| Titel: | Bewegung des Wassers in Canälen. | 
| Fundstelle: | Band 121, Jahrgang 1851, Nr. XXXIX., S. 175 | 
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                        XXXIX.
                        Bewegung des Wassers in Canälen.
                        Aus der Zeitschrift des österr.
                                 										Ingenieur-Vereins, 1851 Nr. 9.
                        Bewegung des Wassers in Canälen.
                        
                     
                        
                           In der Sitzung der k. k. geologischen Reichsanstalt am 20. Mai 1851 machte Hr.
                              									Sectionsrath P. Rittinger eine Mittheilung über
                              									Beobachtungen und Versuche in Betreff der Bewegung des Wassers in Canälen, welche
                              									das k. k. Ministerium für Landescultur und Bergwesen auf seinen Antrag bei allen k.
                              									k. Bergoberämtern durchzuführen anordnete.
                           Der Zweck dieser Beobachtungen und Versuche ist: aus dem wirklichen Verhalten
                              									richtige Beziehungen und Verhältnisse zwischen dem Bewegungswiderstand des Wassers
                              									in Gerinnen, dem Wasserperimeter, seinem Gefäll und seiner Geschwindigkeit
                              									aufzufinden; indem das bisher darüber Bekannte ungenügend ist und in der Praxis sehr
                              									häufig falsche Resultate ergibt.
                           Um Gleichförmigkeit und möglichste Sicherheit in die zu diesem Behufe anzustellenden
                              									Untersuchungen zu bringen, wurde vom Sectionsrathe Rittinger eine Instruction entworfen und an die einzelnen Bergämter
                              									vertheilt, die wir hier auch unsern Lesern mittheilen zu können in der Lage sind.
                              									Wir müssen nur noch bemerken, daß es sehr wünschenswerth wäre, daß sich auch
                              									Privatpersonen, Ingenieure etc. bei diesen Untersuchungen betheiligen möchten und
                              									auf diese Art zu einem möglichst vollkommenen Gelingen des ganzen Unternehmens
                              									beitragen würden. — Sämmtliche Beobachtungen werden vom Hrn. Sectionsrathe
                              										Rittinger gesammelt und zusammengestellt um ferners
                              									zur Entwickelung einer richtigen Theorie benützt werden; sie werden daher auch
                              									veröffentlicht werden.
                           Instruction nebst kurzer Kritik der
                                 										bisherigen Theorie.
                           Der Entwickelung einer Gleichung zwischen Querschnitt, Wasserperimeter, mittlerer
                              									Geschwindigkeit und Gefalle eines Wassergrabens liegt in fast allen
                              									wissenschaftlichen Aufsätzen über diesen Gegenstand folgendes Raisonnement zu
                              									Grunde:
                           Bei der gleichförmigen Bewegung des Wassers in einem regelmäßig angelegten Canale
                              									wird die ganze auf die Länge = 1 entfallende Gefällshöhe oder das ganze Gefalle
                              									α zur Ueberwindung der Bewegungswiderstände  verwendet, weil das Wasser
                              									ungeachtet seiner Bewegung über eine schiefe Ebene dennoch keine
                              									Geschwindigkeitszunahme erfährt, sondern mit derselben Geschwindigkeit fortfließt,
                              									mit welcher es zuströmt. Das Gefälle α ist daher geeignet, als Maaß für die
                              									auf die Länge = 1 entfallenden Bewegungswiderstände im Canale zu dienen. Letztere
                              									sind aber von folgenden Größen abhängig:
                           1) Je größer der Wasserperimeter ist, desto größer die Widerstände, welche das Bett
                              									der Bewegung des Wassers in Folge seiner Adhäsion, Klebrigkeit oder Reibung
                              									entgegensetzt.
                           2) Da dieser vom Umfange herrührende Widerstand in keiner eigentlichen Reibung wie
                              									bei festen Körpern besteht, sondern durch die Adhäsion der benetzten Fläche
                              									hervorgerufen wird, so theilt er sich den übrigen gegen die Mitte des Canals zu
                              									liegenden Theilchen in abnehmender Progression mit. Es wird daher auf die
                              									Flächeneinheit davon ein um so kleinerer Theil kommen, je größer der Querschnitt
                              									ist; daraus schließt man nun, daß die Bewegungswiderstände in einem verkehrten
                              									Verhältnisse zu dem Querschnitte F stehen, also mit
                              									Rücksicht auf den Absatz Nr. 1 mit dem Quotienten p/F zunehmen.
                           3) Da bei nfacher Geschwindigkeit des Wassers in
                              									derselben Zeit nicht nur nmal so viel Wassertheilchen,
                              									sondern diese noch außerdem mit nfacher Geschwindigkeit
                              									vom Umfange des Wasserprofiles losgerissen werden, so wird hierdurch ein n2facher Widerstand
                              									verursacht, es nimmt also der Bewegungswiderstand mit dem Quadrate der
                              									Geschwindigkeit, also mit v2 zu.
                           Diesem nach setzt man
                           α = 0,000122. p/F . v2,
                           wo der vorgesetzte Coefficient eine Erfahrungsgröße
                              									bezeichnet, und die übrigen Größen auf den Wiener Fuß bezogen werden.
                           Der Mangel einer wissenschaftlichen Schärfe in der Entwickelung der vorstehenden
                              									Formel ist in die Augen springend. Die Folge hiervon ist, daß sie höchstens auf
                              									Fälle paßt, die jenen ähnlich sind, denen der Coefficient entnommen wurde, daß sie
                              									aber auf Allgemeingültigkeit keinen Anspruch machen könne; denn
                           1) läßt diese Formel die Form des Wasserprofiles ganz unberücksichtigt. Denkt man
                              									sich z. B. in das vorliegende Profil
                           
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 121, S. 177
                              
                           vier sehr dünne Scheidewände von der Höhe = ½ h dem Canal entlang eingeschoben, so nimmt der
                              									Wasserperimeter p bei gleichbleibendem Querschnitt F um das Doppelte zu, da er ursprünglich = 4 h, dann aber = 4 h + 8 .
                              									½ h = 8 h ist. Es
                              									wird nun keineswegs gleichgültig seyn, ob die vier Scheidewände im Profil gleich
                              									vertheilt stehen oder einander beliebig angenähert werden.
                           2) Auch folgt keineswegs, daß unter übrigens gleichen Umständen die Zunahme der
                              									Bewegungshindernisse in geradem geometrischen
                              									Verhältnisse mit dem Perimeter, oder im verkehrten geometrischen mit dem Profile stehen sollte, da die Zunahme nach unendlich
                              									vielen andern Gesetzen stattfinden kann.
                           3) Eine Verhältnißsetzung zweier heterogener Größen wie p
                              									einer Linie, zu F einer Fläche widerspricht dem Begriffe eines Verhältnisses, das
                              									stets nur gleichartige Größen voraussetzt.
                           4) Die Argumentationen des 2ten und 3ten Absatzes gehen von Thatsachen aus, die
                              									allererst bewiesen werden sollen, und haben eine mehr sophistische Haltung.
                           5) Die Geschwindigkeit v ist vielmehr eine Function von
                              										p, F und α, kann
                              									aber keineswegs einen bestimmten Einfluß auf α nehmen.
                           Die Formel für α entspricht wegen des darin vorkommenden Bruches p
                              									v2F einer Linie, während
                              									α eine Verhältnißzahl bezeichnet. Sie enthält
                              									daher in sich selbst einen Widerspruch.
                           Die Erfahrung bestätigt auch auffallend die Unverläßlichkeit der obigen Formel. So
                              									haben die Erhebungen, welche im J. 1842 am Klarwasserpochwerksgraben in Schemnitz
                              									bei den direct gemessenen Wassermengen von 3,9, 5,2 und 8,3 Kubikf. pr. Sec. vorgenommen wurden, beziehungsweise ein Gefälle
                              									= 0,00066, 0,00056 und 0,00036 durch Berechnung aus obiger Formel geliefert, während
                              									das direct bestimmte
                              									 Gefälle stets = 0,0026
                              									blieb, also von dem Berechneten um das 4 bis 7fache abweicht.
                           Außer den angeführten Ursachen dürfte ein Hauptgrund der Nichtübereinstimmung dieser
                              									Formel mit der Erfahrung darin liegen, daß erstlich bei den Versuchen die
                              									Wassermenge fast durchgehends nicht direct gemessen, sondern aus der auf
                              									verschiedene Art erhobenen mittleren Geschwindigkeit bestimmt wurde, deren
                              									Ermittelung aber stets unverläßlich bleibt; ferner, daß in der Formel für α
                              									die Canaltiefe nicht direct berücksichtigt ist, während diese Größe erfahrungsgemäß
                              									auf die Bewegung des Wassers in den Canälen einen sehr großen Einfluß ausübt.
                           Einige Schriftsteller lassen die Formel für α aus zwei Theilen bestehen, indem
                              									sie zu dem vorigen Ausdrucke noch einen zweiten bloß von v in der ersten Potenz abhängigen hinzufügen, denn die Klebrigkeit des
                              									Wassers soll einen eigenen Widerstand hervorbringen, welcher der einfachen
                              									Geschwindigkeit proportional ist, der bei größerer Geschwindigkeit verschwindet und
                              									erst dann merkbar sey, wenn die Geschwindigkeit kleiner als ¼ Fuß wird. Die
                              									Widerstandshöhe oder das Gefälle wird dann durch folgende Formel ausgedrückt:
                           α = (A
                              									v2 + B v) p/F.
                           Diese Formel entbehrt jedoch, eben so gut wie die vorhergehende, einer
                              									strengwissenschaftlichen Grundlage.
                           Bei dieser Unverläßlichkeit der bestehenden Formeln über die Bewegung des Wassers in
                              									den Canälen ist es von Wichtigkeit, zahlreiche und genaue Daten über die auf
                              									einander Einfluß nehmenden Größen zu sammeln, durch welche der Praxis eben so gut
                              									wie der Theorie ein wichtiger Dienst erwiesen wird.
                           Diese Erhebungen müssen mit aller Genauigkeit und mit einer gewissen Gleichförmigkeit
                              									vorgenommen werden, weil nur auf diese Weise eine Entgegenhaltung und Vergleichung
                              									zulässig ist, und der innere Werth dieser Daten noch mehr zunimmt. Zu diesem Ende
                              									sollen daher folgende Winke bei den Erhebungen und
                                 										Beobachtungen zur Richtschnur dienen:
                           1) Die Untersuchungen haben sich nicht bloß auf Wassergräben von größerem
                              									Fassungsvermögen, sondern auch schon auf solche zu beziehen, die etwa ¼
                              									Kubikf. Wasser pr. Secunde fortleiten.
                           2) Die zu untersuchende Grabenstrecke soll wenigstens 20–30 Klafter lang seyn,
                              									und auf dieser Länge ein regelmäßiges Gefälle und  einen nahe gleichen Querschnitt
                              									besitzen, so daß das Wasser darin augenscheinlich eine gleichförmige Geschwindigkeit
                              									wahrnehmen läßt. Uebrigens ist es nicht nothwendig, daß die Strecke geradlinig sey;
                              									es ist vielmehr wünschenswerth, auch den Einfluß der Krümmungen auf die Bewegung des
                              									Wassers in den Canälen praktisch kennen zu lernen.
                           3) Die Aufnahme des Grabenprofils ist an mehreren Punkten der zu untersuchenden
                              									Grabenstrecke und zwar beiläufig in Entfernungen von 5–10 Klafter
                              									vorzunehmen. Der Grabenlauf selbst kommt auf einer Situationskarte darzustellen, auf
                              									welcher auch die aufgenommenen Profile mittelst Querlinien anzudeuten und mit
                              									fortlaufenden Nummern zu bezeichnen sind.
                           4) Bei der Aufnahme der einzelnen Profile dürfte in
                              									folgender Weise vorgegangen werden:
                           An den beiden Grabenufern sind zwei einander gegenüberstehende Pflöcke einzuschlagen,
                              									deren Köpfe genau in demselben Niveau liegen. Auf diese Pflöcke wird sodann eine
                              									Waaglatte aufgelegt, deren untere Kante als Abscissenlinie zu dienen hat und daher
                              									mit einer Eintheilung versehen ist. Die an schicklichen Punkten gemessenen Ordinaten
                              									in Verbindung mit den gleichzeitig vorgemerkten Abscissen liefern sodann alle Daten,
                              									aus denen sich das betreffende Profil durch Zeichnung genau darstellen läßt. Das
                              									Niveau des Wasserspiegels wird sodann für jeden Versuch besonders aufgenommen und in
                              									das Grabenprofil eingetragen. Die Profile sind auf der Situationskarte in
                              									fortlaufender Ordnung und im größern Maaßstabe besonders zu verzeichnen und gehörig
                              									zu cotiren. Die einzelnen Dimensionen sind in Wiener Fußen und Decimaltheilen eines
                              									Fußes anzugeben.
                           5) Den jeweiligen Höhenunterschied zwischen den Wasserspiegeln zweier benachbarten
                              									Profile wird man am einfachsten dadurch ermitteln, daß man entweder die Köpfe aller
                              									Pflockpaare in ein gleiches Niveau zu bringen sucht, oder aber mittelst einer
                              									Nivellirwaage oder eines Nivellirinstrumentes die relative Höhe aller Pflockpaare im
                              									voraus genau bestimmt, und dann den Abstand des Wasserspiegels von der Waaglatte
                              									berücksichtigt. Die Höhenunterschiede sind wie gewöhnlich in Decimaltheilen einer
                              									Wiener Klafter auszudrücken und bis auf Bruchtheile einer Decimallinie genau zu
                              									bestimmen.
                           6) Sehr wichtig ist die Bestimmung der Wassermenge, welche
                              									der betreffende Graben während der Vornahme der Profils- und
                              									Gefällserhebungen pr. Sec. fortführt. Diese Bestimmung
                              									soll durchwegs  nur
                              									durch directe Messung in einem schicklichen Gefäße von
                              									bekanntem cubischen Inhalte unter gleichzeitiger Beobachtung der Einflußzeit
                              									bewerkstelligt werden, und alle übrigen Methoden: durch den Ausfluß, durch den
                              									Ueberfall oder durch Hydrometer wären unbedingt auszuschließen, da man sich auf ihre
                              									Resultate nicht mit voller Beruhigung verlassen kann. Zu dieser directen Messung
                              									wendet man am bequemsten größere parallelepipedische Kästen aus Brettern an, zu
                              									deren Füllung wenigstens 20–30 Sec. erforderlich
                              									sind. Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, daß vor und während der
                              									Messung das Wasser im Graben sich im Beharrungszustande befindet. Wird daher das
                              									Wasser aus dem abgedämmten Graben durch ein Seitengerinne dem Wasserkasten
                              									zugeführt, so muß man es vorher durch längere Zeit zur Seite desselben wegfließen
                              									und erst beim Beginne der Messung durch ein vorgeschobenes kurzes Gerinne in den
                              									Kasten hineinstürzen lassen. Auf diese Weise kann man wohl Wassermengen von
                              									8–10 Kubikf. pr. Sec. ohne erhebliche
                              									Schwierigkeiten bestimmen; für größere Wassermengen muß jedoch dieses Verfahren
                              									dahin abgeändert werden, daß man das Wasser aus dem Hauptgraben nicht durch ein,
                              									sondern vielmehr durch mehrere naheliegende Seitengerinne ableitet, welche
                              									zusammengenommen das ganze Wasser aufzunehmen im Stande sind, jedes aber für sich
                              									nur so viel Wasser liefert, daß es sich in einem großen Wasserkasten mit Sicherheit
                              									messen läßt. Die Summe aus allen durch die einzelnen Gerinne pr. Sec. abfließenden Wassermengen gibt sodann jene des Hauptgrabens,
                              									vorausgesetzt, daß auch bei dieser Methode auf den Beharrungszustand gehörig
                              									Rücksicht genommen wurde. Die Wassermenge ist übrigens in Kubikfußen anzugeben.
                           7) An einer und derselben Grabenstrecke sollen zwei bis drei Reihen von
                              									Untersuchungen bei verschiedenen Wassermengen vorgenommen
                              									werden, um vorzugsweise den Einfluß der Tiefe auf das Profil und die mittlere
                              									Geschwindigkeit kennen zu lernen.
                           8) Jedes Profil ist in Bezug auf die physische
                                 										Beschaffenheit des Grabenbettes näher zu untersuchen, und anzugeben, ob das
                              									Bett aus Felsen, Letten oder Erdreich bestehe, oder aber gemauert sey und aus
                              									trockenem oder Mörtel-Mauerwerk bestehe, oder endlich aus Holz, als Gerinne
                              									hergestellt sey.
                           9) Auch wäre anzuführen, ob das Grabenwasser rein sey oder Schlamm und Sand mit sich
                              									führe, und im letzteren Falle wie viel Lothe hiervon auf einen Kubikfuß Wasser
                              									entfallen.
                           
                           Die Resultate aller Erhebungen und Beobachtungen eines Untersuchungsfalles werden
                              									sich am bequemsten tabellarisch in nachstehender Form zusammenstellen lassen:
                           Bezeichnung des Grabens.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 121, S. 181
                              Wassermenge pr. Secunde in
                                 										Kubikfuß.; Profil.; Abstand zweier Profile.; Höhenunterschied zweier
                                 										benachbarter Profile; im Ganz.; per 1 Klaft.; Wasser-Perimeter.;
                                 										Wasser-Profil.; Tiefe.; Mittlere Breite.; Mittlere Geschwindigkeit.;
                                 										Physische Beschaffenheit des Bettes.; Klafter.; Fuß.; Qdrf.
                              
                           Anmerkung.
                           Der Wasserperimeter läßt sich aus der Zeichnung des
                              									Profils leicht entnehmen.
                           Unter der Tiefe wird der verticale Abstand der ebenen
                              									Bodenfläche vom Wasserspiegel verstanden.
                           Dividirt man das Profil durch die Tiefe, so ergibt sich die mittlere Breite des Bettes.
                           Die mittlere Geschwindigkeit erhält man durch Division der
                              									Wassermenge durch das Profil. Uebrigens könnte auch dieser Geschwindigkeit  jene entgegengehalten
                              									werden, welche ein angewendeter Schwimmer (Wachskugel) gibt.
                           In der Tabelle ist die dazu gehörige Zeichnung über die Grabensituation und über die
                              									einzelnen Profile anzuschließen.
                           Wien, den 11. Mai 1851.