| Titel: | Näheres über den Bombyx Cynthia und seine Zucht; von Hrn. Guérin-Mèneville. | 
| Fundstelle: | Band 135, Jahrgang 1855, Nr. LII., S. 228 | 
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                        LII.
                        Näheres über den Bombyx
                              							    Cynthia und seine Zucht; von Hrn. Guérin-Mèneville.
                        Aus dem Agriculteur-praticien, September 1854, S. 9.
                        Guérin-Mèneville, über den Bombyx Cynthia und
                           								seine Zucht.
                        
                     
                        
                           Der Cynthia-Seidenwurm, wie der gewöhnliche der Gattung Bombyx angehörig, bildet eine besondere Species; deren Wurm oder Raupe ist
                              									mit kleinen conischen Wärzchen überzogen; ihr Schmetterling ist 3 bis 4mal so groß
                              									als der Maulbeer-Seidenschmetterling, hat braune Flügel mit weißer, gelber
                              									und gelblichbrauner Zeichnung, und einen großen, eirunden, weißlichen, schwarz
                              									eingefaßten Flecken in der Mitte jedes Flügels, welche Flecken eine Art nicht
                              									durchsichtiger Augen bilden. Der Cocon ist fast eben so groß wie derjenige des
                              									gewöhnlichen Seidenwurms, aber bei weitem nicht so regelmäßig hinsichtlich der
                              									Gestalt und des Gewebes, und nach seinem Ansehen würde ihn jeder Spinner für einen
                              									sehr schlechten Cocon halten. Er besteht aus zwei unterschiedenen Theilen, der
                              									Strazzenseide, welche eine erste schlaffe, aber schon stark gummirte Hülle bildet,
                              									und der eigentlichen Seide, welche sehr stark gummirt ist, und deren verschiedene
                              									Schichten stark zusammengeleimt sind und feste, pergamentartige Wände bilden. Diese
                              									Cocons haben an dem einen Ende eine Oeffnung, durch welche der Schmettling
                              									herauskömmt; diese Oeffnung scheint aber von dem an dieser Stelle gefalteten nicht
                              									durchgeschnittenen Faden (Spinnfaser) des Wurms gebildet zu seyn, daher sich dieser
                              									Faden ununterbrochen abhaspeln lassen wird. Auf gewöhnliche Weise könnten diese
                              									Cocons nicht abgehaspelt werden, weil sie sich mit Wasser füllen und daher in den
                              									Becken untersinken würden, wie löcherige oder nicht ganz vollendete gewöhnliche
                              									Cocons; nach meinen vorläufigen Versuchen wird aber die Abhaspelung nach dem Alcan'schen Verfahren bewerkstelligt werden können,Man vergl. Polytechn. Journal Bd. CXXXIV S. 389. um Grezseide zu erhalten.
                           Nach Hrn. Gasparin wäre die Cultur des, um zu gedeihen
                              									sehr düngerbedürftigen Wunderbaums, sofern man dabei auch auf die ölliefernden Kerne
                              									rechnet, durch die Concurrenz der amerikanischen Samenkörner gegenwärtig minder
                              									rathsam. Andererseits aber wurde von der Handelskammer in Algier zu dieser Cultur
                              									aufgemuntert und zwar bevor noch von Benützung dieser Pflanze zur Seidenzucht die
                              									Rede war.
                           
                           Was die einwürfe hinsichtlich der Beschaffenheit der von diesem Seidenwurm erzeugten
                              									Seide und der schwierigen Abhaspelung seiner an einem Ende offenen Cocons anbelangt,
                              									so sind dieselben nur als Aufforderungen zu umsichtigen Versuchen zu betrachten, so
                              									lange als nicht nachgewiesen ist, daß dieser in Indien so allgemein cultivirte und
                              									so vielen Nutzen bringende Seidenwurm in Europa keine guten Resultate gibt. Um diese
                              									Versuche zu fördern, dient folgende
                           
                        
                           
                              Anleitung zur Zucht der
                                 										Wunderbaum-Seidenwürmer von Hrn. Griseri
                              
                           zu Turin, welcher zuerst in Europa zwei Zuchten dieses, von
                              									den HHrn. Baruffi und Berganzi
                              									zu Turin eingeführten Seidenwurmspecies machte.
                           
                              „Man erhält die Eier auf einer Temperatur von 18–20º
                                 										Reaumur, und legt, wenn das Auskriechen statt findet, einige Stückchen
                                 										Wunderbaumblätter auf die Eier. Sobald sich auf den Blattstücken junge Würmchen
                                 										befinden, bringt man diese auf ein über eine Hürde ausgebreitetes Papier. Alle
                                 										an demselben Tage auskriechenden kommen zusammen, und bilden eine einzige
                                 										Familie.
                              
                           
                              Am andern Tag wird frühzeitig wieder ebenso verfahren; man widmet dem Auskriechen
                                 										dieselbe Sorgfalt und in derselben Weise, wie am vorigen Tage. Die folgenden
                                 										Tage verfährt man ebenso, und bildet für jeden Auskriechtag eine besondere
                                 										Familie.
                              
                           
                              Während der ersten vier Lebensalter muß man täglich fünf Mahlzeiten geben: die
                                 										erste Morgens von 4–5 Uhr, die zweite zwischen 9 und 10 Uhr, die dritte
                                 										zwischen 1 und 2 Uhr, die vierte von 5 bis 6 Uhr und die fünfte Nachts von 10
                                 										bis 11 Uhr.
                              
                           
                              Diese Vorschrift muß genau befolgt werden, weil sich diese Würmer gern
                                 										zerstreuen, wenn die Stunde der Mahlzeit zu sehr verzögert wird und es ihnen an
                                 										Futter fehlt.
                              
                           
                              Während des fünften Lebensalters ist ein regelmäßiges Füttern nicht mehr möglich;
                                 										man gibt ihnen die Blätter im Verhältniß des Verbrauchs. Man muß nun seine
                                 										Fürsorge verdoppeln, damit sie nicht Hunger leiden.
                              
                           
                              Das Blatt des Wunderbaums welkt bald; es muß daher für alle Lebensalter der Zucht
                                 										zerschnitten werden, weil man sonst Gefahr liefe, viele Würmer zu verlieren,
                                 										indem sie unter den Blättern ersticken. Man zerschneide also die Blätter für das
                                 										erste Lebensalter mit einer Schere oder einem sichelförmigen Messer in schmale
                                 										Streifen, gerade so wie beim Cichoriensalat. In dem Maaße als die Würmer
                                 										heranwachsen, reicht man die Blätter gröber geschnitten. Das Nähere ergibt bald
                                 										die Erfahrung.
                              
                           
                              Die Temperatur muß immer gleich, ungefähr auf 18º R. erhalten werden. Man
                                 										darf sie jedoch auf 16º R. sinken lassen; dann geht aber die Zucht
                                 										langsamer vor sich.
                              
                           
                              Diese Seidenwürmer machen, wie die anderen, vier Häutungen durch, und ihre Zucht
                                 										dauert fast gleich lange Zeit.
                              
                           
                              Vom Auskriechen bis zum Aufkriechen verstreichen ungefähr dreißig Tage; dieser
                                 										Zeitraum hängt von der mehr oder weniger hohen Temperatur ab. Das dritte
                                 										Lebensalter ist das kürzeste, denn der Wurm bleibt nur etwa drei Tage unter
                                 										dieser Haut.
                              
                           
                              Der Wurm hat bei seiner Geburt eine trübe gelbliche Farbe, sein Kopf ist schwarz
                                 										und die zwölf Ringe sind mit schwarzen Stacheln und Haaren in Gestalt eines
                                 										Federbusches geziert; mit feiner Zunahme an Größe wird aber die Farbe heller,
                                 										die schwarzen Stacheln weichen andern, fast weißen, und während der beiden
                                 										letzten Lebensalter bekommt er eine bläulichweiße Farbe.
                              
                           
                              Beim Herannahen jeder Häutung ordnen sich diese Seidenwürmer wie Soldaten in
                                 										geschlossenen Linien zu einem Peloton und entledigen sich ihrer alten Haut. Ihr
                                 										Kopf ist dann weißlich, wird aber bald wieder schwarz, mit Ausnahme der beiden
                                 										letzten Lebensalter, während welcher er seine bläulichweiße Farbe
                                 									behält.
                              
                           
                              Wenn die Blätter des Wunderbaums versendet werden sollen, geschieht es in
                                 										Schachteln von dünnem Holz, auf welche Art sie sich länger conserviren, als wenn
                                 										sie der Luft ausgesetzt sind; wenn sie aber zu welken beginnen, muß man jedes
                                 										Blatt auf dem Wasser ausbreiten, wo es dann in weniger als zwei Stunden seine
                                 										Frische wieder bekommt.
                              
                           
                              Die Reife des Wurms erkennt man an seiner Durchsichtigkeit; er verkürzt sich und
                                 										geht dann an das Coconspinnen. Doch steigt er nicht gerne auf, sondern spinnt
                                 										denselben lieber auf den Wunderbaumblättern selbst, wo er sich befindet. Es
                                 										müssen daher die Würmer auf einer Hürde, einer Matte, oder einem ähnlichen
                                 										Geräth, welches man in vollkommen reinem Zustand erhält, gehalten werden; man
                                 										kann alsdann die Würmer, welche nicht aufsteigen wollen, auf den Blättern
                                 										selbst, wo sie sich befinden, ihre Cocons machen lassen. Diejenigen, welche gern
                                 										zu viel umherschweifen, bringt man in kleine Pappschachteln oder Papiertuten,
                                 										worin sie sich vortrefflich verspinnen.
                              
                           
                              Nachdem der Wurm in seinem Cocon eingeschlossen ist, dauert es 5–6 Tage,
                                 										bis er sich in die Puppe verwandelt hat; man muß zehn Tage warten, bis man die
                                 										Cocons abnimmt. Man bringt sie dann in große Pappschachteln mit Deckel von grünem oder blauem
                                 										Flor, damit die Luft frei zutreten kann; dabei wartet man ruhig das Ausschlüpfen
                                 										der prächtigen, dem sogenannten Pfauenauge ähnlichen Schmetterlinge ab.
                              
                           
                              Sobald sich die Schmetterlinge gepaart haben, faßt man sie zart mittelst eines
                                 										Zängchens und bringt sie in eine andere Schachtel von gleicher Größe, in welche
                                 										man ein großes Blatt blaues Papier gesteckt hat.
                              
                           
                              Die überzähligen Weibchen oder Männchen, welche nicht zur Begattung gekommen seyn
                                 										sollten, werden herausgenommen und in eine andere Schachtel gebracht, um sie zur
                                 										Paarung am andern Tag aufzuheben.
                              
                           
                              Diese Schmetterlinge verbleiben mehrere, manchmal zehn Tage, in der Begattung;
                                 										die Erfahrung hat gelehrt, daß man sie nicht zu früh auseinander bringen, auch
                                 										sie so nicht ihrem Belieben überlassen darf; denn sie sterben oft in diesem
                                 										Zustand. Man lasse sie daher 4–5 Tage beisammen, wornach man sie trennt.
                                 										Die Weibchen bringt man in große Schachteln, wie sie oben beschrieben wurden,
                                 										welche nämlich mit blauem oder grünem Flor bedeckt und innerlich mit einem
                                 										großen fliegenden Blatt blauen Papiers gefuttert sind. Auf dieses Blatt setzt
                                 										das Weibchen seine Eier in regelmäßigen, pyramidalen Haufen ab.
                              
                           
                              Die Männchen, die schon Dienste gethan, bringt man bei Seite, um sie nach Bedarf
                                 										zu benützen. Wenn man Abends die Schachtel öffnet, muß dieß mit großer Vorsicht
                                 										geschehen, weil sie davon fliegen wie Vögel, und sehr schwer wieder zu fangen
                                 										sind.
                              
                           
                              Mit dem Eierlegen ist die Zucht beendigt.
                              
                           
                              Es ist alsdann sehr nothwendig, die Eier wohl zu überwachen; man muß sie täglich
                                 										untersuchen, denn in weniger als 20 Tagen sind sie alle ausgekrochen und man
                                 										kann dann zu einer neuen Zucht schreiten. Man thut daher gut, zu verschiedenen
                                 										Zeiten des Jahres Wunderbäume einzusäen, damit es bei den auf einander folgenden
                                 										Zuchten nie an Blättern fehlt.
                              
                           
                              Wenn man die Mühe ersparen will die Würmer aufzuziehen, kann man die ersten
                                 										Blätter mit den darauf befindlichen jungen Würmern auf die Wunderbaumpflanze
                                 										selbst legen und die Zucht ginge dann unter freiem Himmel von selbst vor. In
                                 										diesem Falle muß man aber auf Ameisen, Spinnen, Vögel und die verschiedenen
                                 										Mäusearten, welche sämmtlich diesen Insecten begierig nachstellen, eifrig Jagd
                                 										machen.
                              
                           
                              Uebrigens vertragen die Seidenwürmer des Wunderbaums sehr gut den
                                 										Witterungswechsel; weder sie, noch ihre Cocons leiden durch den Regen, wenn er
                                 										auch noch so stark wäre, ebenso wenig durch Wind und Gewitter. Sogar die directen
                                 										Sonnenstrahlen sind ihnen nicht schädlich; Hagel aber könnte sie und die Pflanze
                                 										vernichten.
                              
                           
                              Wollte man solche Seidenwürmer zum Vergnügen ziehen, so könnte man sie auf
                                 										Wunderbaumpflanzen in Blumentöpfen setzen. Wenn man auf jedes Blatt eine oder
                                 										zwei Raupen legt, so erhält man auf der Pflanze selbst Cocons.“
                              
                           Nachschrift. Ich erhielt von Hrn. Griseri hundert lebende Cynthia-Cocons von seiner zweiten Zucht;
                              									einen Theil derselben brachte ich an einen kühlen, trocknen und luftigen Ort, am
                              									Eingang des Kellers, um ihr Ausschlüpfen wo möglich bis zum nächsten Frühling zu
                              									verzögern; die andern brachte ich in meine Stube, wo die Temperatur ungefähr
                              									20º R. beträgt. Letztere begannen am 30. Sept. mir Schmetterlinge zu geben,
                              									deren auch heute (8. Oct.) noch auskriechen. Die Art, wie diese Schmetterlinge aus
                              									den zu ihrer Aufnahme bestimmten ausgespannten Tüchern verbleiben, und ihr Eifer,
                              									sich zu paaren, ohne daß sie zu entfliehen versuchen, beweisen, daß sie einer zahmen
                              									Race angehören. Mehrere Weibchen haben sich schon von selbst von ihren Männchen
                              									getrennt und mattweiße Eier zu legen angefangen.
                           
                        
                           Nachtrag.Ueber Fütterung des Bombyx Cynthia
                                 										mit Cichorienblättern; von Hrn. Montagne.
                           Wie mir Hr. Staatsrath Pelli-Fabbroni zu Florenz berichtet, ist es gelungen den Bombyx Cynthia nicht nur mit Lattich- und Weidenblättern, sondern
                              									auch, und zwar eben so gut wie mit den Blättern des Wunderbaums, mit jenen der
                              									wilden Cichorie (Cichorium Intybus) zu füttern, welche
                              									Pflanze im nördlichen Frankreich, zur Bereitung eines Kaffee-Surrogats
                              									mittelst ihrer Wurzel, im Großen angebaut wird. Man verdankt diese Entdeckung dem
                              									Grafen Dignes in Florenz. Auch die Wirkung dieses Futters
                              									auf die von den Würmern, welche es erhielten, erzeugte Seide hat man bereits kennen
                              									gelernt. So hat man sich überzeugt, daß, um z.B. 30 Gramme Seide zu erhalten, 21
                              									Cocons von mit Cichorie gefütterten Würmern erforderlich sind, während, um
                              									ebensoviel Seide von Cocons mit Ricinusblättern gefütterter Würmer zu erhalten,
                              									deren 18 hinreichen. Daß dieser geringe Unterschied im Ertrag die Wichtigkeit der
                              									vom Grafen Dignes gemachten Entdeckung nicht
                              									beeinträchtigt, ist einleuchtend.
                           
                           Wenn für die Einführung der Zucht dieses neuen Seidenwurms in Frankreich alle
                              									Hoffnung vorhanden ist, gelingt dieselbe in Algerien und in den südlichen Provinzen
                              									Frankreichs, wo die Cultur des Wunderbaums keine Schwierigkeit darbietet, ohne allen
                              									Zweifel vollkommen. Bestätigt sich aber diese Entdeckung, so wäre dieß für den
                              									Betrieb der Seidenindustrie in den Departements des mittlern und selbst des
                              									nördlichen Frankreichs ein außerordentlicher Vortheil. (Aus den Comptes rendus, November 1854, Nr. 21.)