| Titel: | Verfahren um die Farben der Körper nach einer rationellen und experimentellen Methode zu bestimmen und zu benennen; von E. Chevreul. | 
| Fundstelle: | Band 121, Jahrgang 1851, Nr. LXXXVII., S. 387 | 
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                        LXXXVII.
                        Verfahren um die Farben der Körper nach einer
                           								rationellen und experimentellen Methode zu bestimmen und zu benennen; von E. Chevreul.
                        Aus den Comptes rendus, Mai 1851, Nr.
                              								19.
                        Chevreul's Verfahren die Farben der Körper zu
                           								bestimmen.
                        
                     
                        
                           Als ich die Direction der Gobelins-Manufactur übernahm, fühlte ich bald das
                              									Bedürfniß, die Farben anders zu bestimmen als dieß damals geschah und auch
                              									heutzutage noch fast allgemein geschieht; allein es boten sich so große
                              									Schwierigkeiten dar, daß ich, den beabsichtigten Zweck als unerreichbar betrachtend,
                              									mich lange nicht an diese Aufgabe wagte. Es war zwanzigjährige Arbeit nothwendig, um
                              									das Problem zu lösen, worin mich der Umstand bestärkte, daß ich der Gesellschaft für
                              									Ackerbau und Gewerbe und der Handelskammer in Lyon über den Contrast der Farben
                              									Vorlesungen zu halten beauftragt wurde. Die Frage, ob es
                                 										möglich ist für die Farben eine rationelle Nomenclatur aufzustellen, wenn man
                                 										sie auf Typen, die Jedermann, der es mit Farben zu thun hat, verständlich
                                 										classificirt sind, bezieht, scheint ihre Beantwortung unwiderleglich und
                              									bejahend gefunden zu haben.
                           Einige historische Details werden zeigen, wie ich zu diesem Resultate durch
                              									Untersuchungen gelangte, welche es ursprünglich nicht zum Zwecke hatten.
                           Eine Substanz von rother, gelber, blauer, orangegelber, grüner oder violetter Farbe
                              									kann durch die Anwendung, die von ihr in der Malerei oder Färberei gemacht wird, nur
                              									auf viererlei Art verändert werden:
                           1) durch Weiß, welches sie heller macht und so ihre Intensität schwächt;
                           
                           2) durch Schwarz, welches, sie dunkelnd, ihre Intensität vermindert;
                           3) durch eine gewisse Farbe, welche sie verändert, ohne sie zu trüben;
                           4) durch eine gewisse Farbe, welche sie verändert und dabei in der Art trübt, daß,
                              									wenn die Wirkung ihren höchsten Grad erreicht, entweder Schwarz oder normales Grau,
                              									d. h. mit Weiß gemischtes Schwarz, daraus entsteht.
                           Um diese Veränderungen mittelst einer, von jeder Zweideutigkeit für diejenigen,
                              									welche sie verstehen, freien Sprache zu bestimmen, nannte ich die verschiedenen
                              									Intensitätsgrade, welcher eine Farbe fähig ist, je nachdem die sie darstellende
                              									Substanz rein, oder bloß mit Weiß oder Schwarz gemengt ist, die Töne dieser Farbe; die sämmtlichen Töne einer Farbe: Tonleiter; die Veränderungen, welche eine Farbe durch
                              									Zusatz einer gewissen andern erfährt, welche sie verändert, ohne sie zu trüben, Nüancen; endlich construirte ich eine chromatisch-hemisphärische Tafel, welche ich in
                              									meinem Werk: Ueber das Gesetz des gleichzeitigen Contrastes
                                 										der FarbenDie Farbenharmonie in ihrer Anwendung bei der
                                    											Malerei, bei der Fabrication von farbigen Waaren jeder Art, von Tapeten,
                                    											Zeugen, Teppichen, Möbeln, in der Buchdruckerkunst, beim Coloriren von
                                    											Karten und Bildern, bei der Anlegung von Gärten, bei der Decoration von
                                    											Kirchen, Theatern, Wohngebäuden, in der Kleidermacherkunst und bei der
                                    											männlichen und weiblichen Toilette. Ein praktisches Lehrbuch etc. aus dem
                                    											Französischen des E. Chevreul, Vorsteher der
                                    											Gobelins-Manufactur etc. Von einem deutschen Techniker. Stuttgart
                                    											1840. Verlag von Paul Neff.
                              									beschrieb.
                           Im Jahr 1842 veranlaßte die Gesellschaft für Ackerbau und Gewerbe in Lyon, daß der
                              									Handelsminister die Porzellanfabrik zu Sèvres beauftragte eine
                              									chromatisch-hemisphärische Tafel für die Lyoner Industriellen herzustellen;
                              									dazu mußte ich alle Farbentypen zu vereinigen suchen, die zusammen jene
                              									chromatisch-hemisphärische Construction ausmachen. Erst in jüngster Zeit,
                              									nach verschiedenen, außer meinem Willen liegenden Hindernissen, konnte ich einen
                              									solchen Farbenkreis ausführen, welcher die einfachen und aus zweien
                              									zusammengesetzten (binären) Farben der Künstler enthält. Es bedürfte des Talents und
                              									der Ausdauer des Vorstands der Gobelins-Färberei, Hrn. Lebois, um die schöne Farbensammlung zusammenzubringen, welche ich heute
                              									der Akademie vorlege.
                           
                           
                              
                                 Jede einfache oder binäre Farbe gibt 20 Töne; 72 Farben × 20
                                 1440
                                 
                              
                                 Jede einfache oder binäre Farbe gibt 9 Tonleitern von 20 durch Schwarz
                                    											verwandelten Tönen, 72 × 9 = 648 Tonleitern, die × 20 =
                                 12960
                                 
                              
                                 Die Abstufung des Schwarz gibt Töne:
                                 21
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––––
                                 
                              
                                 Die chromatisch-hemisphärische Construction gibt sonach in Summa
                                    											Töne:
                                 14421
                                 
                              
                           Ich theile der Akademie die zu Sèvres von Hrn. Salvetat
                              									unter der Leitung des Hrn. Ebelmen angestellten Versuche
                              									mit, um die 20 Töne auf Porzellan hervorzubringen, welche durch das normale Schwarz,
                              									mit Weiß vermischt, erhalten werden, sowie 36 Farben, welche die Hälfte der Farben
                              									des von mir abgelieferten Farbenkreises darstellen.
                           Ueber 20 Farben dieses Kreises wurden mit Abtheilungen des Sonnenspectrums
                              									verglichen, das man durch ein Schwefelkohlenstoff-Prisma erhielt, und können
                              									daher als vollkommen bestimmt und stets wieder auffindbar betrachtet werden.
                           Anwendungen.
                           Die Anwendungen dieses Verfahrens der Farbenbestimmung sind augenfällig:
                           1) Es kann eine Synonymik der auf Zeugen oder Flächen auf irgend eine Weise
                              									aufgetragenen Farben für die verschiedenen Industriezweige hergestellt werden;
                           2) man kann die Farbe aller Körper in der Chemie weit befriedigender bestimmen, als
                              									bisher;
                           3) in der Naturgeschichte kann man die Farben lebender Wesen bestimmen, und folglich
                              									diejenigen Farben welche sich nicht verändern, von jenen unterscheiden, welche bei
                              									demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten seines Lebens, oder bei den Individuen
                              									derselben Species Veränderungen erleiden. So habe ich mich überzeugt, daß die Dahlia
                              									42 Farben, die Zinnia violacea 28 Farben darbieten
                              									kann.
                           Es läßt sich nachweisen, daß die Farben der meisten, wenn nicht aller ausgewachsenen
                              									Blätter verwandelten (modificirten) Tönen angeshören;  die meisten erst entwickelten
                              									Blätter zeigen aber das reine oder fast reine Gelbgrün.
                           Endlich bemerke ich noch, daß alle verwandelten Farben der Pflanzen, welche ich
                              									untersuchen konnte, mir eine Mischung complementärer Farben darboten, wonach die
                              									Natur also Mischungen macht, welche jenen des Färbers und des Malers entsprechen,
                              									der seine Farben dunkeln, oder, wie man zu sagen Pflegt, verwandeln oder brechen
                              									will.
                           Als Beispiel lege ich das Resultat meiner Untersuchung des gefüllten
                              									Garten-Goldlacks von verwandelter orangegelber Farbe vor, welcher zwei
                              									getrennte Ergänzungsfarben, Violett und Gelb, darbietet.