| Titel: | Ueber das Vorkommen des Kornradens im Weizen und seine Entdeckung; von Hrn. Legrip. | 
| Fundstelle: | Band 139, Jahrgang 1856, Nr. CVIII., S. 454 | 
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                        CVIII.
                        Ueber das Vorkommen des Kornradens im Weizen und
                           								seine Entdeckung; von Hrn. Legrip.
                        Aus dem Journal de Chimie médicale, April 1855,
                              									S. 210.
                        Legrip, über das Vorkommen des Kornradens im Weizen und seine
                           								Entdeckung.
                        
                     
                        
                           Die Gegenwart des Kornradensamens (Lychnis githago, Agrostemma
                                 										githago
                              									Linn) im Getreide hat gefährliche Folgen, und es
                              									ist derselbe, nächst dem Giftloch, von allen Beimengungen am meisten zu fürchten. Er
                              									enthält so viel Saponin, einen brennend scharfen Stoff, daß ihn Malapert als einen giftigen Samen betrachtet.
                           Die geringe Menge der Radenpflanzen, welche man in einem Weizenfelde wahrnimmt,
                              									sollte ihren Einfluß auf die ganze Ernte nicht für gefährlich erachten lassen; wenn
                              									man aber bedenkt, daß eine einzige solche Pflanze vor der Ernte 5–10 Kapseln
                              									trägt, deren jede eine große Menge Samen enthält, und daß dadurch das
                              									Mengenverhältniß der Rade in der Ernte, welches im Durchschnitt 1/150 beträgt, auf
                              									1/50 und selbst 1/20 steigen kann, so wird man sich über die schlimmen Folgen dieser
                              									Beimengung und den scharfen Geschmack, welchen das Brod oft erhält, nicht mehr
                              									wundern.
                           Hier soll nur vom schwarzen Brod die Rede seyn, welches (in Frankreich)
                              									ausschließlich der armen Volksclasse zur Nahrung dient. Denn nur in diesem Brod kann
                              									Radenmehl enthalten seyn, und zwar aus folgenden Gründen:
                           1) der Radensamen enthält Saponin, welches Gift sich aber nicht in allen Theilen des
                              									Samens befindet, sondern bloß in den Samenlappen (Cotyledonen), mit einem gelben,
                              									süßen, verseifbaren Oel und einem durch Alkalien gelbwerdenden Farbstoff;
                           2) der Embryo (Keim) kann, wie auch die grobe Kleie, nicht in feines Pulver
                              									verwandelt werden, außer durch eine zu weit getriebene Bearbeitung, ein Nachmahlen
                              									der Kleie, wodurch man beabsichtigt daß nichts von den Körnern verloren gehe; in
                              									diesem Falle wird der Cotyledonentheil des Radens zu feinem Pulver gemahlen. Dieses
                              									Mehl wird dem beim ersten Mahlen gewonnenen beigemengt und aus solchem dann jenes
                              									grobe Brod bereitet;
                           3) dagegen muß ich bemerken, daß jedes nach dem gewöhnlichen Verfahren (nicht
                              									übermäßig) gemahlene Getreide, selbst wenn ihm ein starkes Verhältniß von Raden
                              									beigemengt ist, ein ganz gutes Brod geben kann, denn es ist dann fast reines Mehl.
                              									Dieses Brod ist ferner nicht nur unschädlich, sondern bekommt auch, wenn man dem ersten
                              									Product des Mahlens das sogenannte zweite, nämlich den feinsten Theil der Kleie,
                              									zusetzt, kaum eine schwache Schärfe.
                           Der Verkauf von Getreide, welches Raden enthält, sollte offenbar verboten werden;
                              									manches schlechte Brod und als schlecht bezeichnetes Mehl enthielt vielleicht Raden
                              									führendes Kleienmehl, während man ihre schlechten Eigenschaften einem eingetretenen
                              									Verderben oder betrüglicher Verfälschung zuschrieb.
                           Der Same der Lychnis githago erlitt durch Trocknen bei
                              									40° R. einen Verlust von 10 Procent. Der so getrocknete Same gab mittelst
                              									Zerreibens folgende Producte:
                           
                              
                                 ein feines, größtentheils aus Stärke
                                    											bestehendes Mehl   
                                   16 Thle.
                                 
                              
                                 Embryonen (grobes Pulver)
                                   37    „
                                 
                              
                                 Kleie (schwarze, häutige Hülle)
                                   17    „
                                 
                              
                                 
                                 ––––––––
                                 
                              
                                 
                                 100    „
                                 
                              
                           Die chemische Untersuchung eines jeden dieser Bestandtheile des Samens ergab die
                              									Möglichkeit zu erkennen, ob ein Mehl oder Brod Raden enthält und auch nahezu, in
                              									welcher Quantität.
                           Solches Mehl oder Brod würde erstlich, mit der Loupe besehen, schon Trümmer der
                              									Samenhaut (epispermium) des Radens erkennen lassen.
                           Ein mit Wasser gemachter Brei von mit Raden gemengtem Mehl oder Brod wird stets einen
                              									mehr oder weniger scharfen Geschmack haben; bei 1/50 Raden, einem oft vorkommenden
                              									Mengenverhältniß, ist diese Schärfe noch mit Brennen und Reiz verbunden.
                           Behandelt man das mit Raden vermengte Mehl oder Brod mit Aether, so wird derselbe um
                              									so lebhafter gelb gefärbt, je mehr Raden darin enthalten waren. Das aus der
                              									ätherischen Lösung erhaltene Del wird bei gewöhnlicher Temperatur immer flüssig
                              									seyn, sofern dem Raden nicht eine beträchtliche Menge Mutterkorn beigemengt ist.
                              									Dieses gelbe Oel hat immer einige Schärfe und den unangenehmen Geschmack des
                              									Fettleders. Dieses Oel wird bei mit Raden vermengtem Mehl oder Brod bis 0,60 Procent
                              									betragen, während 400 Thle. reines Getreide oder Mehl nur 0,40 eines milden, wenig
                              									gefärbten Oeles geben.
                           Der (bei der Behandlung mit Aether gebliebene) Rückstand, mit Alkohol digerirt, gibt
                              									eine Lösung, von welcher das Extract bei 1/50 Raden sehr scharf schmeckt, während
                              									von Raden freie Extracte bekanntlich einen milden und süßen Geschmack haben.