| Titel: | Ueber das Entstehen von Theer aus ölbildendem Gase; von G. Magnus. | 
| Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. XXXI., S. 125 | 
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                        XXXI.
                        Ueber das Entstehen von Theer aus ölbildendem
                           Gase; von G.
                              Magnus.
                        Aus den Berichten der Berliner Akademie der
                                 Wissenschaften.
                        Magnus, über das Entstehen von Theer aus ölbildendem
                           Gase.
                        
                     
                        
                           Wiewohl mehr als sechzig Jahre vergangen sind, seitdem man angefangen hat Gas zur
                              Beleuchtung zu benutzen, so ist doch die Eigenschaft, auf welcher die Leuchtkraft
                              desselben beruht, nämlich die Ausscheidung von Kohle in der Glühhitze, nicht
                              vollkommen bekannt. Als der Verfasser ölbildendes Gas, das aus Schwefelsäure und
                              Alkohol erzeugt war, durch eine glühende Glasröhre leitete, bemerkte er, daß der
                              Geruch des Gases sich plötzlich änderte, und daß dasselbe den von Steinkohlentheer
                              annahm. Auch als Gas, das mittelst Schwefelsäure und caustischem Kali von
                              Aether- und Weinöl-Dämpfen, sowie von schwefliger Säure befreit war,
                              und das von rauchender Schwefelsäure oder von Chlor vollständig absorbirt wurde, in
                              einer Glasröhre bis zum Glühen erhitzt ward, entstand Theer, der dem aus Steinkohlen
                              ganz ähnlich war.
                           Um sicher zu seyn, daß das Gas nicht noch Spuren von Sauerstoff enthielt, wiewohl
                              davon die ziemlich bedeutende Menge des Theers nicht herrühren konnte, wurde
                              dasselbe über schmelzenden Phosphor geleitet, bevor es durch die glühende Glasröhre
                              ging. Aber auch aus dem so behandelten Gase entstand Theer. Derselbe konnte daher
                              nur die Bestandtheile des Gases, d. i. Kohlenstoff und Wasserstoff enthalten.
                           Wurde ein durch Quecksilber abgesperrtes Quantum von ölbildendem Gase in einem
                              Glasgefäß so lange erhitzt, bis sich sein Volumen nicht mehr änderte, so betrug
                              dasselbe, gemessen bei derselben Temperatur und unter demselben Druck wie das
                              angewandte, im Mittel aus mehreren Versuchen etwa 90 Procent des angewandten.
                           Die Untersuchung ergab, daß das Zurückgebliebene nur Sumpfgas war, gemischt mit etwas
                              Wasserstoff und einer sehr geringen Menge nicht zersetzten ölbildenden Gases.
                           Wurde hingegen ölbildendes Gas der vollen Weißglühhitze in einer Porzellanröhre
                              ausgesetzt, so verdoppelte sich sein Volumen und der Geruch von Theer war gar nicht
                              oder nur sehr wenig wahrnehmbar. Das Gas bestand dann nach dem Erhitzen fast aus
                              reinem Wasserstoff, die Kohle hatte sich an den Wänden der Porzellanröhre
                              abgeschieden.
                           
                           Nur das ölbildende Gas liefert einen Theer, nicht aber das Sumpfgas. Dieß bleibt
                              selbst bei der Temperatur ganz unverändert, bei welcher das allerschwerschmelzbarste
                              böhmische Glas weich wird. In der Weißglühhitze zerfällt es in Kohlenstoff und
                              Wasserstoff.
                           Es ergibt sich hieraus, daß die Zersetzung des ölbildenden Gases in der Weise
                              stattfindet, daß es sich zunächst in der Rothglühhitze in Theer und in Sumpfgas
                              zerlegt, die beide, der Theer sowohl wie das Sumpfgas, in der Weißglühhitze sich
                              wieder in Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegen.
                           Um eine klarere Einsicht in den Vorgang der Zersetzung zu erlangen, wurde der Theer
                              analysirt. Da derselbe ein Gemisch aus mehreren Bestandtheilen ist, die nach der
                              Temperatur und der Dauer der Erhitzung wechseln – denn bisweilen enthielt er
                              sehr flüchtige Beimischungen, bisweilen war er Heller, bisweilen dunkler – so
                              wäre es wünschenswerth gewesen, jeden Bestandtheil einzeln zu untersuchen. Allein es
                              ist nicht möglich sie zu trennen, und daher blieb nur übrig den ganzen Theer der
                              Analyse zu unterwerfen. Jedoch geht aus der Art der Gewinnung dieses Theers hervor,
                              daß er nicht immer von gleicher Beschaffenheit erhalten werden konnte, und daher
                              kommt es, daß die Resultate nicht vollkommen mit einander übereinstimmen.
                           Die Analysen ergaben nämlich für die procentische Zusammensetzung des Theers:
                           
                              
                                 
                                 Kohlenstoff.
                                 Wasserstoff.
                                 Verlust oder Sauerstoff.  
                                  Summa.
                                 
                              
                                     I.
                                     94,106
                                     6,066
                                             –
                                 100,172
                                 
                              
                                    II.
                                     92,461
                                     6,652
                                           0,887
                                 100,000
                                 
                              
                                   III.
                                     93,403
                                     6,808
                                             –
                                 100,211
                                 
                              
                                 ––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                                 
                                 
                              
                                 Mittel
                                     93,323
                                     6,508
                                 
                                 
                                 
                              
                           Diese Zusammensetzung stimmt ziemlich gut mit der des Naphthalins, das aus
                           
                              
                                 Kohlenstoff
                                 93,75
                                 
                              
                                 Wasserstoff     
                                   6,25
                                 
                              
                           besteht.
                           Der Geruch des Theers ist auch dem des Naphthalins ganz ähnlich, und bisweilen fanden
                              sich, besonders wenn der flüchtigere Theil verdunstet war, kleine weiße Krystalle in
                              demselben, die offenbar nichts anders als Naphthalin waren. Man könnte daher den
                              Theer als eine Mischung von verschiedenen Kohlenwasserstoffen betrachten, welche mit
                              dem Naphthalin isomer sind, oder als eine Auflösung von Naphthalin in solchen
                              isomeren Verbindungen.
                           
                           Nimmt man an, daß das ölbildende Gas nur in Naphthalin und in Sumpfgas zerfällt, so
                              sind acht Volumina ölbildendes Gas erforderlich, um sechs Volumina Sumpfgas und ein
                              Aequivalent Naphthalin zu bilden.
                           
                              
                                 6
                                 Sumpfgas
                                 =
                                 3 C + 6 H
                                 
                              
                                 1
                                 Naphthalin
                                 
                                 5 C + 2 H
                                 
                              
                                 –––––––––––––––––––––––––––––––
                                 
                              
                                 8
                                 ölbild. Gas
                                 =
                                 8 C + 8 H
                                 
                              
                           Es müßten folglich sechs Achtel oder 75 Procent von dem Volumen des angewandten
                              ölbildenden Gases als Sumpfgas zurückbleiben. Bei den oben erwähnten Versuchen ist
                              immer etwas mehr als 75 Procent zurückgeblieben. Aber es war auch, wie schon oben
                              bemerkt, nicht alles ölbildende Gas zersetzt, auch hatte sich ein, wenn auch nur
                              geringer Theil des Theers wieder in Kohle und Wasserstoff zersetzt.
                           Nur das ölbildende Gas liefert einen Theer. Das Sumpfgas bleibt hingegen selbst bei
                              der Temperatur unverändert, bei welcher das allerschwerschmelzbarste böhmische Glas
                              weich wird. Da dasselbe aber in der Weißglühhitze in Kohlenstoff und Wasserstoff
                              zerfällt, so ergibt sich, daß die Zersetzung des ölbildenden Gases in der Weise
                              stattfindet, daß dasselbe in der Rothglühhitze sich in Theer und in Sumpfgas
                              zerlegt, und daß diese beide, sowohl der Theer wie das Sumpfgas, in der
                              Weißglühhitze wieder in Kohle und Wasserstoff zerfallen.
                           In Bezug auf die Fabrication des Steinkohlengases führen die Versuche zu dem
                              Schlusse, daß der Theer, welcher stets als Begleiter dieses Gases auftritt, sich auf
                              zwei verschiedene Weisen bildet. Theils nämlich durch Zersetzung des bereits
                              erzeugten ölbildenden Gases, theils gleichzeitig mit diesem, unmittelbar aus der
                              Substanz der Kohle. Denn wenn auch die Kohle nicht geeignet wäre ölbildendes Gas zu
                              liefern, so würde sie doch, eben so wie die meisten vegetabilischen Stoffe wie Holz,
                              Cellulose, Torf, Zucker, Weinsäure und viele andere, einen Theer oder
                              empyreumatische Oele bilden. Dieser letzte Antheil des Theers ist, da die
                              Steinkohlen Stickstoff enthalten, auch Stickstoff haltend, und liefert die in
                              neuester Zeit so wichtig gewordenen Verbindungen, Anilin, Leucolin etc. Der aus der
                              Zersetzung des ölbildenden Gases entstandene ist frei von Stickstoff und liefert
                              vorzugsweise Naphthalin.