| Titel: | Ueber einige Verfahrungsarten, welche zur Ermittelung gewisser Verfälschungen des Getreidemehls vorgeschlagen wurden; vom Apotheker Biot in Namur. | 
| Fundstelle: | Band 126, Jahrgang 1852, Nr. XLI., S. 225 | 
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                        XLI.
                        Ueber einige Verfahrungsarten, welche zur
                           Ermittelung gewisser Verfälschungen des Getreidemehls vorgeschlagen wurden; vom
                           Apotheker Biot in
                           Namur.
                        Aus dem Journal de Pharmacie, Septbr. 1852, S.
                              184.
                        Biot, über die Verfahrungsarten zur Ermittelung der Verfälschungen
                           des Getreidemehls.
                        
                     
                        
                           Im August 1849 wurden Hr. Lambotte und ich von der
                              Gerichtsbehörde aufgefordert, eine große Anzahl Mehlproben zu untersuchen, wobei wir
                              zu Resultaten gelangten, welche von denjenigen unserer Vorgänger abweichen. Da die
                              aus unserer Untersuchung hervorgehende Belehrung für die Rechtspflege, die
                              Wissenschaft und die Hauswirthschaft von Interesse ist, will ich unsere Resultate
                              hier mittheilen.
                           Die gebräuchlichsten Verfahrungsweisen zur Untersuchung der Mehle sind die Methode
                              des Hrn. Martens, Professor der Chemie an der Universität
                              zu Löwen, diejenige des Hrn. Donny, Docent an der
                              Universität zu Gent, und die des Hrn. Louyet, Professor
                              der Chemie zu Brüssel.
                           Ich werde nun alle drei nacheinander anführen, nach jedem die Resultate unserer
                              vergleichenden Versuche mittheilen und einige allgemeine Bemerkungen anknüpfen.
                           Das Martens'sche Verfahren.
                              – Die Verfälschung der Getreidemehle mit dem Mehl von Hülsenfrüchten ist eine
                              der gewöhnlichsten und daher wichtigsten. Das Martens'sche VerfahrenPolytechn. Journ. Bd. CV S. 449 und
                                    451. zu ihrer Entdeckung ist sehr einfach. Es besteht darin, daß man das in den
                              Samen der Hülsenfrüchte, der Weißbohnen, Veitsbohnen, Erbsen, Wicken etc. so
                              reichlich vorhandene Legumin aufsucht. Man vermischt das
                              dieser Verfälschung verdächtige Mehl mit etwa seinem doppelten Volum Wasser, läßt
                              das Gemisch eine bis zwei Stunden lang bei 16 bis 24° R. unter öfterm
                              Umrühren maceriren, bringt das Ganze auf ein Filter, und wascht den Rückstand auf
                              dem Filter mit ein wenig Wasser aus, um ihm alles Legumin zu entziehen. Wenn man nun
                              der filtrirten Flüssigkeit tropfenweise ein wenig Essigsäure zusetzt, so trübt sie
                              sich stark und wird milchig, was die Gegenwart des Legumins anzeigt.  Die filtrirte Flüssigkeit
                              besitzt überdieß auch die anderen Eigenschaften einer Leguminlösung; sie wird
                              nämlich durch gewöhnliche Phosphorsäure gefällt, welcher Niederschlag sich in
                              überschüssiger Essigsäure oder Phosphorsäure und in Ammoniak wieder auflöst;
                              derselbe Niederschlag bildet, auf dem Filter getrocknet, ein dünnes glänzendes
                              Häutchen, welches nacheinander den Dämpfen von Salpetersäure und Ammoniak
                              ausgesetzt, eine schöne zeisiggelbe Farbe annimmt.
                           Dieses Verfahren gab uns, so oft wir es mit Gemengen von Getreide- und
                              Hülsenfrüchtenmehl zu thun hatten, jedesmal befriedigende Resultate, welche constant
                              blieben; leider geben aber mehrere Sorten Weizenmehls in jeder Hinsicht identische
                              Reactionen; andere Getreidearten, und namentlich reines Dinkelmehl, geben dieselben,
                              wie wir gefunden haben, ebenfalls, und zwar in sehr auffallendem Grabe. Wir können
                              uns hierin nicht irren, weil wir nicht nur die gehörigen Vorsichtsmaßregeln
                              beobachteten, sondern die Versuche auch sehr oft und mit der größten Aufmersamkeit
                              wiederholten.
                           Es folgt daraus klar, daß das fragliche Verfahren für sich allein keine verläßlichen
                              Resultate geben kann.
                           Das Donny'sche Verfahren.A. a. O. S. 448. – Donny schlug in Folge zahlreicher
                              Versuche über die Verfälschungen der Getreidemehle ein merkwürdiges Verfahren vor,
                              um die Gegenwart von Weißbohnen- oder Wickenmehl in den Getreidemehlen zu
                              erkennen. Dasselbe wurde durch seine eigenen und die Versuche von Mareska, Lecanu und Louyet
                              noch verbessert. Es besteht in Folgendem. Man belegt die innere Fläche eines
                              Porzellanschälchens mit einer sehr dünnen Schicht des zu untersuchenden Mehles in
                              der Weise, daß der Boden des Schälchens selbst von dem Mehle nicht bedeckt wird; nun
                              gießt man auf diesen Boden etwas Salpetersäure, so daß diese nicht bis an die
                              Mehlschicht reicht, erwärmt alsdann die Säure, um sie, ohne Kochen, zu verdampfen,
                              bis der Mehlüberzug in seinen untern Theilen eine gelbe Farbe angenommen hat. Man
                              beseitigt dann die rückständige Salpetersäure und bringt nun Ammoniakflüssigkeit an
                              ihre Stelle, deren Dämpfe sich sogleich entwickeln und an den Mehlüberzug gelangen.
                              Ist das Mehl reines Weißbohnen- oder Wickenmehl, so entsteht sogleich eine
                              sehr intensive kirschrothe Färbung; ist es Veitsbohnen-, Erbsen- oder
                              Linsenmehl, so tritt diese Färbung nicht ein; ist es Mehl von Weizen, Roggen oder andern
                              Getreidearten, so tritt sie nach Hrn. Donny ebenfalls
                              nicht ein. Hat man es endlich mit einem Gemenge von Weißbohnen oder Wickenmehl und
                              Getreidemehl zu thun, so wird die rothe Farbe um so deutlicher auftreten, in je
                              größerer Menge das Weißbohnen- oder Wickenmehl vorhanden ist; die Färbung
                              zeigt sich in diesem Falle in mehr oder minder zahlreichen und sehr
                              charakteristischen rothen Punkten.
                           Bezüglich dieses Verfahrens zur Untersuchung auf Hülsenfrüchte im Allgemeinen, haben
                              wir dieselbe Bemerkung zu machen wie über die Martens'sche Methode; wenn man es auf Gemenge von Getreidemehlen mit
                              Weißbohnen- und Wickenmehl anwendet, so gibt es zwar in der Regel
                              befriedigende Resultate, leider liefert es aber dieselben Erscheinungen auch mit
                              gewissen reinen Weizenmehlen, wovon wir uns bei unsern Untersuchungen überzeugten.
                              So gibt die unter dem Namen Kubanka bekannte caucasische
                              Weizensorte, in Mehl verwandelt und nach dem Donny'schen
                              Verfahren behandelt, eine Menge kirschrother Punkte, und bietet alle Merkmale eines
                              Gemenges von Weißbohnen und Weizen dar. Ohne Zweifel werden andere Weizenvarietäten
                              oder Getreidearten dieselben Reactionen zeigen.
                           Wir haben nämlich gefunden, daß bei den Weißbohnen und Wicken die kirschrothe
                              Färbung, welche durch die aufeinanderfolgende Einwirkung der salpetersauren und
                              Ammoniakdämpfe hervorgerufen wird, sich in dem Keime des Samenkorns, und vorzüglich
                              in den Rindentheilen des Federchens und Würzelchens (Schnäbelchens) entwickelt; in
                              der Samenlappen-Substanz ist sie kaum wahrzunehmen. Beim
                              Kubanka-Weizen findet dasselbe statt; die kirschrothe Färbung erzeugt sich im
                              Keime, während die mehlige Keimhülle nur eine zeisiggelbe Farbe annimmt. Bei allen
                              Weizensorten, welche wir in dieser Beziehung untersuchten, fanden wir, daß der Keim
                              sich immer in gleicher Weise färbt und ebenso ist es beim Dinkel, der Gerste, dem
                              Roggen, kurz bei den meisten, vielleicht bei allen Getreidearten. Daß das Mehl des
                              Kubanka-Weizens so viele rothe Punkte zeigt, während die meisten andern
                              bekannten Varietäten nur sehr wenige und kleinere zeigen, beruht ohne Zweifel
                              darauf, daß bei dieser Varietät der Keim viel größer ist als bei den andern.
                           Das Donny'sche Verfahren gewährt sonach keine absolute
                              Gewißheit hinsichtlich der Verfälschung des Mehls mit Weißbohnen oder Wicken; es
                              kann zu Irrthümern Anlaß geben.
                           Das Louyet'sche Verfahren.Polytechn. Journal Bd. CVIII S.
                                       290. – Untersuchung des
                              
                              Gerstenmehls. – Man besitzt darüber nur wenige
                              Daten. Hr. Louyet behauptet, daß der Aufguß des Mehles
                              von ungekeimter Gerste durch einige Tropfen Essigsäure schwach getrübt werde, ebenso
                              durch gewöhnliche Phosphorsäure; daß basisch-essigsaures Blei darin einen
                              reichlichen weißen, stockigen Niederschlag bildet, welcher sich in Essigsäure
                              vollkommen auflöst, wobei aber die Flüssigkeit trübe bleibt; daß Alkohol darin einen
                              stockigen und schleimigen Niederschlag hervorbringt, der sich von der Flüssigkeit
                              absondert; daß auf Zusatz von ein wenig Jodtinctur die Flüssigkeit immer eine
                              Weinfarbe annimmt. Nach demselben Beobachter wird der frische Aufguß des
                              (gebeutelten oder ungebeutelten) Weizens opalisirend, zähe und sehr klebrig; von der
                              Jodtinctur sagt er nichts.
                           Bei Wiederholung dieser Versuche fanden wir, daß die Essigsäure und die Phosphorsäure
                              in angegebener Weise auf den Aufguß des reinen Perl-Gerstenmehls und auf
                              denjenigen von bloß geschälter Gerste wirken. Wir erhielten auch gleiche Resultate
                              bei Anwendung des basisch-essigsauren Bleies auf Gersten-Aufguß, und
                              der Essigsäure auf den erhaltenen Niederschlag. Allein wir erhielten, im Widerspruch
                              mit der Beobachtung des Hrn. Louyet, dieselben
                              Erscheinungen auch mit dem Aufguß reinen Weizenmehls, obgleich der Niederschlag
                              minder reichlich war.
                           Der Alkohol lieferte uns, im Widerspruch mit der Angabe des Hrn. Louyet, bei den frischen Aufgüssen reiner Gerste und
                              reinen Weizens identische Resultate.
                           Die Wirkung des Jods auf Gersten-Aufguß anbelangend, so wich diese von Louyet's Angabe gänzlich ab. Wir wiederholten den Versuch
                              sehr oft mit geschälter Gerste und mit Perlgerste und erhielten nur ein einzigesmal
                              eine schwache Weinfarbe.
                           Zahlreiche Versuche über die Wirkung der Jodtinctur auf Weizen-Aufguß
                              lieferten uns immer eine Weinfarbe. Die Ursache dieser Anomalien kennen wir nicht;
                              aber es genügt, daß sie sich in Fällen zeigten, wo die kleinlichsten
                              Vorsichtsmaßregeln beobachtet und die Versuche auf jede Weise abgeändert wurden.
                           Es ist hiemit dargethan, daß das Martens'sche und Donny'sche Verfahren, welche die Chemiker allgemein
                              anwenden, um bei gerichtlichen Untersuchungen die Natur der Mehle zu bestimmen, dazu
                              nicht ausreichen, weil gewisse reine Getreidemehle dieselben Resultate liefern, wie
                              das mit Hülsenfrüchten verfälschte Mehl.
                           Ebenso verhält es sich mit den Prüfungsmitteln, welche Louyet zur Erkennung der Gerste vorschlug, indem die gewöhnlichen
                              Verfälschungen mit Gerstenmehl die Charaktere anderer Getreidemehle nicht auffallend genug
                              modificiren, um in Verdachtsfällen Gebrauch davon machen zu können.
                           Dieses sind die Resultate unserer zahlreichen und lange fortgesetzten Versuche.
                           Wir wollen noch einige Eigenthümlichkeiten bezüglich obiger Beobachtungen anführen.
                              So bemerkten wir im Verlauf unserer Versuche, daß die rothe Färbung, was die Zeit
                              ihres Eintretens anbelangt, bei einem gegebenen Mehle verschieden war, sowie auch
                              die Zahl der rothen Punkte bei Mehlen derselben Samenart, aber verschiedener
                              Herkunft. Diese Beobachtung führte uns auf die Thatsache, daß die Färbung, welche
                              durch die aufeinanderfolgende Einwirkung der Salpetersäure und des Ammoniaks bei den
                              Getreidekörnern entsteht, ausschließlich an den Keimen eintritt, woraus wir
                              schließen mußten, daß, je mehr die Keime natürlich entwickelt sind, desto mehr rothe
                              Punkte auf dem angewandten Mehle wahrzunehmen seyn werden, wie dieß der directe
                              Versuch auch bestätigte.
                           Nachdem der Sitz der sich färbenden Materie einmal bekannt war, war es wenigstens von
                              Interesse, erklären zu können, warum die rothe Färbung sich bei gleichen Proben
                              nicht gleich rasch entwickelte. Wir fanden bald, daß, wenn eine gewisse Menge
                              Wasserdampf mit dem Mehlüberzug, sogleich nach der Einwirkung des Ammoniaks in
                              Berührung kommt, die Zeit der Färbung bei diesen Proben sich gleich bleibt. Ohne
                              diese Beobachtung wäre uns eine wesentliche Bedingung des Gelingens entgangen, indem
                              die zur Färbung erforderliche Menge Wasserdampfs sich bisweilen ohne Wissen des
                              Operators erzeugt, so daß bei anscheinend gleichen Versuchen die Resultate ganz
                              verschieden ausfallen können, was man bisher nicht wußte. Bei unsern Versuchen trat
                              die kirschrothe Färbung bei allen Getreidemehlen jedesmal ein, wenn wir, nach
                              Anwendung des Donny'schen Verfahrens, den Mehlüberzug
                              einer schwachen Wasserdampf-Entwickelung ausfetzten.
                           Indem ich auf diese Irrthümer in der gerichtlichen Chemie aufmerksam mache, theile
                              ich freilich nur ein negatives Resultat mit, welches die Nachweisung gewisser
                              Verfälschungen schwieriger macht, aber wenigstens dem unschuldig Angeklagten Mittel
                              zu seiner Rechtfertigung darbietet.
                           Diese Betrachtungen dürften aber neue Untersuchungen veranlassen, aus welchen für die
                              Wissenschaft und Justiz nützliche Thatsachen hervorgehen werden.