| Titel: | Ueber die fabrikmäßige Darstellung der Cyanverbindungen; von Richard Brunnquell, früher technischem Dirigenten der Blutlaugensalz-Fabrik Hohenkamp bei Bremen. | 
| Autor: | Richard Brunnquell | 
| Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. CIII., S. 452 | 
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                        CIII.
                        Ueber die fabrikmäßige Darstellung der
                           								Cyanverbindungen; von Richard
                              									Brunnquell, früher technischem Dirigenten der
                           								Blutlaugensalz-Fabrik Hohenkamp bei Bremen.
                        Mit Abbildungen auf Tab.
                              									VI.
                        (Forsetzung von S. 389 des vorhergehenden
                           								Heftes.)
                        Brunnquell, über die fabrikmäßige Darstellung der
                           								Cyanverbindungen.
                        
                     
                        
                           C. Auf welchem Wege ist die größte
                                 										Ausbeute an Blutlaugensalz zu erzielen?
                           
                              I. Das jetzige Verfahren in seiner
                                    											vollkommensten Ausführung und seine etwaigen Verbesserungen.
                              Schon aus den bei der Beantwortung der ersten Frage gegebenen Betrachtungen geht
                                 										hervor: daß das jetzt allgemein angewendete Verfahren, selbst abgesehen von
                                 										praktischen Schwierigkeiten, auch principiell keiner irgend beträchtlichen
                                 										Verbesserung fähig ist. Es steht unumstößlich fest, daß die allgemein
                                 										gebräuchliche, auf Zusammenschmelzen thierischer Stoffe mit kohlensauren
                                 										Alkalien begründete Darstellung des Blutlaugensalzes, man möge nun die Stoffe
                                 										verkohlt oder unverkohlt anwenden, dieselben vorher mit der Potasche mischen
                                 										oder erst in die geschmolzene eintragen, in offenen oder geschlossenen Gefäßen
                                 										schmelzen, doch stets mit dem Verluste des größten Theils des Stickstoffs
                                 										verbunden ist. Ebenso habe ich bereits bewiesen, daß der beträchtliche Verlust
                                 										an Potasche eine nothwendige Folge des stets anzuwendenden Ueberschusses und des
                                 										Zusammenschmelzens mit so unreinen Substanzen ist. Gegenüber diesen unheilbaren
                                 										Uebelständen der Fabricationsweise bleibt dem Fabrikanten, so lange er keine
                                 										vollkommnere an deren Stelle zu setzen vermag, nichts übrig, als dahin zu
                                 										streben, die daraus entspringenden Verluste durch die gewissenhafteste
                                 										Beobachtung aller kleinen Vortheile möglichst gering zu machen.
                              Zwei Wege sind es hauptsächlich, auf denen er dieses Ziel erreichen kann, er muß
                                 										nämlich: 1) soviel als möglich die zweite Bildungsweise des Cyans (aus Ammoniak
                                 										und glühender Kohle) einzuleiten und 2) den Verlust an Potasche durch Anwendung
                                 										reiner thierischer Substanzen und Beseitigung der Flugasche zu vermeiden
                                 										suchen.
                              Ich werde nun für den Fall, daß doch der Einführung meines unter III. zu
                                 										beschreibenden neuen Verfahrens nicht zu beseitigende praktische Schwierigkeiten
                                 										in dem Wege ständen, versuchen, in dem Folgenden das nach meinen Erfahrungen
                                 										beste Verfahren beim Schmelzen, also bei der eigentlichen Cyanbildung, mit
                                 										Weglassung alles Bekannten und Unwesentlichen zu beschreiben.
                              Was die Einrichtung des Ofens betrifft, so hat man bekanntlich jetzt ganz
                                 										allgemein horizontale FlammöfenDieselben haben, neben manchen Nachtheilen, drei sehr gewichtige
                                       												Vortheile: 1) bedeutendes Ersparniß an Brennmaterial; 2) raschere und
                                       												leichtere Arbeit (wo man sonst 4 Schmelzen täglich machte, macht man mit
                                       												offenen Schalen 7 bis 8 mit der doppelten Masse); 3) längere Dauer und
                                       												geringere Kosten derselben. In England, bei billigerem Brennmateriale
                                       												und Eisenpreisen, dagegen theureren Arbeitslöhnen, wendet man noch jetzt
                                       												verschlossene Schmelzgefäße von der Form eines Eies mit abgeschnittener
                                       												Spitze an, welche die Ersetzung des Schmelzers durch einen mechanischen
                                       												Rührer gestatten. Man kann dann nur verkohlte Substanzen anwenden, und
                                       												muß die Kohle gleich mit der Potasche mischen, was am besten in
                                       												Rollfässern geschieht. eingeführt, auf deren Sohle eine ovale gußeiserne Schale von 4 bis 5
                                 										Zoll Tiefe, 5 Fuß Länge, 4 Fuß Breite und 4 Zoll Eisenstärke eingesenkt ist. Bei
                                 										der Construction desselben hat man darauf zu achten, daß der innere Ofenraum
                                 										(Arbeitsraum) nicht größer als zur bequemen Handthierung nöthig und das Gewölbe
                                 										möglichst flach sey. Die Füchse würde ich außerdem mit Schiebern versehen, so
                                 										daß die Flamme gezwungen werden kann zum Arbeitsloche heraus zu schlagen, über
                                 										welches dann (ähnlich wie bei den Glasöfen) ein Fang, der in einen kleinen
                                 										Schornstein mündet, angebracht wird. Hat letzterer genügenden Zug, so werden die
                                 										Arbeiter durch die ausströmenden Gase nicht belästigt, im Gegentheile weniger
                                 										von der Hitze zu leiden haben. Das Hauptaugenmerk ist auf die Feuerung selbst zu
                                 										richten, und zwar mache ich auf die ganz besonderen Vortheile der Gasfeuerung
                                 										für diesen Zweck aufmerksam. Durch einen zweckmäßig eingerichteten Gasofen,
                                 										dessen nähere Beschreibung hier überflüssig ist, da dieselben jetzt schon in
                                 										vielen hüttenmännischen Etablissements eingeführt sind, würde, außer den
                                 										allgemeinen Vortheilen dieser Feuerung, einmal die oxydirende Einwirkung der
                                 										Flamme ganz vermieden, ja sogar nach Umständen in eine reducirende umgewandelt
                                 										werden können, und sodann die Flugasche ganz wegfallen (?). Wie bedeutend die
                                 										Menge der letzteren (wenigstens bei einem gut ziehenden Flammofen, wie er doch
                                 										erforderlich) ist, hat gewiß schon jeder Fabrikant beim Anfeuern einer neuen
                                 										Schale bemerkt; nach 24 Stunden hat sich so viel Asche gesammelt, daß sie mit
                                 										der Krücke entfernt werden kann. Die absolute Schädlichkeit derselben,
                                 										wenigstens bei Torf und Steinkohlen, ist anerkannt.
                              Für den Betrieb eines solchen Ofens nun schlage ich ein combinirtes Verfahren
                                 										vor, wie solches schon zum Theil in einigen Fabriken angewendet wird, und zwar in folgender
                                 										Art. Die Beschickung bestehe aus: 200 Pfd. Potasche, resp. einem Gemische von
                                 										2/3 Mutterlaugensalz mit 1/3 frischer Potasche; 40 Pfd. thierischer Kohle,
                                 										erhalten aus der Verkohlung der stickstoffärmsten Rohstoffe, die also beim
                                 										Schmelzen ohnedieß wenig Ammoniak geben würden, so wie derjenigen Rohstoffe, die
                                 										sich wegen ihrer physischen Beschaffenheit nicht zur directen Verarbeitung
                                 										eignen; 130 bis 140 Pfd. möglichst scharf getrockneten und reinen Rohmaterialien
                                 										und endlich 16 Pfd. Eisen. Die Potasche wird bei vollem FeuerWürde der Ofen mit Hülfe eines Gasgenerators geheizt, so hätte man
                                       												natürlich nur nöthig, den Gashahn etwas zu schließen und vorzüglich die
                                       												zuströmende Verbrennungsluft so weit zu beschränken, daß die Flamme den
                                       												Charakter einer reducirenden annehme. in vollständigen Fluß gebracht, was man durch zwei- bis
                                 										dreimaliges Durcharbeiten erleichtert, dann Aschenfall und Füchse geschlossen,
                                 										das Feuer nochmals gut geschürt und nun unter fleißigem Rühren die Hälfte der
                                 										Kohle eingetragen, bis die Schmelze die rechte Consistenz hat und die Reduction
                                 										des Kaliums eingeleitet ist, was man an den in allen Theilen der Schmelze
                                 										hervorbrechenden hellblauen Flämmchen von Kohlenoxydgas, und an einem
                                 										eigenthümlichen weißen Nebel (verbrannte Kaliumdämpfe) bemerkt. In diesem
                                 										Zustande ist nun die Schmelze am geeignetsten, das sich in derselben
                                 										entwickelnde Ammoniak in Cyan umzuwandeln, so weit es eben in so dünnen
                                 										Schichten und bei so rascher Gasentwickelung möglich ist. Man beginne nun mit
                                 										dem Eintragen der Rohmaterialien und zwar zunächst der stickstoffreichsten,
                                 										wobei man nicht zu große Stücke (z.B. bei Horn und Hufen) oder zu große Massen
                                 										auf einmal nehme, wodurch natürlich die rasche Unterbringung und gleiche
                                 										Vertheilung sehr erschwert wird, die Gasentwickelung zu heftig auf einem Punkte
                                 										stattfindet und so mit das Ammoniak keine Gelegenheit zu der gewünschten
                                 										Umwandlung findet. Nach Verbrauch von etwa 130 Pfd. Rohstoffen beginnt die Masse
                                 										krümlich und bröcklig zu werden, so daß ein gehöriges Unterbringen derselben
                                 										unmöglich wird; man beeile sich nun den Rest der Thierkohle einzuschmelzen,
                                 										welche sich einmal durch ihre feine Zertheilung besser für diese Periode eignet
                                 										und durch das zugleich dennoch gebildete cyansaure Kali reducirt wird. Endlich
                                 										rühre man nochmals gut durch, schließe für einige Augenblicke die
                                 										Eintragsöffnung, um die Einwirkung der Kohle abzuwarten, und bringe dann
                                 										möglichst rasch die Masse mit einer besonderen, breiteren Krücke in eiserne
                                 										Kessel, die sogleich zugedeckt werden.
                              Was die angegebenen Verhältnisse betrifft, so halte ich es nicht für zweckmäßig,
                                 										weder viel kleinere, noch viel größere Massen auf einmal in Arbeit zu nehmen; übrigens
                                 										bin ich weit entfernt, diese Zahlen als die einzig richtigen hinstellen zu
                                 										wollen, und der Fabrikant wird dabei nach den Verhältnissen verschiedene
                                 										Abänderungen ohne Nachtheil anbringen können. Ich habe viele Versuche
                                 										angestellt, um das absolut beste Verhältniß, mit Berücksichtigung des
                                 										Stickstoffgehaltes der Rohmaterialien zu ergründen, habe mich aber überzeugt,
                                 										daß das Resultat zu sehr von andern oft unerklärlichen Ursachen abhängt, als daß
                                 										die Einwirkung derartiger Abänderungen mit Bestimmtheit zu ergründen wäre.
                                 										Ueberhaupt möchte ich dem Fabrikanten, der einen umsichtigen und zuverlässigen
                                 										Schmelzer hat, rathen, demselben etwas freie Hand zu lassen; solche Leute
                                 										erkennen den Punkt, wo die Schmelze die rechte Reife hat und das Eintragen
                                 										aufhören muß, gewiß sicherer als irgend ein Chemiker; auch wissen dieselben bei
                                 										Anwendung verschiedenartiger Rohmaterialien dieselben nach ihren verschiedenen
                                 										Eigenschaften beim Schmelzen zweckmäßig zu vertheilen. Es machen z.B. Haare und
                                 										Leder die Schmelzung sehr leicht trocken und krümlich, während Flechsen, weniger
                                 										Lumpen, einen dünnen Fluß und leichte Arbeit befördern. Obwohl es eigentlich
                                 										selbstverständlich ist, möchte ich doch nochmals dringend darauf hinweisen, daß
                                 										der Werth der Rohmaterialien nicht in directem Verhältnisse von ihrem
                                 										Stickstoffgehalte abhängt, sondern daß ein Material von doppeltem
                                 										Stickstoffgehalte weit über noch einmal so viel werth ist, da es natürlich sehr
                                 										wichtig ist mit demselben Verluste an Potasche, demselben Arbeits- und
                                 										Brennmaterial-Aufwande, also mit einer Operation möglichst viel
                                 										Blutlaugensalz zu erzeugen.Unter dem Titel: „Neues und vortheilhaftes Verfahren zur
                                          													Bereitung des blausauren Eisen-Kalis“ ist ein
                                       												Werkchen von Chr. Fr. Salzer, badenschen
                                       												Staatschemiker, erschienen, dessen Geheimniß eben die Anwendung
                                       												gereinigter Rohmaterialien ist. Ob aber die von Salzer vorgeschlagenen Reinigungsmethoden der thierischen
                                       												Stoffe den Beifall der Praktiker finden, möchte ich dahingestellt seyn
                                       												lassen. Die Anwendung von sogenannten Schlappen (altem Schuhwerke) möchte ich
                                 										nur auf die größte Nothwendigkeit beschränkt wissen; ich habe selbst solches
                                 										sorgfältigst waschen lassen und mich überzeugt, welche Massen Sand und
                                 										dergleichen trotzdem in den Absätzen zwischen den zerrissenen Sohlen etc. sitzen
                                 										bleiben. Eine Hauptsache ist jedenfalls ein sehr regelmäßiges und fleißiges,
                                 										aber nicht stürmisches Durchkrücken.
                              Was nun schließlich den Zuschlag von Eisen betrifft, so hat man hierüber schon
                                 										sehr viel unnütze Worte verloren; oft wird ein gewisser Werth darauf gelegt
                                 										dasselbe zu bestimmten Zeiten anzuwenden, andere haben wieder behauptet, es
                                 										wirke nachtheilig u.s.w. Jedenfalls steht fest, daß keine Mehrausbeute durch
                                 										Eisenzuschlag, dagegen allerdings eine Schonung der Schmelzkessel dadurch
                                 										erzielt wird. Nach Fleck's
                                 										Versuchen hielt ein
                                 										Schmelzkessel ohne Eisen nur 100, bei Eisenzuschlag 343, ein anderer sogar 405
                                 										Schmelzungen aus. Daß dasselbe keine so wesentliche Rolle spielt, hat wohl
                                 										seinen Grund darin, daß das Eisen der Schmelzgeräthe fortwährend der Einwirkung
                                 										der schmelzenden Masse unterliegt, mithin immer mit einer Schicht Schwefeleisen
                                 										bedeckt ist, und dieselbe stets wieder von neuem erzeugt, während das frisch
                                 										zugesetzte Eisen kaum Zeit hat sich in Schwefeleisen umzuwandeln, worauf es
                                 										schon wieder aus dem Ofen entfernt wird. Jedenfalls wende man, schon wegen des
                                 										Schwefelcyankaliums, die angegebene Menge Eisen an, und setze dasselbe gleich zu
                                 										Anfang mit der thierischen Kohle zu. Wenn man es erst, wie viele thun, am Ende
                                 										der Schmelzung eintragt, so kann wenigstens keinesfalls eine Schonung der Gefäße
                                 										damit erzielt werden. So viel ich erfahren habe, hält man es in einer bekannten
                                 										preußischen Fabrik für sehr wesentlich die Eisenabfälle vorher rosten zu lassen.
                                 										Versuche habe ich hierüber nicht angestellt, nur schien es mir dann einfacher,
                                 										direct Hammerschlag oder einen reinen Spatheisenstein anzuwenden.
                              Ueber die weitere, zweckmäßigste Behandlung der Schmelzen sey noch folgendes
                                 										gesagt: Wenn dieselben erkaltet sind, so werden sie zerschlagen und in Wasser
                                 										von etwa 50 bis 60° Cels. 24 Stunden lang unter fleißigem Umrühren
                                 										digerirt, dann, am besten durch Einleiten von Dampf, zum Kochen gebracht;
                                 										hierauf läßt man absetzen, hebt die Lauge ab und wäscht den Rückstand weiter mit
                                 										Wasser aus.
                              Die weitere Behandlung hat gar keine Schwierigkeiten; alles hängt nur von der
                                 										Leitung des Schmelzprocesses ab, wie überhaupt diese Fabrication die
                                 										Eigenthümlichkeit hat, daß die Qualität gar keine, dagegen die Quantität sehr
                                 										bedeutende Schwierigkeiten macht. Das einzige Schwierige in Bezug auf die
                                 										Qualität ist die vollständige Entfernung des schwefelsauren Kalis aus dem
                                 										Rohsalze; das beste Mittel dagegen aber wiederum vollständige Reduction
                                 										desselben, also zweckmäßige Leitung des Schmelzprocesses.
                              
                           
                              II. Die bisher versuchten, oder nur
                                    											vorgeschlagenen, neuen Verfahren zur Darstellung des
                                    										Blutlaugensalzes.
                              Ich kann hierbei füglich alle Mittheilungen, die nur auf Verbesserung des ersten
                                 										ursprünglichen Verfahrens bis zu seiner jetzigen Ausbildung Bezug haben,
                                 										übergehen, zumal es sich hierbei nur um unbedeutende Abänderungen in der
                                 										praktischen Ausführung handelt, und werde mich überhaupt nur bei denjenigen
                                 										Methoden etwas länger aufhalten, die mir Anknüpfungspunkte für weitere
                                 										Forschungen zu geben scheinen.
                              
                              Das erste Princip, auf welches von verschiedenen Seiten ein Verfahren zur
                                 										Darstellung des Blutlaugensalzes begründet wurde, beruht auf der Verwerthung des
                                 										bei der Verkohlung entweichenden Ammoniaks, indem man dasselbe mit schmelzender
                                 										Potasche und Kohle in Berührung bringt, also auf der bereits besprochenen
                                 										zweiten Bildungsweise des Cyans. Die ersten Versuche wurden von Desfosses (siehe polytechn. Journal Bd. XXVIII S. 473) veröffentlicht, der
                                 										aber zugleich die ganz richtige Bemerkung macht, daß das Verfahren im Großen
                                 										unausführbar sey, indem das Gemenge von Kohle und Potasche bei der zur
                                 										Cyanbildung nöthigen Temperatur immer eine angehende Schmelzung, vorzüglich auf
                                 										der Oberfläche erleide, und dann das Innere nicht mehr genügend von dem Ammoniak
                                 										durchdrungen werbe. Gleichwohl, und wie es scheint unbekannt mit der erwähnten
                                 										früheren Mittheilung, beschreibt Berry (polytechn.
                                 										Journal Bd. LXXXIV S. 361) ein auf
                                 										dasselbe Princip begründetes Verfahren, wobei er sich verticaler gußeiserner
                                 										Röhren bedient. Abgesehen von der eigenthümlichen Beschickung derselben (20
                                 										Potasche, 10 Salpeter, 20 Eisen, 45 bis 50 Kohle), dem durchaus zu verwerfenden
                                 										Salpeter und einem ganz unnütz hohen Eisenzusatze, dürfte das Verfahren dadurch
                                 										schon ganz unausführbar seyn, daß sich die Zu- und Ableitungsröhren des
                                 										Gases jedenfalls verstopfen würden. Bei Anwendung horizontaler Röhren würde sich
                                 										dagegen durch das Zusammensintern der Masse über derselben eine Gasse bilden,
                                 										durch welche die Gase frei streichen würden. Eine andere Mittheilung (ein in
                                 										England patentirtes Verfahren) finden wir im polytechn. Journal Bd. CII S. 157. Der Patentträger erwähnt
                                 										die Mängel der beiden genannten Anordnungsweisen und sucht dieselben dadurch zu
                                 										beseitigen, daß er drei Kessel nach Art Woolf'scher
                                 										Flaschen verbindet, in denselben ein Gemenge von 100 Potasche mit 30 Kohle
                                 										flüssig macht und die Gase durch dasselbe streichen läßt. Ich halte diese
                                 										Anordnung für die unausführbarste; es dürfte nämlich: 1) sehr schwierig seyn,
                                 										die Masse immer auf dem erforderlichen Grad von Dünnflüssigkeit zu erhalten; 2)
                                 										sehr leicht ein Verstopfen der Röhrenleitungen eintreten, die durch die
                                 										durchströmenden Gase immer abgekühlt werden, und endlich 3) bei dem sehr großen
                                 										Drucke, dem die Gase hierbei ausgesetzt werden, und bei der sehr hohen
                                 										Temperatur, die vielen Röhrenverbindungen, vorzüglich die großen Oeffnungen zum
                                 										Entleeren und Beschicken, nicht gasdicht zu erhalten. Endlich hat noch G. Jacquemyns vorgeschlagen, die Gase von der
                                 										Knochenverkohlung einer ähnlichen Verarbeitung zu unterwerfen (polytechn.
                                 										Journal Bd. LXXXVIII S. 313). Jedenfalls
                                 										ist es eine Thatsache, daß bis jetzt kein auf dieses Princip begründetes
                                 										Verfahren zur fabrikmäßigen Ausführung gekommen ist.
                              
                              Es sind außerdem wohl fast in jedem LaboratoriumVersuche, die hierüber im Laboratorium der polytechnischen Schule in
                                       												Dresden angestellt wurden, ergaben, wie mir mitgetheilt wurde, aus Horn
                                       												im Durchschnitt ein halbes Procent Blutlaugensalz. Versuche über diese Bildungsweise des Cyans gemacht worden, welche es,
                                 										ganz abgesehen von den erwähnten Schwierigkeiten, sehr zweifelhaft gemacht
                                 										haben, ob überhaupt die Bildung des Cyankaliums in genügendem Maaße auf diesem
                                 										Wege erreicht werden könne. Es möchte hierbei noch in Betracht zu ziehen seyn,
                                 										daß sich Cyanammonium in Berührung mit glühendem Eisen in seine
                                 										Elementarbestandtheile zersetzt (vergl. Weiteres unter III.). Ich meinerseits
                                 										habe mich bemüht, die praktischen Hindernisse auf eine einfache Weise zu
                                 										umgehen, zu welchem Zwecke ich schließlich folgenden Versuch im Kleinen
                                 										anstellte.
                              Ein großer, möglichst hoher Schmelztiegel wurde zur unteren Hälfte mit einem
                                 										Gemenge von gleichen Theilen getrocknetem Blut und Potasche, zur oberen mit
                                 										einem solchen von Potasche und 40 Proc. Lederkohle angefüllt, und sodann in
                                 										einem gewöhnlichen runden Tiegelofen bis zur halben Höhe mit losen Steinbrocken
                                 										umgeben, die obere aber durch glühende Kohlen bis zum Schmelzen erhitzt. Sodann
                                 										wurde derselbe rasch in eine daneben befindliche Feuerung gesetzt, zur einen
                                 										Hälfte mit tobten, zur andern mit glühenden Kohlen umgeben, so daß die obere
                                 										Hälfte gar nicht aus dem Schmelzen kommen konnte und nun die Erhitzung (resp.
                                 										Verkohlung und Schmelzung) allmählich nach unten fortschritt, bis endlich die
                                 										ganze Masse in Fluß gebracht war. Die Gase waren so gezwungen ihren Weg durch
                                 										die schmelzende Masse zu nehmen. Obwohl das Resultat dieses einen Versuches
                                 										nicht maßgebend seyn kann, ist es doch immerhin interessant genug. Es gab
                                 										nämlich die obere nur unvollkommen geschmolzene Schicht 4,6 Proc.
                                 										Blutlaugensalz; dagegen befand sich im unteren Theil des Tiegels (etwa 1/5 des
                                 										ganzen Inhalts) eine vollständig geflossene, fast nur aus Cyankalium und
                                 										Potasche bestehende Masse, die nicht weniger als 28,6 Proc. Ferrocyankalium gab.
                                 										Das Cyankalium scheint also gleichsam ausgesaigert zu seyn.
                              Die Anwendung dieses Princips im Großen würde keine Schwierigkeiten haben und
                                 										ungefähr folgendermaßen auszuführen seyn. Ein gußeisernes, aus zwei Theilen
                                 										bestehendes Gefäß, Fig. 12, würde in
                                 										einem in zwei Etagen getheilten Flammofen so eingemauert, daß die beide Theile
                                 										verbindenden Flantschen in der horizontalen Scheidewand des Ofens säßen. Es
                                 										würde nun der untere Theil desselben mit dem Gemenge aus gleichen Theilen
                                 										möglichst stickstoffreicher thierischer Rohmaterialien und Potasche, der obere mit einem solchen
                                 										aus Potasche mit 40 bis 60 Proc. thierischer Kohle, erhalten durch Verkohlung
                                 										der stickstoffärmsten Rohmaterialien, beschickt, darauf die Flamme zunächst in
                                 										den oberen Theil des Ofens, nach einiger Zeit von da auch in den unteren Theil,
                                 										und endlich erst in den unteren, dann in den oberen Theil des Ofens geleitet,
                                 										was durch geschickt vertheilte Schieber, jedenfalls aber durch eine Gasfeuerung
                                 										leicht zu erreichen wäre. Die Vortheile dieser Anordnung liegen auf der Hand; es
                                 										würden nämlich: 1) alle complicirten Röhrenverbindungen wegfallen, da die
                                 										Erzeugung und Verwendung des Gases in demselben Gefäß geschieht; 2) die Gase
                                 										absolut gezwungen seyn ihren Weg mitten durch die schmelzende Masse zu nehmen;
                                 										3) mit einer Operation sowohl die gasförmigen Producte als die rückständige
                                 										Kohle verwerthet werden, während bei einer getrennten Verkohlung die verkohlten
                                 										Stoffe in einer besondern Arbeit nach dem alten Verfahren verarbeitet werden
                                 										müßten; 4) würden auch die geringsten Rohmaterialien mit Vortheil verarbeitet
                                 										werden können.
                              Daß man im obern Theil auch bloß Holzkohle anwenden könnte, ist
                                 										selbstverständlich. Das Füllen geschieht durch eine Oeffnung in der Decke mit
                                 										Hülfe eines Sturzes von Eisenblech; das Entleeren mittelst eines geeigneten
                                 										Schöpfers oder durch ein Abstichloch am Boden. Die Gase würde man am einfachsten
                                 										frei in den Ofen ausströmen und daselbst verbrennen lassen. Jedenfalls dürfte es
                                 										zweckmäßig seyn, einen oder vielmehr zwei Rührapparate anzuwenden, von denen der
                                 										obere mit einer hohlen Achse zu versehen wäre, durch welche die des unteren
                                 										durchginge, um so nach Belieben die Rührer einzeln in Bewegung setzen zu
                                 										können.
                              Da ich inzwischen auf mein unter III. zu beschreibendes, in jeder Beziehung viel
                                 										versprechendes Verfahren kam, wurde ich verhindert die Versuche hierüber weiter
                                 										fortzusetzen, und ich gebe mich der Hoffnung hin hierdurch eine Fortsetzung
                                 										derselben von Seiten anderer zu veranlassen. Das Verfahren ist sehr einfach und
                                 										einer weiteren Prüfung wohl werth. – Ein sehr einfacher Apparat hierzu
                                 										bestände aus Folgendem: 1) einem gußeisernen Cylinder (unten geschlossen, oben
                                 										offen) von etwa 1 1/2 Fuß Länge und 5 Zoll Durchmesser; 2) einem gewöhnlichen
                                 										Tiegelofen von 11 bis 12 Zoll Durchmesser mit einem ringförmigen Rost, durch den
                                 										sich der Cylinder auf und nieder bewegen ließe. Die Anwendung ist
                                 										selbstverständlich. Dieses Princip könnte wohl auch im Großen angewendet werden,
                                 										indem man die allmähliche Hebung durch einen Krahn bewirkte; die Einrichtung des
                                 										Ofens würde dadurch bedeutend vereinfacht. Ich füge die Skizze eines derartigen
                                 										Ofens bei, der mir wesentliche Vortheile vor der ersten Idee zu haben scheint.
                                 										Derselbe ist in Fig. 13 dargestellt. A das gußeiserne
                                 										Schmelzgefäß, B der runde Schachtofen, a, a Füchse von der dahinter liegenden Feuerung, b, b Füchse, die nach der Esse führen; D Gewölbe unterhalb des Ofens, c, c, c Ketten, an denen das Schmelzgefäß hängt; sie
                                 										würden zweckmäßig durch eine Hebevorrichtung bei D
                                 										ersetzt werden. Ein Rührer ließe sich leicht anbringen.
                              Es sind ferner eine größere Anzahl Mittheilungen veröffentlicht worden, welche
                                 										darauf hinausgehen, den Gehalt des Leuchtgases und der Gase der Kohksöfen an
                                 										Cyanammonium zur Blutlaugensalzgewinnung zu benutzen, so im polytechn. Journal
                                 											Bd. CXXV S. 109; Bd. LXVII S. 206; Bd. LXXXVIII S. 313. Daß in den genannten
                                 										Gasen, resp. den daraus condensirten Flüssigkeiten, Cyanammonium enthalten ist,
                                 										ist eine ausgemachte Thatsache, ebenso aber auch, daß es nur in äußerst geringen
                                 										Mengen darin vorhanden. Es ist um so weniger daran zu zweifeln, daß man längst
                                 										davon Gebrauch gemacht haben würde, wenn ein Gewinn dabei zu erzielen wäre, da
                                 										das Ammoniak (und Cyanammonium) haltende Theerwasser der Gasanstalten ohnedieß
                                 										Gegenstand der Verarbeitung in unseren vorzüglichsten chemischen Fabriken ist.
                                 										Eine Verbesserung dieses Verfahrens ist der Natur der Sache nach nicht möglich,
                                 										daher genüge diese kurze Andeutung.
                              Was nun endlich die schon mehrfach erwähnte Gewinnung des
                                    											Blutlaugensalzes aus dem Stickstoff der atmosphärischen Luft betrifft,
                                 										so ist dieselbe so vielfach zum Gegenstand besonderer sehr ausführlicher
                                 										Arbeiten gemacht worden, daß es mich zu weit führen würde näher auf dieselben
                                 										einzugehen, zumal nach den vorzüglich darüber in Frankreich mit großen Kosten
                                 										angestellten Versuchen dieses Verfahren, laut den betreffenden Berichten an die
                                 										Akademie der Wissenschaften in Paris, als aufgegeben anzusehen ist. Bemerken
                                 										möchte ich nur noch, wie falsch es vom Standpunkt des Fabrikanten ist, zu sagen:
                                 											„der Stickstoff der Luft kostet nichts.“ So wie ihn der
                                 										Fabrikant brauchen kann, d.h. frei von Sauerstoff und Kohlensäure und auf einen
                                 										sehr hohen Hitzegrad gebracht, kostet er allerdings etwas, nämlich
                                 										Brennmaterial, Arbeit und kostspielige Apparate, und berechnen wir ein Pfd.
                                 										Stickstoff mit 4 1/6 Sgr. (wenn 12 Pfd. = 1 Ctnr. Rohmaterialien
                                 										durchschnittlich 50 Sgr. kosten), so ist es sehr fraglich, ob der Fabrikant die
                                 										entsprechende Menge Luft wohlfeiler in den erforderlichen Zustand versetzen
                                 										kann. Etwas anderes wäre es freilich, wenn es bei diesem Verfahren gelänge,
                                 										nahezu allen in Arbeit genommenen Stickstoff in Cyan
                                 										überzuführen. Die bisherigen Versuche haben aber insgesammt das Gegentheil
                                 										ergeben. Ich erinnere nur daran, daß das erhaltene Cyan oft nicht mehr betrug,
                                 										als auch der äußerst geringe Gehalt der Holzkohlen an Stickstoff hätte geben
                                 										können!
                              
                                  (Der Schluß folgt im ersten Heft des nächsten
                                    											Bandes.)
                                 
                              
                           
                        
                     
                  
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