| Titel: | Ueber die neuen spinnbaren Faserstoffe; von Hrn. Alcan, Professor am Conservatorium der Künste und Gewerbe in Paris. | 
| Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. LXXIII., S. 307 | 
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                        LXXIII.
                        Ueber die neuen spinnbaren Faserstoffe; von Hrn.
                           Alcan, Professor am
                           Conservatorium der Künste und Gewerbe in Paris.
                        Aus Armengaud's Génie industriel, Mai 1853, S.
                              276.
                        Alcan, über die neuen spinnbaren Faserstoffe.
                        
                     
                        
                           Die Engländer erzeugen fast noch einmal so viel Wollenwaaren und ebenso viel
                              Seidenwaaren als Frankreich, dessen Anzahl von Flachsspindeln hingegen derjenigen
                              der ganzen übrigen industriellen Welt gleichkömmt, und welches gegenwärtig in seinen
                              Manufacturen die Hälfte der in der ganzen Welt geernteten Baumwolle verarbeitet.
                           Die bedeutenden Fortschritte der Baumwoll-Industrie in Amerika, deren
                              Production in den letzten dreißig Jahren auf das Sechsfache stieg, erregen in England keine geringe
                              Besorgniß, weil die amerikanische Entwickelung England einen Rohstoff entzieht, der
                              nicht leicht anderswoher zu beziehen ist. Die Engländer sind daher nicht nur bemüht
                              den Anbau des Flachses zu verbreiten und seine Verarbeitung zu verbessern, sondern
                              sie greifen auch nach jedem fremdländischen spinnbaren Faserstoff.
                           Die Jute oder Corchorus capsularis (s. polytechn. Journal
                              Bd. CXXV S. 314) kömmt aus Ostindien zu
                              äußerst niedern Preisen. Die Engländer behandeln sie ganz wie den Flachs und
                              verwenden sie zu denselben Zwecken. Es wurden davon im Jahr 1851 wenigstens 20,000
                              Tonnen verbraucht.
                           Das Chinagras, welches man für eine chinesische
                              Nesselspecies hält, die Urtica nivea (nach Andern: Boehmeria nivea, s. polytechn. Journal Bd. CXXIII S. 405) wird in großer Menge aus
                              China und Ostindien nach England versendet. Die mit dieser Pflanzenfaser
                              dargestellten Gewebe wetteifern an Weiße und Feinheit mit dem Battist und an Glanz
                              mit der Seide. In dem Etablissement des Hrn. Marshall zu Leeds sah der Verfasser große
                              Vorräthe von Chinagras zur Verarbeitung aufgehäuft.
                           Das Alpaga oder Kameelziegenhaar wird in England zu
                              verschiedenen Geweben verarbeitet. Dieser, durch seine Feinheit und sein zartes,
                              seidenartiges Anfühlen sich auszeichnende Faserstoff läßt sich sehr leicht mit
                              Baumwolle, Leinen, Wolle und Seide verbinden, wodurch ein weites Feld für gemischte
                              Gewebe eröffnet ist, welche hauptsächlich den raschen Aufschwung von Bradford
                              ermöglichten, dessen Bevölkerung in einem halben Jahrhundert von 13,000 auf 160,000
                              Seelen gestiegen ist.
                           Der gute Erfolg bei der Alpaga-Verarbeitung beruht auf einem gehörigen
                              Sortiren, damit die Haare von gleicher Länge zusammengebracht werden, um (wie bei
                              der Wolle) die kurzen für Streich-, die langen für Kammgarn zu verwenden. Der
                              Rohstoff wird aus Peru bezogen.
                           In den Manufacturen von Bradford werden auch Ziegenhaare versponnen und größtentheils
                              nach Frankreich versendet, wo sie zu verschiedenen Zeugen, namentlich zu Utrechter
                              Sammet, verwoben werden. Die Verarbeitung der Ziegenhaare ging von Frankreich aus,
                              wurde aber bald so vernachlässigt, daß die Engländer den Rohstoff zu Marseille
                              kaufen, um ihn zu verspinnen und dann wieder nach Frankreich zu verkaufen.
                           In Manchester und dessen Umgegend, dem Hauptsitz der Baumwollfabrication, wird seit
                              einiger Zeit sogenannter wollener Mohr (moreen)
                              fabricirt, der sich durch Eleganz, Dauerhaftigkeit und Wohlfeilheit auszeichnet; er
                              wird besonders zu Tapeten und zu Ueberzügen geringerer Möbel verwendet. Dieser
                              hauptsächlich mit der Wolle der Lämmer am Ufer des Dons fabricirte Mohr erhält sein
                              Ansehen dadurch daß man ihn, mit einem gummigen Appret vorbereitet, unter Druck
                              zwischen zwei gravirten Walzen durchgehen läßt, die innerlich erhitzt werden.