| Titel: | Ueber die Ventilation in den Seidenraupereien nach dem System von Bouvier; von Professor Dr. Rueff in Hohenheim. | 
| Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. LXXI., S. 309 | 
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                        LXXI.
                        Ueber die Ventilation in den Seidenraupereien
                           								nach dem System von Bouvier; von Professor Dr. Rueff in Hohenheim.
                        Aus dem württembergischen Wochenblatt für
                                 										Landwirthschaft, 1856, Nr. 19
                        Rueff, über die Ventilation in den Seidenraupereien.
                        
                     
                        
                           Die Erfahrung hat bis jetzt unbestreitbar nachgewiesen daß, abgesehen von der guten
                              									Qualität der Eier und des Maulbeerlaubes, die Ventilation
                              									des Raupenlocales eine Grundbedingung für das Gedeihen einer Zucht bilde, denn ohne
                              									Ventilation ist eine gesunde Luft kaum denkbar. Die Hurden, die Excremente der
                              									Raupen, der Athmungs- und Transpirationsproceß, die feuchten Ausscheidungen
                              									von den Blättern, die Feuchtigkeit in der Atmosphäre selbst sind stets fortwirkende
                              									Veranlassungen zur Veränderung der Luft. Wenn nun vollends die Locale fest
                              									verschlossen und mit Kohlenbecken oder Oefen geheizt werden, so zersetzen sich die
                              									Stoffe auf den Lagerstellen und hauchen Gerüche und Miasmen aus, welche die
                              									Veranlassung zu einer Menge von Krankheiten und unersetzlichen Verlusten geben.
                           Dieß haben freilich viele Züchter eingesehen und den Uebelständen abzuhelfen gesucht;
                              									allein ohne die Gesetze der Ventilation zu kennen, oder sie bestrebten sich nur die
                              									kalte Luft abzuführen, und dachten bei ihren Lüftungseinrichtungen immer nur an das
                              									Warmhalten der Locale, oder suchten den Luftwechsel durch Heizung zu erreichen. Bis
                              									jetzt aber hat man nur unvollständige Resultate erreicht. Die bis daher von
                              									Sachverständigen vorgeschlagenen Lüftungsapparate waren entweder unvollkommen oder
                              									schwer anzuwenden und einzurichten.
                           Um eine gute Ventilation in einer Rauperei zu erreichen, ist es nothwendig, daß der
                              									stete Luftwechsel sich auch auf die Lagerstellen erstrecke, ohne jedoch hiebei die
                              									Blätter auszutrocknen, ehe die Raupe Zeit hat sie aufzufressen, denn sonst hätte man
                              									einen zu großen Futterverbrauch. Der Luftwechsel muß stattfinden ohne grellen
                              									Temperaturwechsel, also
                              									ganz allmählich, indem alle Luftschichten in dem Locale Antheil an der Bewegung
                              									nehmen. Die Temperatur muß möglichst gleichmäßig seyn und in allen Theilen der
                              									Rauperei den gewünschten Grad haben, unten so gut wie oben; ferner muß man nach
                              									Bedürfniß die Wärme an einem beliebigen Orte willkürlich um etwas erhöhen können.
                              									Bei guter Ventilation darf man keine anderen Gerüche wahrnehmen, als die vom frisch
                              									gepflückten und aufgelegten Laube. Beim Einathmen der Luft soll man sich nicht
                              									belästigt fühlen, nicht einmal zur Zeit des Einspinnens; gerade zu dieser Zeit gehen
                              									die meisten Zuchten zu Grunde, namentlich in Folge mangelhafter Ventilation. Eine
                              									weitere Eigenschaft einer guten Ventilation ist, daß sie ohne viele Umstände in
                              									Wirkung gesetzt werden könne, so daß ihre Besorgung keine besondere Intelligenz in
                              									Anspruch nimmt, daß sie ohne besonderen Arbeits- und Zeitaufwand und ohne zu
                              									große Kosten für ihre Einrichtung und für Brennmaterial in Gang gebracht werden
                              									könne.
                           Hippolyte Bouvier in Grenoble, Departement Isère,
                              									wo die Seidezucht in neuerer Zeit zu freudigem Gedeihen kommt, hat nach obigen
                              									Grundsätzen in seinem Departement viele neue Magnanerien erbaut oder schon
                              									bestehende Locale zum Zweck der Raupenzucht eingerichtet. Er wurde von mehreren
                              									Vereinen für seine Methode mit Denkmünzen und Prämien belohnt, und hatte auch zur
                              									Pariser Weltausstellung 1855 seine Einrichtungen im Modell eingesendet. Die Lüftung
                              									wird bei der Methode des Hrn. Bouvier dadurch zu Stande gebracht, daß mit Hülfe einer Luftheizung
                              									in die Rauperei eine Luft eingeführt wird, welche einen den Bedürfnissen
                              									entsprechenden Wärmegrad besitzt. Die auf solchem Wege zugeführte Luft bedingt
                              									jedoch nur theilweise eine Lufterfrischung, und eben um eine vollständige
                              									Lufterneuerung zu erreichen, sind noch Kamine angebracht, welche vom Keller oder den
                              									unteren Räumen des Gebäudes ausgehen, oder außen im Freien anfangen und oben in dem
                              									Raupereilocale ausmünden, um die oberen Luftschichten zu erneuern. Vervollständigt
                              									endlich wird das Ventilationssystem durch Luftsaug-Kamine, um die verdorbene
                              									Luft abzuleiten.
                           Für den Fall, daß die äußere Temperatur zu hoch wäre, so können die Röhren der
                              									Luftheizung, deren Ofen natürlich dann nicht geheizt zu seyn braucht, in derselben
                              									Weise, wie die Zuleitungskamine aus den unterm Räumen, für Anschaffung einer kühlen
                              									Luft dienen; um sie zur vollständigen Wirkung zu bringen, braucht man nur in den
                              									Luftsaug-Kaminen, welche in den obern Regionen ihren Anfang nehmen, leichtes
                              									Feuer anzumachen. Die Luftheizung ist außerhalb des Raupereilocals angebracht, was
                              									einmal den Vortheil hat, daß die Rauperei nicht durch Kohlendampf und Staub belästigt wird, und
                              									auch den Dienst sehr vereinfacht, indem man nur eine einzige Feuerstelle nöthig hat,
                              									um mehrere Locale in einem und demselben Gebäude an den Vortheilen einer solchen
                              									Einrichtung Theil nehmen zu lassen. Von diesem Punkt aus also gehen die Schläuche,
                              									welche in jedes Gelaß die zur Erfrischung und Erwärmung bestimmte Luft leiten. Wenn
                              									man eine Rauperei von Grund auf neu baut, so kann man die Kamine in die Mauern
                              									einlassen, was die Kosten bedeutend vermindert. In schon vorhandenen Gebäuden macht
                              									man die Kamine von Backsteinen und zwar gewöhnlich in Ecken und Winkeln. Die
                              									Schläuche für die Zuführung kalter Luft kann man aus gut zusammengefügten Dielen
                              									herstellen und sie an die Wände anlegen. In schon bewohnten Gebäuden benützt man die
                              									vorhandenen Kamine als Abzugsschläuche. Es ist also nicht nöthig ganz neue
                              									Einrichtungen zu treffen, um das System von Bouvier
                              									anzuwenden, es läßt sich in jedem gewöhnlichen Hause anbringen.
                           Meistens benützt man zur Raupenzucht Wohnzimmer, Speicher, Magazine; alle diese Räume
                              									lassen sich nach Hrn. Bouvier
                              									leicht für sein Ventilationssystem herrichten. Eine große Zahl von alten Raupereien,
                              									in welchen man nie gute Resultate erreichen konnte, sind nach Angabe des Hrn.
                              										Bouvier umgestaltet und
                              									lassen durch die schönsten dort gewonnenen Ernten die so schmerzlichen Verluste,
                              									über welche sich die Besitzer fast jedes Jahr so bitter zu beklagen hatten, wieder
                              									vergessen.
                           Referent gibt diese Notizen über die Lüftungsmethode des Hrn. Bouvier, nicht sowohl um zu veranlassen daß in
                              									Süddeutschland ähnliche Magnanerien erbaut werden, sondern vielmehr in der Absicht,
                              									um Andeutungen über die richtigen Grundsätze und über die Mittel für eine
                              									durchgreifende Ventilation zu verschaffen. Es ist dieses System nicht einmal ganz
                              									neu, sondern combinirt aus den Systemen des Dandolo und
                              										d'Arcet und Péclet,
                              									es ist in verschiedenen technischen Fabriken schon zu verschiedenen Zwecken
                              									angewendet, beruht überhaupt so ganz auf unumstößlichen Naturgesetzen, daß es
                              									überall sich Geltung verschaffen und zur Anwendung kommen wird, wo
                              									naturwissenschaftlich gebildete Männer die Aufgabe übernommen haben, für eine
                              									möglichst vollkommene Ventilation zu sorgen.