| Titel: | Ueber atmosphärische Eisenbahnen, mit Anwendung der Luft als Triebkraft in langen Tunnels, deren Querschnitt dem Raume gleich ist, den die Züge darin einnehmen; von Hrn. Seguin d. ä. | 
| Fundstelle: | Band 133, Jahrgang 1854, Nr. XLI., S. 166 | 
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                        XLI.
                        Ueber atmosphärische Eisenbahnen, mit Anwendung
                           der Luft als Triebkraft in langen Tunnels, deren Querschnitt dem Raume gleich ist, den
                           die Züge darin einnehmen; von Hrn. Seguin d. ä.
                        Aus den Comptes rendus, Juni 1854, Nr.
                              23.
                        Seguin, über atmosphärische Eisenbahnen.
                        
                     
                        
                           In einer Abhandlung, welche ich der (französischen) Akademie der Wissenschaften am
                              20. Juli 1846 vortrug, besprach, ich die Gefahren, denen man auf den Eisenbahnen
                              ausgesetzt ist, sobald die Fahrgeschwindigkeit eine gewisse Gränze überschreitet;
                              und nachdem ich bemerkt hatte, daß die jetzt angewendeten Mittel zur Locomotion
                              diese Gränze bedeutend zu überschreiten gestatten, drückte ich die Befürchtung aus,
                              daß das Publicum, welches den Gefahren gegenüber, denen es ausgesetzt ist, gern die
                              Augen verschließt, sobald es ein materielles Interesse dabei findet, aus diesem
                              Grunde die Quelle sehr vieler Unfälle werden dürfte.
                           Ich zeigte damals an, daß ich mich mit dem Studium eines Systems beschäftige,
                              mittelst dessen man ohne die geringste Gefahr die größten bekannten
                              Geschwindigkeiten noch überschreiten kann. Das Resultat dieser Arbeit will ich jetzt
                              der Akademie vorlegen.
                           Das Betriebsverfahren, welches ich anstatt des allgemein angenommenen empfehle, ist
                              im Princip nicht neu; es gründet sich auf die Leichtigkeit, womit man große Massen
                              mit Hülfe der Luft in Bewegung setzen kann. Es wurde schon im Jahre 1810 von dem
                              Engländer Medhurst angegeben, von welchem Arago in seinem der Deputirtenkammer erstatteten Bericht
                              über die atmosphärischen Eisenbahnen spricht.
                           
                           Im Jahre 1826 unternahm Hr. Vallence zu Brighton (England)
                              einige Versuche, deren Zweck die Benutzung dieses Systems war; damals konnten diese
                              Versuche jedoch offenbar keine nützlichen Resultate liefern, weil diese Art der
                              Locomotion nur dann Vortheile gewährt, wenn man bedeutende Massen mit großen
                              Geschwindigkeiten zu transportiren hat; nun wurden aber bekanntlich die Eisenbahnen
                              anfänglich mit engen Spuren hergestellt, ihre Wagen nahmen nicht über 1 Tonne auf,
                              und man förderte auf denselben nur Steinkohlen, Erze, Kalkstein, Schiefer u.s.w.,
                              welche durch Menschen oder Pferde mit geringer Geschwindigkeit fortgeschafft
                              wurden.
                           Zu jener Zeit versuchte Hr. Stevenson zu Newcastle den
                              Transport mit Locomotiven von seiner Erfindung, allein dieselben waren sehr schwer,
                              erzeugten wenig Dampf und bewegten die Züge nur etwa 2 Meter in der Secunde
                              weiter.
                           Im Jahre 1827 gab Medhurst in Folge der Versuche von Vallence eine kleine Schrift heraus, worin er die
                              Fundamente der Ideen niederlegte, welche auf das atmosphärische System führten, das
                              man bis jetzt ohne Erfolg dem Locomotivsystem zu substituiren versucht hat.
                           Mehrere Versuche, welche von 1834 bis 1836 von verschiedenen Ingenieuren, unter
                              andern von Hrn. Pinkus angestellt wurden, dessen
                              Vorgänger ein gewisser William Kersall-Vrigg zu seyn behauptete, scheinen ihren Urhebern keine
                              genügenden Resultate gewährt zu haben, um weiter verfolgt zu werden; aus demselben
                              Grunde nahm Hr. Vallence seine früheren Versuche wieder
                              auf.
                           Zu dem Ende ließ er im Jahre 1840 zu Brighton einen Cylinder von Holz anfertigen, von
                              ungefähr 67 Met. Länge und 3 Met. Durchmesser, welcher mit Leinwand überzogen war.
                              In dieser Art von Tunnel brachte er eine Scheidewand von Brettern an, an welcher er
                              einen Wagen befestigte, worin zu wiederholtenmalen eine Menge Neugieriger fuhren,
                              unter denen man den Herzog von Bedfort, Lord Holland und den Grafen von Flahaut nennt. Dieser Wagen wurde mittelst einer Saugpumpe in Bewegung
                              gesetzt, die eine Luftverdünnung hervorbrachte, welche einer Druckabnahme von 1/5
                              Millimeter Quecksilber entsprach, was hinreichte, um dem Wagen eine Geschwindigkeit
                              von etwa 2 Lieues in der Stunde mitzutheilen, obgleich ein Zwischenraum von 27
                              Millimetern zwischen dem Umfange des Scheiders und der Tunnelwand blieb.
                           Endlich haben die HHrn. Clegg und Samuda, Hallette und Pecqueur verschiedene
                              Abänderungen vorgeschlagen, von denen aber noch eine vollkommen gelungen ist.
                           
                           In der Ueberzeugung, daß die Uebertragung der Bewegung eines Motors auf die Bahnzüge
                              mit Hülfe der Luft das einfachste, sicherste und wohlfeilste Mittel sey, um den
                              Anforderungen der Gegenwart zu genügen, habe ich mich mit dem Studium eines Systems
                              befaßt, von welchem ich bessere Resultate erwarte, als von den bis jetzt ohne Erfolg
                              versuchten. Man kann sich zuvörderst nicht verhehlen, daß die Geschwindigkeiten,
                              welche man seit dem Jahre 1828 erreicht hat, wo man die Röhrenkessel von meiner
                              Erfindung allgemein anzuwenden anfing, nur dadurch erhalten wurden, daß man die
                              Betriebskosten beträchtlich erhöhte und die Reisenden großen Gefahren aussetzte;
                              ferner, daß sich eine Menge Nachtheile gezeigt haben, die sich freilich nicht wohl
                              voraussehen ließen, und welche eine Reform der Eisenbahnen veranlassen müssen, deren
                              Nothwendigkeit auch die zahlreichen von allen Seiten auftauchenden Projecte
                              beweisen.
                           Die Fehler, welche man dem jetzigen Eisenbahn-System vorwirft, sind:
                           1) die zahlreichen Berührungen, welche sie mit den gewöhnlichen Straßen haben;
                           2) die vielen Veranlassungen zu Unfällen, eine nothwendige Folge der großen
                              Geschwindigkeiten, mit denen die Bahnzüge bewegt werden;
                           3) der Umstand, daß jeder Angestellte bei der geringsten Abweichung von den
                              Reglements des Bahndienstes die traurigsten Unfälle veranlassen kann;
                           4) die Nachtheile und die Unterhaltungskosten, welche die unvermeidliche Folge der
                              Einflüsse des Witterungswechsels auf das Material der Eisenbahn sind, und die
                              Schwierigkeiten ihres Betriebes im Winter, welche Schnee, Eis, Glatteis, ja selbst
                              Thau veranlassen;
                           5) endlich der Widerstand der Luft bei großen Geschwindigkeiten, welcher zuweilen
                              einen großen Theil der Triebkraft absorbirt, wenn die Richtung des Windes den
                              Bahnzügen entgegen ist.
                           So lange eine so große Geschwindigkeit, wie diejenige womit man jetzt reist, nicht
                              erforderlich war, und so lange die Anzahl der Reisenden nicht so groß war, als es
                              jetzt der Fall ist, existirten alle die angegebenen Nachtheile natürlich nicht.
                           Die Locomotiven waren bis jetzt die geeignetsten Motoren. Das Gewicht, welches
                              dieselben ziehen können, ist stets um so bedeutender, je geringer ihre
                              Geschwindigkeit ist; der Aufwand für Brennmaterial etc., welchen sie erheischen, ist
                              proportional der Zeit, während welcher sie zur Bewirkung des Transportes benutzt
                              werden; und diese beiden Charaktere entsprechen vollkommen der Anforderung, wenig
                              bedeutende Massen mit geringen Geschwindigkeiten zu transportiren.
                           
                           Bei dem von mir vorgeschlagenen Systeme ist dagegen die Ausgabe fast dieselbe, sey
                              die Größe des Transports welche sie wolle; dazu kommt noch die große Einfachheit des
                              Systems nebst der Unwahrscheinlichkeit, daß irgend ein Unfall eintreten kann.
                           Ich nehme an, daß die zu durchlaufende Linie oder die Eisenbahn in Sectionen von 4,
                              6, 10 und selbst 12 Kilometern (7 Kilomet. = 1 preuß. Meile) getheilt sey, welche
                              Abschnitte der Bahn von den Entfernungen zwischen den erforderlichen Stationspunkten
                              abhängen. Diese Stationen würden etwa eine Länge von 1000 Metern haben; sie würden
                              theilweise unter Schoppen und theilweise unbedeckt hergestellt werden und in der
                              Mitte um 3 bis 4 Meter höher als an den Enden seyn; die Züge müßten in Folge ihrer
                              erlangten Geschwindigkeit bis auf die Mitte dieser Stationsbahn aufsteigen und dann
                              durch die Wirkung der Schwere vom Scheitel wieder hinablaufen.
                           Um hingegen von der einen Station zur andern zu gelangen, müßten die Züge Tunnels von
                              elliptischem Querschnitt durchlaufen, welche ausgemauert oder verzimmert seyn
                              können, jedoch von allen Seiten genau verschlossen sind, um die Verbindung mit der
                              äußern Luft zu verhindern; ihr Querschnitt würde 7 bis 8 Quadratmeter betragen,
                              nämlich etwas größer seyn, als der von einem Wagen zum Transport von Reisenden
                              eingenommene; nöthigenfalls könnten sie stellenweise erleuchtet werden.
                           Die Eisenbahn bestünde aus zwei unteren Schienenlinien, auf denen die Wagen laufen,
                              und aus zwei schwächeren Linien an den Seiten, um das Austreten der Wagen aus den
                              Schienen zu verhindern. Man könnte nöthigenfalls in der Mitte der Bahn einen starken
                              Holzschwell anbringen, woran sich Rollen wälzen, die an den Wagen angebracht sind,
                              wie sie Hr. Seguier
                              Polytechn. Journal Bd. CXXXI S.
                                       326. für Eisenbahnen mit seitlichem Zug vorgeschlagen hat. Die Züge würden in
                              diesen Tunnels durch die Wirkung eines Luftzuges in Bewegung gesetzt werden, welcher
                              durch Saug- und Druckpumpen hervorgebracht wird; der Betrieb dieser Pumpen
                              würde durch starke Dampfmaschinen erfolgen. Der Druck der äußern Luft,
                              hervorgebracht durch das Ansaugen, würde dem Zuge eine Geschwindigkeit ertheilen,
                              die bis in die Nähe der Maschine zunimmt, und von dort aus würde die Bewegung durch
                              die hinter dem Zug mittelst dieser Maschine zusammengedrückte Luft bis zum Ausgang
                              des Tunnels mit abnehmender Geschwindigkeit fortdauern.
                           Man würde die Geschwindigkeit so berechnen, daß sie am Ausgange des Tunnels noch 10
                              Meter betrüge, damit durch die Wirkung der erlangten Geschwindigkeit der Zug den
                              höchsten Punkt der Station erreichen könnte und dann beim Abgange von demselben bloß
                              durch die Lösung der Bremsen von den Rädern wieder in Bewegung käme.
                           Die Maschinen, welche die Züge in Bewegung setzen müssen, würden die Luft in einen
                              großen Behälter ansaugen und sie in einen andern eintreiben. Diese Behälter würden
                              eine solche Einrichtung erhalten, daß sie nach Belieben mit dem Tunnel hinter und
                              vor ihnen in Verbindung gesetzt werden können. Vor jeder Maschine würden in den
                              Tunnels zwei Scheidewände vorhanden seyn, welche 200 Meter von einander entfernt
                              sind und deren jede durch zwei Thüren verschlossen ist, um einerseits den Raum
                              abzuschließen, in welchem die Luftverdünnung bewirkt wird, und andererseits
                              denjenigen zu isoliren, in welchem die Zusammenpressung bewirkt wird. Diese Thüren
                              würden für den Durchgang des Zuges geöffnet und alsdann durch die abwechselnde
                              Wirkung der verdünnten und der verdichteten Luft, welche in eine Kammer hinter den
                              Thüren einströmt, geschlossen werden. Ventile, welche der Zug im Augenblick seines
                              Durchganges in Thätigkeit setzt, würden diese Bewegungen mit Genauigkeit ausführen.
                              Man sieht jedoch, daß selbst ohne dieses Mittel die bloße Zusammpressung der Luft
                              durch den Wagenzug in Folge seiner erlangten Geschwindigkeit, das Oeffnen der Thüren
                              veranlassen und sie auch nach dem Durchgange desselben wiederum verschließen wird.
                              Die Hauptkosten, welche durch dieses System veranlaßt werden, bestehen in der
                              Schwierigkeit, lange Luftsäulen mit großer Geschwindigkeit in Bewegung zu setzen.
                              Unmittelbar vor dem Durchgange der Züge, wenn die Luft durch Saugen wirkt, und nach
                              ihrem Durchgange, wenn sie durch Druck wirkt, müssen vorhandene Thüren mittelst
                              Federdrückern geöffnet oder geschlossen werden, was der Zug selbst im Augenblick
                              seines Durchganges zu bewerkstelligen hat, um eine Verbindung zwischen dem Innern
                              des Tunnels und der äußern Luft herzustellen, so daß nur derjenige Theil der Luft in
                              Bewegung gesetzt wird, welcher sich zwischen der Maschine und dem Zuge befindet.
                           Aufseher würden sich in Räumen befinden, welche mit der äußern Luft durch eine
                              doppelte Thür, die als Luftschleuße dient, in Verbindung gesetzt sind; sie
                              beaufsichtigen oder bewerkstelligen nöthigenfalls diese Bewegungen.
                           Es ist klar, daß in Folge dieser Anordnungen die Züge nach und nach alle Stationen
                              bloß mit Hülfe der Maschinen, die sie von einer zur andern schaffen, durchlaufen
                              können; das Oeffnen und Verschließen der Thüren und der Ventile wird mittelst ihres
                              Durchgangs selbst bewirkt; die Aufseher, welche die Genauigkeit dieser Bewegungen zu
                              überwachen haben, können sie nöthigenfalls auch unterbrechen oder umkehren.
                           
                           Die Druck-Differenz mit der äußern Luft, welche erforderlich ist um
                              Geschwindigkeiten zu erlangen, die man auf 25 bis 30 Meter per Secunde steigern kann, wird nie über 2 bis 3 Centimeter betragen, was
                              ich in einer zweiten Abhandlung beweisen werde, die ich der Akademie vorlegen will,
                              und worin ich alle Details und Berechnungen ausgeführt habe, um das Publicum über
                              die Vortheile und geringeren Kosten meines Systems aufzuklären; diese
                              Druck-Differenz ist weit geringer als die täglichen
                              Barometer-Veränderungen, daher gar nicht wahrnehmbar, und kann folglich die
                              Reisenden nicht belästigen.
                           Aus Obigem folgt:
                           1) daß die Bahnlinie von allen bewohnten Orten vollständig isolirt seyn wird, mit
                              Ausnahme der Stationspunkte, wo sie wieder mit denen anderer Communicationswege in
                              Berührung kommt;
                           2) daß jeder Unfall durch ein Ablaufen der Wagen von den Schienen oder durch ein
                              Begegnen der Züge unmöglich ist, weil die Luftschicht, welche die Züge trennt, stets
                              einen Abstand zwischen ihnen erhält, der groß genug ist, um zu verhindern, daß sie
                              einander zu nahe kommen oder gar aneinander stoßen;
                           3) daß man das so bedeutende Gewicht der Locomotiven vermeidet, und daß man die
                              Anzahl der die Züge bildenden Wagen so groß und demzufolge ihre Masse so gering
                              machen kann, als man will;
                           4) daß man, da die aus den großen Geschwindigkeiten entspringenden Nachtheile
                              beseitigt sind, so schnell reisen kann, als es die Motoren gestatten, ohne irgend
                              eine Gefahr zu laufen;
                           5) daß es sehr leicht ist, die Regelmäßigkeit des Gefälles auf einige Meter Länge zu
                              unterbrechen, sobald die Fahrt über eine Brücke, einen Weg, die Zugänge einer Stadt
                              oder ein sonstiges Hinderniß es erfordert.
                           Zu diesen Vorzügen kommt noch für kalte Gegenden, daß man daselbst mit geringen
                              Kosten hölzerne Tunnels bauen kann, die nur mit Eisen bereift und zur Hälfte in den
                              Boden eingelassen werden; und daß man ebenso rasch und ebenso sicher mitten in der
                              rauhen wie in der schönen Jahreszeit reisen kann.