| Titel: | Ueber die Prüfung des Chlorkalks mittelst Eisenvitriol; von Dr. G. C. Wittstein. | 
| Fundstelle: | Band 138, Jahrgang 1855, Nr. XIV., S. 50 | 
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                        XIV.
                        Ueber die Prüfung des Chlorkalks mittelst
                           								Eisenvitriol; von Dr. G. C.
                              									Wittstein.
                        Aus dessen Vierteljahresschrift für praktische
                                 										Pharmacie, 1855 Bd. IV S. 555.
                        Wittstein, über die Prüfung des Chlorkalks mittelst
                           								Eisenvitriol.
                        
                     
                        
                           Zur Ermittelung der Bleichkraft des Chlorkalks empfahl bekanntlich Graham vor längerer Zeit das reine krystallisirte
                              									schwefelsaure Eisenoxydul. Das Verfahren besteht kürzlich darin, daß man 100 Gran
                              									Chlorkalk mit 900 Gran Wasser anreibt, etwas absetzen läßt, und von der
                              									überstehenden Flüssigkeit so lange zu einer Auflösung von 78 Gran Eisenvitriol
                              									gießt, bis ein herausgenommener Tropfen der letztern durch Kaliumeisencyanid nicht
                              									mehr blau wird. Hierbei verwandelt sich der Eisenvitriol in schwefelsaures
                              									Eisenoxyd, angeblich nach der Gleichung:
                           CaO + ClO und 4 (FeO + SO₃) = CaCl und 2
                              									(Fe₂O₃ + 2 SO₃).
                           
                           Der krystallisirte Eisenvitriol = FeO + SO₃ + 7 HO hat die Zahl 1737,5; 4 Aeq.
                              									desselben = 6950,0 Theile bedürfen also 2 Aeq. oder 200 Theile Sauerstoff, und 78
                              									Theile Eisenvitriol : 2,24 Theile Sauerstoff, welche 10 Theilen Chlor entsprechen.
                              									Wären nun z.B. von den aus 100 Gran Chlorkalk bereiteten 1000 Gran Chlorkalksolution
                              									400 Gran verbraucht worden, um die 78 Gran Eisenvitriol vollständig zu oxydiren, so
                              									enthielten diese 400 Gran : 2,24 Gran bleichenden Sauerstoff, entsprechend 10 Gran
                              									bleichendem Chlor, und in 1000 Gran Solution oder in 100 Gran trocknem Chlorkalk
                              									befänden sich 5,60 Gran bleichender Sauerstoff, entsprechend 25 Gran bleichendem
                              									Chlor.
                           Ich habe mich dieser leicht und bequem auszuführenden Chlorkalkprobe oft bedient,
                              									aber dabei jedesmal einen ziemlich starken Geruch nach freiem Chlor bemerkt, auch
                              									wenn das Eisenoxydul noch lange nicht vollständig in Oxyd übergeführt war, also mit
                              									Kaliumeisencyanid noch eine stark blaue Trübung erfolgte. Indessen achtete ich nicht
                              									weiter darauf, bis ich vor einiger Zeit, bei der Prüfung mehrerer Sorten Chlorkalk
                              									in Gemeinschaft mit Hrn. A. Claude aus Paris, von diesem
                              									ausgezeichneten technischen Chemiker wieder daran erinnert wurde. Wir bestimmten mm
                              									den Gehalt eines Chlorkalks vergleichend mit arseniger Säure (nach Gay-Lussac) und mit Eisenvitriol, und fanden
                              									denselben nach letzterer Methode etwas anders als nach ersterer; es zeigte sich
                              									nämlich der Gehalt eines und desselben Chlorkalks mit Eisenvitriol geprüft um ein
                              									paar Procente niedriger, als mit arseniger Säure geprüft.
                           In einer bald darauf im Kunst- und Gewerbeblatt des polytechnischen Vereins
                              									für das Königreich Bayern, Jahrgang 1854 S. 652, erschienenen Abhandlung:
                              										„Ueber die Nothwendigkeit einer allgemein gleichförmigen
                                 										Titrirungs-Methode des Chlorkalks“ äußert sich Hr. Claude über die Graham'sche
                              									Probe folgendermaßen:
                           
                              „Chlorkalkstärke durch Eisenvitriol bestimmen, hat besonders in
                                 										Deutschland hie und da Eingang gefunden, und da diese Probe sich, wie beim
                                 										Arsenik, auf doppelte Abgabe von Sauerstoff an das Eisenoxydul, nämlich des
                                 										Sauerstoffs der unterchlorigen Säure und des Sauerstoffs aus dem durch das frei
                                 										gewordene Chlor zersetzten Wasser gründet, sollte man sie unbedingt als
                                 										zuverlässig ansehen; allein, wie genau man auch verfährt, sich streng am Punkte
                                 										haltend, wo Kaliumeisencyanid-Auflösung nicht mehr blau oder grünlich
                                 										gefärbt wird, erhält man immer einen Procentgehalt, der um einige Grade
                                 										niedriger ist, als jener durch arsenige Säure angezeigte. Der Chlorgeruch ist
                                 										gegen das Ende der Operation persistent und doch erhält die Probe noch nicht die braune
                                 										Färbung, welche das gänzliche Verschwinden von Eisenoxydul anzeigen soll. Gerade
                                 										an diesem Punkte kann nun Chlor genug entweichen, um einen irrigen Procentgehalt
                                 										anzuzeigen und stets zum Nachtheil der Chlorkalkprobe. Bindet man sich hingegen
                                 										nicht an diesen Punkt, hört man mit dem Zutröpfeln der Chlorkalklösung auf,
                                 										sobald der Chlorgeruch nicht mehr verschwindet, oder kein blauer Niederschlag,
                                 										sondern nur eine grünliche Färbung erscheint, so hängt das Ergebniß ganz von der
                                 										Ansicht oder der Willkür des Probeanstellers ab, und es ist unmöglich, daß die
                                 										Resultate übereinstimmend seyen, selbst bei Männern vom Fache, die mit voller
                                 										Sachkenntniß und mit chemisch reinen Reagentien arbeiten, viel weniger, wenn die
                                 										Probe nur empirisch ausgeführt wird, wie dieß meistens im Handel und sogar in
                                 										Fabriken der Fall ist.“
                              
                           Das Auftreten von freiem Chlor bei der Zusammenkunft von Chlorkalklösung mit
                              									Eisenvitriollösung, wovon man sich durch den Geruch und durch das sofortige
                              									Gebleichtwerden eines über die Probe gehaltenen Streifens Lackmuspapier leicht
                              									überzeugen kann, beweist, daß der Proceß nicht gemäß der oben angegebenen Gleichung,
                              									sondern factisch auf nachstehende Weise verläuft:
                           CaO + ClO und 2 (FeO + SO₃) = CaO + SO₃,
                              									Fe₂O₃ + SO₃, Cl.
                           Lassen wir das frei auftretende Chlor vor der Hand ganz aus dem Spiele, indem wir
                              									annehmen, es entwiche vollständig (was allerdings nicht der Fall ist), so führt die
                              									eben mitgetheilte Gleichung zu folgender Betrachtung:
                           Um 2 Aeq. = 3475 Gran Eisenvitriol vollständig zu oxydiren, bedarf man 1 Aeq. = 894
                              									Gran unterchlorigsauren Kalk. Diese 894 Gran unterchlorigsaurer Kalk geben aber nur
                              									1 Aeq. = 100 Gran Sauerstoff zur Oxydation des Eisenoxyduls her, und es zeigen somit
                              									3475 Gran Eisenvitriol zwar nur 100 Gran Sauerstoff an, entsprechen aber doch 894
                              									Gran unterchlorigsaurem Kalk oder 888 Gran, d. i. 2 Aeq. bleichendem Chlor: oder 78
                              									Gran Eisenvitriol nehmen zwar nur 2,24 Gran Sauerstoff auf, diese 2,24 Gran
                              									Sauerstoff entsprechen aber nicht ihrem gleichen Aeq. Chlor oder 10 Gran, sondern
                              									ihrem doppelten Aeq. oder 20 Gran Chlor, oder ihrem gleichen Aeq. unterchlorigsaurem
                              									Kalk = 20,13 Gran. Folglich zeigen 78 Gran Eisenvitriol nicht 10, sondern 20 Gran
                              									bleichendes Chlor oder 20,13 Gran unterchlorigsauren Kalk an.
                           Dieses theoretische Raisonnement wird aber durch die Praxis nicht bestätigt. Wie
                              									leicht einzusehen, kann, so lange noch Eisenoxydul vorhanden ist, das aus dem Chlorkalk frei
                              									gewordene Chlor nicht vollständig entweichen, sondern ein Theil dieses Chlors
                              									entzieht dem Eisenoxydul Eisen, wodurch Eisenchlorid und Eisenoxyd entstehen:
                           6 FeO + 3 Cl = 2 Fe₂O₃ + Fe₂Cl₃.
                           Je weniger Chlorkalklösung in einer gegebenen Zeit mit dem Eisenvitriol zusammen
                              									kommt, um so vollständiger erfolgt diese Umwandlung des ausgetretenen Chlors in
                              									Eisenchlorid und um so weniger Chlor entweicht. Gegen Ende des Versuchs muß aber das
                              									Entweichen von Chlor zunehmen, weil nur noch wenig Eisenoxydul vorhanden ist.
                           Obgleich man daher mit einer gewissen Menge Chlorkalk weit mehr Eisenvitriol oxydiren
                              									kann, als dem oben gegebenen zweiten Schema entspricht, so wird es doch niemals
                              									gelingen, mit 1 Aeq. unterchlorigsaurem Kalk 4 Aeq. Eisenvitriol zu oxydiren, weil
                              									während des Versuchs ungeachtet aller Vorsicht ein Theil des frei gewordenen Chlors
                              									entweicht. Daß dieses verloren gehende Chlor keine constante Größe ausmacht, sondern
                              									bald etwas mehr, bald etwas weniger beträgt, ist begreiflich; in jedem Falle aber,
                              									mag dieser Verlust noch so gering seyn, wird dadurch der Schluß, daß 78 Gran
                              									Eisenvitriol 10 Gran bleichendes Chlor anzeigen, falsch, denn, um 4 Aeq. Eisenvitriol vollständig zu oxydiren,
                                 										bedarf man mehr als 1 Aeq. unterchlorigsauren Kalk, weil eine Portion Chlor der
                                 										Einwirkung auf den Eisenvitriol entgeht und entweicht.
                           Es liegt mithin im eigenen Interesse der Chlorkalk-Fabrikanten, ihren
                              									Chlorkalk nicht mit Eisenvitriol auf seine Bleichkraft zu prüfen, weil er dadurch
                              									geringhaltiger erscheint, als er in der That ist. Aber auch der Consument darf sich
                              									dieser Probe nicht bedienen, denn sie kann ihn zu einer ungerechten Anklage gegen
                              									den Fabrikanten verleiten, wenn dieser feine Waare mit arseniger Säure titrirt
                              									hat.
                           Ich sehe mich zur Aufdeckung dieser Fehlerquelle bei der Prüfung des Chlorkalks mit
                              									Eisenvitriol um so mehr veranlaßt, als neuerdings in dem bekannten Werke von Muspratt (theoretische, praktische und analytische
                              									Chemie, deutsche Ausgabe, 13. Lieferung S. 788) diese Graham'sche Methode wieder als die einfachste und beste empfohlen
                              									wird.