| Titel: | Praktische Bemerkungen im Gebiete der Collodium-Photographie; von Dr. J. Schnauß in Jena. | 
| Autor: | Julius Karl Schnauss [GND] | 
| Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. IX., S. 46 | 
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                        IX.
                        Praktische Bemerkungen im Gebiete der
                           								Collodium-Photographie; von Dr. J. Schnauß in Jena.
                        Schnauß, praktische Bemerkungen im Gebiete der
                           								Collodium-Photographie.
                        
                     
                        
                           Die Photographie auf Collodium hat sich für das Porträtfach den ersten Platz
                              									errungen, unstreitig wegen ihrer, alle anderen Methoden für Negativs übertreffenden
                              									Empfindlichkeit gegen das Licht und der verhältnißmäßig raschen Vollendung der
                              									ganzen Operation. In Bezug auf die Schönheit der Resultate würde dem Verfahren auf
                              									Albumin wohl der erste Preis zuerkannt werden müssen.
                           Das Collodiumverfahren verdient also besonders von dem praktischen Photographen
                              									studirt zu werden, um so mehr, als es neben seiner raschen Ausführbarkeit doch
                              									außerordentlich viele Fehlerquellen darbietet, die selbst dem langjährigen Praktiker
                              									noch zu schaffen machen. In der photographisch-chemischen Lehranstalt des
                              									Verfassers hat derselbe reichliche Gelegenheit, Beobachtungen aller Art über das
                              									Mißlingen der photographischen Operationen auf Collodium und über die Mittel
                              									anzustellen, solches zu vermeiden. Diese Beobachtungen führten schließlich zu einem
                              									Ergebniß, das ich im Nachfolgenden mittheile. Es mag vielleicht manchem Praktiker in
                              									seinen äußeren Erscheinungen bekannt seyn, doch wird es selten nach richtigen
                              									Principien behandelt. Ich fasse es in den Worten zusammen:
                           Die vollkommenste, jedoch relative
                              									Neutralität der agirenden Stoffe, nämlich des Jodcollodiums einer- und des
                              									Silberbades andererseits, bedingt die höchste Empfindlichkeit und mithin die
                              									Schönheit der negativen Bilder.
                           Den Photographen, namentlich den Anfänger, welchem gründliche chemische Kenntnisse
                              									mangeln, über diesen Punkt aufklären, heißt ihm die Mittel an die Hand geben, unter
                              									allen Umständen Herr seiner Präparate zu seyn, und stets die gleichen Resultate zu
                              									erzielen. Die Erfahrung hat mich und diejenigen Photographen, welche in meinem
                              									Laboratorium ihre Uebungen ausgeführt haben, gelehrt, welche große Wichtigkeit
                              									diesem einzigen Umstand beizulegen ist.
                           Indem ich näher auf vorliegendes Thema eingehe, nehme ich an, daß dem Leser die
                              									chemische Bedeutung des Wortes „Neutralität,“ so wie von
                              										„Säure“ und „Basis“ oder
                              										„Alkali“ bekannt sey.
                           Das so wichtige chemische Verhältniß zwischen dem Jodcollodium und dem Silberbad mit
                              									seinen mannichfaltigen Zersetzungen und Verbindungen läßt sich füglich mit den
                              									Schalen einer Waage vergleichen, welche genau ins Gleichgewicht gebracht werden
                              									müssen, wenn anders das Experiment die gewünschten Erfolge haben soll; mit anderen
                              									Worten, man muß für Herstellung und Erhaltung des chemischen Gleichgewichtes
                              									zwischen diesen, aus so verschiedenen Stoffen bestehenden zwei Hauptagentien sorgen.
                              									Es ist daher nicht genügend ein gutes Collodium zu haben und das Silberbad richtig
                              									zusammenzusetzen, sondern es ist zuerst das Verhältniß
                              									zwischen beiden zu erforschen, denn das eine wird durch das andere bedingt und
                              									ergänzt, so zwar, daß nach keiner Richtung hier die Gränze der vollkommensten Neutralität
                              									überschritten werden darf. Die Bestandtheile des Jodcollodiums sind so leicht
                              									zersetzbar, daß schon dadurch das Resultat nach Verlauf einer verhältnißmäßig kurzen
                              									Zeit ein verschiedenes seyn kann. Ebenso wird die neutrale Beschaffenheit des
                              									Silberbades sehr häufig beeinträchtigt, meist ohne Wissen des Operateurs, denn die
                              									gewöhnlichen Mittel, die Neutralität zu erforschen, wie Reagenspapiere, reichen hier
                              									bei weitem nicht aus. – Es ist sehr wahrscheinlich, daß die
                              									Unempfindlichkeit, welche Platten, mit röthlich gewordenem Jodcollodium präparirt,
                              									zeigen, nicht ihren Grund hat in dem freigewordenen Jod oder der
                              									Jodwasserstoffsäure, welche letztere wohl ersterem bei der freiwilligen Zersetzung
                              									des Jodcollodiums vorhergeht, sondern vielmehr in der beim Eintauchen der Platte ins
                              									Silberbad dadurch freigewordenen äquivalenten (wenn auch äußerst geringen) Menge Salpetersäure. Nachstehende Formel möge diesen Vorgang
                              									verdeutlichen:
                           2 AgO, NO₅ + KJ + HJ = 2 AgJ + KO, KO, NO₅ +
                              										NO₅ + HO
                              								
                           wobei der Einfachheit wegen angenommen ist, daß das
                              									Jodcollodium bloß Jodkalium enthält, welches zufolge der röthlichen Farbe schon
                              									etwas zersetzt ist. Durch öftere Wiederholung obigen Vorganges wird das Silberbad
                              									mit der Zeit immer mehr gesäuert. Zugleich ist der Oxydation des im gebrauchten
                              									Silberbad stets vorhandenen Alkohols zu gedenken, dessen Endproduct (vor der
                              									gänzlichen Verbrennung) bekanntlich Essigsäure ist. Schon aus diesen wenigen
                              									Andeutungen geht hervor, daß auch das anfangs noch so neutrale Silberbad mit der
                              									Zeit eine, wenn auch äußerst schwache saure Eigenschaft erhält, die hinreicht, die
                              									Empfindlichkeit und Schönheit der Negativs zu beeinträchtigen. Im Sommer bei guter
                              									Beleuchtung wird man allenfalls auch mit einem Jodcollodium und Silberbad, welche
                              									bei ihrer Vereinigung zur photographischen Schicht nicht der strengsten Neutralität
                              									entsprechen, ganz gute Bilder erhalten können; ja, es ist für Anfänger unter solchen
                              									günstigen Umständen sogar gerathener, mit etwas weniger empfindlichen Stoffen zu
                              									arbeiten und lieber einige Secunden länger das Licht einwirken zu lassen, weil sie
                              									außerdem, nämlich wenn sie mit sehr empfindlichen Präparaten arbeiten, leicht
                              									verbrannte Bilder erhalten. – Anders ist es dagegen im Winter und bei
                              									ungünstigem, d.h. schwachem Tageslicht. In diesem Fall zeigt sich das nachfolgend
                              									beschriebene Verfahren, die auf einander wirkenden photographischen Substanzen auf
                              									den höchst möglichen Grad von Empfindlichkeit zu bringen, von dem besten Erfolg. Es
                              									kommt dabei wenig auf die Zusammensetzung des Jodcollodiums an, wenn dasselbe
                              									überhaupt von geübter Hand zusammengesetzt ist, die Jodverbindungen gegenüber den
                              									Bromverbindungen im
                              									Ueberschuß enthält und namentlich die richtige Consistenz besitzt, auch das
                              									Verhältniß des Collodiums (des unpräparirten) zu den Salzen nicht zu gering ist. Die
                              									Güte des Jodcollodiums hängt nächstdem besonders von der Vermeidung eines
                              									Uebermaaßes von Aether oder Alkohol ab. Zuviel Wassergehalt bringt die gefürchteten
                              									Risse der Collodiumschicht nach dem Trocknen des Bildes mit sich; ebenso ein zu
                              									großer Salzgehalt, welcher von dem ersteren herzurühren
                              									pflegt, da sich die Salze dem Collodium in um so größerer Menge beibringen lassen,
                              									je wasserhaltiger dasselbe oder der zum Auflösen benutzte Alkohol ist. Die Gegenwart
                              									einer geringen Menge eines Bromsalzes (am besten
                              									Bromammonium) ist der zarteren Halbtöne wegen vortheilhaft. Verbindungen schwerer
                              									Metalle geben tiefere Schwärzen, selbst Brommetalle. Es ist, beiläufig gesagt,
                              									unrichtig, wenn solche, die sich bloß als Chemiker mit
                              									der Photographie beschäftigt haben, behaupten, die Basis oder das Metall, welches
                              									mit Brom oder Jod verbunden, dem Collodium zugesetzt wird, sey ohne Einfluß auf das
                              									Bild. Der Theorie zufolge, nach der man nur dem Jodsilber und bedingungsweise dem
                              									salpetersauren Silberoxyd die alleinige Wirkung
                              									zuschreibt, könnte ein Einfluß der Nebenproducte allerdings geläugnet werden. Die
                              									Erfahrung aber zeigt, daß ein merklicher Einfluß des, bei der doppelten Zersetzung,
                              									resp. Verbindung, gebildeten salpetersauren Salzes seiner Basis nach (z.B. Kali,
                              									Ammoniak, Zinkoxyd, Cadmiumoxyd u.s.w.) wirklich stattfindet und die Schönheit der
                              									Bilder merklich modificirt. Die eigenthümliche Wirksamkeit des Bromsilbers neben dem
                              									Jodsilber abzuläugnen, wird keinem Photographen, selbst keinem Chemiker, der sich
                              									nur leidlich mit der Photographie bekannt gemacht hat, einfallen, wie dieß kürzlich
                              									von Seiten eines Chemikers geschehen ist.
                           Nach dieser Abschweifung kehre ich zum Hauptgegenstand meiner Mittheilung zurück.
                           Findet der Photograph, daß seine Collodium-Negativs in der Camera nur langsam und unvollkommen entstehen und
                              									besonders einen Mangel an Zeichnung in den Schattenpartien, mithin auch an Halbtönen
                              									besitzen, so liegt der Fehler in dem gestörten Gleichgewicht der Neutralität
                              									zwischen Jodcollodium und Silberbad. Ist das Jodcollodium auffallend röthlich
                              									geworden, so liegt allerdings die Ursache des Mißlinges hauptsächlich in ihm, und
                              									man möge es nach einer der vielen bekannten Methoden restauriren, oder ganz frisches
                              									zusammensetzen. Ebenso oft ist der Grund davon in dem Silberbad zu suchen, welches
                              									in das zweckmäßigste Verhältniß zu dem benutzten Jodcollodium gebracht, sogar die
                              									Mängel des letztern auszugleichen im Stande ist, so weit sie eine zu geringe oder
                              										zu große
                              									Empfindlichkeit betreffen. Es reicht nicht hin, den neutralen Zustand des
                              									Silberbades durch Reagenspapiere zu erforschen, denn einestheils kann sich eine
                              									kleine Spur Säure dieser Reaction vollständig entziehen, welche doch hinreicht, die
                              									Qualität der Negativs sehr zu verschlechtern; anderntheils handelt es sich hier, wie
                              									schon bemerkt, weniger um absolute, als vielmehr um relative Neutralität. Man muß daher, um diesen wichtigen Umstand genau zu
                              									bestimmen, einen speciellen Versuch machen.
                           
                              1) Man tauche ein reines Glasstäbchen in Ammoniaklösung, so daß
                                 										es nur eben angefeuchtet wird, und rühre damit die gewöhnliche Quantität des
                                 										gebrauchten Silberbades wohl durcheinander;
                              2) ein reiner und trockener Glasstreifen, von einer Breite,
                                 										welche erlaubt, ihn bequem in die Flasche mit Jodcollodium zu bringen, wird
                                 										wiederholt in letzteres getaucht, bis eine, der gewöhnlichen entsprechend dicke
                                 										Schicht von Jodcollodium darauf sich befindet;
                              3) (von nun an hat man bei möglichst schwacher künstlicher
                                 										Beleuchtung zu arbeiten). Der genannte Glasstreifen mit dem Jodcollodium wird
                                 										ins Silberbad, welches mit Ammoniak behandelt worden, getaucht und die
                                 										gewöhnliche Zeit darin gelassen, dann herausgenommen und
                              4) mit der gewöhnlichen Pyrogallussäurelösung übergossen. Man
                                 										beobachte nun sorgfältig, ob eine grauliche oder bräunliche Färbung vor Verlauf einer Minute eintritt. Am besten bemerkt
                                 										man sie, wenn der Glasstreifen gegen ein weißes Papier gehalten wird. Tritt die
                                 										Trübung oder Färbung sogleich ein, so ist das
                                 										Silberbad im Verhältniß zum Jodcollodium zu empfindlich, d.h. es ist etwas zu
                                 										viel Ammoniak zugesetzt worden, und es würde beim Hervorrufen die ganze
                                 										photographische Schicht sich schwärzen, oder besser bräunen, bevor noch das eigentliche Bild sich entwickelt hat. Um
                                 										diesem zu begegnen, hat man nun Folgendes zu thun: Wie sub 1) wird ein reines Glasstäbchen genommen, aber dießmal in
                                 										Essigsäure getaucht, so daß nur sehr wenig daran
                                 										hängen bleibt, und das Silberbad tüchtig damit umgerührt, hierauf die Probe mit
                                 										dem Jodcollodium beschriebenermaßen wiederholt. Soll das Verhältniß zwischen
                                 										Silberbad und Jodcollodium das richtige seyn, so muß
                                 										die Jodcollodiumschicht unter der Einwirkung der (mit Essigsäure versetzten)
                                 										Pyrogallussäure wenigstens 1 volle Minute ihre reine
                                 										weißlichgelbe Farbe behalten, dann nach und nach sich färben, d.h. mit einem
                                 										graulichen Schleier überziehen. Man hat alsdann den genannten Präparaten den
                                 										höchsten Grab von Empfindlichkeit gegeben, der damit überhaupt zu erreichen ist.
                                 										Negativs, damit erzeugt, werden bei leidlich guter Beleuchtung in 5–6
                                 										Secunden, bei ganz gutem Licht im Schatten in 1–2 Secunden (Voigtländer
                                 										Nr. 3 ohne Blendung) vollkommen schön erscheinen. Das Bild muß aber beim
                                 										Hervorrufen unverweilt erscheinen, d.h. die Exposition in der Camera im Verhältniß zur Lichtstärke nie zu kurz
                                 										genommen werden, sonst bildet sich bei längerem Hervorrufen ein leichter
                                 										Schleier. Bei einem, nach einiger Uebung sehr leicht und sicher zu erhaltenden
                                 										guten Negativ dieses Verfahrens sind die Zeichnungen in den Schatten
                                 										vortrefflich ausgeprägt, was stets nur bei großer Empfindlichkeit der
                                 										photographischen Schicht oder entsprechend verlängerter Exposition stattfindet.
                                 										Erst hiedurch erreichen die Collodium-Negativs ihren besondern Werth,
                                 										ohne welchen sie in den tieferen Schattenpartien stets noch der Retouche
                                 										bedürfen.
                              
                           Ich hoffe durch vorliegende einfache Vorsichtsmaßregel dem Anfänger zugleich die
                              									Unsicherheit benommen zu haben, in welche ihn das Versuchen der zahllosen
                              									veröffentlichten Jodcollodiumrecepte bringt, indem er leicht bemerken wird, daß nach dieser Methode fast jedes Jodcollodium gute Dienste
                              									thut, wenn es, wie gesagt, nicht von ungeübter Hand zusammengesetzt, namentlich in
                              									seiner Consistenz richtig getroffen ist. Immer bleibt es jedoch wichtig, die
                              									Lichtstärke während der photographischen Aufnahme zu kennen, wozu man ein gutes
                              									Photometer (etwa von Schaller in Berlin) ankaufen oder
                              									selbst construiren möge.