| Titel: | Ueber die verderbliche Einwirkung sehr verdünnter Säuren und des mit vielem Wasser verdünnten Harns auf die Vegetation; von H. Braconnot. | 
| Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. LXXXVIII., S. 380 | 
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                        LXXXVIII.
                        Ueber die verderbliche Einwirkung sehr verdünnter
                           								Säuren und des mit vielem Wasser verdünnten Harns auf die Vegetation; von H. Braconnot.
                        Aus den Annales de chimie et de Physique, Oct. 1846, S.
                              									157.
                        Braconnot, über die verderbliche Einwirkung verdünnter Säuren auf
                           								die Vegetation.
                        
                     
                        
                           Ich wurde von der Regierung über die Etablirung einer Mineralsäuren Fabrik und die
                              									Nachtheile, welche für die in der Nähe befindlichen Pflanzungen daraus erwachsen
                              									könnten, zu Rathe gezogen. Da ich mich hierüber nicht entschieden auszusprechen
                              									vermochte, entschloß ich mich, nach Dieuze zu reisen, um dort den Einfluß der aus
                              									solchen Fabriken sich entwickelnden Dünste auf die Vegetation zu studiren. Ich
                              									konnte mich leicht überzeugen, daß kleine Mengen in der Atmosphäre zerstreuter
                              									saurer Dämpfe sogar in ziemlich weiter Entfernung den Bäumen schädlich werden
                              									können, während in der Regel die in der nächsten Nähe dieser Etablissements
                              									befindlichen Menschen und Thiere nicht merklich davon afficirt werden. Hieraus zog
                              									ich den ganz einfachen Schluß, daß die Säuren selbst in sehr geringer Menge für die
                              									Pflanzen Gifte sind, aber nicht für die Thiere. Eine solche Behauptung aber bedurfte
                              									der Unterstützung durch directe Versuche; ehe ich diese unternahm, schlug ich die
                              									Angaben verschiedener Schriftsteller über die Einwirkung der Säuren auf die Pflanzen
                              									nach. Ich finde in de Candolle folgende StellePhysiologie végétale, p. 1345.: „Mit ihrem dreifachen Gewichte Wassers verdünnte Schwefelsäure
                                 										tödtete nach Hrn. Marcet Bohnen in 24 Stunden; Achard beobachtete ähnliche Wirkungen bei Verdünnnng
                                 										dieser Säure mit ihrem gleichen Gewichte Wassers.“
                              								
                           
                           Es versteht sich, daß mit solchen Quantitäten Säure das zu erwartende Resultat nicht
                              									zweifelhaft seyn konnte. Wirklich berichtet de Candolle
                              									weiterhin Thatsachen, welche darthun, daß Dämpfe von schwefliger Säure, Salzsäure
                              									und salpetriger Säure in sehr kleinen Quantitäten Pflanzen zu tödten vermögen, ohne
                              									Zweifel, indem sie auf ihre blattartigen, oder die Lungen vertretenden Organe
                              									wirken; allein ich wünschte die Wirkung der Säuren in kleinen Mengen und im
                              									flüssigen Zustande, bei Einführung derselben durch die Wurzeln oder Stengel in die
                              									Pflanzengefäße, kennen zu lernen. Darüber fand ich in Marcet's Abhandlung: über die Einwirkung der Gifte
                                 										auf das Pflanzenreich
                              									Annales de Chimie et de Phys. 2e. Ser. Tome XXIX p.
                                    											218. eine Thatsache, welche sich den unten angegebenen Erfahrungen zu nähern
                              									scheint.
                           Dieser Naturforscher brachte einen blühenden Rosenzweig in 30 Gramme Wasser, welches
                              									265 Milligr. Oxalsäure enthielt. Am andern Tag hatten die äußern Blumenblätter eine
                              									dunklere Farbe angenommen, worauf sie welk wurden, und am zweiten Tag waren Stengel
                              									und Blätter trocken; sie hatten nur 1/10 Säure absorbirt. Eine mit ihrer Wurzel in
                              									eine eben solche Flüssigkeit tauchende Bohnenpflanze war in 24 Stunden
                              									dahingestorben.
                           Marcet erklärt diese Wirkung durch die Annahme, daß die
                              									Oxalsäure ein narkotisches Gift sey, welches selbst in kleiner Quantität den Thieren
                              									beigebracht, sie tödtet. Ich gestehe, daß mir die dieser Säure in sehr verdünntem
                              									Zustande zugeschriebenen narkotischen (sédatives)
                              									Eigenschaften zweifelhaft erschienen. Uebrigens beweisen die unten folgenden
                              									Versuche, daß andere schwächere Säuren, in geringerer Quantität, wenn man sie von
                              									Pflanzen absorbiren läßt, dieselben auf bemerkenswerthe Weise zerstören. In der That
                              									werden sie durch gewisse Gifte, welche man in ihre Gefäße treten läßt, getödtet,
                              									ohne desorganisirt zu werden; in dieser Beziehung könnten dieselben wohl mittelbar
                              									oder durch Mitleidenheit, wie Narcotica, auf ihre Organe wirken; allein auf diese
                              									Weise wirkt die Oxalsäure nicht.
                           Am 26. Junius stellte ich einen mit Blättern versehenen und mit einer Aehre noch
                              									unaufgebrochener Blüthen ausgehenden krautartigen Zweig von Phytolacca decandra (gemeine Kermesbeere) in ein Champagnerglas, welches 5
                              									Centigr. Weinsteinsäure in 30 Grammen Regenwasser aufgelöst enthielt. Am andern Tag
                              									fand ich das in die Flüssigkeit tauchende Ende zusammengezogen und merklich
                              									erweicht. Fünf Tage darauf war die ganze Pflanze erschlafft und beinahe gänzlich verwelkt, während ein
                              									ähnlicher Zweig in reinem Wasser seine Frische lange behielt.
                           Am 27. Junius wiederholte ich denselben Versuch, indem ich einen blühenden Zweig der
                              									bengalischen Rose in 30 Gramme Regenwasser stellte, worin 5 Centigr. Weinsteinsäure
                              									aufgelöst waren. Am 3. Jul. war der vorher schön grüne untere Theil des Stengels
                              									schwarzblau (livide) geworden; seine Blätter hatten zwar
                              									ihre grüne Farbe und ihre Consistenz beibehalten, lösten sich aber durch die
                              									geringste Kraft vom Stengel ab. Die Blüthe war verwelkt.
                           Am 27. Junius wurde ein blühender Zweig der bengalischen Rose mit seinem
                              									abgeschnittenen Ende in 30 Gramme Regenwasser gestellt, worin 1 Decigramm sauren
                              									weinsteinsauren Kali's (Weinstein) aufgelöst war. Am 3. Julius hatte der Stengel in
                              									seiner ganzen Ausdehnung seine ursprünglich grüne Farbe beibehalten, sowie auch die
                              									Blätter; aber letztere lösten sich bei nur leiser Berührung davon ab.
                           Am 27. Junius stellte ich einen blühenden Zweig der bengalischen Rose in mit einem
                              									Vierzigstel seines Volums destillirten Essigs angesäuertes Wasser. Am 30. Junius
                              									war, wie die schwarzblaue Farbe, welche er annahm, bewies, die Absorption der
                              									angesäuerten Flüssigkeit durch den ganzen Zeig hindurch vor sich gegangen.
                           Am 24. Julius tauchte ich eine junge Bohnenpflanze mit ihren Wurzeln in mit seinem
                              									fünffachen Gewicht Wassers verdünnten Wein; am 28. Julius aber hatte der Stengel
                              									beinahe seiner ganzen Länge nach augenscheinlich eine nachtheilige Veränderung
                              									erlitten und die gelben und krausen Blätter verkündeten den nahen, völligen Tod der
                              									ganzen Pflanze.
                           Am 27. Junius wurde ein Zweig der bengalischen Rose mit zwei eben im Aufbrechen
                              									begriffenen Knospen in 30 Gramme Regenwassers gestellt, in welches ich einen Tropfen
                              									Schwefelsäure gebracht hatte. 15 Stunden darnach war die säuerliche Flüssigkeit 4
                              									Centimeter hoch in den Rosenzweig gestiegen, wie aus der braungelben Farbe dieses
                              									Theils zu ersehen war, die mit der grünen Farbe des übrigen Zweiges stark
                              									contrastirte. Am 3. Julius war derselbe durch das Aufsteigen der Flüssigkeit, die,
                              									das Abfallen der Blätter bewirkend, bis zu den Blumen vorgedrungen war, völlig
                              									desorganisirt. Sonderbarerweise hatten sich in derselben Flüssigkeit, welche den
                              									Rosenzweig getödtet hatte, auf dem eingetauchten Theil des Zweigs weiße, zierliche
                              									und sehr zarte Büschel eines confervenartigen Gewächses gebildet, welches in diesem
                              									Medium alle seiner Entwickelung günstigen Umstände gefunden hatte.
                           
                           Denselben Versuch wiederholte ich, indem ich das Ende eines jungen Zweiges von Atriplex hortensis (Gartenmelde) in 30 Grammen Wassers
                              									steckte, das einen Tropfen Schwefelsäure enthielt. Am andern Tage war die Aufsaugung
                              									der säuerlichen Flüssigkeit durch den Stengel 2 Decimeter hoch über die Oberfläche
                              									der Flüssigkeit hinauf erfolgt. Dieser ganze Theil hatte seine Farbe verändert, er
                              									war erweicht, desorganisirt und sah aus, als hätte die Wärme auf ihn eingewirkt;
                              									während jenes Ende desselben Zweiges, in welches die säuerliche Flüssigkeit noch
                              									nicht gestiegen war, seine natürliche Farbe und die Lebenskraft längere Zeit
                              									behalten hatte, als eine solche Pflanze in der bloßen Luft, wie folgender Versuch
                              									bewies:
                           Ich brachte eine junge Bohnenpflanze in 30 Gramme einen Tropfen Schwefelsäure
                              									enthaltenden Wassers, und eine andere ähnliche Pflanze blieb der Luft ausgesetzt;
                              									die Blätter der letztern welkten bald, während die der andern, in die säuerliche
                              									Flüssigkeit getauchte Pflanze, einige Zeit ihre ganze Frische behielten; und doch
                              									war der größte Theil des ihnen zur Stütze dienenden Stengels entfärbt, erschlafft
                              									und leblos, was durch die Annahme erklärt werden kann, daß die von dem Stengel
                              									absorbirte säuerliche Flüssigkeit den in dem Stengel enthaltenen Saft gegen den
                              									obern Theil vor sich her trieb und auf diese Weise dazu diente, den Blättern das
                              									Leben zu erhalten, bis zu dem Augenblicke, wo die säuerliche Flüssigkeit sie
                              									ebenfalls erreichte. Bei meinen andern Versuchen erhielt ich übrigens ähnliche
                              									Resultate.
                           Am 8. Julius steckte ich die kaum noch in Blüthe stehenden Zweige folgender Pflanzen,
                              									als:
                           Phytolacca decandra, gemeine Kermesbeere,
                           Avena sativa, gemeiner Hafer,
                           Atropa Belladonna, gemeine Tollkirsche,
                           Datura Stramonium, gemeiner Stechapfel,
                           Lythrum virgatum, ruthenförmiges Blutkraut,
                           Althaea officinalis, gemeiner Eibisch,
                           Chyananchum montpeliacum, montpelier'scher
                              									Hundswürger,
                           Hydrangea virginica, virginische Hydrangea,
                           Atriplex hortensis, Gartenmelde,
                           mit ihren Enden in ein Gefäß, welches eine Mischung von 400
                              									Gram. Regenwassers und 13 Tropfen reiner Salzsäure enthielt. Schon zwei Stunden
                              									darauf bemerkte man an dem untern Ende dieser Pflanzen eine gelbliche Färbung,
                              									welche bei der Phytolacca 8 Millimeter über den Schnitt
                              									dieses Zweiges hinaufgestiegen war. Am andern Tag hatte ein Theil des Stengels aller
                              									dieser Pflanzen eine augenscheinliche Veränderung erlitten, wie dieß das
                              									Verschwinden der grünen Farbe kund gab, die einer braungelben Platz machte.
                           Am 10. Julius waren dieselben Stengel erweicht und bis zu den Blättern desorganisirt;
                              									an einigen konnte sogar der Gang der säuerlichen Flüssigkeit durch die Vernichtung
                              									der grünen Farbe verfolgt werden, so wie durch die Erweichung und die
                              									Halbdurchsichtigkeit, welche sie annahmen, während neben diesem desorganisirten
                              									Theil das übrige Blatt seine ganze Lebenskraft behalten hatte.
                           Am 12. Julius war das aufgestiegene angesäuerte Wasser bis zum Blüthenschirm der Hydrangea gelangt, während es beim Hafer nur etwa 1
                              									Decimeter über das Niveau der Flüssigkeit gestiegen war; aber die ganze Pflanze
                              									hatte eine gelbliche Farbe angenommen, die ihr Absterben verkündigte. Der Stengel
                              									der Phytolacca, vorher von fester Consistenz, war so
                              									erweicht und desorganisirt, daß er zwischen den Fingern zu einem gleichförmigen Brei
                              									zerdrückt werden konnte, als wäre er in Wasser vollkommen durchgekocht worden.
                              									Dieser Brei zeigte unter dem Mikroskop betrachtet nur mehr einige gebrochene Gefäße
                              									und zerrissene Zellen. Das Ende desselben Zweiges übrigens, welches von der
                              									säuerlichen Flüssigkeit nicht durchzogen war, hatte seine ursprüngliche Frische
                              									behalten; eben so verhielt es sich mit den übrigen Pflanzen, ohne Zweifel in Folge
                              									des gegen oben zurückgeflossenen Saftes.
                           Am 14. Julius waren alle diese Pflanzen gelb und welk. Zum Ueberfluß bemerke ich
                              									noch, daß dieselben oben genannten Pflanzenspecies der Vergleichung wegen in ein
                              									anderes Gefäß mit Regenwasser gestellt worden waren und sich hier in gutem Zustand
                              									erhielten. Ich verglich die Störungen, welche in das Gewebe ausdauernder (vivaces) Pflanzen gebrachtes schwach angesäuertes Wasser
                              									hervorbringt, die übrigens ein Beweis der Zartheit der Pflanzenmembranen sind, mit
                              									der Wirkung der Wärme.
                           Um diese Anschauungsweise zu rechtfertigen, ließ ich das abgesonderte Ende einer Phytolacca-Pflanze eine halbe Stunde lang im
                              									Wasser kochen; dieser Theil unterschied sich in nichts, weder durch seine Farbe,
                              									noch durch seine Erweichung von dem Stengel derselben Pflanze, welche in obiger
                              									säuerlichen Flüssigkeit gestanden hatte. Auch beobachtete ich, daß der Phytolacca-Zweig, dessen Ende gekocht worden war,
                              									im Vergleich mit einem ähnlichen Zweig der Luft ausgesetzt, sich länger frisch
                              									erhielt als letzterer, dessen Erschlaffung bald wahrzunehmen war.
                           Ueberrascht, in dem Pflanzengewebe durch Absorbirenlassen von Wasser, welches eine so
                              									kleine Menge Salzsäure enthielt, so tiefgehende Veränderungen eintreten zu sehen,
                              									wollte ich mich überzeugen, ob sie die Säure in noch kleinern Quantitäten vertragen könnten.
                              									Ich vermischte 1 Tropfen Salzsäure mit 1 Deciliter Regenwasser; 30 Gramme dieser
                              									Mischung wurden am 10. Julius in ein Champagnerglas gebracht und eine mit 3 Blättern
                              									versehene junge Bohnenpflanze mit den Wurzeln hineingetaucht, so wie auch ein Zweig
                              									der Atriplex hortensis, rothe Varietät. Am 14. Junius
                              									fand ich den ganzen in die Flüssigkeit tauchenden Theil der Atriplex desorganisirt, d.h. erweicht, entfärbt und merkwürdig
                              									zusammengeschrumpft, so daß keine Aufsaugung über den Spiegel der Flüssigkeit mehr
                              									stattfinden zu können schien; der übrige Theil der Pflanze aber schien sich in gutem
                              									Zustand zu befinden. Die Bohne anbelangend, schien sie nicht gelitten zu haben; am
                              									16. Jul. aber waren beide Pflanzen zum größten Theil verwelkt. Bei diesem Versuche
                              									beobachtete ich eine mir sonderbar erscheinende Thatsache, daß nämlich die
                              									ursprünglich säuerliche Flüssigkeit, welche das Lackmuspapier deutlich röthete,
                              									nachdem die Pflanzen sich darin befunden hatten, gegen dasselbe Reagens neutral
                              									wurde. Um diese neue Thatsache zu bestätigen, wurde das Ende eines blühenden und
                              									kräftigen Zweiges von Momordica Elaterium, gemeine
                              									Springgurke, in 30 Gramme des eben erwähnten säuerlichen Wassers gebracht; zwei Tage
                              									darauf hatte nach Abzug der verdunsteten Flüssigkeit die Pflanze beinahe gar nichts
                              									davon absorbirt, und doch zeigte das empfindlichste Reactionspapier nicht die
                              									mindeste Spur freier Säure an. Uebrigens vegetirte die Pflanze in dem Wasser, dessen
                              									freie Säure sie verschwinden machte, lange fort, bis endlich dieses Wasser durch
                              									Aufsaugen und Verdunsten gänzlich verschwunden war. Könnte man, um sich das
                              									Verschwinden dieser freien Säure zu erklären, nicht annehmen, daß, weil dieselbe der
                              									Pflanze schädlich ist, es letzterer gelingt, sie unschädlich zu machen, auf analoge
                              									Weise wie andere Pflanzen die von ihnen selbst erzeugten mächtigen Säuren beinahe
                              									vollkommen sättigen, widrigenfalls sie zu wahrhaften Giften für sie würden?
                           Das durch den Zweig von Momordica Elaterium neutral
                              									gewordene säuerliche Wasser gab beim Abdampfen einen weißlichen, salzigen, gänzlich
                              									aus Chlorkalium und einigen Spuren organischer Materie bestehenden Rückstand, woraus
                              									folgt, daß die Salzsäure durch das von der Momordica ihr
                              									abgegebene Kali gesättigt wurde, und dennoch röthen alle Theile dieser Pflanze das
                              									blaue Lackmuspapier. Die Elektricität dürfte dieser Erscheinung nicht fremd
                              									seyn.
                           Ich wünschte die Wirkung einer geringen Quantität Oxalsäure kennen zu lernen, wenn
                              									sie von Pflanzen absorbirt wird, in welchen ich eine große Menge neutrales
                              									oxalsaures Kali gefunden hatte, wie in der 
                              									Phytolacca, dem Spinat, der Runkelrübe, Gartenmelde; ich
                              									überzeugte mich, daß sie dieselben eben so desorganisirt wie die andern verdünnten
                              									Säuren. Nun wollte ich auch Aufschluß über den Einfluß verdünnter Säuren auf
                              									Pflanzen, die zweifach-oxalsaures Kali enthalten.
                           Am 23. Junius stellte ich einen blühenden Zweig des schildförmigen Ampfers (Rumex scutatus) und ein Pflänzchen von Oxalis stricta (des geraden Sauerklees) in 30 Gramme
                              									Wasser, worin 1 Decigr. Oxalsäure aufgelöst war. Am 26. Junius nahm der in die
                              									Flüssigkeit tauchende Theil des Ampfers eine schwarzblaue Farbe an, welche sich
                              									längs des Stengels bis zu den Blättern fortsetzte, wovon die meisten abfielen. Der
                              									Sauerklee widerstand dieser Probe besser, denn seine gefalteten Blätter schlossen
                              									sich Abends und gingen am Morgen auf. Doch war am 30. Junius sein Stengel von der
                              									sauren Flüssigkeit bis ungefähr 8 Centimeter über ihren Spiegel durchdrungen, wie
                              									aus der schwarzblauen Farbe zu ersehen war. Es könnte vielleicht sonderbar
                              									erscheinen, daß kleine Mengen verdünnter Säuren wie ätzende Gifte auf das Gefüge von
                              									Pflanzen wirken können, welche selbst viel Säure enthalten.
                           Um sich diese anscheinende Anomalie zu erklären, muß man berücksichtigen:
                           1) daß Vergiftung von Pflanzen durch sehr scharfe narkotische oder saure Säfte,
                              									welche sie selbst erzeugten, stattfinden kann;
                           2) daß diese Säfte in besondern Zellen abgesondert werden, auf welche sie keine
                              									Einwirkung zu haben scheinen, während diese Einwirkung auf andere Zellen eine sehr
                              									augenscheinliche ist, wenn sie an deren äußere Wände (beim Uebergange aus den
                              									Wurzeln in die Intercellulargänge) gelangen.
                           Ich suchte auch die Wirkung der Säuren auf einen kraftvollen, 3 Meter hohen
                              									Apfelbaum, welcher noch keine Früchte getragen hatte, kennen zu lernen, in der
                              									Absicht ihn zu schwächen, um zur Fruchtbildung zu disponiren.
                           Am 23. Junius ließ ich, nachdem ich einen Zweig desselben von der Dicke eines Fingers
                              									abgeschnitten hatte, das an dem Baum befindliche abgeschnittene Ende in eine
                              									Wasserflasche tauchen, die 1 3/10 Liter Wasser enthielt, worin 13 Gramme
                              									Schwefelsäure vertheilt waren. Nach einigen Tagen war die ganze saure Flüssigkeit
                              									von dem Apfelbaume aufgesogen. Der Zweig, durch welchen die Aufsaugung geschah, war
                              									auf die Länge von etwa 1 Meter stark gerunzelt und in dieser ganzen Länge hatte die
                              									Rinde einen sauren Geschmack. Gegen Ende Julius war eine ziemlich große Anzahl seiner
                              									Blätter, so wie auch einige Zweige ausgetrocknet und alles verkündigte, daß der Baum
                              									krank sey.
                           Am 20. Junius ließ ich einen andern Apfelbaum von gleicher Stärke und Höhe auf
                              									dieselbe Weise 637 Gramme Wasser absorbiren, dem 63 Gramme käufliche Salzsäure
                              									zugemischt waren. Gegen Ende Julius erschien dieser Baum kranker als der obige,
                              									indem ein Zweig desselben von ungefähr 4 Centimeter Durchmesser seiner Blätter schon
                              									ganz beraubt war. Das weitere Resultat dieser beiden Versuche ist mir noch nicht
                              									bekannt.
                           
                        
                           Schädliche Einwirkung mit vielem Wasser verdünnten Harns auf
                                 										die Vegetation.
                           Bekanntlich wird der mit Wasser verdünnte Urin allgemein von den Landwirthen als
                              									einer der besten Dünger betrachtet. Die Versuche indessen, welche ich anstellte, um
                              									seine directe Einwirkung auf die Vegetation kennen zu lernen, scheinen diese Meinung
                              									nicht zu rechtfertigen.
                           Am 27. Junius wurde ein Zweig der bengalischen Rose, an dessen Spitze sich eine kaum
                              									noch aufgebrochene Knospe befand, in 15 Gramme mit eben so viel Regenwasser
                              									verdünnten frischen Menschenharns gestellt. Am 29. Junius war die Pflanze beinahe
                              									völlig verwelkt und auf dem größten Theil des Stengels zeigten sich vom kalten
                              									Brande herrührende dunkelbraune Flecken. Man könnte glauben, daß die Wirkung des mit
                              									so wenig Wasser verdünnten Urins von der darin enthaltenen Säure herrühre; ich werde
                              									aber zeigen, daß sie eine ganz andere Ursache hat.
                           Am 7. Julius wurde ein in Blüthe befindlicher Zweig der bengalischen Rose, ein mit
                              									seiner Aehre an der Spitze versehener Zweig der Phytolacca, und eine junge Bohnenpflanze in gefaulten Urin gestellt, der
                              									geröthetes Lackmus wieder bläute und mit seinem achtfachen Gewicht Wasser verdünnt
                              									war. Am 8. Julius war die Phytolacca erschlafft und
                              									hängend, so wie auch die Bohne, während der Rosenzweig scheinbar seine Frische
                              									behalten hatte; am 11. Julius aber waren alle drei Pflanzen ganz verwelkt.
                           Am 10. Julius brachte ich zwei Bohnenpflanzen mit ihren Wurzeln in mit seinem
                              									sechzehnfachen Gewicht Regenwasser verdünnten gefaulten Harn. Am 11. Julius waren
                              									diese Pflanzen zum Theil verwelkt, am 14. d. M. aber hatten sie ganz zu leben
                              									aufgehört.
                           Am 14. Julius stellte ich in eine Wasserflasche, welche 1 Liter Regenwasser enthielt,
                              									dem 30 Gramme gefaulten Harns beigemischt waren, zwei junge Bohnenpflänzchen mit
                              									ihren Wurzeln, und in eine andere, nur Regenwasser enthaltende Flasche zwei ähnliche
                              									Pflanzen. Am 17. Julius waren die Bohnenblätter der ersten Flasche erschlafft; am
                              									19. Julius waren sie verwelkt und einige fingen schon an auszutrocknen, während die
                              									beiden andern Pflanzen im Regenwasser fortlebten; sie hatten sogar in diesem
                              									letztern nahezu 1 Decimeter lange Wurzeln getrieben.
                           Am 28. Julius waren sie noch in befriedigendem Zustande.
                           Als ich sah, daß diese nachtheilige Wirkung durch Wasser, welches so wenig Urin
                              									enthielt, hervorgebracht wurde, wollte ich sehen, ob, wenn ich die Menge dieses
                              									letztern noch mehr verminderte, seine schädliche Einwirkung noch erkenntlich
                              									ist.
                           Am 19. Julius wurden 10 Gramme gefaulten Urins mit 1 Liter Regenwasser verdünnt; in
                              									diese in einer Flasche enthaltene Mischung fetzte ich zwei mit ihren Wurzeln
                              									versehene junge Bohnenpflänzchen; sie erhielten sich 2–3 Tage darin ohne
                              									leidend zu erscheinen; am 23. Jul. aber waren die Blätter dieser Pflänzchen
                              									gelblich, erschlafft, hängend und durch eine anfangende Austrocknung verkrüppelt.
                              									Ich bin überzeugt, daß eine noch kleinere Menge Harns den Pflanzen ebenfalls
                              									schädlich wäre; allein ich setzte diese Versuche nicht weiter fort.
                           Jedenfalls scheint aus dem Vorstehenden hervorzugehen, daß der durch Fäulniß
                              									alkalisch gewordene Urin, wenn auch mit vielem Wasser verdünnt, ein den Pflanzen
                              									sehr schädliches Gift ist, wenn man ihn mit ihren Wurzeln in Berührung bringt. Es
                              									ist mir nicht bekannt, welches der tödtliche Bestandtheil desselben ist, der dieses
                              									Excrement den Pflanzen so schädlich macht; es einem etwas vorwaltenden
                              									Ammoniakgehalt zuzuschreiben, wäre ein Irrthum, weil nach einigen Beobachtern die
                              									Alkalien in geringer Quantität die Vegetation eher zu befördern scheinen, wie dieß
                              									auch Davy behauptet, welcher mit 1/300 kohlensaures Kali
                              									enthaltendem Wasser begossene Pflanzen gedeihen sah.
                           Um auch diese Wirkung beobachten zu können, brachte ich am 13. Julius in 30 Gramme
                              									Wasser, welches 1 Decigr. reinen kohlensauren Kalis enthielt, ein mit seinen
                              									Würzelchen versehenes junges Bohnenpflänzchen, welches seine Keimblätter noch besaß,
                              									so wie auch einen Rosenzweig mit einer im Aufbrechen begriffenen Knospe an der
                              									Spitze. Diese beiden Pflanzen erhielten sich einige Tage ziemlich gut in dieser
                              									Flüssigkeit; am 22. Julius aber waren sie ganz verwelkt, woraus folgt daß, wenn das
                              									kohlensaure Kali die Vegetation auch unterstützen kann, die davon angewandte Menge
                              									doch viel zu groß war. Es schien mir, als habe die Flüssigkeit, in welcher diese
                              									beiden Pflanzen vegetirten, ihre alkalische Beschaffenheit einigermaßen
                              									eingebüßt.
                           
                           Die von mir mitgetheilten Thatsachen stehen offenbar im Widerspruch mit der Ansicht
                              									der Landwirthe, welche den mit Wasser verdünnten gefaulten Harn als alle die
                              									Vegetation bethätigenden Eigenschaften vereinigend betrachten. Allerdings könnte man
                              									einwenden, daß diese Flüssigkeit nur auf mittelbare Weise vortheilhaft auf die
                              									Pflanzen einwirke; jedenfalls aber muß dieser wichtige, noch dunkle Gegenstand von
                              									geschickten Agronomen gründlich studirt werden.