| Titel: | Ueber die Natur und die chemischen Wirkungen der Essigmutter; von Dr. Robert Thomson. | 
| Fundstelle: | Band 126, Jahrgang 1852, Nr. XII., S. 57 | 
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                        XII.
                        Ueber die Natur und die chemischen Wirkungen der
                           Essigmutter; von Dr. Robert
                              Thomson.
                        Gelesen vor der Philosophical Society of
                              Glasgow am 17. März 1852. – Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Juli
                              1852, S. 89.
                        Thomson, über die Natur und die chemischen Wirkungen der
                           Essigmutter.
                        
                     
                        
                           Man erhält die Essigmutter gewöhnlich durch die längere Fortdauer des
                              Gährungsprocesses in einem Essiggährungsapparat; mir gelang es dieselbe
                              darzustellen, indem ich 12 Pfund reinen Zuckers in zwei Gallons Wasser löste und
                              dieser Lösung Hefe nebst einigen Brodkrumen zusetzte. Nach Verlauf von drei Monaten
                              war ein sehr wohlschmeckender Essig, wie er in der Haushaltung verwendet wird,
                              entstanden, und beim Abgießen desselben fand sich auf dem Boden des zu dem Versuche
                              benutzten Gefäßes eine gelatinöse Masse in großer Menge, welche aus Essigmutter
                              bestand. Wenn man die aus irgend einem Essig genommene Pflanze in Lösungen von
                              reinem Zucker bringt, so vermehrt sie sich mit großer Schnelligkeit, indem die
                              jungen Pflanzen als eine Schichte auf der oberen Fläche der Mutterpflanze abgelagert
                              werden. Sie erreichte bei geeigneter Behandlung die außerordentliche Größe von einem
                              Fuß oder mehr im Durchmesser. Diese Pflanzen sind sehr werthvoll für die
                              Essigproduction, und es wird jetzt eine große Menge Essig auf diesem Wege fabricirt.
                              Die Essigmutter, Ulvina aceti bei Kützing, oder die Mycoderma aceti Anderer,
                              erscheint unter dem Mikroskop als eine Aneinanderlagerung von Kugeln, welche denen
                              des Hefenpilzes (Cryptococcus fermentum, Kützing) gleichen, allein einen viel kleineren
                              Durchmesser haben. Sie wurde sorgfältig mit destillirtem Wasser ausgewaschen und
                              zwischen Löschpapier gepreßt, und gab dann bei der Analyse folgende Resultate:
                           107,05 Grains gaben 101,2 Grs. Wasser und 6,85 Grs. festen Rückstand.
                           
                           In 100 Theilen enthielt sie:
                           
                              
                                 Wasser
                                 
                                   94,530
                                 
                              
                                 Organische Substanz
                                 
                                     5,134
                                 
                              
                                 Alkalisalze(als hauptsächl.
                                    Bestandtheil)
                                 
                                    
                                    
                                     0,336
                                 
                              
                                 
                                 
                                 –––––––
                                 
                              
                                 
                                 
                                 100,000
                                 
                              
                           Beim Auflösen in Wasser hinterließen die Salze eine Spur phosphorsauren Kalk.
                              – Die Lösung enthielt Chlorcalcium und schwefelsauren Kalk. Die gelatinöse
                              Masse wurde mit kaustischem Natron digerirt. Die alkalische Flüssigkeit wurde auf
                              Zusatz von Essigsäure durch die Fällung einer albuminösen Materie getrübt. Was von
                              der Pflanze zurückblieb, zeigte das Verhalten des Cellulins.
                           Bildung von Alkohol durch Essigmutter. Um einiges Licht
                              über die Wirkungsweise der Essigmutter zu erhalten, wurde eine Portion wohl
                              ausgewaschen und einer Auflösung von Hutzucker zugesetzt. Die Flüssigkeit wurde dann
                              an der Luft stehen gelassen. Im Anfang zeigte sie keine Reaction aus Lackmus, allein
                              nach wenigen Tagen zeigte sich eine deutliche saure Reaction, welche von Tag zu Tag
                              an Stärke zunahm.
                           Nach einigen Wochen wurde eine Portion der Flüssigkeit mit kohlensaurem Natron
                              gesättigt und in einer Glasretorte destillirt. Es ging eine Flüssigkeit über, welche
                              den Geruch des Alkohols besaß, und die bei der Prüfung nach der von mir angegebenen
                              MethodeAnnalen der Chemie und Pharmacie Bd. LX S. 377. mit doppelt-chromsaurem Kali und Schwefelsäure, Aldehyd und grünes
                              Chromoxyd gab. Nachdem zwei Drittheile der Flüssigkeit überdestillirt waren, wurde
                              die Vorlage gewechselt; in die Retorte wurde Schwefelsäure gegossen und vorsichtig
                              erhitzt. Die nun übergehende Flüssigkeit besaß den Geruch des Essigs und färbte eine
                              farblose Lösung von Eisenchlorid gelb: es war daher Essigsäure. Man sieht aus diesem
                              Versuche, daß die Einwirkung der Essigmutter auf Zucker, bei Luftzutritt, genau
                              derjenigen der Hefe gleicht.
                           Um auch die Art des Einflusses der Essigmutter auf Zucker bei Abschluß der
                              atmosphärischen Luft kennen zu lernen, wurde folgender Versuch angestellt. Es wurde
                              eine Unze des reinsten Zuckers in etwa einem Pfund destillirten Wassers gelöst, in
                              die Lösung wurde Essigmutter gebracht, und es wurde dann mit der Flüssigkeit eine
                              gestöpselte Glasflasche bis an den Rand gefüllt. Der Stöpsel wurde mit Wachs eingefügt und die Flasche
                              dann umgekehrt in ein Wasserbecken eingetaucht. Nach Verlauf einiger Wochen fand
                              sich nur noch eine kleine Portion der Flüssigkeit in der Flasche, welche zu zwei
                              Drittheilen von Gas eingenommen wurde. Das Gas trübte Kalkwasser und wurde von
                              kaustischem Kali absorbirt. Der Stöpsel fand sich zwar noch mit der Flasche
                              verbunden, allein das verschließende Wachs hatte an einer Stelle dem Druck des Gases
                              nachgegeben, so daß die Flüssigkeit in das umgebende Wassergefäß herausgetrieben
                              worden war. Die in der Flasche zurückgebiebene Portion besaß einen alkoholischen
                              Geruch, und gab bei der Behandlung mit doppelt-chromsaurem Kali und
                              Schwefelsäure, Aldehyd. Die Essigmutter schien noch nicht abgestorben zu seyn.
                           Es scheint mir aus diesem Versuche hervorzugehen, daß die Essigpflanze die Fähigkeit
                              besitzt, gelösten Zucker in Alkohol und Kohlensäure zu verwandeln, wobei ihr die
                              letztere vielleicht organischen Nahrungsstoff abgibt, während die Salze, welche auch
                              in den reinsten Formen von Zucker immer in größerer oder geringerer Menge vorhanden
                              sind, die anorganischen Bestandtheile der Nahrung hergeben. Es leuchtet indessen
                              ein, daß die angegebenen Bedingungen für das Wachsthum der Pflanze nicht die
                              günstigsten sind, und daß ihre Vermehrung, oder nur ihr Bestehen, unter solchen
                              Umständen eine Gränze haben muß.
                           Bildung von Essigsäure durch Essigmutter. Die günstigsten
                              Bedingungen für die Production von Essig aus Zucker durch die Einwirkung der
                              Essigmutter und zugleich für das Wachsthum dieser Pflanze treten ein, wenn die
                              letztere in ein offenes, flaches Gefäß, welches eine Lösung von Zucker oder Syrup
                              enthält, eingebracht wird. Die Pflanze wird so in die Nähe der Oberfläche der
                              Flüssigkeit gebracht, und vermehrt sich durch Ablagerung einer neuen Zellenschicht
                              auf ihrer eigenen Oberfläche, welche daher auch in näherer Berührung mit der
                              atmosphärischen Luft ist. Meine Beobachtungen zeigen, daß der Proceß der
                              Essigbildung langsamer fortschreitet, wenn die Essigmutter auf den Boden eines
                              tiefen, mit einer zuckerhaltigen Flüssigkeit gefüllten Gefäßes zu liegen kommt, als
                              wenn die Pflanze mit der Luft in Berührung ist. Die Wirkung einer aus einzelnen
                              Zellen bestehenden Pflanze gleicht in einem solchen Falle derjenigen von porösen
                              Körpern, welche Sauerstoff verdichten können. Wenn man schwammiges Platin in eine
                              Lösung von übermangansaurem Kali bringt, so verschwindet die schöne Farbe der Lösung
                              in wenigen Minuten. Wascht man ein Stück Essigmutter sorgfältig aus und legt es in
                              eine ähnliche Lösung, so
                              tritt die Wirkung noch viel schneller ein; nimmt man statt des übermangansauren Kali
                              eisensaures Kali, so ist die Entfärbung beinahe augenblicklich. Ganz ähnlich wirkt
                              Hefe, in sehr geringen Mengen angewandt. Die durch die Zellen der Essigmutter
                              bewirkte Absorption und Zurückhaltung von Luft kann uns zur Erklärung ihres
                              Verhaltens dienen, welches als ein unterscheidender Charakter von den Hefezellen
                              beschrieben wurde. In gährenden Flüssigkeiten schwimmt nämlich die Essigmutter an
                              der Oberfläche, während die Hefezellen zu Boden sinken. Die Thätigkeit dieser aus
                              einzelnen Zellen bestehenden Pflanzen bei der Desoxydation des eisensauren Kalis und
                              derselben, etwas langsamer vor sich gehenden Einwirkung auf übermangansaures Kali
                              scheint ganz dem Einflusse des Papiers in denselben Fällen zu entsprechen. Auch bei
                              der Schnellessigfabrication bewirkt vielleicht die aus Zellen bestehende Materie der
                              Holzspäne ganz auf ähnliche Weise die Bildung von Alkohol.
                           Nach meinen Beobachtungen möchte ich die Essigmutter für eine Modification oder ein
                              Derivat der Hefenpflanze halten; in ihren chemischen Wirkungen verhalten sich die
                              beiden Pflanzenformen ähnlich.