gleichsam von selbst
                              									gefordert, da hier sogleich der Haupteinwurf, daß ein solcher hydraulischer
                              									Mechanismus durch den Frost unwirksam werde, wegfällt, indem seine Wirksamkeit mit
                              									der des Canals selbst gleichen Schritt hält. Es fand sich hier nur eine
                              									Schwierigkeit, denn so
                              									schwer es ist, durch einen einfachen hydraulischen Mechanismus eine so große
                              									Geschwindigkeit zu erreichen, als jetzt auf den Eisenbahnen gewöhnlich ist, eben so
                              									schwierig schien es, bei einer geringen Geschwindigkeit die hinreichende Kraft zu
                              									erhalten; denn benutzt man hiezu auch eine geringe Druckhöhe, so bringt sie doch
                              									schon eine zu große Geschwindigkeit des Wassers hervor und es geht ein zu großer
                              									Theil der bewegenden Kraft verloren. Die Geschwindigkeit der Bewegung auf einem
                              									Canal kann aber nur gering seyn, wenn man nicht die Vortheile des Wassertransports
                              									aufgeben will, die hauptsächlich darin bestehen, daß bei langsamer Bewegung der
                              									Widerstand äußerst gering und oft nur 1/10 des Widerstandes auf einer Eisenbahn ist.
                              									Indessen habe ich mich überzeugt, daß die Schwierigkeit sich durch eine eigene
                              									Einrichtung sehr wohl heben läßt, und daß eine hydraulische Locomotion sich bei
                              									Canälen mit sehr geringen Kosten und mit großem Vortheil anbringen läßt.
                           Die Frage über den relativen Werth der Eisenbahnen und Canäle ist in neuerer Zeit
                              									öfters zur Sprache gekommen. Von nicht wenigen ist sie unbedingt zum Vortheil der
                              									Eisenbahnen entschieden und behauptet worden, daß diese wohl mit der Zeit das
                              									ausschließliche Communicationsmittel bilden würden. Nic. Wood, eine der geachtetsten Autoritäten in diesem Fache, neigt sich in
                              									seinem Werke über Eisenbahnen gleichfalls auf diese Seite; er bemerkt, daß die
                              									Eisenbahnen schon jetzt in Kraft und Geschwindigkeit Außerordentliches leisten und
                              									eine noch größere Entwickelung versprechen, während das System der Canalschifffahrt
                              									seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, seit welcher Zeit England mit einem dichten
                              									Netze von Canälen überzogen wurde, kaum irgend eine wesentliche Verbesserung
                              									erfahren habe, auch einer solchen nicht leicht fähig scheine; er findet die
                              									Superiorität der Eisenbahnen besonders in der Anwendbarkeit mechanischer Motoren
                              									begründet. Wir möchten dagegen folgendes erinnern:
                           1) Die Canalschifffahrt ist augenscheinlich verschiedener Grade der Vervollkommnung
                              									fähig: dieß zeigt ein Blick auf die Schifffahrt der Chinesen, die den Vortheil der
                              									Canäle zur Schifffahrt und Bewässerung seit den ältesten Zeiten kennen und in der
                              									weitesten Ausdehnung benutzen, deren Schifffahrt sich aber mit den unvollkommensten
                              									und unbequemsten Hülfsmitteln behilft, indem sie z.B. zum Uebergang der Fahrzeuge
                              									aus einem Niveau ins andere nur Fluthschleußen oder gar schiefe Ebenen anwenden.
                              									Leicht möchte nun die künftige Canalschifffahrt, wenn sie alle mechanischen
                              									Vortheile benutzt, sich in gleichem Maaße günstig gegen die jetzige stellen, als diese
                              									offenbar der chinesischen überlegen ist.
                           2) Die Anwendung des Dampfes ist von den Canälen nicht ausgeschlossen: man kann
                              									Schraubenschiffe oder Dampfwagen, die auf einer Bahn nebenher laufen, zum Zug
                              									anwenden; allein für gewöhnliche Transporte darf man keine größere Geschwindigkeit
                              									zu erreichen suchen, wenn man nicht allen Vortheil eines möglichst geringen
                              									Widerstandes aufopfern will; bei langsamer Bewegung aber ist eine so geringe Kraft
                              									erforderlich, daß sich die Anwendung des Dampfes gar nicht rechtfertigen läßt. Am
                              									vortheilhaftesten scheint also ein hydraulischer, mit geringen Kosten herstellbarer
                              									Mechanismus, zum Ersatz der Zugkraft der Pferde, und da dieser Tag und Nacht
                              									fortwirken kann, so können Frachten dennoch 10 Meilen in 24 Stunden zurücklegen.
                              									Dabei bleibt immer noch die Möglichkeit, leichte bloß für den Personentransport
                              									berechnete Fahrzeuge mit wenigstens dreifacher Geschwindigkeit zu befördern.
                           3) Wood glaubt zu beweisen, daß mechanisch betrachtet die
                              									Eisenbahn stets das Uebergewicht behaupte, allein die Wahrheit ist, daß hier der
                              									Canal stets im entschiedensten Vortheil ist. Es folgt dieß ganz einfach daraus, daß
                              									der Widerstand auf dem Canal sehr viel geringer ist, als auf der Eisenbahn; findet
                              									eine Neigung statt, so hat die Eisenbahn aufwärts so gut die Schwere zu überwinden,
                              									wie der Canal, abwärts aber ist dieser im größten Vortheil, weil er die Schwere zu
                              									Nutzen bringt, indem er Wasser hebt, während die Eisenbahn alle Mittel und Vorsicht
                              									anwenden muß, um die Beschleunigung der Schwere zu vernichten.
                           4) Der Werth der Canäle muß in den meisten Fällen darnach beurtheilt werden, daß sie
                              									eine Verbindung unter den natürlichen Wasserstraßen eröffnen; so lange diese nicht
                              									aufhören, die Hauptpulsadern des Verkehrs zu seyn, kann kaum die Frage seyn, sie
                              									durch Eisenbahnen zu ersetzen.
                           5) Der wichtigste Punkt ist ohne Zweifel, daß die Canäle wohlfeiler transportiren.
                              									Dieser Gegenstand erforderte einen gründlichen Beweis in Zahlen, wozu aber die
                              									nöthigen Daten noch fehlen. Die Transportkosten auf Eisenbahnen betreffen theils die
                              									Abnutzung von Eisen und Holz der Geleise, theils die Locomotivkraft. Nach unsern
                              									Verhältnissen kosten die Schienen einer Doppelbahn 100,000 Thlr., die Holzschwellen
                              									25,000 Thlr. per Meile. Angenommen, die Schienen dauern
                              									20 Jahre, wenn über jedes Geleise jährlich 100,000 Tonnen Fracht gehen, so sind in
                              									dieser Zeit die Schienen einmal, die Schwellen aber wenigstens zweimal zu erneuern;
                              									dieß gibt einen Aufwand von 150,000 Thlr. auf 4 Mill. Tonnen, oder 13,5 Pfennige per Tonne und Meile. Die Fahrt einer Locomotive kommt
                              									auf 2 Thlr. per Meile, wenn man Zinsen und Abnutzung
                              									gehörig mit in Rechnung bringt; sie muß aber bei schweren Transporten, wo mehr Zeit
                              									und Brennstoff aufgewendet werden muß, um 1/3 höher angeschlagen werden.
                              									Transportirt nun jeder Zug eine Fracht von 100 Tonnen, so erhält man per Tonne und Meile 10,8 Pf. – im Ganzen also
                              									24,3 Pf.
                           Auf einem Canal dagegen werden die Kosten eines Fahrzeugs, das von einem Pferd
                              									gezogen wird, auf 3 Thlr. täglich berechnet, und da damit 1000 Cntr. Fracht 4 1/2
                              									Meilen weit gezogen werden sollen, so erhält man per
                              									Tonne und Meile 4,8 Pf. (Dieß ist allerdings ein geringer Anschlag, denn nach M. Chevalier kostet die Fracht auf den französischen Canälen
                              									6 1/2 Cent. per Tonne und Lieue von 4 Kilometer, mehr
                              									als noch einmal so viel, wobei aber wahrscheinlich keine Rückfracht und eine
                              									geringere Belastung berücksichtigt sind.) Die Fracht stellt sich demnach auf einem
                              									Canal nur auf 1/5 der Fracht auf einer Eisenbahn, und kann ein hydraulischer
                              									Mechanismus die Zugkraft der Pferde ersetzen, wodurch die Hälfte der Kosten
                              									wegfällt, so sinkt die Canalfracht auf 1/10 der Eisenbahnfracht.
                           Was die Anlagekosten und das dafür zu erhebende Bahn- oder Canalgeld betrifft,
                              									so darf man wohl annehmen, daß nach den Erleichterungen, die durch diese neuern
                              									Erfindungen im Canalbau eröffnet werden, ein Canal weit weniger kostet, als eine
                              									Eisenbahn (in Amerika 150,000 Thlr. per Meile im
                              									Durchschnitt); die Fälle, wo Canäle größere Kosten verursachen, müssen mit
                              									denjenigen verglichen werden, wo auch die Eisenbahnen weit über das Gewöhnliche
                              									kosten. Hienach bleibt den Canälen, auch abgesehen von den Verbindungen, die sie in
                              									einem Flußnetz eröffnen, und der vorzüglichen Bequemlichkeit des Transports, der für
                              									viele Gegenstände kaum auf eine andere Art ersetzt werden kann, noch der Vorzug
                              									einer wohlfeileren Communication, was für den allgemeinen Verkehr sehr hoch
                              									anzuschlagen ist. Dieser Vorzug der Canäle scheint auch in neuerer Zeit, wo der
                              									Aufschwung der Eisenbahnen den Höhepunkt erreicht hat, noch immer anerkannt: denn
                              									gerade in dieser Zeit hat Deutschland in dem Donau-Main-Canal das
                              									erste große Werk dieser Art erhalten. Nach öffentlichen Nachrichten hat auch Se.
                              									Maj. der König von Preußen einen umfassenden Plan zur Herstellung der beiden
                              									Wasserstraßen zwischen Spree und Oder genehmigt und dadurch das Andenken an die
                              									Wiederherstellung des Finow-Canals durch Friedrich dem Großen vor hundert
                              									Jahren auf das Ansprechendste erneuert. Auch in Nordamerika scheint die Anlage von
                              									Canälen im größten Maaßstab durch die weiteste Ausdehnung der Eisenbahnnetze
                              									keineswegs verbrängt.