| Titel: | Ueber das Pferdefleisch als Nahrungsmittel. | 
| Fundstelle: | Band 144, Jahrgang 1857, Nr. CXVIII., S. 459 | 
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                        CXVIII.
                        Ueber das Pferdefleisch als
                           								Nahrungsmittel.
                        Aus den Comptes rendus, September 1856, Nr.
                              								9.
                        Ueber das Pferdefleisch als Nahrungsmittel.
                        
                     
                        
                           Hr. Is. Geoffroy-Saint-Hilaire bespricht in
                              									seinem unlängst erschienenen Werke: Lettres sur les substances alimentaires, et particulièrement sur la viande de
                                       										cheval, den Genuß des Pferdefleisches hinsichtlich der Gesundheit, seines
                              									Geschmacks und seiner ausreichenden Menge, um unter den Nahrungsmitteln für das Volk
                              									eine Stelle einzunehmen.
                           Was die Gesundheit des Pferdefleisches betrifft, so wurde
                              									sie, außer von den chinesischen Aerzten, welche wenigstens den Genuß des Fleisches
                              									der zweifarbigen Pferde verbieten, und abgesehen von einer oft, aber unrichtig
                              									citirten Stelle Galen's, von keinem einzigen Arzt und Naturforscher bestritten. Die
                              									Thatsachen sprechen übrigens ganz zu seinen Gunsten. Bei der Belagerung von
                              									Kopenhagen und anderen diente es Wochen lang den Truppen als Nahrung. Bei der
                              									Belagerung von Paris (1793 u. 94) mehrere Monate lang, und nie verursachte es
                              									Krankheiten oder Unwohlseyn, und wurde so wie seine Brühe selbst von Kranken gut
                              									vertragen. Dasselbe war in Aegypten bei der Belagerung von Alexandrien der Fall, wo
                              									es nach Larrey sogar beitrug, den epidemischen Scorbut,
                              									welcher sich der ganzen Armee bemächtigt hatte, zum Verschwinden zu bringen.
                           Hinsichtlich seines Geschmackes sind die Meinungen mehr
                              									getheilt. Das Pferdefleisch wurde lange und wird jetzt noch von vielen Personen für
                              									süßlich, unangenehm schmeckend, namentlich für sehr hart gehalten. Wenn diese
                              									Behauptung solchen Personen zu verzeihen ist, welche bei Belagerungen schlecht gekochtes
                              									Fleisch und überdies von ausgehungerten oder gar verwundeten Pferden zu essen
                              									bekamen, so haben doch die meisten übrigen Gegner das Pferdefleisch nie versucht und
                              									äußern nur eine vorgefaßte Meinung, wie aus folgenden Thatsachen hervorgeht.
                           Das wilde oder freie Pferd wird in Asien, Afrika und Amerika wie das Wildpret gejagt,
                              									wie auch seine Gattungsgenossen, das Zebra, der Halbesel, der Esel und der Hamar für
                              									vortreffliches Wildpret gelten. Selbst das zahme Pferd wird mehr oder weniger in
                              									allen Welttheilen als Nahrungsmittel verwendet; sehr oft schon wurde in
                              									französischen Städten Pferdefleisch als Ochsenfleisch und in angesehenen
                              									Speisehäusern auch als Rehfleisch verkauft, ohne daß es die Consumenten
                              									erkannten.
                           Aber auch alle diejenigen Personen, welche des Versuches halber gehörig abgelegenes
                              									Fleisch von gesunden, ausgeruhten Pferden gegessen haben, fanden dessen Braten
                              									vortrefflich, und wenn solches als gesottenes Fleisch einiges zu wünschen übrig
                              									läßt, so ist dieß nur Folge davon, daß das Pferdefleisch eine vortreffliche, vielleicht die beste Fleischbrühe gibt, welche man kennt,
                              									wie vielfältige Versuche mit Fleisch von nicht gemästeten Pferden ergaben, welche
                              									ein Alter von 16 bis 20 und 23 Jahren erreicht hatten, und abgesehen von ihrer Haut,
                              									kaum einige Francs werth waren. Diese wichtige Thatsache beweist, daß das Pferd,
                              									nach vollkommener Ausnützung seiner Kraft, am Ende seines Lebens noch durch
                              									Verwerthung seines Fleisches Gewinn abwerfen kann. (Gemästetem Ochsen- und
                              									Hammelfleisch kommt das Pferdefleisch jedoch an Werth nicht gleich.)
                           Was die Menge anbelangt, in welcher das Pferdefleisch sich als Nahrungsquelle
                              									darbietet, so theile ich hier bloß die Resultate meiner Berechnung mit. Wenn man die
                              									officiellen statistischen Angaben und andere Urkunden über die Anzahl der Pferde in
                              									Frankreich, ihre Lebensdauer und das Ergebniß einer großen Anzahl von Pferden an
                              										FleischIm Laufe des Jahres 1854 wurden in Wien zum Fleischverkauf 1180 Pferde
                                    											geschlachtet, welche 264,325 Kilogr. gutes Fletsch lieferten, was
                                    											durchschnittlich für 1 Pferd 224 Kilogr. beträgt. Alle Berechnungen in
                                    											meinem Werk habe ich darauf basirt. In drei Jahren, von dem Zeitpunkte
                                    											gerechnet wo man in Wien anfing Pferdefleisch zu verkaufen, haben zwölf
                                    											Metzger 4725 Pferde geschlachtet, welche 1,962,000 Pfd. (1,065,143 Kilogr.)
                                    											Fleisch lieferten, das an Dürftige in 3,804,000 Portionen vertheilt wurde.
                                    											– In vielen anderen Städten Deutschlands gibt es jetzt
                                    											Pferdefleischereien. Auch in Belgien und in der Schweiz kommen sie in
                                    											Aufnahme. zusammenstellt, so findet man, daß das Fleisch der jährlich in Frankreich
                              									eines natürlichen Todes gestorbenen oder geschlachteten Pferde beiläufig äquivalent
                              									ist:
                           
                           1/6 des Rind- oder Schweinefleisches;
                           2/3 bis Hammel- und Ziegenfleisches zusammen;
                           1/14 alles Fleisches der Metzgereien und Garküchen zusammen,
                           oder, was auf dasselbe hinauskommt, über 2 1/2 Millionen der
                              									jetzigen durchschnittlichen Fleischrationen in Frankreich, welche freilich dem
                              									Bedürfniß der Bevölkerung bei weitem nicht entsprechen. Bei dieser Sachlage (von
                              									obigen Ziffern muß für die zur Konsumtion nicht geeigneten Pferde noch ein Abzug
                              									gemacht werden) läßt sich der praktische Werth meiner Schlußfolgerung nicht
                              									verkennen: daß in der Anwendung des Pferdefleisches eine, wenn auch bei weitem noch
                              									nicht genügende, doch sehr ergiebige Hülfsquelle sich darbietet, um die arbeitende
                              									Bevölkerung mit dem ihr hauptsächlich abgehenden Nahrungsmittel, mit Fleisch zu
                              									versehen.
                           Millionen Franzosen essen im Jahre nur 6mal, 2mal, oder gar nur 1mal FleischBei der größten Classe der französischen Arbeiter (sagt Le Play in seiner gekrönten statistischen Preisschrift: Les Ouvriers européens), nämlich bei den
                                    											landwirthschaftlichen Tagelöhnern, beträgt die Menge des consumirenden
                                    											Fleisches nahezu Null., während Millionen Kilogr. guten Fleisches jeden Monat der Industrie zu
                              									untergeordneten Zwecken überlassen, den Schweinen und Hunden gegeben werden, oder
                              									gar dem Abdecker verfallen.