| Titel: | Das Wasserglas, sein Nutzen und seine Anwendungen; von Dr. Gall. | 
| Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. LXXXVIII., S. 371 | 
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                        LXXXVIII.
                        Das Wasserglas, sein Nutzen und seine
                           								Anwendungen; von Dr. Gall.
                        Aus Böttger's polytechnischem Notizblatt, 1856,
                              									Nr. 5.
                        Gall, über das Wasserglas, seinen Nutzen und seine
                           								Anwendungen.
                        
                     
                        
                           Wollt ihr eure Wohnungen, eure Vorrathshäuser, eure Stallungen, eure Fabriken gegen
                              									die Flammen schützen: überzieht alles Entzündliche daran mit Wasserglas; wollt ihr euern Kirchen und Tempeln, euern Theatern, euern
                              									Prachtgebäuden, euern Denkmälern und Statuen eine zehnfache Widerstandsfähigkeit gegen den Zahn der
                              									Zeit verleihen: überzieht sie, selbst von außen, mit Wasserglas; wollt ihr den verderblichen, Schwamm, Fäulniß, Moder
                              									erzeugenden Wirkungen der feuchten Dünste in euern Wohnungen, Stallungen und
                              									Fabriken begegnen: überzieht die Wände und Decken der denselben ausgesetzten Räume
                              									mit Wasserglas; wollt ihr die Erhaltung jener
                              									Reinlichkeit möglich machen, welche in so manchen Gewerben die erste und
                              									unerläßliche Bedingung eines erfolgreichen Betriebes ist: überzieht die dazu
                              									dienenden Räume eurer Milchereien, euerer Brennereien, Bierbrauereien, Essigkammern,
                              									Zuckerfabriken etc. mit Wasserglas und tränkt damit alle
                              									Bottiche und Behälter, worin Flüssigkeiten gähren, maceriren oder aufbewahrt werden
                              									sollen; wollt ihr den Wandmalereien eurer Gemächer, dem Farbendruck auf den Tapetem
                              									eine solche Festigkeit geben, daß sie mit Wasser abgewaschen werden können: bedient
                              									euch zur Befestigung der Farben des Wasserglases; wollt
                              									ihr – – „Aber was ist denn Wasserglas?“ hör' ich hundert Stimmen wie aus einem Munde
                              									fragen. Ja, so gründlich hat schon zur Zeit der Großväter, die aus Neid und Dünkel
                              									entsprungene, specifisch deutsche Sucht: jedes vaterländische Verdienst zu
                              									verkleinern, herabzuziehen, zu verleumden, die schöne deutsche Erfindung des
                              									Wasserglases zu Grunde gerichtet, daß von den Enkeln kaum der Zehntausendste es nur
                              									dem Namen nach kennt, während dessen Darstellung Tausende von erwerblosen Arbeitern
                              									beschäftigen und Brod geben könnte, welche die Gesellschaft so kurzsichtig ist jetzt
                              									als unfreiwillige Müßiggänger zu ernähren, und während wir den unzähligen
                              									Anwendungen desselben alljährlich die Erhaltung von Millionen an geschaffenen
                              									Werthen verdanken würden. Doch vernehmen wir über das Wasserglas unsern Chemiker Liebig.
                           
                              „Ich hatte – sagt derselbe im Abendblatt zur Neuen Münchener
                                 										Zeitung – die Weltausstellung in Paris gesehen, und begleitete auf meinem
                                 										Wege nach England meinen langjährigen Freund Kuhlmann
                                 										nach Lille, seinem Wohnsitze; er hatte versprochen, mir in der chemischen
                                 										Fabrication mehreres Neue zu zeigen, was mich überraschen würde, und meine
                                 										Neugierde, übersättigt von dem, was ich in Paris gesehen, war nicht wenig
                                 										gespannt.“
                              
                           
                              „„Was ich Ihnen in Lille zeigen will – sagte mir mein
                                    											Freund – ist das Mittel, das den Zerstörungen durch Feuer, Fäulniß
                                    											und Verwitterung eine Gränze setzt; es ist das von Ihrem berühmten
                                    											Landsmanne Fuchs in München entdeckte und für
                                    											diese und andere gleich wichtige Zwecke vorgeschlagene Wasserglas; ich habe
                                    											es in Frankreich eingeführt, wo es eine unendliche Verbreitung gefunden hat.
                                    											Unsere Architekten wenden es an, um die mit gewöhnlichem oder mit
                                    											hydraulischem Mörtel überzogenen Mauern, um Häuser und Kirchen, aus
                                    											verwitterndem Stein aufgeführt, vor dem Zahn der Zeit zu schützen; mit
                                    											verschiedenen Farben gemischt, dient es zum Anstrich auf Holz, Stein und
                                    											Eisen; es wird in den Kattun-Druckereien und Tapeten-Fabriken
                                    											auf Papier und Baumwolle verwandt; das Holz mit Wasserglas getränkt,
                                    											verliert seine Entzündlichkeit.““
                              
                           
                              „Ich war in der That überrascht, als ich in der Nähe von Lille die
                                 										Wasserglas-Fabrik meines Freundes besichtigte, deren großartige
                                 										Ausdehnung, wie sich leicht wahrnehmen ließ, berechnet war, Taufende von
                                 										Centnern dieses Productes dem Handel und den Gewerben zu liefern. Ich war
                                 										erstaunt und beschämt, – beschämt, weil in Deutschland das Wasserglas im
                                 										eigentlichen Sinne nur in den chemischen Handbüchern existirt, und weil ich
                                 										wußte, mit welchen Widerwärtigkeiten mein Freund Fuchs viele Jahre lang zu kämpfen hatte, um nur eine einzige der
                                 										vielen nützlichen Anwendungen, deren es fähig ist, verwirklicht zu sehen.
                              
                           
                              „Das merkwürdige Product, das Fuchs mit dem
                                 										Namen „Wasserglas“ bezeichnet
                                 										hat, ist ein Glas, welches sich im Wasser löst; es wird in der Regel durch
                                 										einfaches Zusammenschmelzen von 15 Theilen Quarz, 10 Theilen Potasche (oder 9
                                 										Theilen Soda) und 1 Theil Kohle dargestellt und ist in trockenem Zustande
                                 										wasserhell, hart und etwas schwer schmelzbar; wenn es fein gepulvert in
                                 										siedendes Wasser getragen wird, so löst es sich, bei fortgesetztem Sieden, in 5
                                 										bis 6 Theilen Wasser, vollkommen zu einer syrupdicken Flüssigkeit auf, die, auf
                                 										Glas, Mörtel, Holz aufgestrichen, zu einem unverbrennlichen Firniß eintrocknet. In Lille wurde diese Flüssigkeit
                                 										direct durch Auflösung von Quarz (Feuerstein) in einer starken Natronlauge in
                                 										eisernen Kesseln, unter einem Druck von 7–8 Atmosphären, also ohne
                                 										vorangehende Schmelzung dargestellt.“
                              
                           
                              „Es gibt einen sehr einfachen Versuch, welcher die wichtigsten
                                 										Eigenschaften des Wasserglases anschaulich macht, es ist folgender: Man lege in
                                 										eine Auflösung von Wasserglas, welche etwa 10 Procent trockene Substanz enthält,
                                 										ein Stück gewöhnlicher Schreibkreide, vorher benetzt mit gewöhnlichem Wasser,
                                 										und lasse es 4 bis 5 Tage darin liegen. Wenn man es nach dieser Zeit aus der
                                 										Flüssigkeit herausnimmt und trocknet, so wird man wahrnehmen, daß die Kreide
                                 										alle ihre gewöhnlichen Eigenschaften verloren hat; aus einer weichen, färbenden
                                 										Substanz ist sie in eine steinharte Masse übergegangen, welche mit dem
                                 										Fingernagel keinen Eindruck mehr annimmt und, mit einem platten Körper gerieben,
                                 										Politur erhält; diese Aenderung in der ersten Beschaffenheit erstreckt sich tief
                                 										in das Innere des Stückes, je nach der Dauer der Einwirkung des Wasserglases,
                                 											und rührt von
                                 										einer wahren Verbindung derselben mit dem Kieselglase her, zu einer Masse, die
                                 										durch Wasser und Kohlensäure nicht mehr angegriffen wird. Man wird hieraus den
                                 										Nutzen des Wasserglases auf Mauern und Kalkwänden und auf porösem verwittertem
                                 										Baustein leicht verstehen; wenn sie damit bis zur Sättigung getränkt werden, so
                                 										wird ihre Oberfläche wie verkieselt und gegen die Einwirkung der Witterung mehr
                                 										als durch irgend ein anderes bekanntes Mittel geschützt.“
                              
                           So weit unser berühmter Landsmann. So wie in Frankreich, so hat auch in Oesterreich
                              									die so unberechenbar wichtige Erfindung des Oberbergraths Fuchs, Professor der Chemie und Mineralogie an der Universität München,
                              									bereits seit mehr als zwanzig Jahren eine stets zunehmende Verbreitung gefunden.
                              									Eine auf Veranlassung des rühmlichst bekannten Technikers E. F. Anthon, Director der gräfl. Wurmbrand'schen Mineralwerke
                              									und Fabriken, auf der Wurmbrand'schen Herrschaft Weisgrün
                              									errichtete Wasserglas-Fabrik liefert dessen jährlich Tausende von
                              									Centnern,
                           a) in festem Zustande zu 20 fl. C.-M. per Wiener Centner (= 120 Pfd. Zollgewicht);
                           b) als Wasserglas-Gallerte und zwar in thönerner Flaschen von 36–40 Pfd. Inhalt zu
                              									10–12 fl. per Centner, und
                           c) ebenfalls als Gallerte in gläsernen Flaschen von 1
                              									1/2 Pfd. Inhalt, die Flasche zu 15 kr.
                           Etwa 12 bis 13 Pfd. dieser schützenden Substanz reichen zu einem einmaligen Anstrich
                              									einer Holzfläche von 1000 Quadratfuß hin.Wasserglas in festem Zustande und als Gallerte (von freiem Alkali gereinigt)
                                    											kann auch von Carl Buchner, Fabrik
                                    											pharmaceutischer und chemischer Producte in München, bezogen werden; bei
                                    											Bestellung großer Quantitäten von Fr. Chr. Fikentscher, chemische Fabrik in Zwickau.A. d. Red.
                              								
                           Jetzt nachdem das Wasserglas, wie so viele ursprünglich
                              									deutsche Erfindungen, fast als eine ausländische zu uns kommt, oder man sich, um das
                              									Verdienst eines Landsmannes nicht anerkennen zu müssen, doch überreden kann, sie
                              									habe, um praktisch zu werden, noch fremder Verbesserungen bedurft, wird dasselbe
                              									wohl endlich auch bei uns die verdiente Anerkennung finden und auch die deutsche
                              									Presse – die häufig nur für nicht deutsche
                              									Fortschritte unbezahlten Raum hat, deutsche Erfindungen und Verbesserungen aber
                              									meistens unbeachtet läßt – wohl ihre Schuldigkeit thun, um die Vortheile der
                              									Fabrication und die Segnungen der Anwendungen des Wasserglases auch dem Lande, dem es seine Erfindung verdankt,
                              									zuzuwenden.