| Titel: | Ueber die Lungenseuche oder epidemische Lungenfäule des Rindviehs und die Impfung als Schutzmittel dagegen; von Dr. Ludwig Willems in Hasselt (Belgien). | 
| Fundstelle: | Band 126, Jahrgang 1852, Nr. LXXII., S. 389 | 
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                        LXXII.
                        Ueber die Lungenseuche oder epidemische
                           Lungenfäule des Rindviehs und die Impfung als Schutzmittel dagegen; von Dr. Ludwig Willems in
                           Hasselt (Belgien).
                        Im Auszug aus dem Moniteur industriel, 1852, Nr.
                              1691–1693.
                        Willems, über die Lungenseuche des Rindviehs und die Impfung als
                           Schutzmittel dagegen.
                        
                     
                        
                           Die großen Verheerungen welche diese Seuche anstellt, veranlaßte mich, diese
                              Thierkrankheit gründlich zu studiren und zu versuchen, aus der Arzneikunde für Menschen wo
                              möglich einiges für die Thierarzneikunde zu schöpfen. Unter den mancherlei
                              Arzneimitteln, welche ich in Anwendung brachte, zeigte sich von vorzüglicher
                              Wirksamkeit das schwarze Schwefelquecksilber (Aethiops
                                 mineralis) zu 2–3 Drachmen innerhalb 24 Stunden, in Verbindung mit
                              1/2 Drachme Calomel, das ganze in einen dicken Gummischleim gerührt und vorzüglich
                              im ersten Stadium der Krankheit gereicht. Von 33 Thieren, welche ich vor einem Jahre
                              damit behandelte, wurden 15 wieder hergestellt.
                           Doch sind alle Heilmittel, so wirksam sie auch seyn mögen, nicht im Stande dem Uebel
                              Einhalt zu thun. Die Thiere magern, auch wenn sie geheilt werden, rasch ab und
                              erholen sich nur sehr schwer und langsam wieder. Das Einzige wovon eine
                              durchgreifende Abhülfe zu hoffen ist und was ich zu finden bemüht war, ist ein
                              Schutzmittel. Dasselbe besteht darin, die Krankheit den gesunden Thieren mittelst
                              des Blutes und der Flüssigkeiten aus der Lunge eines erkrankten Thieres
                              einzuimpfen.
                           
                        
                           Verfahren beim Einimpfen.
                           Ich nehme die aus den Lungen eines eben abgeschlachteten oder an der Krankheit
                              verendeten Thieres gepreßte Flüssigkeit, tauche eine große Impflancette ein und
                              mache mit dieser 2–3 Stiche in das untere Ende des Schwanzes des vor der
                              Krankheit zu schützenden Thiers. Ein einziger Tropfen
                                 Flüssigkeit reicht zur Impfung hin. Ich habe auch Impfungen mit dem aus dem
                              Munde fließenden Speichel und andern Flüssigkeiten vorgenommen, finde sie aber nicht
                              gut. An andern Stellen als der Schwanzspitze habe ich nie geimpft. Die Impfwunden
                              bleiben unmittelbar nach der Operation ganz ohne Veränderung, erst etwa 12–30
                              Tage nach der Impfung bemerkt man besondere Erscheinungen der Impfung, welche bei
                              einigen Thieren 2–3 Monate andauerten. Die eingeimpfte Krankheit ist keine
                              rein örtliche, wie ich mich durch das Oeffnen der in Folge der Impfung gestorbenen
                              Thiere überzeugte; auch steht das oft einige Tage nach dem Impfen eintretende
                              Uebelbefinden des Thieres mit der unbedeutenden örtlichen Verletzung in keinem
                              Verhältnis.
                           Beim ersten Auftreten der Erscheinungen ist das Thier leidend, minder lebhaft und
                              frißt weniger; wenn man die Stelle, wo die Impfung geschah, berührt, so zeigt sich
                              dieselbe gewöhnlich empfindlich, schwillt dann auf, entündet sich und wird sehr
                              hart. Diese entündliche Erhärtung der krankhaften Gewebe erstreckt sich oft weit, und kann, wenn die
                              Stelle der Impfung nicht gut gewählt wurde, den Tod zur Folge haben. In dem
                              geschwollenen Theil setzt sich, wie in der Lunge der erkrankten Thiere, sehr
                              reichlich eine Ausschwitzung ab. Oft zertheilt sich die Geschwulst wieder, oft
                              stellt sich aber auch der Brand ein, es fallen Hautlappen, zuweilen auch das ganze
                              Schwanzende ab. Wenn alle Erscheinungen der Impfung regelmäßig auf einander folgen,
                              so werden die Thiere nach geschwundener Geschwulst wieder munter und freßlustig,
                              sogar lebhafter und nachher leichter fett.
                           
                        
                           Versuchsreihe, mit Thieren von anderer Gattung als der des
                                 Rindes.
                           1. Versuch. – 23. Dec. 1850, mit drei Kaninchen.
                              Ich impfte dieselben am Schenkel, am Hals und an der Brust durch einen Einschnitt,
                              in welchen ich die Flüssigkeit brachte, die aus der kranken Lunge einer Kuh gedrückt
                              worden war, welche die Lungenseuche hatte, sich im dritten Stadium der Krankheit
                              befand und denselben Tag geschlachtet worden war. Diese Thiere erlitten keinen
                              Anfall.
                           2. Versuch. – 10. Febr. 1851; ich wiederholte die
                              Impfung: 1) mit einem Kaninchen, welchem ich in die Nasenschleimhaut das Blut einer
                              seit zehn Tagen erkrankten Kuh impfte; 2) indem ich den bei seinem Austritt aus dem
                              Schlund der Kuh gesammelten, schaumigen Schleim in die Nase eines andern Kaninchens
                              impfte; 3) indem ich an dem Schenkel eines Kaninchens impfte, mittelst eines in
                              Zuckerwasser gerührten Eiterknötchens (Tuberkels) der Lunge. Diese Thiere hatten
                              nichts zu leiden.
                           3. Versuch. – 10. Juni 1851; ich impfte die aus der
                              Lunge eines mit Lungenentzündung behafteten, geschlachteten Thieres gepreßte
                              Flüssigkeit: 1) in den Schenkel von zwölf Truthühnern; 2) mehrerer Hühner; 3) in den
                              Schweif eines Hundes; 4) in den Schweif zweier Ziegen; 5) in den Schweif eines
                              Schafes; 6) in den Schweif eines englischen Schweines; 7) in den Schweif dreier
                              inländischen Schweine. Bei allen diesen Thieren zeigte sich nicht die geringste
                              Folge der Impfung.
                           4. Versuch. – 16. Juli 1851; ich setzte das
                              Lungenentzündungsgift mittelst einer Lancette ab: 1) in den Schwanz eines Schafes,
                              2) eines Bocks, 3) eines Hundes; 4) auf den Schenkeln von acht Truthühnern. Alle
                              diese Thiere erlitten keine Zufälle.
                           
                           5. Versuch. – 26. Febr. 1852; ich nahm dieselbe
                              Flüssigkeit, womit ich denselben Tag viele Ochsen geimpft hatte, und impfte in
                              Gegenwart zweier Diener 1) in den Schweif zweier Hunde; 2) in den Schweif dreier
                              inländischen Schweine; 3) in den Schenkel dreier Truthühner; 4) in den Schenkel von
                              vier Hühnern. Bei allen diesen Thieren zeigte sich keine Spur der Impfung, während
                              alle Rinder deren Folgen verspürten.
                           Ich muß hier noch bemerken, daß die giftige Flüssigkeit, unter die menschliche
                              Epidermis gebracht, keine Zufälle hervorbringt. Alle Tage stechen sich Menschen,
                              wenn sie Thiere, welche mit der Lungenseuche behaftet waren, die Haut abziehen, mit
                              den Instrumenten, denen das Blut anklebt. – Am 16. Juli 1851 schnitt ich mir
                              beim Impfen der Ochsen mit dem mit Giftstoff benetzten, zweischneidigen Skalpell in
                              den Finger, die kleine Wunde heilte wie ein gewöhnlicher Schnitt. Am 26. Juni 1851
                              schnitt ich beim Impfen von Ochsen, in Folge der ungestümen und unerwarteten
                              Bewegung eines Ochsen, meinem Gehülfen mit dem mit Giftstoff benetzten Skalpell in
                              die Hand; in drei Tagen war die Wunde vollkommen vernarbt.
                           Die giftige Flüssigkeit von den mit Lungenseuche behafteten Ochsen äußert nach allen
                              meinen Versuchen nur auf die großen Wiederkauer ihre Wirkung.
                           
                        
                           Versuche an Rindern.
                           Die an Rindern angestellten Versuche theilen sich in viele Gruppen, bei welchen
                              entweder ein und dasselbe Gift von einem Theile eines Thieres, auf Thiere die in
                              Race, Geschlecht, Alter und Beschaffenheit verschieden waren, oder Gifte aus
                              mehrerlei Quellen auf einerlei Thiere angewandt wurden. Ferner wurde bei diesen
                              Versuchen die Verschiedenheit der Theile berücksichtigt, an welchen die Impfung
                              vorgenommen wurde, und das Stadium der Krankheit, in welchem sich das Thier befand,
                              von dem das Gift herrührte. Die bei den einzelnen Individuen sich zeigenden
                              Erscheinungen waren bei einer Gruppe von Versuchen oft sehr verschieden. Bei vielen
                              trat gar kein Leiden ein, während andere an andern Theilen, als wo die Impfung
                              geschah, schmerzhafte Geschwulste bekamen, deren Hauptcharakter eine skirrhöse Härte
                              war. In einigen Fällen bildeten sich Geschwulste an der Schwanzwurzel, am After und
                              an den Hinterbacken, welche so hart wie Stein wurden und die Ausleerung
                              verhinderten; auf Abführungs- und erweichende Mittel und Klystiere trat nicht
                              immer Besserung ein, kaum daß die Klystierspritze einzudringen vermochte. Bei einigen Thieren war der
                              After so verstopft, daß ich ein Incisionsmesser nahm und einschnitt wie in Holz,
                              wobei das Thier an diesem Theil ganz fühllos war; der so ausgehölte künstliche After
                              gestattete die Ausleerung wieder; im Uebrigen war das Thier gesund.
                           Doch ist hier der Ort nicht, in die Details der zahlreichen Versuche und der dabei
                              eingetretenen Erscheinungen einzugehen.
                           Ich hatte zur Gegenprobe fünfzig Ochsen, welche nicht geimpft wurden, mitten unter
                              die geimpften Ochsen in die Ställe gestellt; siebzehn davon erkrankten.
                           Im Ganzen habe ich 108 Ochsen geimpft, von welchen nur drei in Folge der Impfung starben; zwei von diesen starben, weil ich eine
                              den wichtigsten Lebensorganen zu nahe Stelle zum Impfen gewählt und eine schlechte
                              Wahl des Impfstoffs getroffen hatte; beim dritten hatte sich das Gift nicht –
                              wie bei den übrigen 105 Individuen – auf eine kleine Stelle der Gewebe
                              beschränkt, sondern sich wahrscheinlich durch die lymphatischen Gefäße und die Adern
                              in das ganze Circulationssystem verbreitet, so daß der Ochs in Folge der Veränderung
                              des Blutes und der Erschöpfung des Nervenfluidums, welche auf einer zu großen Fläche
                              der Haut stattfand, starb.
                           Die in unserer Zeit so sehr empfohlene Blatternimpfung, die in der Regel sehr
                              wohlthätige Blattern hervorruft, hat manchmal auch schon Blattern von
                              außerordentlicher Heftigfeil erzeugt. Ebenso verhält es sich mit der Lungenseuche,
                              welche ebenfalls in der Regel durch die Impfung eine äußerst wohlthätige locale und
                              allgemeine Krankheit hervorbringt, manchmal aber auch ihre Gränze überschreiten
                              kann. Die Ursache des Todes jenes Ochsen war, nach meinem Dafürhalten, daß das Gift
                              von einem Thier genommen wurde, welches die Kranheit in zu hohem Grade hatte und dem
                              höchsten Stadium der Lungenseuche erlegen war. Ich empfehle daher das Gift von
                              Thieren zu nehmen, die sich im ersten, höchstens im zweiten Stadium der Lungenseuche
                              befinden.
                           Bei einigen Thieren konnte ich gar kein augenfälliges Symptom der Impfung wahrnehmen.
                              Wahrscheinlich waren diese Thiere der Erkrankung an der Lungenseuche nicht fähig und
                              widerstanden daher dem Virus. Vielleicht kam aber auch dieses Gift mit den
                              aufsaugenden Gefäßen gar nicht in Berührung.
                           
                           Die Frage, ob das Thier für unbegränzte Zeit geschützt ist, oder ob sich die
                              Schuhkraft mit der Zeit verliert, konnte ich bis jetzt natürlich nicht
                              entscheiden.
                           Die Impfung äußert auf trächtige oder Milchkühe gar keinen nachtheiligen Einfluß. Das
                              Gift welches mehreren Kälbern, die einige Tage bis ein halbes Jahr alt waren,
                              eingeimpft wurde, rief keinerlei krankhafte Erscheinungen hervor; mehreren hatte ich
                              dasselbe dreimal eingeimpft.
                           Alle Rinder in den Ställen meines Vaters sind gegenwärtig gesund und werden schnell
                              fett, so daß sich Jedermann darüber verwundert. Anderseits beobachten wir die
                              vielerlei Gesundheitsmaßregeln für das Vieh nicht mehr, wie sonst, was wieder ein
                              Vortheil ist; nur selten wenden wir noch jene langsamen Chlorräucherungen an, die
                              wir sonst so anpriesen, und wir fürchten nicht mehr ein sehr reichliches Futter zu
                              geben, von dem wir früher, und mich dünkt mit Recht, glaubten, daß es die
                              Lungenseuche prädisponire.
                           
                        
                           
                              Folgerungen:
                              
                           1) Die Lungenseuche wird durch das Einimpfen des Blutes oder anderer Materien, welche
                              man von kranken Thieren auf gesunde Thiere überträgt, letztern nicht
                              mitgetheilt.
                           2) Durch das von mir angewandte Verfahren wurden 108 Thiere vor der Lungenseuche
                              geschützt, während von 50, in denselben Ställen befindlichen, nicht geimpften
                              Thieren, blos 17 erkrankten und gegenwärtig ist die Krankheit aus meinen Stallen,
                              die seit dem Jahre 1836 von an der Lungenseuche erkrankten Thieren nie frei waren,
                              verbannt.
                           3) Das Einimpfen der Krankheit selbst, in oben beschriebener Weise ausgeführt,
                              schützt die Thiere gegen die Lungenseuche, gleichviel ob es krankhafte Erscheinungen
                              hervorruft oder nicht.
                           4) Das Blut und die im ersten Stadium der Lungenseuche aus der Lunge eines Thieres
                              gedrückte, seröse, schaumige Flüssigkeit sind die zum Impfen geeignetsten
                              Materien.
                           5) Der Virus äußert erst zehn Tage bis einen Monat nach dem Einimpfen wahrnehmbare
                              Symptome.
                           6) Der Impfstoff schlägt bei einem Thiere, das schon einmal geimpft wurde oder die
                              Krankheit schon hatte, in der Regel nicht mehr an.
                           
                           7) Das geimpfte Thier kann sich ohne Nachtheil zwischen kranken Thieren aufhalten und
                              nimmt sogar an Fett besser und rascher zu, als die Thiere welche sich mit ihm in
                              gleichem Dunstkreis befinden und nicht geimpft wurden.
                           8) Die Impfung ist, hauptsächlich bei magern Thieren, mit Vorsicht und Umsicht
                              vorzunehmen, und etwa am zehnten Tag nach der Operation gibt man ihnen ein salziges
                              Abführmittel, welches nöthigenfalls wiederholt wird.
                           9) Durch das Einimpfen der Lungenseuche ruft man eine neue Krankheit hervor, man
                              weist der Krankheit der Lunge mit allen ihren Eigenthümlichkeiten gleichsam einen
                              Platz äußerlich an.
                           10) Der Virus von Ochsen, welche mit der Lungenseuche behaftet waren, äußert seine
                              specifische Wirkung nur auf das Rindvieh, während alle
                              andern Thiere verschiedener Gattungen, mit demselben Gift in gleicher Weise geimpft,
                              keine Wirkung davon verspüren.