| Titel: | Das Roggenbrod und seine Verfälschungen; von F. Rummel in Sommerhausen. | 
| Autor: | F. Rummel | 
| Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. XV., S. 49 | 
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                        XV.
                        Das Roggenbrod und seine Verfälschungen; von
                           									F. Rummel in
                           									Sommerhausen.
                        Rummel, über das Roggenbrod und seine Verfälschungen.
                        
                     
                        
                           Es ist wohl kein Zweifel, daß von allen Nahrungsmitteln keines so vielfachen und
                              									großen Verfälschungen unterliegt, als das schwarze Brod.
                           Keines aber ist unentbehrlicher, wenigstens für uns Deutsche, als eben gerade das
                              									schwarze Brod. Wir sahen unsere Taglöhner und Arbeiter sich Tage- ja
                              									Wochenlang mit Schwarzbrod und Bier begnügen, und es gab eine Zeit, wo sie damit
                              									auch beinahe vollkommen zufrieden gestellt waren. Aber fragen wir sie jetzt, so ist
                              									es nebst dem hohen Preise der Cerealien, namentlich der Mangel an Roggen im Brode
                              									und dessen Ersatz durch geringhaltigere, schlechte, ja sogar dem Organismus geradezu
                              										nachtheiligePereira schreibt dem Gerstenbrod eine abführende
                                    											Wirkung in ausgezeichnetem Grade zu, welche Moleschott (Physiologie der Nahrungsmittel, Darmstadt 1850, S.
                                    											523) als von dem mechanischen Reize der Kleie auf die Schleimhäute des
                                    											Darmcanals herrührend, erklärt. Es ist unstreitig, daß die dem Gerstenbrode
                                    											in größerer Menge zugesetzte Hefe, eine Ursache der früheren
                                    											Schimmelbildung, belästigend auf die Verdauungsorgane wirken muß und schon
                                    											daraus ließe sich die nachtheilige Wirkung des Gerstenbrodes erklären. Nahrungsmittel, welcher sie nicht allein zu vermehrten Ausgaben zwingt,
                              									sondern der ihnen auch die verbrauchten Kräfte nicht mehr zu ersetzen gestattet, und
                              									wahrlich ihre abgemagerten Arme, ihre kummerdurchfurchten Gesichter, es sind beredte
                              									Zeugen bitterer Klagen.
                           Unter allen Verfälschungen des Roggenbrodes aber ist die durch Gerste die
                              									bedeutendste, so groß, daß der Preis der Gerste um mindestens einige Gulden höher zu
                              									stehen kommt, als außerdem. Es ist klar, daß sonach auch der Preis des Bieres ein
                              									höherer seyn muß.
                           Wenn nun unsere Polizeibehörden dieß erkennend, zur Entlarvung dieses Betruges längst
                              									eifrig bestrebt waren, so war es ihnen doch nicht möglich directe Beweismittel
                              									hiefür aufzubringen und das Urtheil sachverständiger Bäcker oder Müller mußte ihnen
                              									allein maßgebend bleiben.
                           Unter solchen Umständen mag es die Aufgabe der Wissenschaft seyn, nach Kräften
                              									beizutragen, um einem Betruge zu steuern, der von so tief eingreifenden Folgen für
                              									die Nation überhaupt und namentlich für die ärmere Classe des Volkes ist.
                           Ich habe mir deßhalb seit einiger Zeit die Aufgabe gestellt, einen einfachen, aber
                              									sichern Weg zu finden, auf welchem man im Stande ist, diesen Betrug möglichst scharf
                              									nachzuweisen, und glaube sie in Folgendem gelöst zu haben.
                           Wenn wir nämlich das Gersten- und Roggenkorn gegenseitig vergleichen, so
                              									finden wir das Gerstenkorn in einer äußerst kieselsäurereichen Hülle, welche sich
                              									kaum davon trennen läßt und welche dem Roggenkorne fast gänzlich fehlt. Der große
                              									Kieselsäurereichthum dieser Samenhülle ist es, welcher zur sichern Entdeckung des
                              									Gerstenmehles führt.
                           Untersuchen wir nämlich die Asche aller Getreidesorten, mit Ausnahme des Habers und
                              									der Hirse, so finden wir nirgends so reiche Mengen Kieselsäure als gerade in der
                              									Gerste.
                           Im Gegensatze zu der Asche des Roggens aber, ist der Unterschied ein so bedeutender,
                              									daß sich darauf mit Recht eine Untersuchungsweise gründen läßt.
                           Ich fand in der Asche der Gerste, welche bei uns in Unterfranken und zwar im
                              									sogenannten Ochsenfurter Gau gewachsen war (eine der stärkmehlreichsten Gersten)
                              									28,63 Proc. Kieselsäure, was auf die bei 100° C. getrocknete Gerste
                              									berechnet, einen Kieselsäuregehalt von 12,908 Proc. nachweist. Der Kieselsäuregehalt
                              									der Asche des ebendaselbst gewachsenen Roggens betrug 0,45 Proc. und berechnete sich
                              									auf das bei 100° C. getrocknete Korn zu 0,199 Proc.
                           Auf diese Ergebnisse gestützt, begann ich nun meine Untersuchungen des Brodes,
                              									nachdem es mir vorher gelungen war durch die Güte eines Freundes mich in den Besitz
                              										reinen Roggenbrodes zu setzen und ich andererseits
                              										reine Gerstenbrode von Bäckern erhalten hatte.
                           Es wurden zu diesem Behufe Stückchen von verschiedenen Gerstenbroden bei 100°
                              									C. getrocknet, bis ihr Gewichtsverlust = 0 war und hierauf in einer eisernen Schale
                              									verkohlt. Die Kohle wurde nun mit dem gleichen Gewicht kohlensauren Natronkalis
                              									(siehe Fresenius, Anleitung zur qualitativen chemischen
                              									Analyse. 8te Aufl. S. 56) in einem blanken eisernen Geschirre vorsichtig gekocht, so
                              									daß durch Umherspritzen nichts verloren gehen konnte, bis zur Trockene eingedampft,
                              									und dann auf der Berzelius'schen Lampe einige Zeit
                              									anhaltend geglüht. Die so behandelte Kohle wurde dann mit kochendem Wasser
                              									vollkommen ausgewaschen, die Waschflüssigkeit filtrirt und das Filtrat vorsichtig
                              									mit Salzsäure behandelt.
                           An Gerstenmehl reiche Brode zeigen schon hier, wenn die Flüssigkeit noch sehr
                              									concentrirt ist und solange die Salzsäure noch nicht vorherrscht, die der
                              									Kieselsäure eigenthümlichen flockigen Niederschläge. Ich sage aber ausdrücklich,
                              									wenn die Flüssigkeit noch sehr concentrirt ist und
                              									solange die Salzsäure noch nicht vorherrscht, da sich die frisch ausscheidende
                              									Kieselsäure in größern
                              									Mengen Wasser oder bei nur ganz geringem Vorwalten der Salzsäure, fast
                              									augenblicklich löst, oder, was noch häufiger der Fall ist, gar nicht zur
                              									Ausscheidung gelangt.
                           Es ist diese Bemerkung um so nothwendiger, als man sich schon hier, namentlich bei
                              									nicht quantitativen Bestimmungen, versucht fühlen könnte auf die Gegenwart oder
                              									Abwesenheit der Kieselsäure zu schließen, und sich so Irrthümer einschleichen
                              									könnten, welche die Beobachtung trübten.
                           Deßhalb ist in jedem Falle nöthig, noch folgende weitere Procedur vorzunehmen:
                              									nachdem Salzsäure bis zur stark sauren Reaction zugegeben war, wurde die Flüssigkeit
                              									eingedampft und der Rückstand getrocknet. Der erkaltete Rückstand, mit Salzsäure und
                              									Wasser behandelt, hinterließ nun die Kieselsäure, welche auf einem kleinen Filter
                              									von sogenanntem schwedischen Papiere gesammelt, vollkommen ausgewaschen, getrocknet
                              									und geglüht wurde.
                           Die auf diese Weise gewonnene Kieselsäure ist allerdings in öfteren Fällen nicht
                              									vollkommen weiß, weßhalb ich es bei meinen maßgebenden Bestimmungen für gut fand,
                              									dieselbe wiederholt mit der ungefähr vierfachen Menge kohlensauren Natronkalis im
                              									Platintiegel zu schmelzen, die erkaltete Masse in heißem Wasser zu lösen und mit
                              									Salzsäure behandelt, wiederholt zur Trockne einzudampfen und zu glühen. Die
                              									Beimischung aber ist von so geringer quantitativer Bedeutung, daß sie bei weniger
                              									genauen Versuchen, und da wo es sich ohnehin nur um den Nachweis der Kieselsäure
                              									handelt, recht gut übersehen werden kann.
                           Auf diese Weise nun und nach verschiedenen anderen von mir eingeschlagenen Methoden,
                              									unter welchen ich aber der hier angegebenen den Vorzug gebe, erhielt ich aus den
                              									verschiedenen Gerstenbroden einen Kieselsäuregehalt von 5–8 pro mille, während Kornbrod auf dieselbe Weise
                              									behandelt, höchstens 0,3–0,4 pro mille
                              									Kieselsäure gab – eine Menge, welche, wenn nicht mit größter Schärfe und
                              									Accuratesse gearbeitet wird, gar nicht bemerklich ist.
                           Bei den verschiedenen Mengen Kleie, welche im Mehl enthalten sind, und bei den
                              									verschiedenen Sorten der Gerste, welche in ihrem Kieselsäuregehalt leichten
                              									Schwankungen unterliegen, läßt sich, da die Kleie die eigentliche Trägerin der
                              									Kieselsäure ist, natürlich eine genaue Linie nicht ziehen, weßhalb ein sicherer
                              									Schluß auf die quantitative Beimischung von Gerste
                              									allerdings nur schwer gewonnen werden kann, wenn es gleich der Schärfe des
                              									Nachweises keinen Eintrag zu bringen im Stande ist, da ein Gehalt an Kieselsäure von
                              									1,0 pro mille oder bei nicht quantitativen Bestimmungen
                              									ein noch mit bloßem Auge erkennbarer Kieselsäurerückstand, wenn 2 Loth bei
                              									100° C. getrocknetes Brod oder Mehl in Untersuchung genommen sind, allein schon
                              									hinreicht, um eine Gerstenbeimischung mit völliger Sicherheit zu erweisen.
                           Ich übergehe hier zugleich eine durch allenfallsige Anwesenheit von Sand im Brode
                              									mögliche Täuschung, da sandiges Brod ja ohnehin schon der polizeilichen Confiscation
                              									unterliegt.
                           Noch weit genauer aber und schärfer läßt sich die Gerstenbeimischung im Mehle selbst
                              									erkennen, da, abgesehen von den durchs Mikroskop leicht unterscheidbaren
                              									Stärkemehlkörnchen der Gerste, die eine längliche Form zeigen, die Kleie mittelst
                              									Abschlagens durch ein gewöhnliches Haarsieb leicht in concentrirter Menge zu
                              									erhalten ist, welche, wenn sie der oben angegebenen Behandlungsweise unterworfen
                              									wird, die Kieselsäure in natürlich größerer Menge zu liefern im Stande ist.
                           Ist das Mehl vor dem Abschlagen getrocknet und gewogen, so ist es leicht die
                              									Kieselsäuremenge auf die Gesammtmenge des Mehles zu berechnen.
                           Das mir bei den Bäckern gekaufte angebliche Roggenbrod hat sich selbst bei im
                              									allgemeinen gutem Aussehen, fast immer noch als kieselsäurehaltig, mithin
                              									gerstehaltig erwiesen, während mir bereits Mehl zur Untersuchung vorgelegt wurde,
                              									welches frei von Gerste war.
                           Würde sich dieß auch ferner bestätigen, so wäre es natürlich klar, daß der Betrug
                              									mehr von Seite unserer Bäcker, als der Müller geübt wird.
                           Verfälschungen im Brode der Leguminosen, wie sie ebenfalls häufig vorkommen und
                              									worunter namentlich auch die Wicke genannt wird, sind bis jetzt, meinerseits
                              									wenigstens, noch nicht näher studirt, ich hoffe aber auch hierüber seiner Zeit
                              									Bericht erstatten zu können.
                           Möge mir hiefür kein anderes Verdienst werden, als die Aufmerksamkeit hoher Stellen
                              									auf diese Fälschung gelenkt zu haben, damit einem Betrüge ein Ziel gesteckt werde,
                              									der in moralischer wie physischer Beziehung von so tiefen Folgen für uns Bayern, und
                              									namentlich für unsere Arbeiter und Taglöhner ist, und auf welchen nirgend besser als
                              									hier jene goldenen Worte Schiller's Anwendung finden:
                           
                              
                                 „Das eben ist der Fluch der bösen That,
                                 
                              
                                 Daß sie fortzeugend immer Böses muß gebaren!“