| Titel: | Ueber die Symptome, Diagnose und den Charakter der epidemischen Muscardine (Seidenwürmerkrankheit), ferner über das Schutzverfahren gegen dieselbe; von Hrn. A. Ciccone. | 
| Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. LXXII., S. 311 | 
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                        LXXII.
                        Ueber die Symptome, Diagnose und den Charakter
                           								der epidemischen Muscardine (Seidenwürmerkrankheit), ferner über das Schutzverfahren
                           								gegen dieselbe; von Hrn. A.
                              									Ciccone.
                        Aus den Comptes rendus, Nov. 1855, Nr.
                              								21.
                        Ciccone, über die Symptome und den Charakter der epidemischen
                           								Muscardine.
                        
                     
                        
                           I. Symptome und Diagnose. – Mit Unrecht wurde
                              									behauptet, daß der von der Muscardine befallene Seidenwurm plötzlich stirbt, und daß
                              									er bis zum letzten Augenblick frißt und sich, wie die andern Würmer, bewegt. Die
                              									Muscardine ist eine Krankheit, die wie jede andere ihren Verlauf nimmt; sie dauert
                              									gewöhnlich drei bis fünf Tage. Um sich davon zu überzeugen, braucht man die
                              									Krankheit nur gesunden Würmern künstlich mitzutheilen und sie sorgfältig zu
                              									beobachten. Das erste Symptom ist der Ekel vor Nahrung (Anorexie); anfangs frißt der
                              									Wurm sehr wenig, dann hört er ganz zu fressen auf. Zu diesem Ekel vor Nahrung
                              									gesellt sich die Trägheit. Zuerst bewegt er sich sehr wenig, dann bleibt er
                              									unbeweglich, die Brust eingezogen und verkürzt, so daß der Kopf zur Hälfte in den
                              									ersten Ringen steckt. Manchmal ist der vordere Theil seines Körpers aufwärts gebogen
                              									in Gestalt eines Kreisbogens. Die Sensibilität ist vermindert, die Muskelkraft
                              									geschwächt, er verliert etwas von seiner Elasticität und gleichzeitig viel an Volum;
                              									sehr oft treten aus seinem Munde Tropfen einer grünlichen, schleimigen Flüssigkeit
                              									aus; das Schlagen der Rückenader (vaisseau dorsal)
                              									erleidet erst ein paar Stunden vor dem Tod eine Störung; in dem Ring welcher sich
                              									vor dem hornartigen Ansatz befindet, beobachtet man zusammenziehende Bewegungen
                              									welche gleichzeitig mit den Schlägen stattfinden und die Angst anzudeuten
                              									scheinen.
                           Die Erscheinungen nach dem Tode sind genauer bekannt. Unmittelbar nach dem Tode ist
                              									der Wurm weich und hat gar keine Elasticität; er zeigt keine Flecken; sticht man in
                              									ihn hinein, so tritt aus dem Stich ein dickeres und dunkleres Blut hervor, als
                              									gewöhnlich; gegen das Ende des ersten Tages beginnt er hart zu werden und sich zu
                              									färben; gegen das Ende des zweiten Tages bildet sich auf dem Rücken eine Furche und
                              									der ganze Körper des Wurms verdreht sich: aus der Stichwunde tritt dann keine
                              									Flüssigkeit mehr, aber die Gewebe sind noch damit angefüllt; gegen das Ende des
                              									dritten Tags zeigen sich die ersten weißen Flecken, welche sich immer weiter und endlich
                              									über den ganzen Körper ausbreiten, aber der Schimmel verliert bald seine Frische und
                              									seinen Glanz, er trocknet aus, so daß der Wurm mit Kalk oder Zucker überzogen zu
                              									seyn scheint. In diesem Zustande ist der Wurm trocken, hart und kaum biegsam.
                              									– Die Muscardine ist eine in den ersten Tagen schwer zu erkennende Krankheit,
                              									besonders wenn man sie in der Seidenzuchtanstalt nicht vermuthet; es gibt aber keine
                              									andere Krankheit, womit sie verwechselt werden könnte.
                           II. Pathologische Anatomie und Entstehung der Krankheit.
                              									– Die organischen Verletzungen der Muscardine zeigen sich im Blut und den
                              									Geweben des Wurms. Das Blut wird von Tag zu Tag dunkler gelb, endlich braun und fast
                              									trübe; gleichzeitig wird es dicker und nimmt an Menge ab, bis es von dem Pilze
                              									gänzlich absorbirt ist. Durch das Mikroskop lassen sich weder im flüssigen Theile,
                              									noch in den Kügelchen, noch im färbenden Theil erhebliche Veränderungen entdecken.
                              									Diese eiförmigen Körperchen finden sich in den mit der Muscardine behafteten Würmern
                              									eben so gut als in den gesunden, und in einem Stadium der Krankheit ebenso wie in
                              									den andern. Krystalle von allen Größen finden sich im Blut, und noch reichlicher auf
                              									den Häuten des Magens, der Gallenharngänge, der Seidesäcke und der Hüllen; sie
                              									bestehen aus oxalsaurem Kalk. Auch sieht man auf den erwähnten Häuten eine Menge
                              									Keimkörnchen und einige einfache Fädchen, welche manchmal schwach verzweigt sind.
                              									Ein Tropfen dieses Blutes, in günstige Umstände versetzt, erzeugt ein prachtvolles
                              									Netz mikroskopischer Pilzfäden. Der Magen ist mit einer gallertartigen Materie
                              									angefüllt, analog jener der Tropfen welche aus dem Munde des Wurms treten und voll
                              									Fäden und halbverdauten Blattstückchen; die Membranen sind auffallend verdickt,
                              									erweicht, undurchsichtig und mit einfachen und verzweigten Fäden überzogen, wovon
                              									man einige unter den Epithelialzellen hervortreten sieht; auch auf den Seidesäcken,
                              									auf den Gallenharngängen und auf dem Fettkörper sind Fäden und Keimkörnchen
                              									wahrzunehmen. Auf den Hüllen zeigt sich die Pflanze niemals vor dem Tode; sie zeigt
                              									vier Gestalten, welche vier Stadien ihrer Vegetation entsprechen. In den Excrementen
                              									der von der Muscardine befallenen Würmer, welche Zeit genug hatten um ihren Cocon
                              									auszuarbeiten, entdeckt man mittelst des Mikroskops deutliche Keimkörnchen. Die
                              									allgemein herrschende Ansicht ist, daß die Keimkörnchen durch den Magen, die Haut
                              									und die Luftröhren in das Blut eintreten, darin keimen, wachsen und sich entwickeln,
                              									wodurch der Kreislauf gestört wird und zuletzt stille steht, so daß der Wurm an
                              									Entkräftung stirbt. Diese Theorie ist unrichtig; der einzige Weg der Einführung ist
                              									der Magen, welcher der erste und Hauptsitz des Schimmelpilzes ist. Diese Keimkörnchen gehen durch die
                              									Magenwände hindurch und dringen in das Blut, welches weniger ein Entwickelungssitz
                              									als ein Verbreitungsmittel ist. Die durch das Blut abgesetzten Keimkörnchen keimen
                              									und reproduciren die Pflanze.
                           III. Schutzmittel gegen die Muscardine. – Man kann
                              									als Regel annehmen, daß es verlorene Mühe ist einen von der Muscardine schon
                              									befallenen Wurm zu pflegen; ihn zu heilen ist unmöglich; man muß also der Seuche
                              									vorbeugen. Zahlreiche Versuche, welche in der Absicht angestellt wurden, um ein
                              									Mittel zu finden, welches die Keimkraft der mikroskopischen Schimmelpilze zerstört,
                              									ergaben, daß weder Kalk, noch starke Säuren, noch Kupfervitriol, concentrirte
                              									Kalilösung, der Rauch von Eichenrinde, Schwefelräucherungen, Chlor,
                              									Untersalpetersäure, Arsenikwasserstoff etc. die Keimkraft der Keimkörnchen in allen
                              									Fällen zu zerstören vermögen. Mag dieß nun der kräftigen und zähen Natur der
                              									Keimkörner zuzuschreiben seyn, oder ihre außerordentliche Zartheit eine vollständige
                              									Anwendung der Agentien erschweren, gewiß ist, daß mit den erwähnten Agentien
                              									behandelte und in günstige Umstände versetzte Keimkörnchen manchmal wieder keimten
                              									und den Schimmelpilz erzeugten. Jene Körper sind allerdings nicht ohne Wirkung auf
                              									die Keimkörnchen; sie halten die Keimung auf, erschweren sie, verhindern sie wohl
                              									manchmal ganz und schwächen das Wachsthum der Pflanze; sie geben aber kein sicheres
                              									Mittel zur Zerstörung der Keimkörnchen ab, so daß wir also bis jetzt kein wahrhaftes
                              									Schutzmittel gegen die Muscardine kennen.
                           Beim Desinficiren der Seidenzuchtanstalten, um den Muscardine-Seuchen
                              									vorzubeugen, kommt es darauf an, die beiden Ansteckungs-Herde, denjenigen der
                              									erkrankten Würmer und denjenigen der Wände und Geräthe der Anstalt, zu zerstören.
                              									Die kranken Würmer sind der reichste und ergiebigste Herd der Muscardine. Um ihn zu
                              									zerstören, braucht man nur die von der Krankheit befallenen Würmer vor ihrer
                              									vollständigen Entwicklung zu verbrennen; man zerstört hiemit auch die Pflanze, ehe
                              									sie ihre Samen gereift hat. Sehr schwer hingegen ist es den Ansteckungsherd in der
                              									Anstalt selbst und den Geräthen zu zerstören. Die einzigen Mittel, welche einiges
                              									Vertrauen verdienen, sind der Kalk und die Oelfirnisse. Dieselben sind zwar nicht im
                              									Stande die Keimkörnchen geradezu zu zerstören, aber sie verhindern deren Wachsthum,
                              									indem sie dieselben einhüllen und an ihrem Ort festhalten. Durch diese beiden Mittel
                              									dürfte es folglich gelingen die Muscardine-Seuchen abzuwenden.