| Titel: | Ueber die Surrogate der Weinsteinsäure zu Aetzbeizen auf Krappboden; von Dr. Bolley. | 
| Fundstelle: | Band 133, Jahrgang 1854, Nr. XIV., S. 50 | 
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                        XIV.
                        Ueber die Surrogate der Weinsteinsäure zu
                           Aetzbeizen auf Krappboden; von Dr. Bolley.
                        Aus dessen Schweizerischem Gewerbeblatt, März 1854, S.
                              65.
                        Bolley, über die Surrogate der Weinsteinsäure zu Aetzbeizen auf
                           Krappboden.
                        
                     
                        
                           Das ungewöhnliche Steigen der Preise der Weinsäure nöthigte die Drucker sich um
                              Ersatzmittel für dieselbe umzusehen. Der Stand des Preises Anfangs des Jahres 1854
                              war mehr als 150 Proc. höher als in frühern Jahren, und ist derselbe jetzt (März)
                              auch wieder um etwas gewichen, so darf man doch sagen, daß er immer noch der
                              doppelte desjenigen von 1852 und früher ist. Die Mißernten in Wein, verbunden mit
                              dem Consum an dieser Säure für das Modegetränk aus den Liebig'schen Krügen, der, wenn man nur wenig überlegt, viel größer ist als
                              man auf den ersten Blick glaubt, bieten geringe Aussichten auf bald erfolgendes
                              Zurücktreten der Preise auf den frühern Stand.
                           Seit der schönen Entdeckung von Daniel Koechlin in
                              Mülhausen, die den Ansprüchen auf Vielfältigkeit der Muster nicht genügenden
                              schottischen Bandanotücher zu vervollkommnen, ist, so viel uns bekannt, immer die
                              Weinsäure als das wesentlichste saure Mittel benützt worden, das Chlor der Küpe in
                              ätzende Wirkung auf einzelne Zeugstellen zu versetzen. War das Einführen eines
                              Ersatzmittels bisher nicht so dringlich nöthig, so ist deßwegen gewiß nicht die
                              Hoffnung aufzugeben ein solches zu finden.
                           Um einige in neuerer Zeit auftauchenden neuern Aetzbeizmittel zu prüfen, ist
                              nothwendig etwas näher zu untersuchen, was von denselben gefordert wird.
                           1) Hat die Beize den Chlorkalk zu zerlegen, d.h. das Chlor oder die unterchlorige
                              Säure frei zu machen; 2) die Mordants, vermittelst welcher die Farbe befestigt
                              worden, aufzulösen. Zu beiden Zwecken werden eine Menge saurer Körper dienlich seyn
                              können, und die Auswahl derselben wäre gewiß sehr groß, wenn nicht eine Reihe
                              anderer Rücksichten dieselben sehr einschränkte. Diese sind:
                           1) Die Säure muß leichtlöslich seyn; 2) es darf nicht eine solche seyn, welche die
                              Faser angreift; 3) nicht eine solche, die zu heftig auf das Metall der Model
                              einwirkt; 4) da ein Theil derselben in der Chlorkalkküpe zurückbleibt, muß sie so
                              beschaffen seyn, daß sie die andauernde Wirksamkeit der Chlorküpe nicht
                              beeinträchtigt.
                           
                           Die bekanntern Mineralsäuren wurden wegen dieser Bedingungen bisher ganz außer Frage
                              gelassen. Nichtsdestoweniger bleibt die Frage offen, ob nicht vielleicht Phosphorsäure, die gewöhnliche aus Knochenasche mittelst
                              Schwefelsäure dargestellte, zur Syrupdicke eingedampfte Masse den Forderungen
                              entsprechen könnte. Wir hatten noch nicht Gelegenheit, die Einwirkung derselben auf
                              die Baumwollfaser, in der zum Aetzen noch hinreichenden Concentration zu
                              untersuchen. Daß sie in Verbindung mit Chlorkalklösung auf Krapproth Weiß erzeugt,
                              ist sicher. Daß durch sie das Metall der Model stark angegriffen werde, ist, wenn
                              man darüber etwas sagen kann, ohne eine Reihe von Versuchen gemacht zu haben, nicht
                              wahrscheinlich, da sie mit allen Metalloxyden unlösliche Verbindungen bildet; ist
                              einmal ein dünnerer Ueberzug über der Metallfläche erzeugt, so wird ihre Wirkung
                              kaum mehr gefährlich seyn. Gegen Kalkhydrat und Kalksalze verhält sie sich ganz der
                              Weinsäure ähnlich: Kalkwasser wird durch sie gefällt, nicht die Chlorcalciumlösung.
                              Wenn die Annahme richtig ist, daß bei Anwendung von Weinsäure sich in der Küpe
                              allmählich ein Niederschlag von weinsaurem Kalk bilde, so wird das Gleiche bei der
                              Phosphorsäure der Fall seyn. In unserer Lage ist eine Untersuchung aller hier zu
                              beobachtenden Punkte eine Unmöglichkeit, allein für jeden Zeugdrucker ist eine
                              solche sehr leicht, und mit wenig Kosten verbunden.
                           Wir lenkten die Aufmerksamkeit auf die Phosphorsäure, weil wir Muster gesehen haben,
                              die in einer der größten Rothfärbereien Europa's nach dem englischen Patente von Kopp und Gaddy in Manchester
                              mit Arsensäure hergestellt waren, welche nicht nur jenen
                              mit Weinsäure vom gleichen Model gemachten gleichkamen, sondern sie an Schärfe und
                              Weiße übertrafen. Gewiß würde die Arsensäure bei solch einleuchtenden Vortheilen die
                              Weinsäure bald verdrängt haben, wenn nicht ihr eine unüberwindlich böse Seite
                              anklebte, daß sie die Haut außerordentlich heftig angreift, die Nägel der Arbeiter
                              zerstört u.s.w. Abgesehen von diesen ätzenden Wirkungen auf den Körper der damit
                              Beschäftigten sind die heftig giftigen Eigenschaften derselben nicht unbeachtet zu
                              lassen. Haben einige Regierungen verschärfte einschränkende Vorschriften für die
                              Anwendung der arsenigen Säure in der Industrie erlassen, so würden bei Ausdehnung
                              des Gebrauchs der Arsensäure diese gewiß noch viel mehr nöthig.
                           Es wird vielfach das Zinnchlorid anstatt der Weinsäure
                              angewendet. Daß solches, welches viel freie Säure enthält, wie alles flüssig in den
                              Handel gebrachte, weißätzen könne und müsse, versteht sich von selbst, eben so klar
                              ist aber, daß vor dessen Gebrauch sehr gewarnt werden müsse. Wir haben früher
                              (polyt. Journal, 1853, Bd. CXXIX S. 110) ein Präparat besprochen, das in festem
                              Zustand in den Handel kommt, und in welchem wir damals einen mittleren Gehalt von 36
                              Proc. Zinn fanden. Dieses, wenn nicht ganz säurefrei, doch nur geringe Mengen freier
                              Säure haltende Product wird jetzt mannichfach von unsern Druckern angewendet. Nach
                              Berichten aus Druckereien die das Salz anwenden, ist es im Stande in einer Quantität
                              von 11 Gewichtstheilen 10 Gewichtstheile Weinsäure zu ersetzen, während von diesem
                              Salz der Centner auf 135 Fr. zu stehen kommt, also zwischen 3/5 und 1/2 von dem der
                              Weinsäure beträgt. Was die Vollkommenheit der ätzenden Eigenschaften angeht, so ist
                              darüber kaum zu klagen, allein frei von Schattenseiten ist dieß Salz nicht. Dahin
                              gehört, daß die Lösung desselben zwar nicht Rouleaux und das Messing der
                              Stippelformen, aber die leichtflüssige zinn-, blei-, wismuthhaltige
                              Legirung der Perrotineformen stark angreift. Die Faser leidet nicht, aber, was eine
                              Eigenthümlichkeit des Zinnoxydes ist, das Weiß hat einen gelblichen Schimmer. Es ist
                              richtig, daß die Salzsäure des Zinnchlorids die Menge des vorhandenen Chlorcalciums
                              in der Flotte nach und nach vermehrt und eine Lösung erzeugt, die – wenn der
                              Fabrikant das Aräometer als Prüfstein der Stärke seiner Chlorküpe nimmt –
                              Täuschungen über deren Gehalt veranlassen kann. Die Küpe kann schwer erscheinen und
                              doch schwach seyn. Allein wenn man die Methode der Cblorbestimmung von Walter Crum (polytechn. Journal Bd. CXXIX S. 124) z.B. an die Stelle der
                              Aräometerprobe setzt – eine Methode, die kaum mehr Zeit in Anspruch nimmt als
                              diese, so ist dieser Einwurf beseitigt. Die Wirkung des Zinnchlorids auf
                              Chlorkalklösung ist: Freimachen des Chlors, Bilden von Chlorcalcium, und Abscheidung
                              von Zinnoxydhydrat (Zinnsäurehydrat), dem Kalkerde beigemengt ist, deren Menge von
                              dem Säuregehalt des Zinnchlorids abhängig ist. Leitet man in eine Chlorkalklösung
                              Kohlensäure zur Fällung des Kalkhydrats, filtrirt und setzt dann Zinnchloridlösung
                              zu, so ist der Niederschlag kalkfrei. Das Zinnoxydhydrat ist stockig, und kann sich
                              erst nach einiger Ruhe in der Küpe absetzen.
                           Sehen wir uns unter den organischen Säuren um. Naheliegend
                              ist: anstatt der reinen krystallisirten Weinsäure eine
                              unreine aus rohem Weinstein darzustellen. In der That kommen solche Ersatzmittel im
                              Handel vor und werden auch, wie wir hören, in den Fabriken selbst gemacht. Es kam
                              uns durch die Güte eines Freundes eine solche Flüssigkeit in die Hände, die von
                              einer chemischen Fabrik feilgeboten wird. Dieselbe ist sauer, röthlich, hat ein
                              Gewicht von 1,246 (30° B.) und enthält neben freier Weinsäure deutliche
                              Mengen freier Schwefelsäure, einen Rückstand beim Abdampfen im Wasserbad von 57,3
                              Proc. und darin 24,3 Proc. Aschebestandtheile, d.h. Unverbrennliches, nach dem
                              Glühen zurück-bleibend, das meist aus schwefelsaurem Natron und etwas Gyps
                              besteht. Wenn wir auch Alles, was von dem trockenen Rückstand durch Glühen nicht
                              zerstört wird, für freie Weinsäure annehmen, so beträgt diese etwa 33 Proc. Diese
                              Zahl, die jedenfalls nicht zu niedrig, wohl aber zu hoch ist, mag als ungefährer
                              Maaßstab des Werthes der Flüssigkeit dienen, und sehr beachtenswerth erscheint der
                              Umstand, daß freie Schwefelsäure vorhanden ist. Es ist
                              bekannt genug, wie aus Weinstein Weinsäure gemacht wird; mag das Verfahren auch
                              einige Modificationen, vom Bestreben nach Wohlfeilheit dictirt zulassen, der große
                              Gehalt an Natronsalz ist in das uns zugekommene Product wahrscheinlich nur in der
                              Absicht das spec. Gewicht zu erhöhen, gemischt worden. Ein nützlicher Effect kommt
                              ihm kaum zu.
                           Unter den übrigen organischen Säuren müßte gewiß die Milchsäure vorzügliche Dienste leisten, gelänge es aus den vielerlei Wegen
                              zu ihrer Bildung einen hinlänglich fördernden und wohlfeilen auszufinden.
                           Die Kleesäure (was die Recepte für Weißbeize, Zuckersäure
                              nennen, ist, wie wir sehen werden, nichts anderes als unreine Kleesäure) figurirt
                              schon, obgleich nicht ausschließlich, aber doch in Zusätzen von 1/8 im Verhältniß
                              zur Weinsäure, neben letzterer als Aetzbeizmittel. In Kreisig's Zeugdruck, Band III, S. 103, findet sich eine Reihe von
                              Vorschriften, worin sie aufgenommen ist; Persoz führt sie
                              nicht als im Gebrauch für Beizen auf gefärbte Waaren auf, sondern nur als Zusatz zu
                              den Aetzmitteln auf mordansirter Waare. Vorausgesetzt der Preis erlaubte eine
                              Anwendung derselben an der Stelle der Weinsäure, so würde immer für letztere ihre
                              größere Löslichkeit sprechen, da Kleesäure von kaltem Wasser 8 Gewichtstheile
                              braucht. Sehr wichtig für die Frage der Brauchbarkeit der Kleesäure wäre: zu
                              untersuchen, ob sie nicht in gewissen Salzlaugen viel stärker löslich wäre als im
                              Wasser.
                           Unter Zuckersäure versteht man in der Industrie des
                              Zeugdrucks das Product, das aus Zucker (oder Stärkmehl, Syrup) mittelst
                              Salpetersäure erhalten wird. Die Chemie anerkennt eine eigenthümliche, in Wasser
                              leicht lösliche unkrystallisirbare, auf dem angedeuteten Weg herstellbare, aber sehr
                              schwer ganz rein zu gewinnende Säure, die durch fortgesetzte Einwirkung der
                              Salpetersäure in Kleesäure übergeht. Auch für ein
                              Mischungsproduct aus dieser letztern Säure und Zuckersäure, wenn wir das Vorwiegen
                              der Kleesäure nicht für nachtheilig halten wollen, ist eine stricte Vorschrift
                              schwer zu geben, und unter allen Umständen zu sagen, daß Gründe genug vorhanden
                              sind, die den Drucker bestimmen können, die Darstellung derselben den chemischen
                              Fabriken zu überlassen. Es sind: daß er sich starke Salpetersäure anschaffen, daß
                              er, um verhältnißmäßig geringe Mengen genannten Products zu gewinnen, wegen der heftigen Einwirkung der
                              Salpetersäure große Gefäße anwenden muß, daß er der höchsten Vorsicht benöthigt ist
                              beim Erwärmen der Mischung, damit nicht Gefahr entstehe, daß es ihm ohne genaue
                              Kenntniß und Aufsicht oft geschehen wird, ein salpetersäurehaltiges Product zu
                              haben. Die Fabrication chemisches Producte sollte aber über diese Schwierigkeit
                              wegkommen können, und wir zweifeln nicht, daß an Brauchbarkeit dasselbe der
                              Weinsäure ziemlich nahe gebracht und jetzt ziemlich billiger hergestellt werden
                              kann.