| Titel: | Ueber einen noch nicht genügend erörterten Punkt in der Construction der Schnellschützen für die Weberei; von Karl Karmarsch. | 
| Fundstelle: | Band 132, Jahrgang 1854, Nr. CXIV., S. 417 | 
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                        CXIV.
                        Ueber einen noch nicht genügend erörterten Punkt
                           								in der Construction der Schnellschützen für die Weberei; von Karl Karmarsch.
                        Aus den Mittheilungen des hannoverschen
                                 								Gewerbevereins, 1854, H. 1.
                        Mit einer Abbildung auf Tab. VI.
                        Karmarsch, über die Construction der Schnellschützen für die
                           								Weberei.
                        
                     
                        
                           Bekanntlich werden die Laufrollen oder Räder der Schnellschützen so eingelegt, daß
                              									ihre Achsenlinien nicht rechtwinkelig zur Längenachse der Schütze und auch nicht
                              									parallel zu einander, sondern ein wenig gegen einander geneigt sind; die vom Weber
                              									abgewendeten Enden der Rollen liegen nämlich um ein Geringes näher zusammen, als die
                              									auf der Vorderseite, wo der Einschußfaden heraustritt. Demzufolge erhält die Schütze
                              									ein Bestreben, nicht in gerader Linie, sondern in einem Kreisbogen zu laufen, dessen
                              									Mittelpunkt da liegt, wo die gehörig verlängerten Achsenlinien ihrer Rollen sich
                              									durchschneiden würden. Man kann sich in der That leicht durch einen Versuch
                              									überzeugen, daß eine auf den glatten Tisch oder Fußboden gestellte und angestoßene
                              									Schütze einen krummlinigen Weg einschlägt. Die Erfahrung lehrt, daß eine Schütze mit
                              									parallel liegenden Rollen sich beim Gebrauch im Webstuhle nicht sicher und stetig am
                              									Blatte hält, sondern sehr leicht von der Schützenbahn herab und in die Kette läuft;
                              									durch die schräge Lage der Rollen aber wird diesem Uebelstande abgeholfen, indem
                              									vermöge des Strebens nach Bogenbewegung – welche jedoch nicht zu Stande
                              									kommen kann – ein beständiges Hindrängen an das Blatt stattfindet.Vor etwa zwanzig Jahren erfuhr ich in einem hannoverschen Orte, wo nicht
                                    											unbeträchtliche Wollenweberei mit zweimännigen Stühlen betrieben wurde, daß
                                    											man die Anwendung der Schnellschützen versucht aber wieder aufgegeben hatte,
                                    											weil diese Schützen sich nicht auf der Bahn halten wollten. Der
                                    											Schützenmacher des Ortes hatte aus Unwissenheit die Laufrollen parallel
                                    											gelegt. Bald nachher ist man dort zu richtig construirten Schnellschützen
                                    											gelangt und bedient sich seitdem derselben mit eben so gutem Erfolge wie
                                    											anderwärts.
                              								
                           Wenngleich nun die Nothwendigkeit und der Grund dieser eigenthümlichen Anordnung der
                              									Rollen keinem Techniker des Faches unbekannt ist, so hat doch meines Wissens bisher
                              									Niemand mit einer Untersuchung darüber sich abgegeben, wie groß der Neigungswinkel
                              									der Rollenachsen zweckmäßiger Weise gemacht werden müsse, und welche Regeln etwa dafür aufzustellen
                              									seyen; man geht hierin noch heutzutage ganz empirisch nach Gutdünken und Augenmaaß
                              									zu Werke.
                           Daß der Gegenstand nicht ganz gleichgültig sey, wird man sofort erkennen, wenn man
                              									Folgendes bedenkt: Eine zu geringe Neigung der Rollen sichert nicht hinlänglich das
                              									Verbleiben der Schütze auf ihrer Bahn; eine unnöthig große Neigung erschwert die
                              									Bewegung derselben. Es wird also darauf ankommen, hier den richtigen Mittelweg zu
                              									finden.
                           Das Bestreben der Schütze, sich dem Blatte anzuschließen, steht im Verhältnisse mit
                              									der Größe der Ablenkung von ihrem naturgemäßen, bogenförmigen Wege, welche sie eben
                              									durch das ihr als Hinderniß entgegenstehende Blatt erfährt.
                           Nimmt man – Fig. 15 – an, es sey AB das
                              									Blatt; die in C befindliche Schütze habe zufolge des in
                              									der Richtung des Pfeils empfangenen Stoßes und der Neigung ihrer Rollenachsen ap, dq das
                              									Bestreben in dem aus c beschriebenen Bogen de fortzugehen, sey aber durch das Blatt
                              									gezwungen, die Richtung dB zu verfolgen, so ist
                              									der Winkel fdB (welchen die zum Punkte d gezogene Tangente df
                              									mit dem Blatte AB bildet) der Ablenkungswinkel. Zieht man zu AB senkrecht die Linie cb, welche ad
                              									und den Winkel bei c halbirt, so hat man n + m = 90°. Vermöge
                              									der Construction ist cdf = 90°, folglich
                              										o + m ebenfalls =
                              									90°, und endlich n = o. Mit Worten ausgedrückt heißt dieß: Der Ablenkungswinkel fdB (oder o) ist
                              									gleich der Hälfte desjenigen Winkels pcq, unter
                              									welchem die Rollenachsen der Schütze C gegen einander
                              									geneigt sind, und den wir kurzweg mit dem Namen Neigungswinkel belegen wollen.
                           Eine aufwerksame praktische Beobachtung allein hat nach und nach dahin führen können,
                              									die dem Bedürfnisse am besten entsprechende Größe des Neigungswinkels gleichsam
                              									herauszufühlen; und es ist anzunehmen, daß die Schützenmacher endlich dahin gelangt
                              									sind, auf empirischem Wege das Richtige wenigstens annähernd zu treffen. Man wird
                              									demnach aus der Untersuchung einer größern Anzahl guter Schnellschützen
                              									Anhaltspunkte für praktische Constructionsregeln gewinnen können. Ohne indessen für
                              									den Augenblick schon so weit zu gehen, wird man durch das Bisherige auf folgende
                              									Betrachtungen geführt:
                           Angenommen, der Ablenkungswinkel o dürfe für alle Fälle
                              									von einerlei Größe seyn, deßgleichen also auch der Neigungswinkel pcq, so leuchtet ein, daß, je kleiner der Abstand
                              									zwischen den Achsen ap und dq ist, desto kürzer der Halbmesser cd des angestrebten bogenförmigen Weges de ausfallen müsse. Dieser Halbmesser wird also
                              									schon deßwegen für kleine Schützen geringer seyn als für große. Daneben ist zu
                              									erwägen, daß kleine Schützen im Allgemeinen mehr Neigung haben von der Bahn abzulaufen, als große;
                              									denn 1) ist für sie die Bahn selbst schmäler, 2) haben sie weniger Masse und
                              									demzufolge ein geringeres Beharrungsvermögen, 3) wird ihnen durch die minder weit
                              									aus einander liegenden Rollen eine weniger sichere Führung gewährt (wie ein kurzer
                              									Wagen in schärferen Krümmungen fahren kann als ein langer), endlich 4) wirkt die
                              									geringere Länge der Rollen dem Abweichen förderlich (wie ein einzelnes Wagenrad
                              									schwieriger in gerader Linie fortzurollen ist, als eine etwas lange Walze). Aus
                              									allen diesen Gründen erscheint es von vornherein zweckmäßig, kleine Schützen für
                              									einen größern Ablenkungswinkel zu construiren, d.h. den Neigungswinkel größer zu
                              									nehmen, wodurch der Halbmesser cd noch weiter
                              									verkleinert wird. Es sind also zwei Motive dafür vorhanden, den Halbmesser des bogenförmigen Weges, welchen die Schütze
                              									zu laufen strebt, desto kleiner zu erwarten, je kleiner (kürzer) die Schütze ist. Der
                                 										Neigungswinkel der Rollenachsen dagegen wird desto
                                 										kleiner zu machen seyn, je größer die Schütze
                              									ist, weil dieß sich schon als natürliche Folge von dem größeren Abstande ad ergibt (s. oben). Die von mir vorgenommene
                              									Untersuchung von neunzehn guten Schnellschützen der verschiedensten Größe und aus
                              									verschiedenen (hannoverschen, Wiener, englischen und sächsischen) Werkstätten hat
                              									die eben ausgesprochenen Voraussetzungen so vollkommen bestätigt, als bei einem
                              									gänzlich der empirischen Praxis überlassenen Gegenstande nur irgend gehofft werden
                              									kann.
                           Die Grundlagen zur Auffindung des Halbmessers cd
                              									(oder ca) und des Neigungswinkels pcq sind drei Abmessungen, welche an jeder
                              									vorliegenden Schütze leicht zu entnehmen sind, nämlich die beiden Abstände pq und ad
                              									zwischen den Endpunkten der Rollenachsen (oder den Mittelpunkten der Schrauben, in
                              									welchen die Achsenspitzen sich drehen), und die Breite at oder du der Schütze an den Stellen wo
                              									die Achsen liegen. Es ist (da der Winkel udq oder
                              										tap = dem Winkel bcd, und uq = (pq – ad)/2)
                           (pq – ad)/(2 × du) = tang n
                              								
                           wonach in den trigonometrischen Tafeln der Winkel
                              									aufzuschlagen ist, den man verdoppeln muß, um den Neigungswinkel pcq zu erhalten.
                           Ferner ergibt sich ohne Weiteres die Proportion pq
                              									– ad: ad
                              									= du: bc und
                              									hieraus
                           (ad × du)/(pq –
                              										ad) = bc;
                           
                           mit bc aber ist, bei der Kleinheit des Winkels bcd, ohne merklichen Fehler der Halbmesser cd des Bogens de
                              									gleich zu setzen.
                           Ich lasse nun das Verzeichniß der an den untersuchten Exemplaren gefundenen Größen
                              									folgen:
                           
                              
                                 Nr.  
                                 Ganze Länge   der Schütze
                                 Neigungswinkel        
                                    												pcq.
                                 Halbmesser      cd.
                                 
                              
                                   1
                                  21 1/2 Zoll
                                       1°  
                                    											–'
                                   63    Fuß.
                                 
                              
                                   2
                                  21 1/2    „
                                       1° 30'
                                   39,5   „
                                 
                              
                                   3
                                  18 1/2    „
                                       2°  
                                    											4'
                                   27,4   „
                                 
                              
                                   4
                                  17 1/2    „
                                       3° 26'
                                   14,3   „
                                 
                              
                                   5
                                 
                                    											16          „
                                       2°  
                                    											3'
                                   25,4   „
                                 
                              
                                   6
                                 
                                    											15          „
                                       1° 10'
                                   37,3   „
                                 
                              
                                   7
                                 
                                    											15          „
                                       1° 44'
                                   28,7   „
                                 
                              
                                   8
                                  14 1/2    „
                                       3° 42'
                                     9,8  
                                    											„
                                 
                              
                                   9
                                  14 1/2    „
                                       5°  
                                    											6'
                                     8,8  
                                    											„
                                 
                              
                                 10
                                 
                                    											14          „
                                       1° 44'
                                   22,7   „
                                 
                              
                                 11
                                 
                                    											14          „
                                       4° 15'
                                     9      „
                                 
                              
                                 12
                                 
                                    											13          „
                                       3° 35'
                                     9,1  
                                    											„
                                 
                              
                                 13
                                 
                                    											13          „
                                       3° 42'
                                     9,2  
                                    											„
                                 
                              
                                 14
                                 
                                    											13          „
                                       4° 31'
                                     7,3  
                                    											„
                                 
                              
                                 15
                                 
                                    											12          „
                                       4° 46'
                                     6,8  
                                    											„
                                 
                              
                                 16
                                  11 1/3    „
                                       2° 36'
                                     5,2  
                                    											„
                                 
                              
                                 17
                                  11 1/3    „
                                       4° 19'
                                     5,4  
                                    											„
                                 
                              
                                 18
                                  10 3/4    „
                                       3°  
                                    											4'
                                     8      „
                                 
                              
                                 19
                                   9          
                                    											„
                                       4° 15'
                                     6,5  
                                    											„
                                 
                              
                           Wenn man die Nummern 4 und 10 ausnimmt, so bewähren die übrigen in genügender Weise
                              									den oben abgeleiteten Satz, daß große Schützen einen kleinen Neigungswinkel ihrer
                              									Rollen und einen großen Halbmesser ihrer angestrebten krummen Bahn, kleine Schützen
                              									von beidem das Gegentheil darbieten. Man kann als durchschnittliche und ohne Zweifel
                              									dem Richtigen am meisten sich nähernde Werthe für den Neigungswinkel der Rollen
                              									folgende annehmen:
                           
                              
                                 bei 19-
                                    											bis  21zölligen  Schützen
                                 1 1/2 bis
                                 2 Grad,
                                 
                              
                                   „  15- bis
                                    											18        „            „
                                 2 1/2   „
                                 3     „
                                 
                              
                                   „  14zölligen und
                                    											kleineren  „
                                 
                                 4     „
                                 
                              
                           Um eine diesen Bestimmungen nahe entsprechende einfache praktische Regel
                              									aufzustellen, mag man sich erinnern, daß jeder der Winkel udq und pat
                              									gleich dem halben Neigungswinkel ist. Für den Radius du ist uq die Tangente; bei der
                              									Kleinheit der in Betrachtung kommenden Winkel kann man für das Doppelte des Winkels udq, d. i. für den ganzen Neigungswinkel, auch die
                              									Tangente doppelt so groß, mithin = (2 × uq)/du annehmen. Nun hat man den Radius
                              									als 1 gesetzt, die Tangente
                           
                              
                                 Von
                                 1° 45'
                                 =
                                 0,03055
                                 oder
                                 nahe
                                 1/32
                                 
                              
                                   „
                                 2° 45'
                                 =
                                 0,04803
                                    „
                                   „
                                 1/20
                                 
                              
                                   „
                                 4°  – '
                                 =
                                 0,06992
                                    „
                                   „
                                 1/14
                                 
                              
                           Für die vorstehenden drei Neigungswinkel beträgt also 2 × uq oder uq + pt – d.h. diejenige Größe, um welche die
                              									Rollenachsen an der Vorderseite bei pq weiter aus
                              									einander liegen als an der Hinterseite bei ad
                              									– beziehungsweise 1/32, 1/20 und 1/14 der Schützenbreite du.
                           Nachdem also die Endpunkte der Achsen inaunddangezeichnet sind, findet man den Abstand ihrer vorderen
                                 										Endpunkte inpundq dadurch, daß man zu der Länge
                                 											ad bei ganz großen Schützen den 32sten, bei mittleren (15- bis
                                 										18zölligen) den 20sten, bei kleineren den 14ten Theil
                                 										von der Breite der Schütze hinzufügt.
                           Die genaue Ausführung nach dieser Regel gibt als Neigungswinkel der Rollen in dem
                              									ersten Falle 1° 48', im zweiten Falle 2° 52', im dritten Falle
                              									4° 6'.
                           
                        
                     
                  
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