| Titel: | Miscellen. | 
| Fundstelle: | Band 135, Jahrgang 1855, Nr. , S. 76 | 
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                        Miscellen.
                        Miscellen.
                        
                     
                        
                           Statistik der englischen Eisenbahnen.
                           Das Nachstehende ist ein Auszug aus einer Veröffentlichung des englischen
                              									Handelsamtes (Board of trade) und enthält nur die
                              									wichtigsten Thatsachen aus dieser langen Arbeit.
                           Im Jahre 1853 hat das Parlament den Bau von 940 engl. Meilen Eisenbahnen
                              									concessionirt. Diese Zahl ist weit höher als die der frühern Jahre seit 1847. Von
                              									diesen 940 Meilen kommen 589 Meilen auf England, 80 Meilen auf Schottland und 271
                              									Meilen auf Irland.
                           Die Gesammtlänge der vom Anfang bis Ende 1853 vom
                              									englischen Parlament autorisirten Bahnen beträgt 12,688 engl. (2760 deutsche)
                              									Meilen. Von dieser Zahl sind 7686 Meilen dem Verkehr übergeben und es bleiben noch
                              									5002 Meilen auszuführen; da aber 2838 Meilen von dieser concessionirten Länge am
                              									Ende von 1853 nicht ausgeführt waren, so erlosch die Parlaments-Genehmigung
                              									und es blieben daher nur noch 2164 Meilen wirklich auszuführen. Von den 7686 Meilen
                              									bereits dem Verkehr übergebener Bahnen kommen 5848 Meilen auf England, 995 Meilen
                              									auf Schottland und 843 Meilen auf Irland. Im Jahre 1853 sind 350 M. dem Verkehr
                              									übergeben worden.
                           Das in dem Vereinigten Königreich in Eisenbahnen angelegte Capital betrug am Ende von 1852 die Summe von 6 Milliarden 604 Millionen
                              									142,000 Francs, wovon 4,035,006,400 Fr. in Stammaktien, 967,518,875 Fr. in
                              									Prioritätsactien oder Obligationen, und 1,601,616,700 Fr. in Anleihen. Die im Jahre
                              									1853 auf Eisenbahnen verwendeten Summen sind dem Parlament noch nicht bekannt; aller
                              									Wahrscheinlichkeit nach waren sie aber nicht geringer als 1852, und es ist daher
                              									anzunehmen, daß sie im J. 1853 wenigstens 7 Milliarden 15 Millionen betragen werden,
                              									wovon 1 Milliarde 50 Millionen auf Stamm- und Prioritäts-Actien und 1
                              									Milliarde 750 Millionen auf Anleihen kommen.
                           Die Meilenzahl der Ende Juni 1853 im Bau begriffenen Eisenbahnen betrug 682, und die
                              									Anzahl der dabei beschäftigten Arbeiter 37,764. Die Anzahl der zu derselben Zeit dem Verkehr
                              									geöffneten Bahnen betrug 7512 Meilen und die Anzahl der dabei Angestellten
                              									80,409.
                           Die Anzahl der Personen, welche 1853 die Bahnen in dem Vereinigten Königreiche
                              									befahren haben, beträgt 102,286,660; im Jahre 1852 betrug sie 89,135,729. Die
                              									Gesammteinnahmen von allen Quellen beliefen sich im J. 1853 auf 450,896,975 Francs;
                              									im J. 1852 auf 392,763,850 Fr. Im Jahre 1849 betrug die Zunahme der Reisenden per
                              									Meile 11,450, im J. 1853 aber 14,695 Personen In Schottland waren die Reisenden,
                              									welche in Wagen der dritten Classe fuhren, die zahlreichsten, und die dadurch
                              									erlangte Einnahme überstieg die der beiden andern Wagenclassen zusammengerechnet.
                              									Sowohl in England, als in Schottland und Irland hat auch eine sehr bedeutende
                              									Vermehrung des Gütertransports von einem Jahr zum andern stattgefunden.
                           Was nun die Unglücksfälle betrifft, so wurden im J. 1852
                              									von 89,135,729 Reisenden in Großbritannien 216 Personen getödtet und 486 verwundet.
                              									Davon kommen 181 Getödtete und 413 Verwundete auf England, 14 Getödtete und 71
                              									Verwundete auf Schottland und 11 Getödtete und 2 Verwundete auf Irland.
                           Im Jahre 1853 wurden von 102,286,660 Reisenden 305 Personen getödtet und 449
                              									verwundet; es kommen davon respective 243 und 369 auf England, 37 und 69 auf
                              									Schottland, 25 und 12 auf Irland.
                           Wenn man nun die Jahre 1852 und 1853 mit einander vergleicht, so findet man, daß 1852
                              									auf 1 Million Reisender in England 14 Getödtete und 43 Verwundete, in Schottland
                              									kein Getödteter und 0,625 Verwundete, in Irland kein Getödteter und 3,2 Verwundete,
                              									und für das ganze Vereinigte Königreich 11 Getödtete und 4,2 Verwundete auf 1
                              									Million Reisender sich herausstellen.
                           Im Jahre 1853 ist die Anzahl der Unfälle im Verhältniß zu derjenigen der Reisenden
                              									weit größer. Auf 1 Million Reisender kommen in England 25 Getödtete und 2,6
                              									Verwundete; in Schottland 9 der erstern und 4,5 der letztern, und in Irland 2,4 der
                              									erstern und 1,6 der letztern; für das ganze Königreich macht dieß 35 Getödtete und
                              									2,8 Verwundete per Million Reisender.
                           Obgleich diese Zahlen im Verhältniß zu der großen Anzahl der Reisenden unbedeutend
                              									erscheinen, so muß man diese Unfälle doch um so mehr beklagen, da sie fast immer
                              									durch die Schuld der Angestellten veranlaßt wurden. Dennoch gewährt kein anderes
                              									Transportmittel den Reisenden so große Sicherheit, als die Eisenbahnen. (Armengaud's
                              									Génie industriel, October 1854, S. 196.)
                           
                        
                           Eisenbahn-Signal aus China entlehnt.
                           Capitän J. Norton beschreibt eine Methode zur Bewirkung
                              									der Verbindung zwischen dem Conducteur eines Eisenbahnzuges und dem Locomotivführer,
                              									welche in China als Signal für verschiedene Zwecke benutzt wird. Eine metallene
                              									Pfeife wird nämlich an einem kurzen Stock befestigt, und wenn dieser durch die Luft
                              									geworfen wird, so entsteht ein schriller Ton; je schneller er fortgetrieben wird,
                              									desto stärker ist das Geräusch. Capitän Norton bemerkt,
                              									daß das wirksamste Verfahren, eine solche Pfeife als Eisenbahn-Signal zu
                              									benutzen, darin bestände, den Stock in den Lauf eines mit Pulver geladenen Pistols
                              									zu stecken und dasselbe über die Locomotive weg abzufeuern. Er hat auf diese Weise
                              									zu verschiedenen Malen die Wirksamkeit dieses Signals probirt, indem er während der
                              									vollen Geschwindigkeit des Bahnzuges die Pfeife durch die Luft abschoß und
                              									unmittelbar darauf die Antwort von Seite des Lokomotivführers mittelst der
                              									Dampfpfeife hörte. (Civil Engineer and Architect's
                                 										Journal, Nov. 1854, S. 399.)
                           
                        
                           Ein Riesen-Schwungrad.
                           Das große Schwungrad in der Morsey-Hütte ist wohl das größte jetzt
                              									gebräuchliche. Beim Auswalzen der Kesselbleche ist die Geschwindigkeit, mit welcher
                              										sich die Walzen
                              									umdrehen müssen, sehr beschränkt, mit andern Worten, die Anzahl der von den Walzen
                              									gemachten Umdrehungen ist. im Verhältniß zu denen, welche andere Walzen bei der
                              									Eisenfabrication machen, gering. Bei einem Walzwerk, welches directe Bewegung
                              									erforderte, war es daher nothwendig ein Schwungrad zu construiren, welches groß und
                              									schwer genug war, um bei wenigen Umgängen ein Moment zu haben, welches hinreicht um
                              									die gewöhnlichen Stöße beim Auswalzen großer Blechplatten zu überwinden. Dieß konnte
                              									aber nur dadurch bewirkt werden, daß man den Durchmesser des Schwungrades so groß
                              									machte, daß der Kranz das erforderliche Moment besitzt. Unter dieser
                              									Berücksichtigung ist ein Schwungrat entstanden, dessen Durchmesser 35 Fuß beträgt,
                              									welches ungefähr 60 Tonnen (1200 Ctr. wiegt und dessen Kranz allein ein Gewicht von
                              									24 Tonnen hat Letzterer bewegt sich bei 38 Umdrehungen mit einer Geschwindigkeit von
                              									etwa 4500 Fuß in der Minute. Bei einem so großen Rade war eine große Sorg altSorgfalterforderlich, um alle Theile so mit einander zu verbinden, daß sie beim
                              									Umlauf zusammenhalten und nicht durch die Centrifugalkraft auseinander gehen. Nach
                              									Vollendung der Zeichnung wurde die Construction Hrn. Fairbairn zur Begutachtung vorgelegt, der jedoch erklärte, daß sie
                              									hinlänglich fest sey, um eine Geschwindigkeit von 14,000 Fuß in der Minute –
                              									d.h. 120 Umdrehungen – auszuhalten. (Civil Engineer
                                 										and Architect's Journal, Nov. 1854, S. 399.)
                           
                        
                           Die Tragkraft der Rostpfähle.
                           Professor Stevelly bemerkt Nachstehendes über die Gränzen
                              									des Tragvermögens der in den Boden eingetriebenen sogenannten Rostpfähle. Die Kraft,
                              									welche dem Eindringen der Pfähle in den Boden Widerstand leistet, kann unter sehr
                              									eigenthümlichen Umständen in dem Maaße abnehmen, je tiefer der Pfahl eindringt; in
                              									den meisten Fällen nimmt sie dagegen zu, und in der Regel ist bei den letzten
                              									Schlägen der Ramme diese Zunahme sehr bedeutend. Er gibt folgende einfache Proben
                              									an: nachdem der Pfahl so weit eingetrieben worden ist, als er eingetrieben werden
                              									soll, lasse man den Rammklotz von einer geringern Höhe auf ihn herabfallen, als es
                              									bei dem vorhergehenden Schlage geschehen, und vergleiche dann genau die beiden
                              									Längen, um welche er eingetrieben worden ist. Wenn der Widerstand zunimmt, so ist
                              									die wirkliche Belastung, welche der Pfahl tragen kann, nicht geringer, als sie wäre,
                              									wenn der Widerstand des Pfahles beim Eintreiben ein ganz gleichförmiger gewesen
                              									wäre. Letztere Kraft läßt sich sehr einfach berechnen, und man erhält dann die ganz
                              									sichere Gränze bis wie weit man den Pfahl mit einer todten Last beschweren kann,
                              									ohne daß er weiter einsinkt. Die beiden dynamischen Principien, worauf sich die
                              									Berechnung gründet, sind:
                           1) Wenn eine sich bewegende Masse W eine andere ruhende
                              										W' mit einer Geschwindigkeit v stößt, so ist die Geschwindigkeit nach dem Stoß
                           v' = v W/(W + W').
                           2) Wenn ein Körper, welcher sich mit der Geschwindigkeit v' bewegt, durch einen gleichförmig wirkenden Widerstand aufgehalten wird,
                              									so kann dieser Widerstand mit dem Gewicht verglichen werden, welches die
                              									Geschwindigkeit veranlaßt (hier die Ramme), in Folge des Grundsatzes, daß die Kraft
                              									oder der Widerstand proportional ist dem Quadrat der gewonnenen oder verlorenen
                              									Geschwindigkeit, dividirt mit dem Raum durch den die Kraft wirkt, um die
                              									Geschwindigkeit zu geben oder wegzunehmen.
                           Die nachstehende praktische Regel ist eine einfache algebraische Deduction von diesen
                              									beiden Principien. Man bezeichne mit W das Gewicht des
                              									Rammklotzes in Tonnen; mit W' das Gewicht des Pfahls in
                              									Tonnen und Zehnteln; mit h die Höhe in Fußen und
                              									Zehnteln, von welcher der Rammklotz beim letzten Schlage herabgefallen ist; mit d endlich die Tiefe in Zehnteln eines Fußes, um welche
                              									der letzte Schlag den Pfahl eingetrieben hat: so wird L
                              									die Gränze der Belastung (in Tonnen) seyn, welche der Pfahl mit Sicherheit tragen
                              									kann, daher
                           
                           L = W
                              										(W/(W + W')) . (h/d);
                           wobei W, W', h und d sämmtlich durch Wägung und Messung bestimmt werden
                              									können. (Civil Engineer and Architect's Journal, Nov.
                              									1854, S. 399.)
                           
                        
                           Bonelli's elektrischer
                              									Webstuhl.
                           Ueber diese wichtige Erfindung enthält die St. Galler Zeitung aus bester Quelle
                              									folgende Mittheilung:
                           Das erste Modell eines elektrischen Bonelli'schen
                              									Webstuhls mit 120 Hebehaken (Platinen) nach der Construction von Hrn. Hipp (aus Reutlingen), Vorsteher der
                              									Telegraphenwerkstätte in Bern, ging kürzlich von da nach Turin an Hrn. Bonelli ab.
                           Eine telegraphische Depesche meldete Hrn. Hipp, daß die
                              									Gesellschaft damit zufrieden und Hr. Bonelli sehr
                              									befriedigt sey. – Es scheint außer Zweifel, daß es dem Scharfsinn und dem
                              									praktischen Talente Hrn. Hipp's gelungen ist, jene
                              									Schwierigkeiten zu überwinden, welche die Modelle von Brequet in Paris untauglich machten. – Namentlich störte das Ueberspringen des elektrischen Funkens schnell den
                              									sichern Gang des Apparats; Hr. Hipp hat auf äußerst
                              									sinnige Weise diesen Uebelstand gänzlich zu vermeiden gewußt, und es soll eine
                              									Freude seyn. denselben mit der größten Sicherheit functioniren zu sehen.
                           In beiläufig zwei Monaten dürfte ein zweiter Apparat mit vierhundert Hebehaken
                              									vollendet werden. Erhält auch dieser Apparat, woran kaum zu zweifeln ist, die
                              									Zufriedenheit der Gesellschaft, welche die Erfindung von Hrn. Bonelli um eine Million Francs erkauft und sich
                              									dafür bereits in allen Ländern Patente erworben hat, so erhält Hr. Bonelli von derselben die zweite Hälfte dieses Betrags.
                              									Die erste Hälfte war ihm gleich Anfangs für die bloße Idee, ohne nur der praktischen
                              									Ausführung gewiß zu seyn, zugestellt worden. – Diese ungeheure Summe für eine
                              									Erfindung läßt deren Werth beurtheilen; es wird behauptet, daß die Ersparnisse eines
                              									einzigen Webstuhls jährlich über 1000 Fr. betragen.
                           Hr. Hipp will keine besondern Schwierigkeiten mehr darin
                              									finden, dergleichen Apparate mit tausend und noch mehr Hebehaken zu verfertigen,
                              									seit es ihm gelungen ist, die zarte metallische Oberfläche des Dessin stets rein und
                              									von elektrischen Funken unangegriffen zu erhalten.
                           
                        
                           Verstärkung des Gußeisens durch Umschmelzen.
                           Hr. Oldham hat Versuche über die Festigkeit des Gußeisens,
                              									zur Bestätigung der von Hrn. Fairbairn (polytechn.
                              									Journal Bd. CXXXI S. 26) unternommenen angestellt, wonach es als erwiesen anzusehen
                              									ist, daß Gußeisen durch wiederholtes Umschmelzen fester wird. Die Versuche wurden
                              									mit 2 Fuß langen Stäben angestellt und der höchste Grad der Stärke wurde beim
                              									neunzehnten Umschmelzen erlangt. (Civil Engineer and
                                 										Architect's Journal, Nov. 1854, S. 400.)
                           
                        
                           Firniß, um das Austrocknen der Gemälde-Leinwand zu
                              									verhindern; von den HHrn. Bourlet de la Vallée und
                              										Garneray.
                           Die Société d'Encouragement ertheilte im
                              									Jahr 1851 Hrn. Garneray eine silberne Preismedaille für
                              									einen Firniß, welcher die Gemälde nicht nur gegen Feuchtigkeit vollkommen schützt,
                              									sondern auch verhindert daß sie Riffe bekommen. Die Zusammensetzung dieses Firnisses ist in einem
                              									Patent angegeben, welches dem Erfinder am 6. August 1849 verliehen wurde. Man
                              									nimmt:
                           
                              
                                 Pfeifenthon
                                 1 Theil
                                 
                              
                                 Schwerspath
                                 1     „
                                 
                              
                                 Zinkoxyd
                                 1     „
                                 
                              
                                 Bleiweiß
                                 1     „
                                 
                              
                                 Kreide
                                 2 Theile
                                 
                              
                                 Vogelleim
                                 1 Theil
                                 
                              
                                 Terpenthin oder andere Harze
                                 1     „
                                 
                              
                                 aufgelösten Kautschuk
                                 4 Theile
                                 
                              
                                 fette Oele
                                 2     „
                                 
                              
                                 Pflanzenöle oder ätherische Oele
                                 4     „
                                 
                              
                                 mineralische Oele
                                 3     „
                                 
                              
                                 thierische Oele
                                 1 Theil.
                                 
                              
                           Die Verhältnisse aller dieser Substanzen können abgeändert werden je nach der Farbe,
                              									dem Grade der Weichheit oder Dicke, welche man dem Ueberzug zu geben wünscht, und je
                              									nachdem derselbe glatt oder rauh seyn soll.
                           Die Vortheile dieses Ueberzuges bestehen darin, daß er auf Gewebe jeder Größe und
                              									jeder Art aufgetragen werden kann, und daß er nicht nur das Austrocknen derselben
                              									vollkommen verhindert, sondern sie zugleich undurchdringlich macht.
                           Wenn man den Geweben aber eine gewisse Durchdringlichkeit lassen will, damit die
                              									Farbe sich einsaugen kann, so genügt es das Verhältniß des Kautschuks zu
                              									verringern.
                           Ein anderer Vortheil dieses Ueberzuges ist. daß er niemals Risse bekommen kann, als
                              									wenn ein sehr starker Druck auf eine Falte ausgeübt wird, und daß es unmöglich ist
                              									ihn von dem Tuch zu trennen, selbst mittelst schneidender Instrumente; daß er den
                              									Einflüssen der Witterung widersteht, sowie auch dem kochenden Wasser; endlich daß er
                              									gestattet die Gemälde zu rollen, ohne daß sie Schaden leiden. (Description des brevets, t. XV p. 49.)
                           
                        
                           Ueber die Verwendung der Zuckerrüben zur Weinbereitung; von
                              									Professor Siemens in Hohenheim.
                           Bei den in diesem Herbst wiederholten Versuchen über Verwendung der Zuckerrüben in
                              									der Branntweinbrennerei gelang es, einen sehr reinschmeckenden Saft zu gewinnen, der
                              									nach der Gährung als ein trinkbarer Most (Cider) erschien. Dieß gab zunächst die
                              									Veranlassung, den auf ähnliche Weise gereinigten Rübensaft als Zusatz zum
                              									Obst- und Traubenmost oder doch zur Gewinnung eines guten Träberweins zu verwenden, wovon um so mehr ein nicht ungünstiges
                              									Resultat zu erwarten stand, als der aus jenem Rebensafte gewonnene Branntwein ohne
                              									weitere Reinigung kaum noch den eigenthümlichen Rübengeschmack erkennen läßt. Da
                              									diese vollständigere Entfernung des Rübengeschmacks vorzugsweise durch eine
                              									geeignete Behandlung des Safts mit Schwefelsäure und die dadurch bewirkte bessere
                              									Vergährung erlangt wurde, so schien zu dieser neuen Verwendung des Rübensafts eine
                              									ähnliche Behandlungsweise geeignet. Es mußte dabei nur statt der Schwefelsäure eine
                              									andere Säure gewählt werden, weil man Anstand nehmen würde, jene zu einem für den
                              									Genuß bestimmten Getränke zu verwenden, obgleich wir die Schwefelsäure in so
                              									geringer Menge, wie sie hier nöthig wird, in den wohlthätigsten Arzneimitteln nicht
                              									selten erhalten. Als Ersatz für die Schwefelsäure
                              									schienen mir, ihres reichen Gehalts an Aepfesäure wegen, die bekannten sauren Beeren
                              									des Berberitzenstrauchs (Berberis
                                 										vulgaris) ganz geeignet, und ein Versuch zeigte denn auch eine gleiche
                              									klärende Wirkung auf den Rübensaft.
                           Ein einfaches Kochen mit diesen Beeren, wovon auf 10 Maaß Rübensaft 2 bis 3 Schoppen
                              									Beeren nur zerquetscht zugesetzt wurden, genügte, um einen reinen Saft zu
                              									bekommen. Sobald dieser zwischen den ausgeschiedenen Flocken klar erschien, wurde
                              									derselbe durch einen Flanellbeutel oder Tuch und dann durch etwa 1 Pfund gekörnte
                              									Holzkohle filtrirt. Dieser Filtration folgte noch eine Klärung mit etwas Eiweiß, da
                              									der Saft immer einige feine Kohlentheile mit fortreißt, die beim Gerinnen des
                              									Eiweißes wieder abgeschieden werden. Nach dieser Klärung wird auch noch ein
                              									Abdampfen nöthig, weil diese weitere Concentration sowohl den eigenthümlichen
                              									Rübengeschmack, als auch die größere Vergährungsfähigkeit des Safts vermindert.
                              									Letzteres scheint nöthig, da eine Probe ohne längeres Kochen binnen zwei bis drei
                              									Tagen durch die Gährung bereits allen Zucker verloren hatte.
                           Der eingedickte Saft (etwa die Hälfte des früheren Quantums), der gegen 30 Procent am
                              									Saccharometer zeigte, wurde dann vor der Vermischung mit dem Traubenmoste oder den
                              									Weintrestern wieder bis auf 20 Procent mit reinem Wasser verdünnt. Von diesem so
                              									gereinigten Rübensafte vermischte ich 5 Maaß mit 10 Maaß Traubenmost, der dadurch
                              									bis jetzt keine Spur von Rübengeschmack bemerken läßt. Ob dieß nicht aber später
                              									noch der Fall seyn wird, muß die weitere Erfahrung lehren. Jedenfalls zeigten die
                              									angestellten Versuche, daß die Zuckerrüben ein billiges und brauchbares Material zur
                              									Vermehrung unseres Wein- und Obstmostes in solchen Jahren, wie das heurige,
                              									liefern; und sollte man auch noch Anstand nehmen, seinen Wein- und Obstmost
                              									mit solchem Rübensaft zu vermischen, so würde man mit demselben aus den Wein- und Obst träbern,
                              									wenn diese nicht zuvor durch Erwärmung dazu verdorben sind, sicher noch ein weit
                              									besseres Getränk bereiten können, als durch den alleinigen Zusatz von Wasser.
                           Die Rübe, welche jetzt schon durch ihre Verwendung zur Zuckerbereitung und
                              									Alkoholgewinnung gerade für unsern kleinern Grundbesitzer einen reichen und sickeren
                              									Lohn für seine Arbeit liefert, kann ihn durch diese neue Erfindung auch mit einem
                              									kräftigen Trunke beleben und erfrischen. Wesentlich nöthig scheint es aber bei
                              									dieser Verwendung des Rübensafts, daß man die Rübe zuvor schält, weil ihre
                              									Verunreinigungen vorzugsweise in der Schale, namentlich in dem obern, mehr
                              									verholzten Theile enthalten sind. Ganz besonders geeignet zeigte sich hiebei die
                              									Rübenvarietät, welche schon seit einer Reihe von Jahren hier in Hohenheim mit besonderer Sorgfalt cultivirt wird, da sie
                              									auch für die Zuckerfabrication selbst auf gedüngtem Acker einen weit reineren Saft
                              									liefert, als die gewöhnliche schlesische Zuckerrübe, weßhalb jene auch für die
                              									Brennerei einen besondern Vorzug verdient.
                           Ferner zeigten die bereits angestellten Proben, daß durch Auslaugen der Rüben ein
                              									weit reinerer Saft gewonnen werde, als durchs Pressen, namentlich wenn man dabei die
                              									zerquetschten Beeren in das erste Wasser gibt, worin die Rüben zunächst zu erhitzen
                              									sind. In diesem Falle findet weder eine schwarze Färbung des Safts noch der Schnitte
                              									statt, und man erhält dadurch einen schön röthlich gefärbten Saft, was denselben
                              									viel einladender macht, als die dunkle Färbung des durchs Pressen gewonnenen Safts,
                              									der jedoch auch während der Gährung nach und nach verschwindet. Zum Auslaugen werden
                              									die geschälten Rüben mit einer gewöhnlichen Wurzelschneidmaschine in dünne Scheiben
                              									zerschnitten, und diese in getheilten Portionen von gleicher Menge unmittelbar nach
                              									dem Schneiden in einem Kessel mit Wasser nicht gekocht,
                              									aber so lange erhitzt, bis sie völlig abgewelkt, aber nicht erweicht sind. Das
                              									völlige Auslaugen kann dann mit kaltem Wasser geschehen, wie dieß bereits von mir
                              									(polytechn. Journal Bd. CXXXII S. 442) näher beschrieben worden ist. (Wochenblatt
                              									für Land- und Forstwirtschaft, 1854, Nr. 46.)