| Titel: | Ueber die Branntweinfabrication aus Runkelrüben; von Dr. Schwerdtfeger. | 
| Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. LXXXIX., S. 370 | 
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                        LXXXIX.
                        Ueber die Branntweinfabrication aus Runkelrüben;
                           von Dr. Schwerdtfeger.
                        Aus dem Jahrbuch für praktische Pharmacie, Bd. XXVI S.
                              337.
                        Schwerdtfeger, über die Branntweinfabrication aus
                           Runkelrüben.
                        
                     
                        
                           Die seit mehreren Jahren eingetretene Unsicherheit in dem Ernteertrag der Kartoffeln
                              hat besonders in landwirthschaftlichen Kreisen zu ernstlicher Erörterung der Frage
                              Veranlassung gegeben, „ob der Kartoffelbau beschränkt werden solle, und
                                 wie die Kartoffel zu ersetzen sey?“ Bis jetzt ist es jedoch trotz
                              zahlreicher Versuche nicht geglückt, ein Surrogat aufzufinden, das in gleichem Maaße
                              nicht bloß zur Viehfütterung, sondern auch zur menschlichen Nahrung geeignet wäre,
                              und ohne alle Beigabe zu einer solch nahrhaften und schmackhaften Speise zubereitet
                              werden könnte, wie die Kartoffel. Das nächste Augenmerk ist daher vorerst darauf zu
                              richten, sich behufs der Viehfütterung um ein geeignetes Ersatzmittel für die
                              Kartoffel umzusehen, und ohne Zweifel ist die Runkelrübe eine Pflanze, der in dieser
                              Beziehung alle Aufmerksamkeit gebührt, indem dieselbe nicht bloß eine bedeutende
                              Menge gesunden nahrhaften Futterstoffs liefert, sondern auch zugleich zur Erzeugung
                              technischer Producte geeignet ist, welche neben dem Abfall des Futters eine namhafte
                              baare Einnahme gewähren. In Gegenden, welche sich vermöge ihrer Lage, ihrer
                              klimatischen und Bodenverhältnisse zum Anbau einträglicher Handelsgewächse nicht
                              eignen, war es bis vor kurzem der aus den Kartoffeln erzeugte Branntwein, mit dessen
                              baarem Erlös der Landmann zum großen Theil seine Ackertermine und sonstigen
                              Bedürfnisse bestritt, und der ihn zugleich durch den Abfall eines billigen Futters
                              in den Stand setzte,
                              einen den Bedürfnissen einer guten Wirtschaft entsprechenden Viehstand zu erhalten.
                              Seit einigen Jahren hat Viehstand, Güterwerth und der bäuerliche Wohlstand überhaupt
                              in solchen Gegenden in wahrhaft erschreckender Weise abgenommen, und Niemand wird
                              verkennen, daß diese Calamität mit den Kartoffelmißernten, dem Stillestehen der
                              Kartoffelbrennereien und dem Versiegen der daraus entspringenden Geldquelle in
                              innigstem Zusammenhange steht.
                           Die Frage, ob die Zuckerrübe zum Branntweinbrennen geeignet sey, hat zwar schon ihre
                              praktische Entscheidung gefunden,Man vergl. polytechn. Journal Bd. CXXIX S.
                                       146. dennoch wird aber noch von vielen Seiten über mißglückte Versuche geklagt,
                              oder die Rentabilität der Branntweinfabrication aus Runkelrüben in Zweifel gezogen,
                              weßhalb ich mir erlaube, aus der von mir ausgearbeiteten Broschüre über die Cultur
                              und technische Benutzung der Runkelrübe die demnächst im Druck erscheinen wird,
                              meine auf diesen Gegenstand bezüglichen Erfahrungen hier in Kürze mitzutheilen.
                           Bei der Darstellung von Rübenbranntwein muß vor allem auf die chemische Constitution
                              der Runkelrübe entsprechende Rücksicht genommen und das Verfahren darnach
                              eingerichtet werden. Die wichtigsten chemischen Bestandtheile derselben sind der
                              Zucker, das Pektin, der Eiweißstoff und die alkalischen Salze, von welchen ersterer die Basis der Weingeisterzeugung bildet, die
                              übrigen aber unter Umständen auf die geistige Gährung mehr oder weniger nachtheilig
                              einzuwirken vermögen. Das in bedeutender Menge vorhandene und mit dem Faserstoff
                              innig verbundene Pektin ist zwar an sich ohne directe nachtheilige Einwirkung auf
                              den Gährungsproceß einer mit Hefe versetzten und der weingeistigen Gährung
                              überlassenen Zuckerlösung; es erleidet dabei auch selbst keine bemerkbare
                              Veränderung; allein seine Eigenschaft, ungemein viel Flüssigkeit aufzusaugen und
                              damit eine aufgequollene glasige Masse darzustellen, wie wir dieß z.B. an dem durchs
                              Zerreiben frischer Rüben erhaltenen Brei wahrnehmen, und der Umstand, daß das Pektin
                              durch seine Berührung mit der Hefe nichts von seiner gallertartigen Beschaffenheit verliert und völlig
                              unauflöslich bleibt, auch wenn man es erst einer Behandlung mit Diastase oder
                              verdünnten Säuren unterwerfen wollte, macht es nothwendig, dasselbe mit dem
                              Faserstoff durch Auspressen von dem Zuckersaft der Rüben zu trennen. Es würde sonst,
                              mit dem Rübensafte gemischt, durch gänzliche Aufsaugung desselben, wenn auch nicht
                              durch chemische
                              Einwirkung, doch mechanisch auf den regelmäßigen und raschen Verlauf der geistigen
                              Gährung störend einwirken und die allseitige Berührung des Ferments und der
                              Zuckertheilchen erschweren; auch das Abdestilliren einer solchen gequollenen Masse
                              würde die größten Schwierigkeiten darbieten; andererseits müßte aber, wenn man die
                              Trennung des Pektins erst nach stattgehabter Gährung vornehmen wollte, eine nicht
                              unbedeutende Menge Weingeist durch Verdunstung verloren gehen, und die
                              ausgeschiedene Hefe würde nicht weiter zu benutzen seyn, sondern mit Pektin und
                              Faserstoff gemengt in dem Preßrückstande bleiben, der als Viehfutter benutzt werden
                              soll.
                           Bezüglich des Eiweißstoffes und der in den Rüben enthaltenen Fermente darf nur daran
                              erinnert werden, daß der aus den frischen Rüben gepreßte Saft, der gewöhnlich eine
                              blaß weinrothe Farbe hat, beim Stehen an der Luft schon bei gewöhnlicher
                              Zimmertemperatur bald eine violette, zuletzt dunkelbraune Farbe annimmt, und alsdann
                              wenig, ja selbst gar keinen krystallisirten Zucker mehr liefert, also ziemlich rasch
                              und wesentliche Veränderungen erleidet. Die Ursache dieser Veränderungen darf nur in
                              den stickstoffhaltigen Bestandtheilen der Runkelrübe gesucht werden, und man kann,
                              um einer solchen Einwirkung dieser Fermente vorzubeugen, versucht werden, die Rüben
                              vor dem Auspressen zu kochen oder zu dämpfen, wodurch ein Theil derselben coagulirt
                              und unlöslich wird. Der aus gedämpften Rüben erhaltene Brei hat aber (wohl durch
                              Bildung von Pektinsäure) eine so gelatinöse Beschaffenheit, daß er sich äußerst schwer, dabei nur
                              unvollständig auspressen läßt und der Preßrückstand eine unverhältnißmäßig große
                              Menge Zucker zurückhält, welche somit für die Branntweingewinnung verloren geht.
                              Andererseits habe ich mich davon überzeugt, daß der aus rohen frischen Rüben durch
                              eine gute Presse erhaltene Rübensaft, sogleich mit der nöthigen Menge Hefe versetzt,
                              und einer passenden Temperatur ausgesetzt, alsbald in Gährung geräth und diese einen
                              so regelmäßigen Verlauf nimmt, daß eine nachtheilige Einwirkung des Eiweißstoffes
                              nicht mehr Platz zu greifen vermag. Nicht allein vollkommen unnütz, sondern von
                              directem Nachtheile in Bezug auf die Ausbeute wäre es aber, die zerriebenen oder
                              zerquetschten Runkelrüben erst einzumaischen, bevor man sie mit Hefe stellt, in der
                              Absicht, dadurch eine größere Menge gährungsfähiger Stoffe zu erzeugen. Man begegnet
                              dieser Ansicht sehr häufig bei Oekonomen und darf derselben wohl zumeist die
                              ungünstigen Resultate zuschreiben, über welche von dieser Seite so oft bei
                              Anstellung von Versuchen mit dem Brennen von Runkelrüben Klage geführt wird, weßhalb
                              ich es nicht für überflüssig hielt, darauf aufmerksam zu machen. In der Runkelrübe
                              sind keine Stoffe vorhanden, welche wie das Stärkmehl in gährungsfähigen Zucker
                              umgewandelt werden können; das Pektin ist einer solchen Umwandlung nicht fähig und
                              durch das Einmaischen würde man auch nicht einmal im Stande seyn, den gelatinösen
                              Rübenbrei in eine dünnflüssige Masse überzuführen; im Gegentheil würde dieses eine
                              Verunreinigung mit Getreidefusel veranlassen unduud nothwendiger Weise das Eintreten von Milch- und Buttersäuregährung auf Kosten der
                              Weingeistausbeute zur Folge haben, das man ja, wie ich bereits erwähnte, schon beim
                              längeren Stehenlassen des ausgepreßten Rübensaftes in einem temperirt warmen Locale
                              beobachtet, bei einer Temperatur also, die wohl um das Dreifache niedriger ist, als
                              sie der Maischproceß erfordert. Was den Salzgehalt der Runkelrüben betrifft, so muß
                              erwähnt werden, daß dieser zum großen Theil in pflanzensauren Alkalien besteht,
                              wodurch unter Umständen leicht eine alkalische Reaction auftritt, die bekanntlich
                              der geistigen Gährung hinderlich ist, übrigens, falls sie eintritt, durch
                              Neutralisation mit verdünnter Schwefelsäure unschädlich gemacht werden kann, ohne
                              auch bei etwaigem geringem Ueberschuß der Qualität oder Quantität des
                              Destillationsproductes zu schaden.
                           Das Verfahren, welches sich am besten zur Darstellung von Rübenbranntwein eignet,
                              ergibt sich nun aus dem Vorausgeschickten fast von selbst.
                           Die Runkelrüben werden gewaschen, mittelst einer Reibmaschine zerrieben und der
                              dadurch erhaltene möglichst zarte Rübenbrei in einer kräftigen Schraubenpresse, oder
                              noch besser in einer hydraulischen Presse ausgepreßt. Der ausgepreßte Saft enthält
                              kein Pektin und ist sofort zur Gährung vollkommen geeignet. Mit ungefähr 5 Procent
                              frischer guter Hefe versetzt, geräth derselbe bei einer Temperatur von 16 bis
                              18° R. sehr schnell in Bewegung und die Gährung nimmt unter Erzeugung einer
                              starken Schaumdecke und reichlicher Kohlensäure-Entwickelung einen ganz
                              regelmäßigen Verlauf. Die Beendigung des Processes gibt sich durch Verminderung des
                              Schaumes und das Aufhören der Gasentwickelung leicht zu erkennen. Die weingaare
                              Flüssigkeit wird jetzt durch Ablassen und zuletzt durch ein nicht sehr dichtes
                              Seihetuch von der Hefe getrennt und in einem gewöhnlichen Branntweinkessel bis auf
                              ungefähr ein Viertel abdestillirt.
                           Der auf diese Weise erhaltene Rübenbranntwein ist vollkommen klar, von einem entfernt
                              rübenähnlichen Geruch, angenehmem Geschmack und einer Stärke von nahezu 10°
                              Baumé. Aus 10 Pfund frischen Rüben erhielt ich 5 1/4 Liter Branntwein von
                              obiger Beschaffenheit. Durch Digestion mit grobgekörnter Holzkohle, Ablassen und
                              nochmalige Destillation wurde ohne ein weiteres Reinigungsverfahren ein sehr reiner 78procentiger
                              Weingeist (= 32° Baumé) gewonnen.
                           Nimmt man den Rübenertrag von 1 Morgen Land zu 200 Centner, so gibt dieß auf den
                              Morgen eine Branntweinausbeute von ungefähr 1000 Liter. Die Preßrückstände, die zu
                              20 Procent der verarbeiteten Rüben anzuschlagen sind, geben ein sehr nahrhaftes
                              Viehfutter.
                           Die bei der Gährung abgeschiedene Hefe kann sofort wieder zu demselben Zwecke
                              gebraucht, oder gepreßt und getrocknet als Preßhefe verwerthet werden.
                           Die Destillationsrückstände endlich hinterlassen beim Abdampfen eine braune, salzig
                              schmeckende, extractive Masse und eignen sich wegen ihres Kaligehaltes ganz
                              besonders als Düngermaterial.