| Titel: | Ueber die Erzeugung des Cyans aus dem Stickstoff der Luft; von H. Rieken. | 
| Fundstelle: | Band 121, Jahrgang 1851, Nr. LXVII., S. 287 | 
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                        LXVII.
                        Ueber die Erzeugung des Cyans aus dem Stickstoff
                           								der Luft; von H.
                              									Rieken.
                        Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Juliheft
                              									1851, S. 77.
                        Rieken, über die Erzeugung des Cyans aus dem Stickstoff der
                           								Luft.
                        
                     
                        
                           Die bei den Hohöfen schon öfers beobachtete Bildung von Cyankalium scheint zuerst auf
                              									die Vermuthung geführt zu haben, das Cyan könne, bei sehr hoher Temperatur und bei
                              									Gegenwart von Kali, aus Kohle und dem Stickstoff der Luft erzeugt werden. Die zum
                              									Theil auf directe Versuche gestützten Ansichten darüber blieben jedoch getheilt,  und es wurde diese,
                              									sowohl in theoretischer als in praktisch-technischer Beziehung so
                              									außerordentlich wichtige Frage theils bejaht, theils verneint. Unterdessen aber
                              									verbreitete sich in den neueren wissenschaftlichen und technischen Werken die
                              									Angabe, daß in England eine Fabrik von Blutlaugensalz, gegründet auf die Erzeugung
                              									des Cyans aus dem Stickstoff der Luft, errichtet worden sey und täglich Tausende von
                              									Pfunden von dieser Verbindung producire. Bei diesen widersprechenden Ansichten und
                              									Angaben beschloß ich durch eigene Versuche Aufschluß zunächst über die Hauptfrage zu
                              									erhalten, ob unter geeigneten Umständeu wirklich aus dem Stickstoff der Luft Cyan
                              									erzeugt werden kann.
                           Diese Versuche, welche ich in dem Laboratorium zu Göttingen anstellte, haben ein
                              									vollkommen bejahendes Resultat gegeben; aber nachdem ich sie ganz beendigt hatte,
                              									fand ich, daß diese Thatsache bereits durch Versuche von Bunsen und Playfair, die in ihrer großen
                              									Abhandlung über den Proceß der englischen Roheisenbereitung beschriebenPolytechn. Journal Bd. CVII S. 439. und daher, wie
                              									es scheint, wohl von den meisten Chemikern übersehen worden sind, auf ganz
                              									unzweifelhafte Weise festgestellt war. Ich halte daher die einzelne Beschreibung der
                              									von mir angestellten Versuche nun für überflüssig und halte es für hinreichend, das
                              									allgemeine bestätigende Resultat daraus anzugeben: daß
                                 										kohlensaures Kali, innig gemengt mit Kohle und erhitzt in einem glühendheiß
                                 										zugeführten Strom von Stickgas, bei einer Temperatur, bei der das Kalium
                                 										reducirt wird, vollständig in Cyankalium verwandelt wird.
                           Bei einem Versuche war die Verwandlung so vollständig, daß die concentrirte Lösung
                              									des gebildeten Cyankaliums nicht im Geringsten mehr mit Säuren aufbrauste.
                           Ich habe alle erdenkliche Sorgfalt angewendet, um die Bildung von Cyan aus einem
                              									zufälligen Stickstoffgehalt der Kohle oder einem Ammoniakgehalt des angewandten
                              									Stickgases zu vermeiden. Die Kohle wurde aus dem reinsten weißen Zucker, und das
                              									Kali aus krystallisirtem Bicarbonat bereitet. Das Gemenge wurde noch heiß in den
                              									Apparat gefüllt. Das Stickgas wurde aus atmosphärischer Luft bereitet, indem diese
                              									zuerst durch Schwefelsäure, dann durch ein Rohr mit frisch geschmolzenem
                              									Chlorcalcium und nachher durch einen mit Eisendrehspänen  gefüllten, bis zum Weißglühen
                              									erhitzten langen Flintenlauf geleitet wurde. Unmittelbar so heiß trat es dann in das
                              									Rohr, worin das Kaligemenge enthalten war. Hierzu wandte ich theils Röhren von
                              									Porzellan, theils mit einem feuerfesten Beschlag versehene Flintenläufe an. Das
                              									Material war auf die Cyanbildung ohne Einfluß. Sie wurden in einem länglichen Ofen
                              									vermittelst eines Gebläses bis zum stärksten Weißglühen erhitzt. Eine so hohe
                              									Temperatur und die Zuführung des Stickgases in glühend heißem Zustande scheinen
                              									nothwendige Bedingungen für die Cyanerzeugung zu seyn. Ohne Anwendung eines Gebläses
                              									und mit kaltem Stickgas bekam ich keine Spur Cyankalium. Die Erfüllung dieser
                              									Bedingungen bei Ausführung der Operation in großem Maaßstabe scheint eine große
                              									Schwierigkeit bei der praktischen Anwendung zu werden.
                           Zu Anfang der Operation geht viel rauchiges, sich von selbst entzündendes
                              									Kohlenoxydgas fort; indessen verändert sich bald sehr bemerklich die Menge des
                              									entweichenden Gases im Verhältniß zu dem einströmenden Stickgas, bis zuletzt, nach
                              									gänzlicher Verwandlung der Masse in Cyankalium, der weggehende Strom von Gas wieder
                              									so stark wird wie der zugeführte.
                           Ich habe aus dem so gebildeten Cyankalium krystallisirtes Blutlaugensalz und starke
                              									Blausäure und aus dieser krystallisirtes Quecksilbercyanid bereitet.
                           Schließlich will ich noch einen Versuch erwähnen, der beweist, daß zu dieser
                              									Cyanbildung nicht bloß freies Kalium, sondern zugleich eine so hohe Temperatur
                              									Bedingung ist, wie sie zum Freiwerden von Kalium aus Kali erforderlich ist. Als
                              									nämlich in einem Strom von Stickgas ein Gemenge von Kohle und Kalium bis zum vollen
                              									Glühen, also bis zur Verflüchtigung des Kaliums, erhitzt wurde, entstand keine Spur
                              									Cyankalium. Ebenso wenig entstand dasselbe, als ein Gemenge von Kohle und
                              									Antimonkalium (geglühter Brechweinstein) bei vollem Rothglühen in Stickgas erhitzt
                              									wurde.