| Titel: | Ueber die Anfertigung stereoskopischer Bilder; von Professor J. M. Hessemer in Frankfurt a. M. | 
| Autor: | J. M. Hessemer | 
| Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. XXVIII., S. 111 | 
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                        XXVIII.
                        Ueber die Anfertigung stereoskopischer Bilder;
                           								von Professor J. M.
                              									Hessemer in Frankfurt a. M.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              									II.
                        Hessemer, über die Anfertigung stereoskopischer Bilder.
                        
                     
                        
                           Die schöne Erfindung von Wheatstone, das Stereoskop, hat
                              									eine sehr fruchtbare Wirkung gehabt. In mannichfacher Weise haben sich viele Männer
                              									mit demselben beschäftigt, theils um physiologische Resultate zur Erläuterung des
                              									menschlichen Auges und des Sehens mit zweien Augen zu erhalten, theils um optische
                              									Wirkungen zu untersuchen, theils auch um die Erfindung zu vervollständigen, und um
                              									andere Vorrichtungen auszumitteln, durch welche die nämlichen Wirkungen in neuer Art
                              									oder auf neuen Wegen erreicht würden. Die meisten Versuche zu diesen Zwecken haben
                              									einen schönen Erfolg gehabt. Die Literatur auch für diese Erfindung hat bereits
                              									einen nicht unansehnlichen Umfang gewonnen, und ich würde mich kaum entschlossen
                              									haben, denselben noch zu vermehren, wenn ich nicht vielfach aufgefordert worden
                              									wäre, mich über die Anfertigung stereoskopischer Bilder zu äußern, namentlich über
                              									die Zeichnungen, welche von mir zuerst ausgeführt wurden, und hier in Frankfurt bei
                              										Albert in zwei verschiedenen Folgen, die eine zu 14,
                              									die andere zu 12 körperlichen Darstellungen erschienen sind. Die Bedingungen und
                              									Regeln, nach welchen diese Zeichnungen gearbeitet wurden, finden sich vollständig in
                              									der Lehre der mathematischen Zeichenkunst; eine neue Erfindung rührt dabei nicht von
                              									mir her, und noch weniger habe ich daran gedacht, aus meinem Verfahren etwa ein
                              									Geheimniß machen zu wollen, wie ich zuweilen als ganz unverdienten Vorwurf hören
                              									mußte. Die Ausführung derartiger Zeichnungen ist allerdings mit manchen
                              									Schwierigkeiten verknüpft, aber doch hat es mich gewundert, ähnliche Bilder, nämlich
                              									regelmäßiger der Kugelgestalt sich nähernder durch ebene Flächen eingeschlossener
                              									Körper, unter den
                              									vielfachen Veröffentlichungen für das Stereoskop nicht gefunden zu haben, es sey
                              									denn daß sie von mir entlehnt worden wären. Von französischen und englischen
                              									Mechanikern sind prismatische Stereoskope in den Handel gekommen, welche unter
                              									vielen andern Bilder auch Körperbilder der eben beschriebenen Art enthalten; allein
                              									es sind dieß nur meine Zeichnungen in verkleinertem Maaße. Daß dieselben nicht neu
                              									construirt sind, zeigt sich an der Uebereinstimmung der dabei vorkommenden
                              									Zufälligkeiten, und daß sie wahrscheinlich nur auf mechanischem Wege in ein
                              									kleineres Maaß reducirt wurden, macht sich daran bemerklich, daß selbst kleine
                              									Fehler meiner Zeichnungen getreu mit übertragen worden sind. Es möchte also wohl
                              									nicht ungeeignet seyn, über die Anfertigung derartiger Bilder ein paar Seiten zu
                              									schreiben, und wenn ich dabei kein anderes Verdienst haben kann, als an bekannte
                              									Sätze und Verfahrungsarten wieder zu erinnern, so sollte es mir doch lieb seyn, wenn
                              									ich damit zugleich auch eine Veranlassung geben könnte, das Stereoskop als
                              									Lehrmittel bei der perspectivischen Zeichenkunst zu benutzen. Die von mir
                              									gefertigten Figuren haben eigentlich nur dafür eine etwaige Bedeutung, denn für
                              									optische und physiologische Untersuchungen ist es gleichgültig, welcher Bilder man
                              									sich bedient, und es sind dafür öfters sogar die einfachen den verwickelten und
                              									schwierig zusammengesetzten vorzuziehen.
                           Ehe ich nun zu meiner eigentlichen Aufgabe übergehe, dürfte es zur Uebersicht
                              									dienlich seyn, einige allgemeine Bemerkungen über das Stereoskop und über die für
                              									dasselbe in anderer Weise angefertigten Bilder voran zu schicken. Die von Wheatstone gezeichneten, zugleich mit seiner Erfindung
                              									erschienenen Bilder, sechs Paare, sind auf praktischem Wege, ohne genauere
                              									Durchführung der perspectivischen Regeln gezeichnet; sie ließen dieß auch zu, ohne
                              									darum unrichtig zu werden, weil bei den dargestellten Gegenständen kein bestimmtes
                              									zur Vergleichung sich darbietendes Maaß der räumlichen Erhöhung und Vertiefung zu
                              									berücksichtigen war, und es sich also nicht um eine Bestimmung und um ein genaues
                              									Festhalten des Distanzpunktes handelte. Eine Pyramide mit zu- oder
                              									abgewendeter Spitze wird uns immer durch das Stereoskop körperlich erscheinen, wenn
                              									wir in beiden Bildern die Spitze um gleiche Entfernung nach rechts und links von dem
                              									Mittelpunkte der Grundfläche abstehen lassen. Derartige Bilder sind auch immer
                              									hinsichtlich ihres Platzes zur Rechten und zur Linken mit einander zu vertauschen,
                              									so daß wir durch einen derartigen Wechsel die körperliche Form bald erhaben, bald
                              									vertieft erblicken. Diese Bemerkungen sind bei den vier ersten Figurenpaaren zu
                              									machen; bei den beiden letzten Figuren sind jedesmal die Augenpunkte so gelegt, daß
                              									der dargestellte Gegenstand nicht in die Mitte zwischen die beiden Augen des
                              									Beschauers zu stehen
                              									kommt, sondern seitlich von denselben entfernt, der Distanzpunkt ist hier
                              									gleichfalls nicht berücksichtigt. Eine solche Lage des dargestellten Körpers würde
                              									bei richtiger Construction der Bilder zwar immer zu sehen seyn, allein es wird doch
                              									dabei eine Anforderung an die Augen gestellt, der sie nur mit Beschwerde genügen
                              									können; Wheatstone hat deßhalb die beiden Augenpunkte
                              									näher zusammen gerückt, er hat sie fast auf die Hälfte ihrer eigentlichen Entfernung
                              									reducirt, so daß dadurch die Linien, welche senkrecht auf die Bildfläche gestellt
                              									erscheinen sollten, fürs Anschauen eine nach der Seite geneigte Lage erhalten haben.
                              									In diesem Verfahren zeigt es sich deutlich, daß es nicht leicht war, die
                              									perspectivische Aufgabe direct zu lösen.
                           Nach einem ähnlichen annäherungsweise richtigen Verfahren wurden viele andere Bilder
                              									für das Stereoskop veröffentlicht; es waren immer Gegenstände, deren Maaße nach der
                              									Dicke beliebig angenommen werden konnten. Derartige Bilder sind nicht schwer zu
                              									zeichnen. Andere Figuren, und zwar diejenigen, welche am meisten Beifall fanden,
                              									waren Daguerre'sche Bilder oder Photographien. Dabei war man der Mühe des
                              									zeichnenden Verfahrens überhoben, die Instrumente selbst gaben die richtigen
                              									perspectivischen Bilder, wie sie von zweien, um die natürliche Entfernung der beiden
                              									Augen aus einander liegenden Standpunkten aufgenommen waren. Dabei aber wurden die
                              									beabsichtigten Wirkungen selten ganz, meistens nur theilweise erreicht. Es waren
                              									Baulichkeiten, Bildhauerwerke und lebende menschliche Gestalten, die man zur
                              									Darstellung gewählt hatte, und statt nun im Stereoskop die körperliche Erscheinung
                              									zu sehen, wie nämlich solche Gegenstände in der Wirklichkeit den Augen
                              									gegenüberstehen, schwanden die Ausdehnungen zur modellartigen Größe zusammen. Es
                              									kommt dieß hauptsächlich daher, daß unser Unterscheidungsvermögen für die
                              									verschiedenen, schon in mäßiger Ferne sehr klein werdenden Sehewinkel nicht scharf
                              									genug ist, und daß es immer nur annäherungsweise gelingt, das
                              									Accommodationsbedürfniß zu überwinden. Wie schwer dieses mitunter wird, macht sich
                              									besonders bemerklich, wenn wir uns Bilder entwerfen, welche für verschiedene
                              									Abstände vom Auge gelten, das eine etwa für den doppelten oder dreifachen Abstand
                              									des anderen. Das Auge will immer die dargestellten Gegenstände in dem etwaigen
                              									Abstand der Bilder berücksichtigen. Gebäude erscheinen uns soweit leicht als
                              									Modelle, und Sculpturen oder wirkliche menschliche Körper als feine Miniaturen oder
                              									höchstens als flaches Relief wie auf künstlich geschnittenen Schmucksteinen. Nur
                              									einzelne Theile derartiger Bilder, die in Nähe und Ferne weit auseinander liegen,
                              									bringen dann in ihrer Verbindung einen räumlichen Eindruck hervor, jedoch immer flacher,
                              									als dieß in der Wirklichkeit der Fall ist, weil die Gesichtswinkel, die für weitere
                              									Entfernungen gelten, nur auf die in der Nähe liegenden Bilder übertragen werden. Man
                              									hat dagegen versucht, die Standpunkte beider Augen, oder vielmehr der die beiden
                              									Augen vertretenden Instrumente weiter auseinander zu legen, als es eigentlich die
                              									natürliche Entfernung beider Augen zulassen sollte; aber auch damit wurde der
                              									gewünschte Erfolg nicht erhalten: einzelne Theile blieben flaches Relief und andere
                              									traten bis zur Verzerrung hervor oder zurück. Es läßt sich eben nicht Alles zur
                              									Darstellung im Stereoskop gebrauchen, ja die Gränzen der etwaigen Anwendbarkeit sind
                              									sogar eng gezogen, denn Gegenstände, die hier mit Erfolg gezeigt werden sollen,
                              									müssen von den Augen etwa den gleichen Abstand wie die Bilder haben. Viele Objecte
                              									würden sich als photographische Bilder sehr gut behandeln lassen, wie zackige
                              									Muscheln, Krystalle, Korallenäste und derartige Naturalien, obwohl doch bei
                              									denselben auch manche Eigenthümlichkeiten unseres Auges die volle körperliche
                              									Wirkung beeinträchtigen. Zunächst läßt uns das Accommodations-Bedürfniß, wie
                              									schon erwähnt, die Gegenstände leicht flacher erscheinen als sie erscheinen sollten,
                              									so daß selbst krystallographische Körper, wenn wir nur ihre eine, den Augen
                              									zu- oder abgewendete Seite zeichnen, bei sonst vollständig richtigem Bilde
                              									doch flacher erscheinen als sie sollten, und als beabsichtigt war. Man kann sich
                              									hiervon leicht überzeugen, wenn man sich von meinen Bildern, etwa mittelst
                              									Durchstechens der betreffenden Punkte, Copien macht, die nur die Vorder- oder
                              									Rückseite eines Körpers darstellen; man erhält dann die Wirkung, welche für mich die
                              									Veranlassung wurde, die Objecte durchsichtig anzunehmen, ihre Rückseite mit zu
                              									zeichnen, und somit eigentlich nur ein räumliches, aus feinen Drähten gebildetes
                              									Netz zur Anschauung zu bringen. In einer ähnlichen Weise sehen wir auf den bereits
                              									erwähnten Daguerre'schen Bildern, die unter dem Namen einer Akademie menschliche
                              									Gestalten zeigen, durchsichtige Gewänder oder Schleier im Vordergrunde in
                              									malerischer Gruppirung sehr schön und deutlich, eben weil sie durchsichtig sind.
                              									Stellen wir nun eben so krystallographische Körper dar, so unterstützen die
                              									vor- und zurücktretenden Theile sich gegenseitig in ihrer Wirkung; wir haben
                              									dabei immer dieselben Flächen in den verschiedensten Lagen und Verschiebungen, und
                              									der Zusammenhang derselben, wenn sie selbst bis zu einer Linie auf den Schnitt
                              									verkürzt erscheinen, wird uns deutlich. Dazu kommt, daß die vorstellenden Kräfte in
                              									unserem Geiste durch das leicht geweckte Bewußtseyn dessen, was wir sehen sollen,
                              									und was uns nicht räthselhaft verborgen ist, die Wirkungen der Bilder ergänzen, und
                              									nicht wenig dazu beitragen die Störungen des Accommodations-Bedürfnisses zu
                              									beseitigen. So sehen wir im Stereoskop diejenigen Gegenstände am deutlichsten, deren Form uns
                              									schon im Geiste bestimmt faßbar ist. Hierzu kommt weiter noch eine besondere
                              									Eigenthümlichkeit unseres Auges, welche bedeutend mitbestimmend ist für das
                              									räumliche Sehen im Stereoskop und bei der Anfertigung hierhergehörender Bilder stets
                              									berücksichtigt werden sollte, so sehr auch der Kreis von geeigneten Objecten dadurch
                              									ins Enge zusammen gezogen wird. Es hat nämlich das Auge, wenn ich mich so ausdrücken
                              									darf, eine entschiedene Vorliebe für gerade Linien; indem wir nämlich einen
                              									Gegenstand fixiren und uns seine Form und Gestaltung deutlich machen wollen,
                              									untersuchen wir seine Gränzen, und um uns über die einschließenden Linien und ihre
                              									Richtung bestimmt zu versichern, so verlängern wir uns dieselben in Gedanken. Es ist
                              									dieß eine Verrichtung welche besonders dem bildenden Künstler nicht bloß geläufig,
                              									sondern bei vielen Gelegenheiten unerläßlich ist; bei geraden Linien ist dieß leicht
                              									zu bewerkstelligen; krumme Linien sind dagegen sehr schwierig zu sehen und
                              									aufzufassen, und eine eigentliche Rechenschaft über ihre Biegung und Richtung
                              									gewinnen wir meistens nur dann, wenn wir sie uns stückweise in gerade Linien
                              									zerlegen und mit diesen nach obiger Weise verfahren. Gilt dieß schon ganz allgemein
                              									für das Anschauen gerader und krummer Linien, so wird uns diese Eigenthümlichkeit
                              									des Auges noch bemerklicher durch das Anschauen im Stereoskop. Da sind uns nur
                              									gerade Linien leicht übersichtlich, wogegen sich gebogene Linien, die noch überdieß
                              									eine Krümmung im Raume darstellen sollen, nur sehr schwer zu klarer Deutlichkeit
                              									vereinigen. Vielfach habe ich stereoskopische Bilder in gebogenen Linien gezeichnet,
                              									ringförmige Körper, Kegel- und Kugelschnitte; die Bilder hatte ich mit der
                              									möglichsten Genauigkeit bearbeitet, aber sie genügten immer nicht ganz, so daß ich
                              									Anstand nahm sie veröffentlichen zu lassen. Dove hat
                              									darauf hingewiesen, daß selbst geradlinige stereoskopische Figuren, sobald sie
                              									identisch sind, nicht zu räumlichem Anschauen vereinigt werden, oder doch nur
                              									momentan bei gewaltsamer Anstrengung der Augen; eine ähnliche Wirkung findet bei
                              									krummlinigen Figuren statt, wenn dieselben auch nicht identisch sind; es ist fast
                              									so, als ob die Augen sich erwehrten, derartigen Linien in Beruhigung nachzugehen.
                              									Als die eigentlich gebräuchlichen Gegenstände für das Stereoskop blieben demnach nur
                              									mathematische und krystallographische Körper übrig. Die oben erwähnte Bemerkung von
                              										Dove bezieht sich auf die Bilder zweier mit der Basis
                              									gegeneinander gestellten Pyramiden, deren Spitzen uns direct zu- und
                              									abgewendet sind; wenn man nun ein Drahtmodell eines solchen Körpers, etwa eines
                              									Oktaeders den Augen gegenüber hält, etwas nach oben gewendet gegen einen hellen
                              									Hintergrund, bei welcher Lage und Beleuchtung das Accommodations-Bedürfniß
                              									bedeutend zurückgedrängt wird, so sieht man in der richtigen Stellung des Modells zuweilen,
                              									oder vielmehr wenn man es so sehen will, nicht mehr dessen körperliche Ausdehnung,
                              									sondern die beiden in den Augen entstehenden identischen Bilder decken sich, als ob
                              									sie in einer Ebene nur gezeichnet wären. Wir sehen demnach auch in der Natur das
                              									wirklich Körperliche nicht immer als solches; bei vielen mathematischen Körpern,
                              									wenn wir sie für das Stereoskop zeichnen wollen, haben wir auf die Lage der
                              									Sehachsen zu achten, weil wir sonst leicht Bilder erhalten, die sich im Ganzen oder
                              									auch nur in einzelnen Theilen nicht zum stereoskopischen Sehen vereinigen.
                           Indem ich nun zum zeichnenden Verfahren für geometrische Körper im Stereoskope
                              									übergehe, bemerke ich im voraus, daß dafür die horizontale und verticale
                              									geometrische Projection, oder Aufriß und Grundriß eines solchen Körpers gegeben seyn
                              									muß. Perspectivisch können wir nur das zeichnen, was erst geometrisch gezeichnet
                              									ist. Nun haben alle symmetrisch gebildeten Körper ihre besonderen
                              									Eigenthümlichkeiten, von denen ausgehend ihre geometrische Zeichnung erst möglich
                              									wird, und einzelne sind sehr schwer auf diese Weise darzustellen, ja bei zweien ist
                              									mir dieß nicht einmal auf directem Wege, sondern nur durch fortgesetzte Versuche
                              									möglich geworden; es sind dieß die Körper Nro. 2 der ersten Abtheilung, und Nr. 12
                              									der zweiten Abtheilung der bei Albert erschienenen
                              									Figuren. Die Hauptschwierigkeit liegt in einem Verfahren, über welches ich hier
                              									nicht einmal mich äußern kann, und für welches sich in der Kürze wohl auch
                              									schwerlich etwas Erhebliches wird thun lassen; ich muß dieß als bekannt
                              									voraussetzen, empfehle übrigens für die Anfänge derartiger Versuche einfache Körper
                              									zu wählen, wie Würfel und Oktaeder mit abgekanteten Seitenlinien, Ecken u.s.w.
                              									Leicht wird es auch noch zu zeichnen seyn, wenn wir Würfel und Oktaeder in einander
                              									geschoben darstellen, so daß ihre Seitenlinien in ihren jedesmaligen
                              									Halbirungspunkten sich schneiden; und aus diesem sternförmigen Körper läßt sich dann
                              									durch Verbindung der Spitzenpunkte der Zwölfrautenflächner darstellen. Die
                              									Verwandtschaft derartiger Körper, ihre Entstehungsweise, und wie oft einer in dem
                              									andern liegt, oder einer aus dem andern mittelst durchgeführter schneidender Ebenen
                              									zu erhalten ist, erleichtern die Arbeit sehr, so daß mit einem Paare richtiger
                              									stereoskopischer Bilder zugleich schon manche andere gefunden sind.
                           Betrachten wir einen Körper, in directem Abstande 32–33 Centimeter direct den
                              									Augen gegenüber, und nehmen wir dann die Bildfläche so an, daß sie die uns
                              									zugewendete Seite des Körpers berührt, so erhalten wir, wenn wir durch beide Augen
                              									eine horizontale Ebene gelegt denken, in der Durchschnittslinie derselben mit der
                              									Bildfläche den Horizont. Stellen wir nun aus jedem Auge ein Perpendikel auf die Bildfläche, so erhalten wir
                              									im Horizont zwei Augenpunkte, welche, wenn der Körper sich genau in der Mitte
                              									zwischen beiden Augen befindet, von dem Mittelpunkte desselben in gleicher
                              									Entfernung nach Rechts und Links abliegen. Für jeden Augenpunkt haben wir uns dann
                              									ein besonderes perspectivisches Bild zu entwickeln. Der darzustellende Körper
                              									braucht übrigens nicht nothwendig in der Mitte zwischen beiden Augen zu liegen; aber
                              									die beiden Augenpunkte behalten immer die gleiche Entfernung von einander,
                              									62–64 Millimeter; das ist die natürliche Entfernung beider Augen von
                              									einander. Es rückt demnach bei einer derartigen Stellung des Körpers sein
                              									Mittelpunkt, indem er sich von dem einen Augenpunkte entfernt, dem andern näher, und
                              									kann endlich sogar mit einem derselben zusammenfallen, wie ich diese Lage bei den
                              									Nummern 13 und 14 der ersten Abtheilung meiner Figuren angenommen habe. Eine Lage
                              									des Körpers, nach welcher beide Augenpunkte auf eine Seite des Körpers zu liegen
                              									kämen, wie dieß Wheatstone bei seinen beiden letzten
                              									Figuren gethan hat, läßt sich wohl immer als Bedingung fürs Zeichnen
                              									berücksichtigen, die aber doch nicht rathsam zu wählen ist, denn entweder, wenn die
                              									Punkte weit auseinander fallen, ist es den Augen peinlich die sehr verschobenen
                              									Bilder im Stereoskop zu vereinigen, oder es erscheint doch der Körper leicht der
                              									Art, als ob er schief gedrückt oder verwachsen sey. Es ist auch ferner nicht
                              									nothwendig, daß der Mittelpunkt des darzustellenden Körpers in den Horizont oder in
                              									eine gerade Linie mit den beiden Augenpunkten falle, der Körper kann höher und
                              									tiefer liegen; allein es ist doch auch nicht rathsam in diesem Betracht den Augen zu
                              									viel zuzumuthen, und ihnen Bilder zu zeigen, welche nicht gut zu sehen sind. Soweit
                              									es mir zulässig schien, nach diesen beiden Rücksichten die Stellung des Körpers
                              									gegen die Augen wechseln zu lassen, habe ich verschiedenartige Bilder unter die
                              									veröffentlichten Figuren aufgenommen, und wollte besonders darauf aufmerksam machen,
                              									welche schöne Uebung oder mindestens doch unterhaltendes Spiel es ist, denselben
                              									Körper in verschiedenen Lagen zu zeichnen. Für alle unsere Fertigkeiten sind
                              									Uebungen nöthig, und lang fortgesetzte Beharrlichkeit führt uns in vielen Dingen
                              									erst ans eigentliche Ziel; für perspectivisches Zeichnen wüßte ich keine besseren
                              									Uebungen als gerade die zuletzt angegebenen zu empfehlen. Sobald Körper, Bildfläche
                              									und Augen in ihrer gegenseitigen Lage bestimmt sind, beginnt die perspectivische
                              									Construction, die nun einmal wie das andermal in ganz gleicher Weise zu
                              									bewerkstelligen ist. Das Verfahren für dieselbe ist in gedrängter Uebersicht
                              									folgendes. Auf Blatt I (der Tab. II) stellt die Fig. A
                                 									 den Grundriß und Aufriß des zu zeichnenden Körpers dar, hier eines
                              									Dodekaeders. Die stereoskopischen Bilder sollen nun so gezeichnet werden, daß
                              									der Mittelpunkt m im Grundriß in gerader Linie zwischen
                              									die Augenpunkte a, a falle; die Entfernungen von m sind ungleich; ihre gegenseitige Entfernung aber soll
                              									63 Millimeter betragen, den Abstand beider Augen von einander. Die gegenwärtige
                              									Figur mußte des Formates wegen in Verjüngung oder kleinerem Maaßstabe gezeichnet
                              									werden, es dürfte übrigens wohl nicht schwierig seyn, sie in das rechte angegebene
                              									Maaß umzusetzen. In der Fig. B
                                 									 nehmen wir eine horizontale Linie, als den Horizont der zu zeichnenden
                              									Bilder, und in demselben zwei Punkte m und m so weit von einander an, daß die Bilder nicht
                              									zusammenfallen und wir sie nachmals in entsprechender Größe für das Stereoskop als
                              									rechte und linke Figur aus einander schneiden können. Von den Punkten m, m tragen wir uns die beiden Entfernungen der
                              									Augenpunkte nach a und a,
                              									entsprechend ihrer Lage auf dem Grundriß. Von einem der Punkte m, hier von dem zur Rechten liegenden, tragen wir auf
                              									den Horizont nach d den Abstand der Bildfläche von den
                              									Augen, gleich 32–33 Centimeter, so erhalten wir den Distanzpunkt. Nun bilden
                              									wir uns eine Hülfsfigur, indem wir gleichlaufend mit dem Horizont unterhalb
                              									desselben eine gerade Linie ziehen, und aus den Punkten m,
                                 										m Perpendikel auf dieselbe stellen. Von den hier erhaltenen Punkten m' und m' ziehen wir gerade
                              									Linien nach den zugehörigen Augenpunkten. In dem Aufriß der Fig. A
                                 									 bezeichnen uns die Punkte m, 1, 2 und 3 die
                              									Mittelpunkte horizontaler Ebenen, in welchen die verschiedenen Eckpunkte des Körpers
                              									liegen, hier fünf in einer jeden derartigen Ebene. Diese Entfernungen tragen wir in
                              									die Hülfsfigur bei B von m'
                              									aus nach 1, 2 und 3, und von diesen Punkten ziehen wir gerade Linien nach d, dem Distanzpunkte, so erhalten wir dieselben Punkte
                              									von m' aus in aufsteigender Richtung nach a. Diese Punkte tragen wir horizontal dann auch von der
                              									rechten Seite nach der linken auf die Linie m'a, und
                              									dann auf beiden Seiten vertical auf den Horizont, so haben wir die perspectivischen
                              									Mittelpunkte der Kreise gefunden, in welchen alle Eckpunkte des Körpers liegen. Um
                              									nun diese Punkte selbst in der perspectivischen Darstellung zu finden, tragen wir
                              									uns aus dem Grundriß bei A die Radien mn und mo auf
                              									die Hülfsfigur bei B von m'
                              									aus nach n und o, durch die
                              									Punkte 1, 2 und 3 auf der Linie m'a ziehen wir
                              									horizontale Linien, von n und o ziehen wir dann weiter auch Linien nach dem Augenpunkte a, so erhalten wir zu m'n
                              									die perspectivische Verkürzung 3 n', und für den Radius
                              										m'o erhalten wir die beiden perspectivischen
                              									Verkürzungen 1 o' und 2 o''.
                              									Mit den so erhaltenen Radien beschreiben wir auf dem Horizonte durch die Punkte m, 1, 2 und 3 die entsprechenden Kreise, wie dieß durch
                              									die aufwärts punktirten Linien angegeben ist, und theilen dann in derselben Theilungsfolge, wie sie
                              									auf dem Grundriß bei A angegeben ist, jede Kreislinie in
                              									fünf gleiche Theile, so haben wir die 20 fraglichen Punkte des Körpers richtig jeden
                              									an seiner Stelle, die wir dann nur wie sie zusammengehören durch gerade Linien
                              									verbinden dürfen, um die beiden stereoskopischen Bilder fertig zu erhalten.
                           Dieß ist das Constructionsverfahren für die Bilder zum Wheatstone'schen Spiegel-Stereoskope. Die Entfernung von dem
                              									Augenpunkte nach dem Distanzpunkte, die ich auf 32–33 Centimeter angegeben
                              									habe, ist aus den mittleren Entfernungen des Auges von dem Spiegel, und von dem
                              									Spiegel nach der Bildfläche zusammengesetzt, wobei übrigens für die richtige
                              									Schätzung etwa noch 2 Centimeter zugegeben werden mußten, sey es daß dieselben
                              									erforderlich waren, um in dem Auge selbst bis auf die Retina zurück zu gehen, oder
                              									daß die innerlichen Fractionen der Lichtstrahlen eine solche Erweiterung des
                              									Distanzpunktes erforderten. Für die Bilder in prismatische Stereoskope habe ich
                              									gewöhnlich ein anderes, noch etwas umständlicheres Verfahren eingehalten, um bei dem
                              									kleinern Maaße der Bilder wo möglich eine noch größere Genauigkeit zu erhalten. Aus
                              									demselben Grunde habe ich nach diesem andern Verfahren auch stereoskopische Bilder
                              									für die Bedingung gezeichnet, daß die Achse der Sehlinie nicht senkrecht auf der
                              									Bildfläche stehe; wir erhalten dann zum Theil weit aus einander gezogene Zerrbilder,
                              									die sich bei richtigem Standpunkt der Augen dennoch zu einem körperlichen Bilde
                              									vereinigen, freilich aber dem Accommodations-Bedürfniß dabei eine lästige
                              									Anmuthung stellen.
                           Für den Leser ist es immer ermüdend, der Beschreibung eines derartigen Verfahrens so
                              									nachzufolgen, daß sogleich ein Verständniß aller dahin gehörenden Verrichtungen
                              									gewonnen werde; ich weiß dafür nichts Besseres zu empfehlen, als daß mit irgend
                              									einem Körper der Versuch des Zeichnens gemacht werde. Wem die perspectivischen
                              									Regeln geläufig sind, dem wird das gegenwärtige Verfahren einfach und klar
                              									erscheinen, obwohl es immerhin doch schwer seyn mag, sich von demselben vollständige
                              									Rechenschaft zu geben. Die beiden Figuren C und D auf Blatt I sind zugleich mit der Fig. B durch dasselbe eine Constructionsverfahren erhalten. Von den
                              									20 Eckpunkten bei B sind für C nur 12 festgehalten, so daß aus dem Dodekaeder das verschobene Ikosaeder
                              									entsteht. Fig. D
                                 									 ist aus den nämlichen Mittelpunkten auf den nämlichen Kreisen construirt, nur
                              									mit dem Unterschied, daß die Eintheilungsanfänge auf den Kreisen nicht im Horizonte,
                              									sondern in verticalen Linien über den jedesmaligen Mittelpunkten liegen; wenn wir
                              									die 20 Eckpunkte dieses sternförmigen Körpers je fünf unter einander durch gerade
                              									Linien verbinden würden, so erhielten wir das Dodekaeder, nun aber sind alle hier
                              									zusammengreifenden Linien nur körperliche Diagonalen des Dodekaeders und stellen uns einen Körper
                              									dar, dessen Kern ein auf die Spitze gesehenes Ikosaeder ist, dessen Seitenlinien
                              									sich in die Sternspitzen verlängern. Man kann sich in anderer Lage denselben
                              									sternförmigen Körper sehr leicht aus Fig. B
                                 									 construiren.
                           Das umgekehrte Verfahren, von dem Ikosaeder nach dem Dodekaeder, ist auf Blatt II in
                              									den Figuren G und H dargestellt.
                           Alle diese Figuren von B bis H sollen als Beispiel gelten; sie sind für stereoskopisches
                              									Doppelsehen gezeichnet. Wenn wir nämlich bei einer solchen Figur die linke Seite in
                              									unser rechtes Auge, und die rechte Seite ins linke Auge fassen, so daß ein Kreuzen
                              									der Sehlinien entsteht, so erhalten wir an der Kreuzungsstelle das körperliche Bild.
                              									Wer die Uebung des Auges nicht hat, um ein solches Auffassen leicht zu
                              									bewerkstelligen, kann es sich erleichtern dadurch, daß ein mit einer kreisförmigen
                              									Oeffnung versehenes Papier, ein Kartenblatt etwa zu 2/3 Durchmesser der um die
                              									Bilder gezogenen Kreise, zwischen Auge und Figur in etwa entsprechendem Abstand
                              									gebracht werde. Das Auge ist besonders von Anfang nicht gleich willig sich in dieser
                              									Weise um die Accommodation täuschen zu lassen, und es bleibt ihm immer das Gefühl
                              									einer unangenehmen Anregung zurück, welches uns ein deutlicher Beleg dafür ist, daß
                              									die Richtung der Sehelinien und die Accommodation in einer gegenseitigen Beziehung
                              									stehen. In das prismatische Stereoskop sind diese Figuren sehr gut verwendbar, nur
                              									wäre es dafür nöthig, jedesmal die beiden zusammengehörigen Bilder ihre Stellung
                              									zwischen Rechts und Links wechseln zu lassen.
                           Die Figuren I, K, L und M gelten für stereoskopisches Doppelsehen, bei welchem das
                              									Zusammentreffen der Gesichtslinien erst hinter der Bildfläche stattfindet. Ich habe
                              									diese Bilder an den oberen Rand des Blattes gezeichnet, damit man über dasselbe
                              									wegsehend einen entfernteren Punkt fixiren könne, um dann das Blatt zwischen diesen
                              									und die Augen gewissermaßen sich selbst unvermerkt einzuschieben. Wer sich auch bei
                              									derartigem Sehen die freiere Haltung des Auges noch nicht erworben hat, wird gut
                              									thun, sich die benachbarten Figuren durch aufgelegte Papiere zu decken, und dann
                              									zwei zusammengehörige Kreise mit ihren Figuren mit beiden Augen so zu betrachten,
                              									daß man dem Anscheine nach drei Bilder sieht; das mittlere ist dann das räumlich
                              									körperliche Bild. Für diese Art der Stereoskopie können nur kleine Bilder gezeichnet
                              									werden; die beiden letzten L, ein auf die Spitze
                              									gesehener Würfel und M, zwei in einander geschobene
                              									Tetraeder, mit einem auf die Fläche gesehenen Oktaeder als Kern, sind über den
                              									nämlichen Constructionspunkten gezeichnet. Von den durch Doppelsehen erhaltenen
                              									stereoskopischen Bildern erscheinen die letzteren größer, die ersteren kleiner als
                              									sie wirklich sind.
                           
                           Für alle stereoskopischen Beobachtungen ist es sehr förderlich, die Augen und die zu
                              									beobachtenden Gegenstände in einer horizontalen Ebene liegend zu halten; bei jeder
                              									anderen Lage wird die Empfänglichkeit für die Convergenz der Seheachsen vermindert,
                              									die sogar, wenn wir das Haupt in bedeutend schiefe Lage bringen oder umgewendet
                              									halten, ganz aufhört. Ein Aehnliches findet bei dem Accommodationsbestreben
                              									statt.
                           
                        
                     
                  
               Tafeln
